Montag, 31. Dezember 2018

30.12., Isla Colon

Beim Ausfassen des Frühstücks an der Budel der Stammkantine wird bei der Zuweisung meines bestellten Kaffees auf mich Bezug genommen als el Gringo. Das gefällt mir gut, ich fühle mich wie Clint Eastwood im Nachmittagswestern, kurz bevor er einen versoffenen Banditen mit ungepflegtem Schnurrbart über den Haufen schießt, einfach so.
Dann lassen wir uns für jeweils einen Dollar auf die Isla Caranero übersetzen, die ist nur einen Fischwurf von unserer Insel entfernt. Hier hat im Jahre des Herrn 1502 Christoph Columbus aka Cristobal Colon, nach dem nicht nur ein Ei, sondern auch die Hauptinsel der Bocas benannt wurde, im Zuge seiner vierten und letzten Expeditionsreise seine Schiffe gewartet, ehe er am Weg heim nach Spanien ein Jahr auf Jamaica gestrandet und wenig später, vielleicht des ewigen Reggae und Einrauchens leid, 1506 endgültig in die ewigen Jagdgründe gesegelt ist.
Die spontan umgesetzte Inselumrundung bringt ein unverhofftes Abenteuer. Zuerst geht´s durch den Slum, wo die Insulaner inmitten von Dreck aller Art dicht an dicht in windschiefen Hütten aus Brettern und Wellblech hausen. Daran schließen nahtlos schöne und gepflegte Anwesen an, die, um dem allmählichen Wasseranstieg etwas entgegen halten zu können, schon mit gemauerten Deichen abgesichert sind. Weiter schlängelt sich der Pfad durch Sumpflandschaft, führt uns zu einsamen Buchten und Steilwänden. Ab und zu eine Rutschpartie einen lehmigen Abhang hinunter oder eine Passage hochklettern. Felsen im Meer, an die sich knorrige Bäumchen klammern, kleine Buchten mit angeschwemmten Korallenstöcken im Sand. Mangrovenbäume mit gewundenen Wasserwurzeln, als ob Reifen halb im Erdboden vergraben wären.
Niemand sonst die ersten eineinhalb Stunden, dann die ersten Surfer, die sich an recht hohen Wellen versuchen, und schließlich hat uns die Zivilisation wieder. Wir erreichen den Hauptstrand, der von Booten der Nachbarinseln angefahren wird. Heute ist Sonntag und das merkt man. Eine
eisgekühlte Kokosnuss, dann setzen wir wieder über auf Colon.
In der Apotheke gibt´s zwar nichts Brauchbares für meine Wimmerl, dafür aber ein ganzes Regal
mit giftig-bunten Zaubertränken. Kein Witz! Es gibt Tinkturen für Glück im Casino oder in der Lotterie, für mehr Kundschaft, sollte man ein Geschäft betreiben, gegen dunkle Mächte allgemein und für eine gute Aura. Die Säfte sind zur äußerlichen Anwendung  bestimmt. Die Verkäuferin meint, nicht die Haut, sondern der Boden des Hauses müsse damit aufgewischt werden.
29.12., Isla Colon

Ein Tag ohne Pläne, der erste seit Beginn der Reise. Abgesehen von angefallenen Notwendigkeiten freilich, die erledigt werden müssen. Ein gigantisches Frühstück zu uns nehmen, check. Eine Wäscherei finden und mit Stinksachen bedenken, check. Eine abgängige Socke bei Abholung des Paketes am Nachmittag muß als Kollateralschaden hingenommen werden und macht die andere frei zum Einsatz als Kaffeefilter, hihi.  Wichtig: Mit Trocknen, sonst bleibt das Zeug bei der herrschenden Luftfeuchtigkeit ewig feucht. Nachschub an Antihistaminsalbe ausfindig machen, check. Einen Wassernachfüllautomaten finden, der nicht kaputt ist, check. Zwei davon gibt´s auf der Insel, einer steht im klimatisierten Gourmet-Supermarkt, der auch Sauerkraut in Dosen und Wasa-Knäckebrot im Sortiment hat.
 Einen Transport auf die Insel Bastimentos irgendwann die nächsten Tage und einen über die Grenze nach Costa Rica irgendwann nächste Woche organisieren wir noch, dann chillen wir auf einer Plattform am Meer und lauschen Lagerfeuergitarrenmusik und den Geschichten eines Norwegers, der sich früher sein Geld als Fischer auf einem großen Trawler in nordischer Eiseskälte verdient hat, mit Arbeitsschichten rund um die Uhr und bei schlechtem Fangerfolg mitunter Monate dauernden
Seefahrten.
Nach Sonnenuntergang starten wir mit Hans die heutige Seidlrallye im Be nice, wo man von einer Hollywood-Schaukel aus den Bootsverkehr zwischen den Inseln beobachten kann. Nächster Halt: La Buga mit dem Salzwasserpool, gefolgt vom Hostel Mamallena mit Billardtisch und Lümmeldeck aufs Meer hinaus. Eine lärmende Partie in unserer Absteige stört die Nachtruhe, aber so ist das.

Samstag, 29. Dezember 2018

28.12., Isla Colon

Wir übersiedeln noch, dann machen wir eine tagesfüllende Tour. Gemeinsam mit rund zwanzig anderen kleinen Booten finden wir uns wieder in der Dolphin-Bay, um selbige zu sichten. Tatsächlich zeigen sich vielleicht fünf Tiere, die gemächlich vor sich hin dümpeln, bis alle Bootsführer wie die Gestörten Gas geben, um näher an sie heranzukommen. Dann tauchen sie einfach unter und kommen ein paar hundert Meter später irgendwo anders wieder an die Oberfläche ehe die bizarre Jagd von
neuem startet. Das geht wohl jeden Tag so und die Viecher werden sich ihren Teil denken, wenn die Leistungskapazität ihrer Hirne das überhaupt zulässt und der Speicher nicht schon voll ist mit den Kernthemen Fisch, Wasser und Geschlechtsverkehr. Nach zwanzig Minuten hat der Spuk ein Ende und wir fetzen an Mangroveninseln vorbei weiter zu einem karibischen Traumeiland, wo wir uns inmitten von Heerscharen anderer Besucher unter schattiges Geäst zwängen, wie am ersten richtig heißen Sonntag des Jahres im Stadionbad. Große Braunpelikane hocken auf Schwemmholz, ab und zu fliegen sie auch in Formation ganz nahe über dem Wasser, vielleicht um zu jagen. Drei ganz
kleine bepalmte Inseln, eigentlich  nur größere Felsen im Blick, etwas weiter draußen am Meer von links hereinrollende Brecher. Dickleibige Einheimische mit Kühlboxen knacken sich schon die ersten Hülsen auf.
Ein paar Stunden später tuckern wir langsam entlang von Mangrovenbäumen, wir sind auf der Suche nach Faultieren. Das erste entdeckte Exemplar ist noch recht weit weg und gegen die Sonne nicht gut auszumachen, aber die Süße erspäht kurz darauf in bester Pocahontas-Manier ein Viech nicht weit über uns und rettet dem Bootsführer und den zahlenden Gästen damit den Tag. Auf einen Pfiff hin hebt das faule Tier sogar kurz sein Köpfchen und schaut uns verschlafen an, ehe es sich wieder dem Schleifen seines faden Auges hingibt. Daheim feiern wir abermals die glückliche Stunde und gehen gut essen. Alle paar Stunden verteile ich eine halbe Tube Fenistil oder stinkendes Arnica-Gel auf meinem geschundenen Körper, die Vorräte gehen rapide zur Neige.   
27.12., Isla Colon

Kaffee schnorren von den Schweizern. Irgendwo in der Küche würde ein Sieb in der Art eines alten Sockens hängen, wir bevorzugen situationselastisch die türkische Art der Zubereitung. Neben uns lässt ein Sägewerk die Maschinen hochfahren, das motiviert zum Aufbruch.
Mit Leihrädern queren wir heute die komplette Insel Colon auf der Suche nach weit entfernten und deswegen vielleicht noch verfügbaren Unterkünften, ein völlig sinnloses, aber auch nettes Unterfangen. Kurz vor Ende der urbanen Zone noch eine grölende Großfamilie am Balkon zur Straße hin, alle vollfett schon um elf Uhr vormittags. Dann wird es grüner und ruhiger. Natürlich geht es rauf und runter und runter und wieder rauf, außerdem hängt bei beiden Rädern die Schaltung. Bei mir im größten, bei Ena in einem angenehmeren Gang mittendrin. Quartiere gibt es keine, nur eine kleine Siedlung irgendwo im Unterholz. Außer uns unterwegs sind während der nächsten sechzehn Kilometer nur mehr ein barfüßiges Mädchen, ein Bub auf seinem Fahrrad und ein Typ mit einem
Kanister und einer Machete. Zwischendurch neigen sich Bambushaine von beiden Seiten über die kaputte Straße und bilden schattige Unterführungen. Rauch steigt von der Mülldeponie auf. Ein riesiges Areal wird mit unzähligen Baggern gerodet und planiert, nahtlos schließt der verschont gebliebene, dichte Dschungel an.
Ich schwitze wie ein Inuit in der Sauna und freue mich sehr, als wir endlich den Playa Estrella am Ende unserer Etappe erreichen. Mit Booten und Bussen herbeigekarrte Massen, wummernde Lautsprecher, Menschen in einer langen Warteschlange angestellt für ihr Mittagessen.
Früher war diese Ecke berühmt für die zahlreichen Seesterne im seichten Gewässer. Von ihnen sind nach zu vielen Selfies und spielenden Kindern oder Deppen nicht mehr viele übrig.
Wir schaffen etwas Distanz zwischen uns und den Bananen-Booten und gehen in einer ruhigeren Bucht schwimmen. Der Preis für fünf Minuten im Wasser werden über hundert juckende Dippel
sein, noch spüre ich nichts. Ena übernimmt wie immer die Preisverhandlungen mit dem Fahrer des einzigen öffentlichen Busses für den Rücktransport von uns und unseren Rädern. Der Typ würde uns tatsächlich mitnehmen, würde den Schrott am Dach verstauen, würde vielleicht sogar auf mein Bitten hin die Klimaanlage noch etwas höher drehen, während ich glücklich sitzend die schon bekannte Landschaft an mir vorbeiziehen lassen würde- die Preisverhandlungen scheitern, ich muss den ganzen beschissenen Weg wieder zurück radeln. Das sei gar nicht schlimm, flötet es mir von der Zugemuteten ins Ohr, wir würden ja sonst ohnehin kaum Sport machen. Zwei Geier hocken am Straßenrand und rechnen sich ihre Chancen aus, aber ich überlebe. Nach eineinhalb Stunden strampelnden Martyriums gebe ich mir stinkend und streichfähig das Kaltwasserrohr unserer Dusche, eine Unterkunft brauchen wir noch immer.
Rund um das Halligalli-Epizentrum ziehen wir wie Messerschleifer des fahrenden Volkes unsere Runden und bitten um Obdach, bis sich endlich die Rettung auftut. Ein kleines Zimmer in einem heruntergekommenen Hotel, aber leistbar mit Klima und eigenem Bad, wir sind sehr glücklich. Das will mit Schirmchendrinks gefeiert werden an einem Salzwasserpool, eigentlich einer Aussparung einer Club-Plattform raus aufs Meer. Liegestühle, Chill-Musik, Fische im Pool, die durch ein blaues,
am seichten Meeresboden installiertes Licht angezogen werden. Ich bin mittlerweile Mensch gewordener Juckreiz und vergleiche meine Beulen mit denen von Ena. Obwohl sie in Hinsicht auf Anzahl und Schwere des Dippelbefalls nicht mithalten kann, gibt es trotzdem Punkte für außergewöhnliche, exotischere, teilweise mit Flüssigkeit gefüllte Schwellungen.
26.12., von Boquete zu den Bocas del Toro, Isla Colon

Ena kauft beim Händler unseres Vertrauens noch vier obergeile Avocados auf Vorrat ein, während ich die letzten Pancakes in der Pfanne schwenke, dann steigen wir mit dreißig anderen Touristen in einen vom Hostel organisierten Kleinbus zur Inselgruppe Bocas del Toro, nicht mehr weit von der Grenze zu Costa Rica entfernt.
Wir tragen rosa Armbänder, damit wir nicht unterwegs verloren gehen. Was treibt uns zu dieser Unsportlichkeit? Der öffentliche Transport wäre mit Umwegen und längerer Reisedauer verbunden und billiger käme er auch nicht. Unser Gefährt ist weder komfortabel noch spritzig, vielmehr erstaunlich schwachbrüstig. Schon moderate Steigungen zwingen den Fahrer, mit Zwischengas in den ersten Gang zu schalten, damit wir nicht stehen bleiben.
Glückliche Kühe und Pferde grasen auf weitläufigen Weiden, die mit Palmen durchsetzt sind. Vom höchsten Punkt des Berglandes, auf geschätzten dreitausend Metern, ein fast grenzenloser Ausblick
auf das Tiefland. Den Kaffee zur mittäglichen Pause kann ich nicht fertig trinken. Wahnsinnige Bienen belagern mich, ersaufen enthusiastisch im Heissgetränk, möchten mir hinter die Sonnenbrille krabbeln, sind außer Rand und Band. Da hilft nur mehr die Flucht ins Wageninnere, bis wir weiterfahren.
Dann zerreisst es den Kühler und wir rollen aus. No problem, sagt der Fahrer, und jeder weiß, daß das so nicht ganz stimmt. Pannenbüsche werden auf die Straße gelegt, wir warten ein Weilchen und steigen letztendlich in den nächsten Linienbus in Richtung Hafen um. Nur mehr ärmliche Stelzenhütten mit Bretterwänden und Blätterdächern stehen vereinzelt entlang des Weges, wir könnten auch in Asien sein. Das Hafenstädtchen Almirante ist ebenfalls ziemlich abgefuckt. Alle
Schilder und Werbungen sind handgemalt und zerlumpte Figuren dominieren das staubige Ortsbild. Einzig das riesige Lagerareal vom hiesigen Hauptarbeitgeber Chiquita ist tiptop, die kaufen einen Großteil der nationalen Ernte auf und haben sogar eigene Containerverladekräne.
Ein Speedboot setzt uns auf die Hauptinsel Isla Colon über. Schmutzige, verbeulte Segelyachten unterwegs. Man erkennt, daß sie vor vielen Jahren prächtig waren, jetzt wirken sie, als wären sie jahrelang führerlos auf offener See getrieben.
Schon beim Aussteigen auf Colon ist klar: Hier regiert die Party. Hipsters in Hängematten, die halb im Wasser hängen, Bars zum Meer hin, Musik. Der Filthy Friday wird beworben und andere All you can drink-Bootstouren. Wir bleiben im Windschatten eines uns schon von früher bekannten spanischen Pärchens, die für uns gleich alles mitchecken. Noch einen Dollar für das Pickup-Taxi, dann sperren wir die Tür unseres nächsten Quartiers auf. Die Herberge liegt entschleunigt am Stadtrand,die große Terrasse mit Hängematten wird von Palmen beschattet und geht hinaus auf ein Feld. Im Zimmer nebenan wohnt ein schweizer Duo, die sind auch nicht berühmt für zügelloses Nachtleben. Ein stiller Rückzugsort ist gesichert. Hinter unserer Hütte landen alle paar Stunden auf der nur schleissig eingezäunten Landebahn der Insel kleinere Flugzeuge, mehr ein Ereignis denn Lärmbelästigung. Ja zur zweiten Piste!
Der Betreiber der Herberge spricht kein Wort Englisch und ist trotzdem ein schlauer Bursche. Er hat Leihfahrräder und einen Wasserautomaten, der einem für fünfundzwanzig Cent die Flasche vollfüllt.
Es gilt, keine Zeit zu verlieren, wir brauchen einen Schlafplatz ab übermorgen. In gut zwanzig Hotels/Hostels/B&B´s werden wir nachmittags vorstellig und alle sind für die nächsten Wochen entweder ausgebucht oder in ihren Preisvorstellungen hoffnungslos unverschämt. Hundert Dollar pro Nacht für ein Bett im Schlafsaal sind keine Seltenheit. Genug für heute. Rechtzeitig zur Happy Hour sitzen wir bei der kleinen Anlegestelle Colons am Meer mit einem überzuckerten Mixgetränk in Händen. Mit dabei ist Hans, ein im Bus kennengelernter Strahlenschutzbeauftragter, der Bequerels in mehreren Kernkraftwerken Deutschlands und der Schweiz zählt. Seine Sicht der Dinge ist etwas- nennen wir es subjektiv. Offshore-Windanlagen machen Lärm und bringen die Wale durcheinander, der aus ihnen gewonnene Strom sei zu stark schwankend und deshalb gefährlich. Die radioaktiven Abfälle aus den Atomreaktoren würden zu neunundneunzig Prozent eine Halbwertszeit von fünf Jahren aufweisen, die würden in Hallen einfach abklingen und anschließend konventionell entsorgt werden können. Ein interessanter Abend jedenfalls. Am siebzehnten Dezember hat Hans geheiratet, am Tag darauf ist er alleine für ein paar Wochen nach Panama auf Urlaub gefahren. Auf Colon
steigt unterdessen die Party. Restaurants, Lokale, Bars, Diskotheken, Clubs, Fastfoodläden, drei lange Straßen bilden das Epizentrum der Szene.
Reiseagenturen, Fahrrad- und Mopedverleiher, Supermärkte. Ein paar Hängengebliebene in Wohnwägen, die selbst gebastelten Schmuck verkaufen. Viele Grundstückeund Häuser stehen zum Verkauf, wahrscheinlich packen viele Insulaner das über sie hereingebrochene bunte Treiben nicht mehr und würden gerne weg von hier.
Daheim am Balkon die übliche Travellerlitanei. Yes, it´s cold right now in Austria. Yes, really cold. Von wo kommt wer her, wo war wer schon, wo war´s schön, blabla. Ich ziehe mich zurück, Oropax rein, danke für das Gespräch.

Dienstag, 25. Dezember 2018

25.12., Boquete

Heute gehen wir den Pipeline-Trail. Am Ende erwartet uns zur Abwechslung ein Wasserfall, eine der Topographie geschuldet inflationäre Sehenswürdigkeit der Region. Den Namen hat die Strecke von einer mittlerweile verwitterten und überwachsenen Wasserrohrleitung, die den Wandersmann die ganze Strecke lang begleitet, verlegt nach allen Regeln der experimentellen Künste.
Wenn man ganz ruhig ist wie wir, es geht bergauf, flattern Kolibris durch den Dschungel. Auf halbem Weg harrt ein tausend Jahre alter Baum aus, ein Gigant. Es bräuchte sicher fünfzehn bis zwanzig Leute, die sich an den Händen halten, um einen geschlossenen Kreis um ihn bilden zu können. Beim Wasserfall selbst stürzt nur eine kleine Menge Wasser die hohe Steilwand hinunter, aber Berge von großkalibrigem, zerschmettertem Holz geben eine Ahnung davon, wie es sich hier in der Regenzeit abspielen muss.
Ein vor ein paar Wochen ausgewandertes deutsches Pärchen läuft uns über den Weg. Sie hofft, ihren Beruf als Energetikerin für Tiere auch in Panama erfolgreich ausüben zu können. Ich wünsche alles Gute und lasse das Strahlenopfer weiterziehen. Der alte Taxler, der uns zurück nach Boquete bringt, bedenkt uns mit Schokolade, Äpfeln und Naschereien, Weihnachtswahnsinn. Wir passieren noch eine stark verworfene Basaltwand mit unzähligen voneinander abgetrennten Gesteinsschichten, vom Material her scheinbar vergleichbar mit dem Giant´s Causeway in Irland, dann tauchen wir ein in geschlossenen Feiertagstaumel.
Menschenmassen aus dem Umland säumen schon die heute für den Verkehr gesperrten Straßen Boquetes, Fressstände machen sich bereit für Rekordumsätze. Fast jeder trägt rot, Rentiergeweih oder eine Zipfelmütze,sogar die Hunde sind dem Anlass entsprechend adjustiert. Verkäufer mit blinkendem Zeug und Luftballons preisen schreiend ihre Schätze an, Kinder reiten auf Liliputpferden. Schon bald ist jeder freie Meter der Hauptstraße belegt. Alle warten auf die große Parade, die für fünf Uhr angesetzt ist.
Aus fünf wird sieben und dann neun, aber das tut der Hochstimmung keinen Abbruch. Die Besucher haben Sessel mitgebracht oder sitzen in den Kofferräumen ihrer Autos, auf den Kirchenstufen, auf Mauern, überall.
 Endlich kommen die Kapellen mit den großen Trommeln und Posaunen, die aufgebretzelten Tänzerinnen mit großen Fahnen und Paradestäben, schleichen mit Lichterketten geschmückte Autos mit übersteuerten Anlagen und Trucks mit riesigen Figuren die Straße hinunter, werfen
Weihnachtsmänner und Elfen den Kindern Süssigkeiten zu.
Ein Bub schläft schon im Stehen ein, wir schaffen´s vorher noch heim. 
24.12., Boquete

Zufällig ergibt es sich an der Rezeption unseres Hostels, daß zwei Typen den gleichen Tagesplan haben wie wir, eine Wanderung zu den Lost Waterfalls. Das trifft sich gut, wir teilen uns ein Taxi zum Einstiegspunkt des Rundweges. Pelle, ein Schwede, der in früher in München, irgendwo in den Staaten und jetzt in Mexiko lebt, ist IT-Nomade und vercheckt als Fotograf nebenbei noch Bilder an diverse Portale, Ricardo, ein mexikanischer Hirnforscher, lebt sein Klischee. Dicke Brillen, tollpatschig, etwas verschroben, schleppt er zwei prall gefüllte Taschen mit sich und schwitzt schon vor der eigentlichen Wanderung. Beide haben prinzipiell immer ihre Laptops und gesamten Arbeitsunterlagen dabei, Ricardo möchte zusätzlich gegen alle Eventualitäten gerüstet sein. Welche Szenarien sich bezüglich unseres auf drei Stunden angesetzten Ausfluges vor seinem geistigen Auge auftun, bleibt sein Geheimnis.
Der Pfad ist steil, rutschig und schlammig, die drei Wasserfälle wild und unberührt. Verkeiltes Schwemmholz am Rand der Becken unterhalb, lautes Tosen, kaltes Wasser. Libellen im Sprühnebel, wilde Orchideen, ein Tausendfüssler.
Am Weg zurück folgen wir dem Fluss mehrere Kilometer lang. Er schaut genau so aus, wie ein Fluss auszusehen hat. Ungezähmt, mit Stromschnellen durch riesige Felsbrocken hindurch, nur ab und an bezwungen durch kleine Hängebrücken. Frische Erdbeeren essen wir noch gemeinsam, dann setzen sich die zwei ab. Sie müssen heute noch die Stadt wechseln und Ricardo liest in den örtlichen Nachrichten, daß die Straßen wegen Weihnachten voll mit dichten Bauernschädeln sind und
deswegen im Busverkehr mit Verzögerungen zu rechnen ist.
Ena und ich nehmen unser feierliches Abendessen gemeinsam mit ein paar Einheimischen in einer klassischen Kantine zu uns, ich erstehe mein höchstpersönliches Weihnachtspackerl. Weder nach dem Öffnen des Bananenblattpaketes noch nach Verzehrung des pürierten und gepressten Inhaltes könnte ich auch nur im Ansatz sagen, was ich mir da geschenkt habe, aber gut war es. Im Nieselregen suchen wir später entlang des ausgestorbenen, jenseitigen Flussufers nach propagierten, aber
nicht existierenden Clubs, ehe wir in einer Bar mit den besten jemals in Mittelamerika gemixten White Russians landen. Am Weg heim spielt es sich ab. Bullen patroullieren auf Quads, vollfett herumtorkelnde Panamesen, einschlägiges Liedgut aus festlich geschmückten Spelunken. Um Mitternacht noch ein großes Feuerwerk, Weihnachten hardcore.