22.11., Delhi, Leh
Ein Fluggast
mit obligatorischem Schnurrbart, der mir verträumt lächelnd meine Finger
streichelt, die ich arglos in seiner Reichweite geparkt habe, während wir alle
darauf warten, aus dem abgewohnten Flieger in den nächtlichen Smog entlassen zu
werden. Ein Beamter, der von seiner Wasserflasche trinkt, ohne sie mit den
Lippen zu berühren, während mir meine Fingerabdrücke abgenommen werden. Ein
nicht mehr wirklich subtiler Gestank, der sich wohl für immer in den dicken
Teppich, mit dem der Flughafen beinahe gänzlich ausgelegt ist, gefressen hat.
Kein Zweifel, Indien hat mich wieder. Vorbei am Deportee Room, in dem ein paar unglückliche Frauen darauf warten,
dass irgendetwas mit ihnen geschieht, gehe ich und freue mich aufrichtig, als
das Förderband doch noch meinen Rucksack ausspuckt, dann mache ich mich auf,
mein Glück bei einem der zwei Wechselschalter in der Ankunftshalle Delhis zu
strapazieren. Die sind von einer beachtlichen, leicht wogenden Traube unruhiger
Menschen belagert, die hier eine kürzlich vom indischen Premierminister ohne
jegliche Vorankündigung getroffene, für das ganze Land folgenschwere
Entscheidung ausbaden müssen. Um die Korruption einzudämmen und Schwarzgeldflüsse
zu unterbinden ließ der Schoitl nämlich die zwei höchsten im Umlauf
befindlichen Geldscheine, den Fünfhunderter und den Tausender, über Nacht für
ungültig erklären. Besitzer dieser Banknoten müssen nun scheinbar deren
Herkunft deklarieren, bevor sie sie bei einigen staatlichen Stellen in noch gültige
Scheine umtauschen können. Soweit die angedachte Theorie. Praktisch wurden mit
dieser Aktion mit einem Streich sechsundachtzig Prozent des gesamten Geldwertes
vom Markt genommen und es gibt zu wenig
kleine Scheine im Land, als dass dieser Wegfall damit gutgemacht werden könnte.
Mit den neu aufgelegten Zweitausendern kann sowieso fast niemand etwas
anfangen. So einen großen Lappen gewechselt zu bekommen ist so gut wie
unmöglich für den durchschnittlichen Inder. Wenn ein Tee zum Beispiel
zehn Rupies kostet oder ein Mittagessen vielleicht siebzig, braucht man nicht
viel Fantasie, um die Reaktion des Wirten erahnen zu können, sollte man ihm so ein Scheinchen hinhalten. Der ganze Staat
mit seinen 1,2 Milliarden Menschen befindet sich somit quasi im monetären Ausnahmezustand.
Der Warentransport ist größtenteils zum Erliegen gekommen, die Fahrer können
ihre Lastwagen nicht mehr betanken und lassen sie kurzerhand irgendwo in der
Gegend stehen. Die Kranken können ihre Behandlungen nicht mehr bezahlen, die
Geldautomaten sind leer. Keine Hochzeiten mehr, die Bauern können kein Saatgut
einkaufen. Der Tauschhandel floriert, die Restaurants und Geschäfte lassen notgedrungen anschreiben.
Und die Touristen stellen sich gemeinsam mit den Einheimischen schon lange vor
Sonnenaufgang vor den Banken an, um vielleicht doch noch ein paar Rupies zu
ergattern. Auch jetzt, um 3.30 in der Früh, kann ich froh sein, in der Halle bei
den Inlandsanschlussflügen als zweiter Kunde einer zufällig gerade
aufgesperrten Wechselstube an die Reihe zu kommen. Fünfzig Euro beträgt mein
Limit. Die paar Scheine in der Lade werden auch so keine halbe Stunde reichen. Fünfzig
Euro, das ist nicht viel. Zwei Wochen werde ich in Ladakh bleiben und ob ich dort
noch Geld wechseln kann, muss sich erst weisen.
Auf den TV-Bildschirmen entlang
der Gates werden tonlos die Aufräumarbeiten des letzten großen Zugunglücks gezeigt,
die zerknitterten Waggons und das Chaos. Liebliche Frauenstimmen, begleitet
von Sitar und Tabla, legen sich derweilen wie ein Klangsedativum über die Flughafenhallen.
Der Pilot
des kleinen Passagierflugzeuges nach Leh wähnt sich später als junger Tom
Cruise in Top Gun und zieht für
meinen Geschmack viel zu niedrige und viel zu steile Kurven durch die felsigen,
mit Schnee angezuckerten Bergketten Ladakhs, ehe er hart auf einer Piste am
Ende der Welt aufsetzt. Was für ein Flug. Atemberaubend und sehr beängstigend. Ein
Wastl in Zivil wachelt unseren Vogel in Position und wenig später startet mit
ohrenbetäubendem Getöse eine Transportmaschine des Militärs. Das bestimmt hier
die Szenerie. Ladakh, ein Teil der nördlichsten Provinz Indiens, Kashmir und
Jammu, ist zum größten Teil von feindseligen Nachbarn umgeben. Die Grenzen zu
Pakistan und China sind seit vielen Jahren umstritten. Vom Flugzeug aus konnte
ich nur endlose Steinwüsten ausmachen und laut meinem Reiseführer sind nur
knapp vier Prozent Ladakhs bewohnbar, trotzdem haut man sich deswegen schon
seit Jahrzehnten in die Gosche. Wie auch immer. Trucks, Antennenanlagen, überall
Soldaten.
Das Ankunftszimmer des Landeplatzes ist unbeheizt und es ist richtig
kalt. Ein Verschlag der Tourist
Information ist gänzlich verwaist. Mit mir landen rund zwanzig Einheimische
und mit einem Kleinbus fahre ich hoch in die vier Kilometer entfernte Stadt.
Schlaglöcher, windschiefe Häuser, alles ist mit braunem Staub zugedeckt.
Langhaarige, ziemlich räudige Hunde auf den Straßen. Ein paar verkümmerte, gänzlich entlaubte Bäume. Vor dem Guesthouse, wo ich
vorsorglich ein Zimmer gebucht habe, schreie ich mir die Seele aus dem Leib,
bis mir eine Japanerin endlich das Tor zum Hof aufmacht. Sie sieht mich
erstaunt an, erzählt, sie fliege in zwei Stunden zurück nach Delhi, nachdem sie
die letzten drei Wochen in Leh verbracht hat, ohne jemals einen anderen
Touristen gesehen zu haben. Die Lehrerin, bei der sie gewohnt hat, stellt mir
erst einmal einen Tee hin und später einen Teller Suppe mit Fleisch vom Hammel. Zwei
weiße Haare, wahrscheinlich von dem Viech, und ein wenig Sand am Grund des
Tellers machen das Frühstück noch authentischer. Sie selbst sieht mit ihren
Schlitzaugen und hohen Wangenknochen aus wie eine Tibeterin, von wo viele
Menschen hierher ziehen. Fast alle
Unterkünfte hätten schon geschlossen, die Saison sei schon seit einigen Wochen
zu Ende. Ich könne mein Gepäck gerne unterstellen und mich auf Quartiersuche
begeben, aber dann müsse ich mich dringend ausruhen, um nicht höhenkrank zu
werden. Leh liegt auf 3500 Metern Seehöhe und ihren Schätzungen zufolge speiben
gute drei Viertel der Neuankömmlinge am Tag nach ihrer Ankunft, weil sie es
gleich übertreiben. Sollte ich nichts finden, hätte sie ein kleines Zimmerchen
frei, ich könne „as a family member“ so lange bleiben, wie ich wolle. Einfach
umwerfend, diese Gastfreundschaft, sie meint das wirklich so und strahlt mich
an. Mit ihrem Mann einige ich mich dann auf umgerechnet sieben Euro pro Tag inklusive
Kost und Logis und erspare mir die Sucherei. Dann hau ich mich bekleidet mit allem mitgeführten Textil in
den Schlafsack. Die Fenster der Kammer sind mit Zeitungsseiten zugeklebt und es
ist eiskalt. Der kleine Strahler, den sie mir noch bringen, ist völlig
wirkungslos und obendrein bitten sie mich, ihn nur in Betrieb zu nehmen, wenn
ich nicht schlafe, der Strom sei hier sehr teuer. Aufgefrorene Hauptleitungen
haben die Fließwasserversorgung von ganz Leh unterbrochen, ein Plumpsklo im Hof
muss vorläufig reichen.