Donnerstag, 30. November 2023

 29.11., Cancun

Viel bekommt man auch fernab der eigentlichen Touristenmeile nicht für sein Geld. In dieser Stadt mit ihren achthunderttausend Einwohnern reichen sechzehn Euro für eine Nacht im Betonhäuschen mit drei mal drei Metern, ausgestattet mit einem Fliesenboden und einem Standventilator. Keine Vorhänge, Kästchen oder Bilder zieren mein Domizil, nur weiße Wände und ein Bett. Die gemeinschaftlichen Sanitärräume mit verwahrlosten Plastikarmaturen und antriebsschwacher Kaltwasserdusche befinden sich im Haupthaus. Kaffee, Toastbrot und Marmelade sind im Übernachtungspreis enthalten, genauer gesagt der eingetrocknete Bodensatz eines Einlitergebindes, den schon länger niemand mehr essen wollte. Warum der Kaffee entkoffeiniert sein muss, kann ich nicht sagen, vielleicht wieder etwas Religiöses. Ein Asiate, ein alter Türke und eine vollgepeckte Lady sind ebenfalls hier wohnhaft. 

Später führt mich mein Vermieter Robert zur vorteilhaftesten Wechselstube. Sein Geld verdient er eigentlich mit dem Export von Limetten, die ihm fünfzig Erntehelfer auf hundertfünfzig Hektar Land für Kundschaft in Texas und Dubai von den Bäumen holen. Sephardischer Jude sei er, es gäbe unterschiedliche Thoras oder zumindest abweichende Auslegungen der heiligen Schrift, wenn ich ihn richtig verstanden habe. Der übliche Bullshit. Cancun sei im Übrigen recht sicher, die Bullen zwar korrupt, aber dienstbeflissen. Und sollte sich jemand fragen- natürlich kann Robert Englisch. Mein Sprachschatz beläuft sich noch immer auf Si, no, buenos dias, cerveza und pendejo, aber ich arbeite daran. 

Im schrottreifen Bus der Linie 1 pendelt dann ein gewaltiges Kruzifix an der Windschutzscheibe, der genagelte Erlöser nimmt einen Großteil des Sichtfeldes ein. Laut und heiß isses, der Fahrer schindet sein Vehikel und die Fenster und Türen stehen aufgrund karibischer Hitze offen. Links das Meer, rechts die angeblich mit Krokodilen verseuchte Lagune. An irgendeinem Strand hüpfe ich raus, am Parkplatz davor verkaufen zwei Männer Essen buchstäblich aus dem Kofferraum. Ich erstehe Tacos con todos mit Guacamole übers Fleisch und scharfer Sauce, geil. Ansonsten ist kein Gemüse in den Gefäßen auszumachen. Am Meer ist es dann schrecklich. Fünfzehnstöckige Hotels mit erhöhten Poollandschaften, die sich den Großteil des Strandes einverleibt haben. Am verbleibenden schmalen Streifen mit pudrig weißem Sand liegen größtenteils amerikanische Urlauber mit zu enger Badebekleidung und Baseballkappen. Das einzig coole hier sind nur die mächtigen Pelikane, die scheinbar mühelos in den stürmischen Böen schweben um ab und an wie Blitze ins Meer zu stechen, sobald sie Fressbares entdeckt haben.

Später latsche ich heim, es ist schwül und ich bin erledigt. Die Anonymen Alkoholiker haben eine Niederlassung bei mir ums Eck und durch die Scheiben des Fitnesscenters hindurch sehe ich Menschen auf der Stelle laufen. Das Etablissement nennt sich Mutant und dem ist nichts hinzuzufügen. 


 28.11., Wien, Frankfurt, Cancun

Unterwegs nach Mexiko, die ersten Wochen alleine.  Beim Umsteigen in Frankfurt marschiere ich an gemütlich schlafenden Reisenden vorbei, der Flughafen hat in mehreren Nischen Feldbetten zur freien Entnahme gestapelt. Dass ich das noch erleben darf. Anstatt wie sonst üblich die Möbel für übernächtigte Passagiere so unbequem wie nur irgendwie möglich zu gestalten,  geht man hier erstaunlich unkompliziert auf die Nöte der Schlaflosen ein.

Zwei Stunden Verspätung hat der Anschlussflug. Irgendein Trumm am Bordhäusl musste noch getauscht werden, vielleicht die Klopapierrolle. Viele Stunden später schlage ich in Cancun am nordöstlichen Zipfel der Halbinsel Yucatan auf. Um den Einreisestempel anstellen (willkürlich von der Grenzschützerin drei Monate von möglichen sechs Monaten zugestandener Aufenthalt), Geld wechseln (zwanzig Juros, skandalöser Kurs), den Bus in die Stadt finden. Nach Ciudad de Cancun staue ich mich, nicht in die Zona Hotelera, einem schmalen Landstrich vor der eigentlichen Küstenlinie, wo sich ein Hotel an das nächste reiht.

Pickups mit dreckigen Hacklern oder Soldaten auf der Ladefläche kriechen neben dem Bus der Stadt entgegen. Stoßzeit trotz vorgerückter Stunde. Rund um den Hauptbahnhof herrscht noch reges Treiben, wummert Musik aus Autos und Geschäften, essen Menschen an kleinen Straßenstandln. Über die Teller wird ein Sackerl gestülpt, darauf kommt dann die Mahlzeit. Etwas abgefuckt wirkt die Ecke, aber noch voll im Rahmen. Männer ohne Shirts, Frauen in kurzen Röcken. Runde mexikanische Gesichter. Gen Norden folge ich meinem Offline- Navi der Hauptstraße entlang zur schon vorab gebuchten Unterkunft, bis die Gegend ruhiger wird. Der letzte Kilometer ist dann schon recht abgelegen und finster. Unter einer Brücke wurden rund hundert Portraits von Menschen affichiert, die vom Urheber als korrupte Schläger und Diebe diffamiert werden, scheinbar Politiker. Dann finde ich die Dreckshütte nicht, das Bed and Breakfast Lendermann, dem ich schon zwei Nächte bezahlt habe. Niemand mehr unterwegs, den ich fragen könnte. Hunde bellen mich an, springen an Zäunen hoch oder schleichen mit Sicherheitsabstand um mich herum. Schließlich schlendert ein Pärchen mit Kinderwagen durch die Szenerie, schön. Der Mann kann sogar Englisch und gemeinsam eruieren wir aufgrund der geposteten Bilder den tatsächlichen Standort der Unterkunft, die Position auf der Karte war fälschlicherweise einen Häuserblock weiter angegeben. Ich danke meinem Retter, einen anderen Gast klopfe ich aus seinem ebenerdigen Zimmer.  Warum er denn kein Schild anbringen könne, frage ich den Betreiber später. Geht nicht, er führe eine Habitacion privado, scheinbar eine Untergrundbude. Ob ich ein kaltes Bier haben könne? Cerveza fria? No no, er sei Jude und trinke nicht. Sogleich setzt er sich demonstrativ sein Häubchen auf, das ihm wie immer viel zu klein ist. Auch wurscht. Mit einem halben Liter Wasser mit Eis in Händen schließe ich endlich die Tür meines schmucklosen Kobels am Flachdach seines verwinkelten Hauses. Mitten in der Nacht rüttelt noch eine spanisch sprechende Lady mit Rucksack an meiner Sperrholztüre. Es occupado, schleich dich.