Dienstag, 7. Januar 2020

3.1., Myeik, Kawthaung,Ranong, Koh Phayam

Schilderungen zufolge durchdauerte ich die letzte Nacht auf dem Niveau einer katatonischen Schildkröte und konnte Anweisungen, wie zum Beispiel Platz für die hinteren Passagiere zu machen, um ihnen das Aussteigen zu ermöglichen, nur unter Abgabe von Grunzlauten und mit äußerster Langsamkeit nachkommen. Mir persönlich
fehlt jegliche Erinnerung daran, ich war damit beschäftigt, under the influence kosmische Raum-Zeit-Schleifen zu binden. Auch der morgendlichen Immigration-Rallye und dem Übersetzen über den Fluß zur thailändischen Seite kann ich noch nicht gänzlich folgen. 
In Ranong teffen wir kurz Mr. Pon, Urgestein aller Reiseangelegenheiten der näheren Umgebung und inoffizieller Landesmeister im Synchrontelefonieren, decken uns noch mit Vorräten und Devisen ein und setzen mit dem Speedboot über auf die Stamminsel Koh Phayam. Am neu gebauten Pier sitzt zufällig das Betreiberpaar Aeow und Cha am Weg nach Ranong, und die haben noch eine Hütte für uns frei.
Schnell ein Moped für die nächsten Tage gemietet, Anbieter gibt es mittlerweile genug, eingecheckt und im Liegestuhl am Strand das erste, halbgefrorene Leo-Bier geschlürft. Die Berlinerin Cecilia ist wieder da und Stammgast Rüdiger, stellvertretend für den neuerdings ungeheuerlichen Prozentsatz an Deutschen auf der Insel.
Ein gewisser Ben humpelt noch restzerschunden am Stock durch die Gegend und hat die erste Inselgeschichte parat. Vor zwei Wochen sei er auf Phayam angekommen, hätte sich hier am Strand betrunken und wäre des Nächtens vom Pfad zu seiner Hütte den Hang hoch vom Weg abgekommen. Es handelt sich hierbei um eine Distanz von rund fünfzig Metern, wohlgemerkt. Barfuss und nur mit einer Unterhose bekleidet fand er sich alsbald in sehr steilem Terrain voller spitzer Felsen wieder, sich an glitschigen Pflanzen festhaltend, um nicht abzustürzen, was ihm aber nur für kurze Zeit gelang. Dann lag er mit kaputtem Knöchel im Dreck und schrie eine Stunde lang um Hilfe, wurde auch von einer thailändischen Anrainerin gehört, die es erst nach längerem Zuwarten schaffte, ihren Bruder, einen Polizisten, anzurufen. Bis der eintraf, hatte Ben schon zu schreien aufgehört, und die Thais kamen überein, daß der Störenfried zwischenzeitlich wohl schon verstorben und eine nächtliche Nachschau somit nicht mehr notwendig wäre. Ben robbte zum Strand, harrte dort in Todesangst bis zum Morgengrauen aus, schwamm lädiert und von Sandfliegen
zerbissen quasi ums Eck zum heimatlichen Strand und begab sich in ärztliche Betreuung. Eine wunderbar absurde Geschichte zum Einstieg, ich hoffe auf viele weitere.

Sonntag, 5. Januar 2020

2.1., Myeik

Während in der Heimat mein großherzig verliehener Fuhrpark in eine übergroße Ziehharmonika verwandelt wird, cruise ich hier auf einem Moped mit vorne montiertem Einkaufskorb herum. Vielleicht blüht mir dieses Schicksal schon bald auch daheim, ich hoffe das Beste. Das Ticket für die abschließende Gewalttour bis zum südlichsten Ende des Landes, von wo wir per Boot nach Thailand übersetzen werden, holen wir uns direkt am Busbahnhof. Die wichtigsten Sachverhalte können am 
> "Schalter" nonverbal dargelegt werden, daß wir Minivans hassen, weil permanent wer zu-oder aussteigt, rauchen, essen, kotzen, aufs Klo gehen, etc. will, daß  ich groß bin und Beinfreiheit einfordere und ähnliches. So wird auch für Unterhaltung gesorgt, angewandtes Activity.  Bis abends um 18.00 bleibt noch Zeit. Wir fahren zunächst zu einer Schiffswerft außerhalb der Stadt. Deren Namen hat uns ein Einheimischer auf klingonisch auf unseren Plan gekritzelt und wir finden die Baustelle tatsächlich nach unter zehn Befragungen von Passanten unterwegs. Der Portier am Bambusschranken winkt nur freundlich, am Gelände liegen abseits riesige Haufen mit Schrott, Holzabfällen, vermorschten Schiffsteilen, Bauholz in Form von sehr dicken Baumstämmen, ein Vorrat an Schiffsschrauben und Motoren etc., während mittig am Areal an rund zwanzig großen, eingerüsteten Holzkähnen gebaut oder repariert wird. Brachial geht´s hier zu, die verdreckten Hackler sind voll dabei. Über ein Schienenkonstrukt werden die fertigen Boote irgendwann zu Wasser gelassen, aber heute nicht. Mopeds mit langen Auslegestangen, auf denen kopfüber Hühner montiert sind, ausgetrocknete, faulige Flußbetten mit Müll und Resten von Booten, auf einem alten Bagger spielende Kinder, qualmende Traktoren mit überladenen Heufuhren am Weg zum größten Fischmarkt der Stadt, wo der Fang direkt von den Schiffen ankommt,  aussortiert und verkauft wird. Rundum verarbeiten lärmende und stinkende Fabriken Beifang und was auch immer zu Fischmehl. Die Bewohner der umliegenden 
Ghettobehausungen haben es nicht leicht. Am Markt selbst werden täglich Tonnen an Fisch umgeschlagen, darunter kapitale Rochen, Schwertfische, Barracudas, säckeweise
winzige Muscheln und andere Viecher. Ein Typ führt uns enthusiastisch herum und deutet auf dies und das, spricht aber kein Englisch.  Irgendwann hocken wir dann im Kleinbus, es ließ sich nicht vermeiden, um die dreizehn Stunden für vierhundert Kilometer Fahrt über übelstes Terrain warten.  Schon relativ bald schieße ich mich mit Rum und einem guten Schluck Diazepam aus dieser Dimension und der kurz darauf einsetzende Filmriss tangiert fortan nur mehr meine treu über mich wachende Begleiterin, doch dazu in Bälde mehr.

Samstag, 4. Januar 2020

1.1., Myeik
Phwe Phwe oo holt uns pünktlich um 7.30 vom Hotel ab, mit ihr als Tourguide und sechs Einheimischen werden wir heute einen der zwei vom Staat freigegebenen Standardausflüge machen. Daß ihr Name für Westler einen linguistischen Linkswalzer darstellt, weiß sie schon, wir dürfen sie entsprechend der englischen Übersetzung Snow nennen. Die Burmesen saufen schon und versorgen uns mit Süßigkeiten, während wir mit den Speedboot durch Kanäle entlang von Mangrovenwäldern fetzten.
Mitten in den Archipel steuern wir, um nach knappen zwei Stunden an einem flachen Riff etwas herumzuschnorcheln. Trotz massiver Besucherzahlen aufgrund des überschaubaren Ausflugsangebots erfreuen sich die Korallen und Anemonen guter Gesundheit. Der Grund hierfür liegt am glücklichen Umstand, daß die Besucher allesamt nicht schwimmen, gechweige denn abtauchen können. So geben sich die Burmesen zwangsläufig damit zufrieden, vollständig bekleidet und in ihren Schwimmwesten oder Rettungsringen an der Wasseroberfläche herumzutreiben, manchen genügt es gar, an Bord verbleibend Maske und Schnorchel zu tragen, um den
Hauch des Abenteuers zu atmen. Getrübt wird mein Badespaß lediglich durch Kotz- und Benzinschlieren, verursacht von einer Ausflüglerin bzw. einem verstopften und deswegen mehrmals durchgespülten Benzinfilter eines Außenbordmotors.
Nächster Halt: Smart Island, dreißig Minuten Aufenthalt. Sandstrand auf der einen Seite, nach fünfminütigem Marsch durch den Wald Kiesstrand auf der anderen Seite. Während dem monströsen Mittagessen auf einer weiteren Insel werden Ena und ich von den restlichen Teilnehmern separiert und bekommen einen eigenen, abseits gelegenen Tisch zugewiesen, was mir etwas seltsam vorkommt, aber bitte. Tintenfisch, Shrimps mit Ananas, grüne Bohnen, ein gegrillter Fisch,
Gemüsesuppe, Reis, Wassermelone, eine Kokosnuss dazu-wir fühlen uns wie das First Couple dieses Inselreiches. Ich verschlinge standesgemäß unmäßig Teller um Teller, nur bei den Krabben muß ich passen. Die wenigen essbaren Teile sind mit dünnen, schalenartigen Wänden durchzogen, die kleinen Füße
kann ich weder aussaugen noch aufbrechen, ohne daß sich überall Splitter davon verteilen. Und was ist diese grüne Sauce mittendrin? Halbverdautes, Gedärm, Kacke, Dressing? Schade um die Viecher bei mir. Den Ausflug ins Dorf der Moken, auch Sea Gipsies genannt, sparen wir uns. Ich habe zur Unterstützung meiner Verdauung ohnehin auf rein lebenserhaltendes Notprogramm geschaltet und die Gefährtin erinnert das Ganze auch eher an einen Besuch im Zoo. Seltsam jedenfalls die Traditionen dieses Stammes. Um die Verbundenheit mit dem Meer als Lebensraum zu festigen, werden Neugeborene zum Beispiel zwei Minuten unter Wasser
gedrückt, bei der Kindersterblichkeit sind die Moken somit ganz vorne dabei. Nächster Programmpunkt: Ein kleiner Wasserfall, der sich über eine senkrechte Wand direkt in Meer ergießt. Zum kleinen natürlichen Pool auf sechs, sieben Metern Höhe muß man über spitze Steine und eine steile Leiter klettern. Dort oben nehmen einige, auch unsere Snow, ein ausgiebiges Bad mit reichlich Shampoo und Seife. Muß der Mokenheini, der unten mit seinem Hausboot so wie fast alle Anrainer seines Stammes auf die Möglichkeit wartet, hier seine Süßwasserreserven aufzustocken, halt ein paar Stunden warten, bis das Wasser wieder trinkbar ist. Oder er klettert weiter hoch über den Pool oder kann das Wasser gleich als Abwaschwasser verwenden, so spart er sich das Geschirrspülmittel. Zum Abschluß der Tour bleiben wir noch bei einem liegenden Buddha stehen, der mit seinen fünfzig Metern Länge gegen den Riesen von letzter Woche freilich ziemlich kümmerlich daherkommt, aber wir geben uns dennoch begeistert, und alles in allem war´s ein sehr schöner Trip. Wieder zurück in der Stadt ist die abendliche Luft gewohnt schlecht, jetzt verbrennt jeder seinen Müll. Trotzdem raffen wir uns noch auf zum kurzen Spaziergang, der zur Nachtwanderung ausartet. Zweimal abgebogen, schon befinden wir uns orientierungslos auf unbefestigter Straße neben einer lärmenden Fabrik. Weitergeirrt, in einem kleinen Dorf mit
Stelzenhäusern gelandet, das irgendwann einmal von der Stadt geschluckt wurde. Bellende und knurrende Hunde zeigen uns zumindest, wo wir nicht gehen möchten. Wir beide wurden schon von einem gezwickt, allerdings war das ein bereits als Welpe adoptierter Straßenhund eines Kanadiers, der sich eher einen Spaß daraus gemacht hat, Fremde zu ärgen.

Donnerstag, 2. Januar 2020

31.12., Myeik
Zum Frühstück gibt´s auch hier Reis und Nudeln in allen Spielarten, auch kleine Klumpen Süßspeisen werden aufgewartet. Ein schleimig-weiches Teil erinnert in seiner Konsistenz und im Geschmack entfernt an aufgekochten alten Kaugummi oder ausgerauchten Klostein, der Rest schmeckt gut in Richtung Baklava oder geschnittener Kompaktmarmelade. Auch heute cruisen wir herum, obwohl die Honda vorne schon bei langsamer Fahrt ganz schön ins Flattern kommt. Manchmal verirren wir uns planlos im stark befahrenen Straßengewirr und brauchen ewig, bis wir uns wieder irgendwie orientieren können, das daheim noch heruntergeladene Offline-Navi hängt sich permanent auf, dann sind wir wieder auf der Suche nach nützlichen Dienstleistern. Einem Schneider zum Beispiel, der für Ena ein paar Businessanzüge nach Maß anfertigen soll. Da könnte sie auch gleich einen bügelfreien Raumanzug ordern. Wir haben hier noch keinen einzigen Typen im Einserzwirn gesehen, geschweige denn eine Frau, und die Sprachbarriere tut das ihrige zum Scheitern der Mission. Erfolgreicher hingegen ist die Suche nach Kokosnuss- und Maiskolbenverkäufern oder die Buchung einer Inseltour für morgen. Der Mitarbeiter spricht leidlich Englisch und wird von uns gleich schamlos mit Anfragen aller Art gelöchert. Wie kommen wir von hier weiter Süden? Wo sollen wir Sylvester feiern? Was geht sonst noch? Er zeichnet uns am Stadtplan einen Betrieb, in dem Vogelnester in Suppe verwandelt werden, ein, des weiteren eine Krabbenfarm, eine Kashewnüsse verarbeitende Firma und einen See. Keine
einzige der angeführten Attraktionen finden wir außer den See, den man wirklich nicht verfehlen kann. Entweder handelt es sich um sehr kleine Betriebe, oder die Navigationsfähigkeiten der Gefährtin am Sozius sind leise zu hinterfragen.
Die Sylvesterfeier im Rooftop-Restaurant des Grand Jade-Hotels im neunten Stock ist wunderbar. Eine Band spielt auf und gibt neben einheimischen Mitgrölhits auch zwei, drei internationale Songs zum Besten, wobei deren Texte zwar enthusiastisch, aber größtenteils falsch in den nächtlichen Himmel geplärrt werden. Aus we could have had it all wird we could you as it all und ähnliche Sprachschöpfungen. Das Publikum ist jedenfalls hin und weg. Wo kein Kläger, da kein Richter. Alle saufen Bier und Whiskey und sind beseelt, ein paar Raketchen erhellen das Meer unter uns und ein laues Lüftchen weht. Weiter ziehen wir und lustwandeln die Strandstreet entlang, wo kleinere Grüppchen vor Autos mit übersteuertem Dancefloor abtanzen. Auch hier sind schon alle dicht und einige der sonst eher zurückhaltenden Burmesen fordern aktive Teilnahme an den Leibeswindungen wenn nicht gar Verbrüderung ein. Kurz vor Mitternacht ereilt Ena dann ein apokalyptisches Unwohlsein und pünktlich zum Countdown befinden wir uns auf einer Transport-Beiwagenmaschine und fahren die Küste entlang Richtung Homebase.
Nicht der längste, aber sicher auch nicht der schlechteste Jahreswechsel, den ich bis jetzt hatte.

Dienstag, 31. Dezember 2019

30.12., von Dawei nach Myeik

Wer hätte gedacht, daß es so lange dauern wird, in Myanmar ein paar hundert Kilometer zurückzulegen. Heute also schon auf um 3.30, durch die kühle Nacht mit dem Tucktuck raus aus der Stadt und hurtig den nächsten Bus bestiegen, Minivans werden fortan boykottiert. Schon kurz vor Fünf fahren wir los. Im Bus schaut´s ziemlich wild aus, es spritelt und die meisten Fahrgäste schlafen, vielleicht sind sie auch bewusstlos wegen der Dämpfe oder einer schleichenden Kohlenmonoxidvergiftung.
Der Bus kommt direkt aus Yangon und es bleibt zu hoffen, daß der Fahrer irgendwann zwischendurch getauscht wurde. Wie immer halten wir kurz darauf dort, wo der Parkplatz schon voll mit anderen Reisegesellschaften ist. Aus unbekannten Gründen bleiben alle Busse immer beim gleichen Wirten stehen und es spielt sich ab. Es gibt Reis mit Ei und süßen Tee, daran könnte ich mich gewöhnen. Später riecht es außer nach Diesel immer
wieder auch nach Scheisse, ein Kind vor uns hat allem Anschein nach eine massive Stinkbombe ausgeklinkt und verschärft das Unterfangen.
Die Landschaft draußen wird immer schöner. Kleine Dörfer mit Stelzenhütten, hin und wieder sogar unberührter Urwald. Aber die Straße ist schlecht und kurvig, an Schlaf ist nicht zu denken.
Mit überschaubaren zwei Stunden Verspätung treffen wir in Myeik ein, angeblich der schönsten und wohlhabensten Stadt Myanmars. Reich geworden ist sie offiziell durch Fischfang und Handel, außerdem wird hier die wunderbar stinkige Fischpaste Ngapi produziert. Aber eigentlich ist Myeik das Schmuggelzentrum für Waren aller Art nach Thailand. Die vorgelagerte Inselwelt ist nur teilweise bereisbar, viele werden militärisch genutzt. Diesen Archipel im indischen Ozean steuern alle Tauchboote der Umgebung an und aufgrund der Abgeschiedenheit ranken sich reichlich Gerüchte um die Gegend. Schatzinseln, verschollene Schiffe, so etwas in der Art. Seenomaden, eigentlich der Stamm der Moken, gibt´s hier ebenfalls, wie auch weiter südlich vor der thailändischen
Stamminsel Koh Phayam.
Mit einem Moped fahren wir die Hafengegend ab, wo geschwungene Fischkutter aus Holz im schlammigen Wasser dümpeln, dann grasen wir ein paar Tourenanbieter ab.
Alle haben die gleichen zwei Ausflüge im Angebot, die Preise sind staatlich vorgegeben und nicht verhandelbar. Unsere Versuche, ein individuelles Programm zusammenzustellen, scheitern, jeder macht sich vor der Staatsgewalt in die Hose. Bevor ich meinen Kummer mit einer Flasche Myanmar-Rum um siebzig Cent ersäufe, teste ich ihn heute sicherheitshalber nur mit einem Schlückchen an und warte mit dem Exzess bis morgen, ich möchte nicht unabsichtlich erblinden. Am Abend
spazieren wir durch die grünen Ausläufer der Stadt, wo es recht idyllisch zugeht. Die Holzäuser haben nicht wirklich blickdichte Wände und wir schauen den Leuten beim Essen oder fernsehen zu. Die Kinder spielen auf der Straße, wir werden bestaunt und angelacht und ab und zu nimmt jemand seinen Mut zusammen und spricht uns an. Noch Sushi beim Chinesen, nichts ist unmöglich, und das war´s dann. Ein langer Tag.

Montag, 30. Dezember 2019

29.12., von Mawlamyine nach Dawei

Entlang des Sperrgebietes hin zur thailändischen Grenze fahren wir mit einem Minivan weiter nach Süden. Das Dach und der Kofferraum sind voll mit Zwiebeln und Chillies. Als wir mit halbstündiger Verspätung weg kommen, sieht es noch nach einer beschaulichen Fahrt nach Dawei aus. Diese Kleinstadt, eigentlich nur Zwischenstation am Weg nach Myeik, sollte touristisch noch recht jungfräulich sein. Am interessantesten sind wohl ein paar alte Holzhäuser aus vergangenen Zeiten, soll sein. Reisende könnten im hiesigen Kloster die Schenkel der Erdgöttin Dharani reiben, um die Wahrscheinlichkeit einer sicheren Ankunft zu erhöhen, das klingt irgendwie geil. Kaum sind wir ums Eck vom Terminal, beginnt der Vollhorst schon, seine Kiste mit Laufkundschaft aller Art zu befüllen. Dann holt er noch Frau und Kind ab und die Zeit vergeht. Viel zu schnell verwandelt sich die wichtigste Nord-Süd-Verbindung in eine holprige Piste und hinter uns speiben sich wieder die Frauen an.
Kein Wunder auch, permanent werden irgendwelche vergorenen Früchte und sonstige Kotz-Katalysatoren genascht. Zu Mittag fresse auch ich beim Wirten alles, was ich hingestellt bekomme, und das ist viel mehr als die zwei Schüsselchen rote Bohnen und wässriges Fisch-Erdäpfel-Gulasch, die ich ursprünglich bestellt habe. Zum obligatorischen Reis werden noch rohe Gurken und Kraut, Wasserspinat und Okra in Suppe und zwei verschiedene, für die Gegend typische, fischig-fermentierte Stinkesaucen  gereicht. Weiter geht die Reise, wir sitzen inzwischen schon sehr unbequem. Als bei einem weiteren Stopp noch eine Fahrgästin in unsere Reihe gequetscht wird, wird die Süsse sauer und gebietet dem Treiben lautstark Einhalt.
Wir fahren und fahren und kommen nicht an. Personenkontrolle am Schranken eines Bergpasses, den wir in Zeitlupe erklommen haben, kurzfristige Anhaltungen, wo die Piste gerade ausgebaut wird. Ein umgestürzter, vollständig ausgebrannter Sattelschlepper, daneben antike Feuerwehren, die mit einer Pumpe ihre Wassertanks im Fluss füllen. Viel Verkehr generell mit Traktoren, schwachbrüstigen Lastwägen und scheinbar selbstgebastelten Gefährten, ein Radfahrer mit Vollvisierhelm.
Die Gegend ist die ganzen dreihundert Kilometer hindurch mehr oder weniger eine einzige Kautschukplantage mit Bäumen in Reih und Glied, dazwischen stehen noch ein paar Betelnusspalmen. Unser Fahrer überholt nach westlichen Maßstäben zwar noch immer wie ein Wahnsinniger, fährt aber für örtlichen Standard doch ungewöhnlich verhalten, vielleicht wegen der vielen Körbe am Dach. Dadurch gerät er noch mehr in Enas Visier, die heute schlecht drauf ist, wohingegen ich die
Ruhe in Person bin, obwohl mir der Motor durchs Bodenblech schön langsam die Zehen knusprig brät. Wenn sie nur seine Sprache sprechen könnte, diese Dumpfbacke, sie möchte ab jetzt weiterfahren. Das ist ihr Ernst, Napoleonsyndrom im fortgeschrittenen Stadium.
Es ist schon lange finster, als wir endlich in Dawei einreiten, so war das nicht ausgemacht. Schnell eine Behausung finden, dann auf die Straße. Viele enthusiastische Zuseher bei einem Fußvolleyballturnier, wo die Spieler mittels akrobatischer Sprünge und Bein-Extremstretching versuchen, eine hohle Bastkugel ins gegnerische Feld zu fetzen, Elektrolyt und Futter für uns in einem Biergarten bei angenehmem Stromausfall.
28.12., Mawlamyine

Mit einem Mietmoped unseres chinesischen Beherbergers kümmern wir uns zuerst am Busbahnhof um Tickets für morgen, dann gurken wir gen Süden zum größten liegenden Buddha der Welt. Die gesamte Anlage ist dazu angetan, in Kürze eine der Hauptattraktionen des Landes zu werden, aber noch ist sie nicht fertig und nur ein paar einheimische Touristen staunen mit uns über die riesige, hundertachtzig Meter lange Konstruktion, die da in der Gegend herumliegt. Über einen Stiegenaufgang betritt man den Buddha über seinen Kopf, die ersten zwei Stockwerke bis zur Hüfte sind auch innen schon fertiggestellt. Dreidimensionale Abbildungen von allerlei Göttern und Fabelwesen, irgendwelche Szenen, die nur ein Buddhist versteht. Auch die haben scheinbar ihre Hölle. Menschen werden von Monstern aufgespießt und mit glühenden Kohlen überschüttet, es kommt auch zu Organentnahmen ohne Einwilligung des Patienten. Der hintere Teil des Liegenden ist noch in der Rohbauphase, wobei die Baustelle nicht abgesichert und auch nicht gesperrt ist. Räume mit grauen, noch nicht fertig modellierten Skulpturen, kaputte Figuren. Bis in den fünften Stock, ganz hinten bei den riesigen Zehen, gehen wir, wo wir durch Baulücken ins Freie gelangen und den zweiten, ebenfalls in Bau befindlichen Riesenbuddha am Gegenhang bewundern. Wie ein umgefallener, halb fertiger Wolkenkratzer, erstaunlich. Nebenbei müssen wir zahlreiche Fototermine wahrnehmen, wir sind hier auch der Hit. Bereitwillig spenden wir noch zwei schwarze Keramikfliesen für das Haupthaar des neuen Buddha, dann rauschen wir entlang eines ewig langen Spaliers von tönernen Mönchsfiguren von dannen. Nächster Halt: Eine teilweise seeehr niedrige, zur Betstelle umfunktionierte Höhle, dann suchen wir ein paar Dörfer heim. Männer spielen eine Kombination aus Karten.- und Billardspiel mit kleinen Kegeln um Geld, ländliche Beschaulichkeit. Zurück in der Stadt gibt´s natürlich auch eine Riesenpagode am Berg mit einem uralten, noch immer bewohnten Kloster aus Holz nebenan, da geht die Sonne schon unter. Viele farbenfrohe indische Tempel stechen ins Auge, eine größere Community hat sich angesiedelt. Unser peristaltisches Glück strapazieren wir heute mit bröckeligem Früchtejoghurt und viel zu scharfem Essen am Ufer des Thanlwin, wo wir auch winzige Vögel im Ganzen und unbekannte, stachelige Meereskreaturen verzehren könnten. Spezielle Zutatenverbote der Gefährtin sind dem Personal noch nicht näherzubringen, für die Zukunft übersetzen wir daheim noch die wichtigsten Schlagwörter und fotografieren sie ab für die dreiundneunzig Prozent der des Lesens Mächtigen.