29.11., Cancun
Viel bekommt man auch fernab der eigentlichen Touristenmeile nicht für sein Geld. In dieser Stadt mit ihren achthunderttausend Einwohnern reichen sechzehn Euro für eine Nacht im Betonhäuschen mit drei mal drei Metern, ausgestattet mit einem Fliesenboden und einem Standventilator. Keine Vorhänge, Kästchen oder Bilder zieren mein Domizil, nur weiße Wände und ein Bett. Die gemeinschaftlichen Sanitärräume mit verwahrlosten Plastikarmaturen und antriebsschwacher Kaltwasserdusche befinden sich im Haupthaus. Kaffee, Toastbrot und Marmelade sind im Übernachtungspreis enthalten, genauer gesagt der eingetrocknete Bodensatz eines Einlitergebindes, den schon länger niemand mehr essen wollte. Warum der Kaffee entkoffeiniert sein muss, kann ich nicht sagen, vielleicht wieder etwas Religiöses. Ein Asiate, ein alter Türke und eine vollgepeckte Lady sind ebenfalls hier wohnhaft.
Später führt mich mein Vermieter Robert zur vorteilhaftesten Wechselstube. Sein Geld verdient er eigentlich mit dem Export von Limetten, die ihm fünfzig Erntehelfer auf hundertfünfzig Hektar Land für Kundschaft in Texas und Dubai von den Bäumen holen. Sephardischer Jude sei er, es gäbe unterschiedliche Thoras oder zumindest abweichende Auslegungen der heiligen Schrift, wenn ich ihn richtig verstanden habe. Der übliche Bullshit. Cancun sei im Übrigen recht sicher, die Bullen zwar korrupt, aber dienstbeflissen. Und sollte sich jemand fragen- natürlich kann Robert Englisch. Mein Sprachschatz beläuft sich noch immer auf Si, no, buenos dias, cerveza und pendejo, aber ich arbeite daran.
Im schrottreifen Bus der Linie 1 pendelt dann ein gewaltiges Kruzifix an der Windschutzscheibe, der genagelte Erlöser nimmt einen Großteil des Sichtfeldes ein. Laut und heiß isses, der Fahrer schindet sein Vehikel und die Fenster und Türen stehen aufgrund karibischer Hitze offen. Links das Meer, rechts die angeblich mit Krokodilen verseuchte Lagune. An irgendeinem Strand hüpfe ich raus, am Parkplatz davor verkaufen zwei Männer Essen buchstäblich aus dem Kofferraum. Ich erstehe Tacos con todos mit Guacamole übers Fleisch und scharfer Sauce, geil. Ansonsten ist kein Gemüse in den Gefäßen auszumachen. Am Meer ist es dann schrecklich. Fünfzehnstöckige Hotels mit erhöhten Poollandschaften, die sich den Großteil des Strandes einverleibt haben. Am verbleibenden schmalen Streifen mit pudrig weißem Sand liegen größtenteils amerikanische Urlauber mit zu enger Badebekleidung und Baseballkappen. Das einzig coole hier sind nur die mächtigen Pelikane, die scheinbar mühelos in den stürmischen Böen schweben um ab und an wie Blitze ins Meer zu stechen, sobald sie Fressbares entdeckt haben.
Später latsche ich heim, es ist schwül und ich bin erledigt. Die Anonymen Alkoholiker haben eine Niederlassung bei mir ums Eck und durch die Scheiben des Fitnesscenters hindurch sehe ich Menschen auf der Stelle laufen. Das Etablissement nennt sich Mutant und dem ist nichts hinzuzufügen.