Freitag, 14. Januar 2022

 13.1., Mambucaba

Es ist schon länger her, seit ich das letzte Mal aufgewacht bin ohne zu wissen, wo ich mich eigentlich  befinde. Heute knüpfe ich an diese alte Tradition an. Mambucaba, echt? Klingt ja eher afrikanisch in meinen Ohren, das Kaff auf sechs Metern Meereshöhe gibt´s aber schon seit vierhundert Jahren. Mit Walen und Sklaven haben die Portugiesen hier gehandelt und ab und zu hat ein Indianer von der anderen Seite des gleichnamigen Flusses, der hier ins Meer mündet, einen Pfeil zu ihnen rübergefetzt. Heute dient ein Teil Mambucabas der Betreiberfirma des einzigen Atomreaktors Brasiliens, der Firma Eletronuclear, dazu, ihre Belegschaft unterzubringen. Typisch. Irgendwo in diesem riesigen Land hüpfe ich zufällig aus dem Bus und finde mich wieder neben einem vierzig Jahre alten Schrottmeiler, der in einer erdrutschgefährdeten Bucht liegt und dessen Abklingbecken für alte Brennstäbe nur fünfzig Meter vom Meer entfernt sind. Ja, Wikipedia ist super. 

Der Frühstücksraum meiner Pension erinnert an ein Klassenzimmer. Alle Tische sind hin zum Fernseher ausgerichtet. Irgendein Staudamm geht bald über und von einer Explosao da Casos da Omicron wird berichtet, ah geh. Alle starren gebannt in die Glotze, nur einer schaut sich ein Video am Handy an und peckt sich lautstark darüber ab, was auch niemanden stört. Auf zum Strand, was nicht so einfach ist. Zuerst ist der Fluss im Weg, dann das abgeschirmte nukleare Dorf, wo die brasilianischen Simpsons in luxuriösen Reihenhäusern mit Blick aufs Meer residieren. Ein Sicherheitsdienst kontrolliert die einfahrenden Fahrzeuge an einer Schranke, mich behelligt niemand. Nicht viel los am zirka zwei Kilometer langen Strand, zumindest nicht so viel, als dass sich jemand am toten Delphin, der unweit der Wasserlinie im Sand liegt, stören würde. Vielleicht ist er zu Tode gekommen, als er wie einst Flipper einem vom Hai attackierten Surfer zu Hilfe kam, vielleicht hat ihn auch nur eine Schiffsschraube der Tanker draußen erledigt. Nun liegt er hier und stinkt und es scheint, als würde er noch im Tode lächeln.

 Keine Infrastruktur weit und breit und die Sonne brennt. Am Weg retour kaufe ich mir an einer Tankstelle etwas, das aussieht wie ein Hundstrümmerl und wohl nur unwesentlich besser schmeckt. Nachfragen geht ja nicht, nur teppat hindeuten und hoffen. Eine erste Exploration Mambucabas beschert mir immerhin einen Korkenzieher. Eine Flasche Wein musste ich schon in bester Mac Gyver-Manier mit meiner Zahnbürste öffnen, aber das hatte keinen Style.


Donnerstag, 13. Januar 2022

 12.01., Sao Paulo, Parque Mambucaba

Zeitig in der Früh werde ich schon zum Frühstücksmarmeladebrot vom Fernseher über mir mit detailgenauen Berichten über Verkehrsunfälle eingedeckt. Die Reporterteams sind mit ihren Hubschraubern oft schneller vor Ort als die Einsatzkräfte und halten dann mit ihren Kameras schön drauf auf die Wracks und die Beteiligten. 

Fliegende Händler in den U-Bahnen, die ihre in Plastiksackerln verstauten Waren lautstark anpreisen, während ich mich zum großen Busbahnhof im Norden der Stadt durchschlage. Dort besteige ich den modernen Bus nach Rio de Janeiro. 

Vielleicht aufgrund meines zur Tarnung getragenen Favelalooks werde ich von zwei Bullen misstrauisch beäugt, als ich mich dem Schaffner mittels Reisepass als Tourist zu erkennen gebe und darauf bestehe, meine neun Kilo Handgepäck mit an Bord nehmen zu dürfen. Die abgefuckte Kostümierung trage ich, um als entrechteter, aus den Bergen herabgestiegener Urwaldalbino wahrgenommen zu werden, und nicht als planloses Weißbrot aus dem fernen Europa. Außerdem ist die Panier ohnehin Teil meiner üblichen Garderobe, da musste ich daheim gar nicht lange suchen. 

Entlang eines der zwei biologisch toten Flüsse, die Sao Paulo nur mehr als Abwasserkanäle dienen, verlasse ich die Stadt. Schon bevor das Wasser die Metropole erreicht hat, ist es eigentlich unbrauchbar. Die Versorgung der Massen mit akzeptablem Trinkwasser ist schon vor längerer Zeit kollabiert, weil ungeklärtes Abwasser von Armensiedlungen in Ermangelung anderer Möglichkeiten zwanglos in die dafür vorgesehenen Stauseen eingeleitet wird. 

Zelte und Verschläge unter Autobahntrassen und Brücken. Oft liegt Spielzeug vor den Behausungen oder eine brasilianische Flagge weht inmitten des Drecks. Bis zu zwölf Spuren der Richtungsfahrbahn zähle ich, auf der wir den Moloch langsam verlassen. Über achtzig Kilometer dehnt sich die Stadt in alle Himmelsrichtungen. Jedes Haus in den Außenbezirken ist für sich ein kleines Gefängnis. Vergitterte Fenster, Mauern, Glasscherben, Stacheldraht. Auch Motels mit Namen Pop oder Amore verstecken sich  hinter hohen Mauern, wo man für ein paar Stunden die beengten Verhältnisse der Stadt hinter sich lassen und ein diskretes Stelldichein mit meist inoffiziellen Geschlechtspartnern genießen kann. Noch ein Stückchen weiter draußen dominieren die Favelas, die einen freilich armen, aber wesentlich bunteren Eindruck machen, als die einförmigen Wohntürme, um die herum sie sich gebildet haben.

Langsam, ganz langsam wird es grüner. Noch ein paar alte Industrieanlagen, zum Teil schon wieder von der Natur verschluckt. Viel hügeliges Land ist abgeholzt und auf den entstandenen Weideflächen grasen Kuhherden  inmitten hunderter Termitenhügel. Es ist durchgehend bewölkt, vielleicht ist Regenzeit. Eine Zeit lang folgen wir einem breiten unregulierten Fluss. Alte VW-Busse sprotzen durch die Gegend. Ganz malerisch wird es, wenigstens bis wir uns den Vororten Rio de Janeiros nähern. Fast unbeschreiblich hässlich ist es hier. Alles wirkt verschimmelt, alles ist kaputt und mit schwarzem Gekritzel beschmiert. Der gleiche Schriftzug hundertmal nebeneinander, das Werk von Gehirnamputierten. Keine zumindest bemühten Graffitis, einfach nur sinnlose Verschandelung aller zur Verfügung stehenden Flächen. Sogar die Fassaden von mehrstöckigen Gebäuden sind hoch bis unters Dach vollgeschmiert. Die Wohnhäuser, wenn man sie so nennen will, bestehen aus viereckigen Auftürmungen unverputzter, windschiefer Betonwürfel, wie Bauklötze, die ein Kind gestapelt hat. Nicht einmal spitze Steine, die in der Absicht unter Brücken einbetoniert wurden, um Obdachlose fernzuhalten, können die Verzweifelten daran hindern, auf ihnen ihr trauriges Lager aufzuschlagen. Viele Gestalten hocken oder stehen einfach nur apathisch herum. Polizisten halten ein paar Typen mit nacktem Oberkörper in Schach, ihre Hände auf dem Autodach, Beine gespreizt. Menschen sind in schwarze Müllsäcke gekleidet, brunzen gegen Wände. Wilde Deponien fallen nicht weiter auf, die Stadt selbst wirkt wie eine einzige große Müllhalde. 

Irgendwo da unten an der Küste breitet Jesus der Erlöser seine Arme aus und auf der Copacabana tummeln sich die Badegäste, heile Welt. Sogar in Kalkutta ist es schöner als hier. Kalkutta ist Döbling gegen Rio de Janeiro. Niemals hätte ich erwartet, einen noch trostloseren Ort zu finden, als das indische Drecksloch.  

Unlängst habe ich gelesen, dass Präsident Bolsonaro nach einer Messerattacke gegen ihn im Zuge seines Wahlkampfes immer wieder an Darmverschluss leidet. Mit einem Besuch Rios könnte er dieses Problem leicht lösen, diese Stadt ist echt zum Scheißen. Brasil de Merda steht auf einer Ziegelwand, wahre Worte.

Am Hauptbahnhof wechsle ich den Bus. Erst außerhalb der Stadt sehe ich die ersten zwei streunenden Hunde. Vielleicht finden sie in Rio einfach nicht genug Abfälle, weil die Konkurrenz der gänzlich Besitzlosen zu groß ist. Rundum stehen grüne, noch unberührte Berge. Fortan werde ich die größeren Städte dieses Landes nach Möglichkeit meiden, muss ja nicht sein. Zwei Stunden entlang der Küste fahren wir Richtung Westen. Sanft fallen die grünen Hänge der Berge zum Meer hin ab. Ein paar Schiffe liegen vor Anker und hinter ihnen geht die Sonne unter. Kleine Dörfer zwischen der Schnellstraße und der Küste. Hier lässt sich erahnen, wie schön Rio einmal gewesen sein muss. Nur der Busfahrer ist wahnsinnig, haut sich mit halsbrecherischer Geschwindigkeit in die engen Kurven. Ich schnalle mich an, in Brasiliens Bussen geht das. 

Der Grund meiner heute ausschweifenden Reiseberichterstattung liegt übrigens in den sieben Stunden, die die erste Busfahrt nach Rio de Janeiro gedauert hat, gefolgt von drei Stunden nach Conceicao und darüber hinaus. Auf der Landkarte ist der Trip freilich ein Witz, Brasilien ist riesig und nimmt die Hälfte des gesamten südamerikanischen Kontinents ein. Beschließt zum Beispiel ein Bewohner Manaus im Norden, das Wochenende in Sao Paulo zu verbringen, gleicht das dem Vorhaben, von Wien nach Teheran zu gelangen, sollte man zum Beispiel unzufrieden mit den heimischen Covid- Maßnahmen sein. Leistbare Inlandsflüge helfen bei der Überwindung der gewaltigen Distanzen, wobei ich mich wohl auf den Verkehr zu Wasser und zu Lande beschränken werde, was einen bescheidenen Wirkungskreis zur Folge haben wird. 

Jedenfalls, von Conceicao de Jacarei möchte ich noch eine Fähre auf die Ilha Grande, einer Insel fünfundzwanzig Kilometer vom Festland entfernt, nehmen, was aber nicht passieren wird. Erstens sind die Buspläne wieder einmal so abgestimmt, dass man das letzte Boot knapp, aber doch versäumen muss. Blöd auch, weil ich gestern schon ein Quartier gebucht habe.  Zweitens deutet mir der Busfahrer dort, wo ich eigentlich aussteigen möchte, dass ich noch gar nicht da bin. Obwohl mir mein Navi etwas anderes erzählt, bleibe ich sitzen und warte. Zehn Kilometer, dreißig Kilometer. Der Bus ist mittlerweile beinahe leer, es ist stockfinster und es regnet. Die Straße verläuft durch unbewohntes Gebiet. Ab und zu ein paar Häuser, aber keine Unterkünfte sind auszumachen. Wo fährt dieser Bus eigentlich hin? Eine Verständigung ist unmöglich. Auszusteigen bedeutet, orientierungslos im Regen zu stehen, es wird heute kein Bus mehr kommen. Nach achtzig Kilometern zwinge ich mich an der Hauptstraße einer größeren Siedlung raus und latsche in dunklen Gassen herum, bis ich das Schild einer Pousada, einer Pension, ausmache. Glücklich checke ich in unbekannten Gefilden ein. 


Mittwoch, 12. Januar 2022

 11.1., Sao Paulo

Für mein gutes Geld wird mir immerhin eine gepolsterte Klobrille geboten und zum Frühstück werden kleine, supersüße Papayas aufgetragen. Vorbei an den provisorischen Schlafstätten und Lagerfeuern rund um das Hotel muss ich mich schon bald auf die Suche nach einer neuen Unterkunft machen. In einer Straße, wo sich ein Autoersatzteilhändler an den nächsten reiht, komme ich unter. Das Zimmer ist recht klein und schäbig und den Kopfpolster überziehe ich sicherheitshalber noch mit einem T-Shirt, um Lausbefall und Kopfkrätze vorzubeugen. Für einen Zehner darf man sich auch in Sao Paulo nicht zuviel erwarten. Regen den ganzen Tag  und Trägheit, die man wohl Jetlag nennt, wenn man um Ausreden bemüht ist, bremsen mich in der Erkundung meiner Nachbarschaft und ohne die Hilfeleistungen meiner geliebten Reiseassistentin geht viel  Zeit für die Planung der nächsten Tage drauf. Jedenfalls ist festzuhalten, daß  auch untertags überdurchschnittlich viele Fertige durch die Straßen ziehen. Einer hockt einfach so in einem Mistkübel vor dem Hoteleingang und scheint sich wohl dabei zu fühlen. 

Die Einwohner der Stadt, die Paulistanos, sind eine bunte Mischung aus Nachfahren von Einwanderern der ganzen Welt. Mit meinem Gestammel und meinen großen Geldscheinen mache ich die Gewerbetreibenden unter ihnen fertig. Hay-ow spricht man den Real seltsamerweise aus und jeder Schein über umgerechnet zehn Euro scheint den Brasilianer zu überfordern. Oft werden Zuckerl statt Kleingeld angeboten, soll sein. Die Por quilo Lunch Buffets, wo alle Fressalien, egal ob Austern oder Bohnen, nach dem gleichen Kilopreis abgerechnet werden, lasse ich noch aus und verkoste Pao de Batatas, fettige Erdäpfeltaschen mit Mysteryfüllung. Das Nachtleben überlasse ich eingedenk gestriger Eindrücke den Ortskundigen und Mutigen und lasse mich  lieber von unverständlichen Telenovelas und Talkshows im TV in den Schlaf lullen.


Dienstag, 11. Januar 2022

 Brasilien

10.1., Sao Paulo

Weiter geht´s, Radio Eriwan sendet wieder. Warum es mich kurzfristig nach Brasilien verschlagen hat, kann ich selbst nicht so genau sagen. Der Flug war billig, ein paar positive Erfahrungsberichte aus dem Umfeld. Man braucht kein Visum und das Land ist groß mit allen sich daraus ergebenden Möglichkeiten. Auf jeden Fall groß genug für die paar Wochen, die ich dafür veranschlagt habe. 

Sechzehn ereignislose Flugstunden mit Latam, einer Fluglinie, die nach Jahren transkontinentaler Askese mit gefälliger Bordverpflegung punktet. Eine alte Nonne vor mir teilt Heiligenbildchen aus, weswegen die Turbulenzen im Rahmen bleiben. Mit linkem Mono-Schwellohr, an Bord gab es nur Kopfhörer mit zwei Klinken für lediglich einen Audioeingang, noch zwei Stunden alle Formalitäten erledigen, dann nehme ich den Bus ins Zentrum. Alles wirkt modern und sauber, auch die Leute machen einen zivilisierten Eindruck. 

Nur mit der Verständigung hapert´s. Englisch erweist sich als nahezu wertlos und das, was aus meinem mobilen Übersetzungsprogramm ertönt, klingt, als ob es zuvor durch einen kaputten Leierkasten geschickt worden wäre. Brasilianisches Portugiesisch in gehauchten Schleiftönen, damit komme ich auch nicht weit. 

Alles ist schwierig. Stationen, Fahrpläne, Umsteigemöglichkeiten, die Wahl der richtigen U-Bahn. Wo bekomme ich um diese Uhrzeit Geld in Landeswährung ohne absurde Spesen her, wo werden Tickets verkauft. Die Rezeption der vorab gebuchten Jugendherberge im Stadtteil Mooca hat schon lange geschlossen, als ich sie letztendlich finde, da komme ich heute nicht mehr unter. Es ist Nacht und die Gegend ist, abgesehen von ein paar barfüßigen Hinnichen vor der U-Bahn-Station, wie ausgestorben und keinesfalls vertrauenserweckend. Daß die billigste Unterkunft Sao Paulos, eine Nacht um fünf Euro in einer der größten Städte der Welt mit rund fünfzehn Millionen Einwohnern, nicht im besten Viertel beheimatet ist, hätte ich mir eigentlich auch denken können. 

Also weiter ins Zentrum. Eine Passantin wird vom Fahrscheinverkäufer genötigt, mich zum richtigen Bahnsteig zu begleiten. Auf gut Glück steige ich am Placa da Republica aus. Die Adresse einer anderen Bude mit durchgehender Rezeption habe ich noch, mit einem verschwommenen Screenshot der Wegbeschreibung dorthin. Bist du teppat. Der gleichnamige Park beim Ausgang gleicht einem verwahrlosten Campingplatz. Müll, Zelte, Verschläge, Matratzen, dunkle Figuren. Alle paar Meter StricherInnen, die mit ihren Freiern gleich an Ort und Stelle zur Sache kommen. Horden von Obdachlosen, in Reihen liegend, andere grölend herumwandernd, unter Drogen, in Fetzen, auf der Suche nach Nahrung Müllsäcke aufreißend. Kleine Feuer brennen am Gehsteig, ausdruckslose Gestalten schauen mir nach, sagen etwas. Sonst kein einziger normaler Mensch unterwegs, ich fühle mich wie ein Sparschwein am Weltspartag. Mit dem Handy in der Hand versuche ich vergeblich, mich anhand der wenigen Straßenschilder irgendwie zu orientieren, gehe einen Block, um weg von diesem Wahnsinn zu kommen, gehe noch einen. Als die Szenerie nicht besser wird, winke ich zwei Taxis, die nicht stehen bleiben, Panik beschleicht mich. Bist du teppat. Dann finde ich durch Zufall ein Hotel, das noch geöffnet hat, es ist mittlerweile Mitternacht. Fünfunddreißig Euro für die Nacht, Checkout in zwölf Stunden? Sehr gerne, ich hätte auch das Dreifache bezahlt. Oh, kaltes Bier im Automaten! Her damit, durchschnaufen und dann sofort in die Heia.


Montag, 3. Januar 2022

 2.1., Aqaba

Mehr als zwei Wochen braucht man für Jordanien wirklich nicht zu veranschlagen, das Land ist restlos aufgemischt. Sicher, es gäbe noch ein paar Wüstenfestungen, Schlösser und andere Ruinen, aber besser als Petra wird´s nicht mehr. Das Gleiche gilt für alle Wüsten, Wadis und Unterwasser-Wracks. Parasailing am Südstrand waren wir noch nicht, lassen wir aber aus. Diesen Sommer wurde dort einem Touri von einem Hai sein Fuß abgebissen, bevor er noch richtig abheben konnte. In Aqaba kennen wir mittlerweile jedes Gässchen und folgen einer täglichen Routine. Ein Kaffee beim Mäci, Stockball, Ena raucht ihre Sisha und ich trinke Tee, während wir aufs Meer schauen. Vor dem Abendessen der Sonnenuntergang und die Tauben/Rabenshow vom Balkon aus. Alle landestypischen Gerichte sind verkostet, wir sind schon auf mysteriöse Inder umgestiegen. Spicy 25 or 15? fragt uns die Kellnerin, wir tippen auf 25 und bekommen gutes, aber völlig ungeschärftes Essen vorgesetzt. Am Zimmer google ich das und die einzigen Einträge beziehen sich auf  die Spice Girls. Anyway, Zeit wird´s. Ein Update folgt, sobald ich wieder auf der Piste bin.


Samstag, 1. Januar 2022

 1.1., Aqaba

Ein frohes Neues euch und für uns gibt´s heute einen Tag der Regeneration und des Müßiggangs. Ich meine, brennende Shots und Brother Loui, ich bin ja keine Sechzehn mehr, gelle? 

Es findet sich sogar Zeit für die weitere Urlaubsplanung und bei näherem Hinsehen muß ich feststellen, daß hier Endstation für mich ist, was den nahen Osten angeht. Die Länder rundum sind beim besten Willen nicht mehr zu bereisen. Im Libanon gibt´s keinen Sprit und die Volksseele kocht, vom in die Luft geflogenen Hafen ganz zu schweigen. Israel hat wegen Corona komplett dicht gemacht, dessen Stempel im Pass würde das Reisen in der Umgebung aber auch nicht gerade leichter machen. Nach Saudi Arabien darf ich nicht ohne Einladung, der Irak und Syrien bedürfen keiner weiteren Erläuterung. Eine Million Iraker insgesamt leben als Flüchtlinge in Jordanien und so manches Auto ziert ein Foto von Saddam Hussein. Nur Ägypten wäre eine Option, aber bei den südlichen Brüdern im Geiste war ich schon. Für Libyen wurde ebenfalls ein Reiseverbot ausgesprochen und im Sudan herrscht Bürgerkrieg und Ausnahmezustand. 

Was für eine Gegend. Ein Wunder eigentlich, daß Jordanien so einigermaßen stabil ist, wobei die Betonung auf einigermaßen liegt. Vierzig Prozent der im Land lebenden Bevölkerung haben palästinensische Wurzeln. Eine große Zahl an Flüchtlingen anderer Länder belastet den Haushalt, die Inflation und Arbeitslosigkeit sind hoch. Also  übermorgen mal zurück nach Wien und von dort neu durchstarten.

 31.12., Aqaba

Ein Unwetter zieht des Nächtens über die Stadt, damit hätte ich nicht gerechnet. Getaucht wird trotzdem. Direkt vom Strand schwimmen wir zu einem fünfundsiebzig Meter langen libanesischen Frachter, der 1982 während eines Feuers an Bord  schwer beschädigt und später kontrolliert versenkt wurde, damit Fische und Taucher etwas zu sehen haben. Freilich leidet bei absichtlich platzierten Objekten der Abenteuerfaktor, aber bitte. 

Der  Hauptmast mit intaktem Krähennest ragt ins blaue Meer, das Schiff liegt auf der Seite. Ein Loch klafft im Rumpf, wahrscheinlich von einer Sprengung. Gleich daneben liegt die Tarmac Five, eine von der Firma Alcatel 1996 nach Beendigung der Verlegung eines Stromkabels nach Ägypten zwanglos entsorgte Plattform mit neun mal neun Metern. 

Ums Eck steht ein Typ wie eine Säule unter Wasser, wie bestellt und nicht abgeholt. Mittels dreier Finger, die er sich auf seine Schulter legt, gibt er unserem Guide zu verstehen, daß er Militarist ist. Dann hält er sich eine Faust gegen die Stirn, scheinbar das Zeichen für den König. Wir sollen uns zügig schleichen. Ist der Staatenlenker also schon wieder da. Scheinbar lassen seine Amtsgeschäfte genügend Spielraum für ein gewisses Maß an Freizeitaktivitäten. Soll sein, wir sind ohnehin schon durch mit unserer Runde. 

Nächster Programmpunkt der Unterwassertour ist das Underwater Military Museum. Auf einer Länge von 140 Metern sind einundzwanzig Objekte in Sand und Seegras deponiert, Hubschrauber, Kanonen, Panzer, Jeeps, ein Sanitätsfahrzeug, Truppentransporter, usw. Rundum Korallenstöcke, Kugelfische und Anemonen, sweet. 

Abends platzt die Stadt aus allen Nähten. Es staut von allen Himmelsrichtungen, was einleuchtet, weil der Hauptkreisverkehr von lustwandelnden Horden aus dem ganzen Land belagert wird. Die Süße und ich fallen mit unserem Tauchguide Thaer im Believe you ein, einer sogenannten Soft Bar am Dach eines stillgelegten Hotels hoch über der Stadt. Zu Brother Loui Loui Loui und vergleichbarem Liedgut werden brennende Shots und das erste Bier nach zehn Tagen der Askese gereicht, dazu Taucherlatein an der Schmerzgrenze. Darüber hinaus werden Einblicke in soziale Besonderheiten gewährt. Möchte Thaer eine Frau ehelichen, muß er an deren Eltern zirka dreitausend Juros abdrücken. Der gleiche Betrag wird im Falle einer Scheidung fällig.  Die Ex kann dann froh sein, wenn noch irgendwo ein alter Knacker für sie abfällt. Mehr als vier Frauen gleichzeitig darf Thaer ohnehin nicht unterhalten. Fände er also Gefallen an einer fünften, müsste er eine aus dem Sortiment abstoßen,  um den islamischen Gepflogenheiten zu entsprechen. Die fertige Betreiberin der Bar ist übrigens Christin, nur deswegen darf sie das. Die ehrenhafte Muslimin sitzt hauptsächlich zu Hause und verhält sich ruhig. 

Unser Mann ist bald sehr dicht und muß daheim noch mit der ganzen Family Mamas Geburtstag feiern, der Arme. Wir schauen uns die paar Raketen, die in Eilat und Aqaba verschossen werden, vom Balkon aus an. Böller werden reichlich gezündet und die Krähen packen es nicht. Panisch irren sie zu Hunderten im Luftraum herum, wie in Hitchcocks Die Vögel.