Mittwoch, 23. November 2016



23.11., Leh
Gestern Abend gab´s noch den gefürchteten Buttertee für mich, war aber auszuhalten. Der schmeckt entgegen meiner Befürchtungen hauptsächlich im Sommer grauslich, wenn die Butter, die gemeinsam mit Salz und Schwarztee in einem Holzzylinder durchgestampft wird, schon schön ranzig ist. 
Heute starte ich die Erkundung der Stadt, nachdem ich endlich in den Schuhen stecke. Dem sieben Monate alten Berner Sennenhund hier ist so fad im Schädel, dass er einfach nicht von meinen Fersen und den Schuhbändern lassen kann. Leh, nahe des Indus-Flusses in einem Hochtal gelegen und seit jeher Handelsplatz und Schnittpunkt vieler Karawanenwege, kommt mir noch immer ganz schön exotisch vor. Am Markt werden heute zwar Paschminaschals statt Schneeleopardenfelle von rotwangigen Frauen gehandelt aber die Hauptstadt Ladakhs mit seinen fünfzehntausend Einwohnern wirkt noch immer, als wäre sie aus der Zeit gefallen. Über der Stadt hockt hoch oben auf einem steilen Felsen der riesige, über vierhundert Jahre alte Königspalast, der muss aber noch warten. Im Bazar wird Fleisch, Gemüse, warme Kleidung feilgeboten, in Tischlereien hinter dem Verkaufsverschlag werden in niedrige Tische von Hand aufwendige Verzierungen geschnitzt. Selbst gebastelte Allesbrenner-Herde stapeln sich  und kleinwüchsige Yakkreuzungen und Rinder flanieren gemächlich durch die Straßen. Außerhalb der Altstadt sind die kleinen Gärten der Häuser mit ihren vorstehenden, goldenen Fenstergiebeln von hohen Mauern aus quadratischen Lehmziegeln umgeben. Menschen in grob gewebten, knöchellangen Umhängen drehen große Gebetsmühlen, die dadurch Glöckchen anschlagen. Schrottreife Armeelaster verpesten die eh schon staubige Luft noch zusätzlich, die laufen scheinbar mit altem Frittierfett oder Yaktalg. Während ich ihren schon angegorenen Beerensaft trinke und mir die wenigen gebrauchten Bücher im Regal anschaue, trällert die Verkäuferin entspannt ein Liedchen. Das einzige erhältliche deutschsprachige Werk ist Bukowski´s Faktotum. Die Rollläden der kleinen Reiseagenturen und die herausgeputzten Restaurants für ausländische Gäste sind durch die Bank geschlossen. Unterhalb der Stadt passiere ich ein großes Spital, überall verbinden breite Manimauern weiß gekalkte Gompas, von deren Spitzen ausgefranste Gebetsfahnen wehen. In einer erst vor drei Monaten eröffneten Fußgängerzone finde ich schließlich einen beheizten Teastall, wo ich mich bei heißem Chai aufwärme und die auf Englisch erscheinende Tageszeitung The Hindu von gestern lese. Natürlich ist das Hauptthema die Geschichte mit den plötzlich wertlos gewordenen Geldscheinen. Die Opposition, die heiß rennt, Hochzeiten, die nicht stattfinden können, Bauern, die kein Saatgut einkaufen können, entkräftete Senioren, die, während sie in der endlosen Schlange vor der Bank anstehen, bargeldlos ihr Leben aushauchen. Außerdem: Ein Einwohner Delhis wird für den Diebstahl von 243 Kilowatt Strom zu zwei Jahren Rigorous Imprisonment verurteilt und wenn er die damit einhergehende Geldstrafe nicht bezahlt, kommen noch einmal sechs Monate Simple Imprisonment dazu. Von Surgical Strikes entlang des seit ewig umkämpften Grenzverlaufs im Nordwesten Indiens lese ich und vom bösen Pakistan, das schon wieder einen Waffenstillstand gebrochen hat. Die mit eher bescheidenen dreihundert Kilometern längste Autobahn Indiens wurde feierlich eröffnet. Ein Abschnitt ist auch für Starts und Landungen von Kampfjets ausgelegt.
Daheim steht die Bude unter Rauch. Der Hausherr versucht erfolglos, seinen rostigen Holzofen in Gang zu bringen. Wahrscheinlich ist der Elektro-Strahler, den ich ausgefasst habe, der einzige im Haushalt. Tja, Pech gehabt. Mir ist so schon kalt genug.

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