Brasilien
10.1., Sao Paulo
Weiter geht´s, Radio Eriwan sendet wieder. Warum es mich kurzfristig nach Brasilien verschlagen hat, kann ich selbst nicht so genau sagen. Der Flug war billig, ein paar positive Erfahrungsberichte aus dem Umfeld. Man braucht kein Visum und das Land ist groß mit allen sich daraus ergebenden Möglichkeiten. Auf jeden Fall groß genug für die paar Wochen, die ich dafür veranschlagt habe.
Sechzehn ereignislose Flugstunden mit Latam, einer Fluglinie, die nach Jahren transkontinentaler Askese mit gefälliger Bordverpflegung punktet. Eine alte Nonne vor mir teilt Heiligenbildchen aus, weswegen die Turbulenzen im Rahmen bleiben. Mit linkem Mono-Schwellohr, an Bord gab es nur Kopfhörer mit zwei Klinken für lediglich einen Audioeingang, noch zwei Stunden alle Formalitäten erledigen, dann nehme ich den Bus ins Zentrum. Alles wirkt modern und sauber, auch die Leute machen einen zivilisierten Eindruck.
Nur mit der Verständigung hapert´s. Englisch erweist sich als nahezu wertlos und das, was aus meinem mobilen Übersetzungsprogramm ertönt, klingt, als ob es zuvor durch einen kaputten Leierkasten geschickt worden wäre. Brasilianisches Portugiesisch in gehauchten Schleiftönen, damit komme ich auch nicht weit.
Alles ist schwierig. Stationen, Fahrpläne, Umsteigemöglichkeiten, die Wahl der richtigen U-Bahn. Wo bekomme ich um diese Uhrzeit Geld in Landeswährung ohne absurde Spesen her, wo werden Tickets verkauft. Die Rezeption der vorab gebuchten Jugendherberge im Stadtteil Mooca hat schon lange geschlossen, als ich sie letztendlich finde, da komme ich heute nicht mehr unter. Es ist Nacht und die Gegend ist, abgesehen von ein paar barfüßigen Hinnichen vor der U-Bahn-Station, wie ausgestorben und keinesfalls vertrauenserweckend. Daß die billigste Unterkunft Sao Paulos, eine Nacht um fünf Euro in einer der größten Städte der Welt mit rund fünfzehn Millionen Einwohnern, nicht im besten Viertel beheimatet ist, hätte ich mir eigentlich auch denken können.
Also weiter ins Zentrum. Eine Passantin wird vom Fahrscheinverkäufer genötigt, mich zum richtigen Bahnsteig zu begleiten. Auf gut Glück steige ich am Placa da Republica aus. Die Adresse einer anderen Bude mit durchgehender Rezeption habe ich noch, mit einem verschwommenen Screenshot der Wegbeschreibung dorthin. Bist du teppat. Der gleichnamige Park beim Ausgang gleicht einem verwahrlosten Campingplatz. Müll, Zelte, Verschläge, Matratzen, dunkle Figuren. Alle paar Meter StricherInnen, die mit ihren Freiern gleich an Ort und Stelle zur Sache kommen. Horden von Obdachlosen, in Reihen liegend, andere grölend herumwandernd, unter Drogen, in Fetzen, auf der Suche nach Nahrung Müllsäcke aufreißend. Kleine Feuer brennen am Gehsteig, ausdruckslose Gestalten schauen mir nach, sagen etwas. Sonst kein einziger normaler Mensch unterwegs, ich fühle mich wie ein Sparschwein am Weltspartag. Mit dem Handy in der Hand versuche ich vergeblich, mich anhand der wenigen Straßenschilder irgendwie zu orientieren, gehe einen Block, um weg von diesem Wahnsinn zu kommen, gehe noch einen. Als die Szenerie nicht besser wird, winke ich zwei Taxis, die nicht stehen bleiben, Panik beschleicht mich. Bist du teppat. Dann finde ich durch Zufall ein Hotel, das noch geöffnet hat, es ist mittlerweile Mitternacht. Fünfunddreißig Euro für die Nacht, Checkout in zwölf Stunden? Sehr gerne, ich hätte auch das Dreifache bezahlt. Oh, kaltes Bier im Automaten! Her damit, durchschnaufen und dann sofort in die Heia.
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