Freitag, 7. April 2023

7.4., von Plovdiv nach Temeswar

Einen hab ich noch, ereignislos war nicht. Als inoffizieller Kulturattaché der Alpenrepublik, denke ich mir, muss ich der Hauptstadt Bulgariens eigentlich auch noch einen Höflichkeitsbesuch abstatten. Nach längerer Sucherei stelle ich mich dort nahe des Zentrums in die Kurzparkzone und schicke auf Geheiß eines befragten Ratgebers artig mein Kennzeichen an eine Gebührennummer, auf dass mir pro stündlicher SMS ein Obolus verrechnet und über die Telefonrechnung  abgebucht wird. 

Kirchen, Ausgrabungen, kommunistische Prachtbauten dann bei der geführten Tour, das Übliche. Nur die Männer der Nationalgarde vor dem Präsidentenpalast bei ihrer Rauchpause sind cool, jeder trägt mittig auf seinem Hut eine große Vogelfeder. Amerikanischer Staatsbesuch, großes Tamtam. 

Jedenfalls, komme ich nach drei Stunden von der eh ziemlich faden Führung zurück, erblicken meine schreckgeweiteten Augen schon von Weitem die leuchtendgelbe Parkkralle am Vorderreifen meines Boliden. Ein Passant wählt mir freundlicherweise die auf dem Begleitschreiben an der Fahrertür vermerkte Telefonnummer und eine halbe Stunde später kommen schon ein kleiner Blader und ein langer Dünner und meinen, ohne eine bulgarische Simkarte wären meine Nachrichten wertlos gewesen. Hinterwäldlerische Ostblocktrotteln! Dick und Doof zeigen einerseits Anteilnahme, Sofia bad for Tourists, lassen aber andererseits auch nicht mit sich handeln. Vierunddreißig Leva muss ich abdrücken, gut, dass das nur siebzehn Euro sind. 

Aber Zeit und Nerven hat der Stunt gekostet. Bis zum schon im Voraus gebuchten Zimmer in Temeswar sind´s noch mehr als acht Stunden und es wird knapp. Bei Minusgraden fahre ich durch eine wunderbare Eiszapfen- und Schneelandschaft hoch in die Berge und wieder runter. Bei einer Polizeikontrolle schaltet ein Typ im aufgemotzten Bmw zurück, weicht links über die doppelte Sperrlinie in den Gegenverkehr aus und hüllt die Bullen in schwarzen Rauch. Bei uns wäre jetzt Verfolgungsjagd angesagt, dann den Verbrecher herbirnen wie einen Zeiselbären und Deckelabnahme auf länger. Hier nur phlegmatisches Schulterzucken. 

Bulgarien und Rumänien schenken sich nichts. Der Lkw- Stau hinein in den Schengenraum beträgt exakt wie der vor drei Wochen in die andere Richtung zehn Kilometer. Heute gestaltet sich das Vorbeipressen aber leichter, es gibt wenigstens meistens zwei Spuren.

Später nehme ich einen Autostopper mit. Er ist auch eher der Naturbursche mit recht strenger Aura, vielleicht Bauer oder Bauhackler. Mehr als siebzig Kilometer fahren wir hauptsächlich schweigend bis zu seinem Kaff, hoffentlich ist das nicht sein üblicher Anfahrtsweg. Bei jeder Kirche bekreuzigt er sich dreimal und für mich hat er dann auch noch schöne, wenn auch unverständliche Worte.

Finster ist es mittlerweile. Wer reitet so spät durch Wind und Nacht? Es ist Stefsechef und es ist schon nach Acht.

Kühe und Menschen am Wegesrand, aber entgegen kursierender Horrorstories keine Wegelagerer mit Steinen in Händen, die einem bei Nichtbezahlung einer etwaig eingeforderten Wegemaut die Scheiben einschießen möchten. Auch die Berge Rumäniens sind bei Nacht und Nieselregen kein Bemmerl. Pfützen, in denen das Wasser steht, Straßenschäden mit Chance auf Achsbruch, bremst man nicht wie die Ortskundigen auf Schrittgeschwindigkeit ab. Zwei Sattelschleppern folge ich bis nach Temeswar, die fahren genau mein Tempo. 

Gegen Mittag werde ich in Ungarn sein und verabschiede mich abermals mit dem österlichen Segensspruch, urbi et orban.

Donnerstag, 6. April 2023

 5.4., von Istanbul nach Plovdiv

Wie in einer noblen Gummizelle fühlt man sich im gepolsterten Lift des Hotels. Ich lasse meinen Kübel vorfahren und verlasse das Etablissement. Vorbei an Gümüspala nach Bulgaristan, wie man hier zum Nachbarn sagt, cruise ich, und sehe schon ein Korneuburger Kennzeichen. Die Grenzformalitäten dauern zwanzig Minuten. Keine Verkehrsstrafen oder ausstehenden Mautzahlungen werden eingefordert, ich werde mit Vornamen angesprochen. Do not allow the spread of african swine fewer, habe ich auch nicht vor. 

Gleich weiter nach Plovdiv. Hätte man mir im türkischen Luxusschuppen auf Anfrage noch die Kopfpölster gewechselt, zur Auswahl standen Gänsefeder, antibakteriell oder orthopädisch, muss ich schon froh sein, hier in einem besseren Fuchsbau unterzukommen. Aber es gibt Bier vom Fass im netten Pub und nach einer bemühten Pizza stört kein Muezzin meinen Schlaf.

Güle Güle, habe die Ehre. Viel mehr als zu fahren ist für die letzten Tage nicht geplant. Ich hoffe auf eine ereignislose Rückkehr und verabschiede mich an dieser Stelle. Möge der Saft mit euch sein.


4.4., Istanbul
Auf unserem Weg zum Taksimplatz kommen uns immer wieder auf Brachland stehende, herzige Katzenhäuschen unter, oft mehrgeschossige und mit Schlaf- und Futterplätzen für die Streuner der Umgebung eingerichtete Miniaturbehausungen. Im modernen Teil der Stadt staunen wir dann über inflationär viele Nasenoperierte mit Pflastern auf ihren behübschten Zinken und geschwollenen Gesichtern. Halblustige Eisheinis verarschen asiatische Touristen, indem sie ihnen mit ihren Metallstangen immer und immer wieder nur die leeren Stanitzel überreichen. Die schwedische Botschaft ist infolge der Entwicklungen der letzten Monate, Stichwort Kurden und türkisches Veto zum Natobeitritt, komplett verrammelt. Mehr als unangebracht finde ich, dass die geschlachteten Kälber in den Fleischereien Rosen im Hintern stecken haben.
Nachts führe ich die Süße im Regen zum Flughafen, sie fliegt weiter nach Dubai. Klingt nach Routine, geht aber an die Substanz. Das Navi kennt nicht alle Gassen, die Türken fahren noch behinderter als sonst und den Fußgängern ist auch alles wurscht. Ansonsten heute nichts von Belang. 

Dienstag, 4. April 2023

 3.4., Istanbul

Ganze Honigwaben und einschlägige Berieselung dazu beim Frühstück. Careless whisper von Wham und Another day in paradise von Phil Collins. Macht sich wirklich jemand die Mühe, für die Parallelgesellschaft hier den passenden Soundtrack zu gestalten? 

Istanbul, ehemalige Hauptstadt des Römischen, des Byzantinischen und des Osmanischen Reiches. Alte Steine überall, die Altstadt ist teilweise Unesco-Weltkulturerbe. Istanbul, fünfzig Kilometer Ausdehnung von Norden nach Süden und rund hundert Kilometer von Osten nach Westen. Istanbul, Verkehrshölle mit der zweitgrößten Verkehrsdichte der Welt. Wenn wir in die Verlegenheit kommen, breitere Straßen überqueren zu müssen, laufen wir um unser Leben. 

Vor fünfundzwanzig Jahren, unterwegs mit dem Schweden und dem Engländer mit zwei Trucks für die deutsche Sportbude, drehte ich  notgedrungen eine halbe Stunde lang meine Runden in einem Kreisverkehr, bis uns endlich türkische Kollegen aus der Spirale des Todes befreiten. Navis gab´s noch keine, wir wussten nicht wohin und sobald wir uns irgendwo hinstellen wollten, kamen sofort Bullen angelaufen und forderten uns auf, uns umgehend zu schleichen. 

Istanbul, graue Stadt. Kaum Grünflächen und kein einziger großer Stadtpark. Keine Bäume, nicht einmal Büsche. Jedem Bürger steht weniger als ein Quadratmeter Parkfläche zur Verfügung und in dieser Statistik sind die Grünstreifen zwischen den Richtungsfahrbahnen auf den Autobahnen schon mit eingerechnet. 

In der Nähe des Hafens sitzen wir heute, trinken türkischen Kaffee und schauen nur so, wie es sich hier abspielt. Menschen schlagen Waren aller Art in großen Kartons um, verpacken, verladen, auf Tuk Tuks, Wägelchen, auf Mopeds, schleppen das Zeug schwitzend zu Fuß. Nach und von Afrika und Asien, Speditionen, Lagerhäuser, Sattelschlepper.

Ein Fischweckerl unter einer der Brücken, nur gucken, nix kaufen im großen Bazar unter bemaltem Deckengewölbe mit Trinkbrunnen aus Marmor, zwanzig Kilometer durch die Stadt schlendern, vorbei an den großen Moscheen, Hammams, Aquädukten und Bereitschaftspolizei nahe dem Taksimplatz. Ein bisschen Geld aus der Spendenkassa ist noch da für verschleierte Frauen in Schwarz, die Essen für ihre Kinder aus Müllsäcken aussortieren.


Montag, 3. April 2023

 2.4., von Beypazari nach Istanbul

Frühmorgens stehen in den Straßen und Gassen Beypazaris Hütchen, wo gestern noch die Autos parkten, alles ist wie leer gefegt. Nicht, dass die mir schon wieder mein Auto abgeschleppt haben wegen eines Bauernmarktes oder einer Karottenparade, ich verfalle in Schnappatmung. Nein, nur meines und ein einziges anderes Gefährt stehen noch da, ich liebe die Türken. 

Durch ein wunderschönes Tal, dessen felsige, kahle Hänge in unterschiedlichen Farbschichten von grün über weiß bis hin zu rötlich leuchten, brettere ich und über Passstraßen, die mit Abstand kaputtesten der bisherigen Reise. Unerwartet eigentlich, Europa ist nicht mehr weit. Die Hunde liegen rudelweise im Regen zusammengerollt. Gegen Mittag erreiche ich Istanbul, vormals Konstantinopel, vormals Byzanz. Mit rund sechzehn Millionen Einwohnern eine der größten Metropolen der Welt. Die Stadt liegt auf beiden Seiten des Bosporus, verbindet Europa mit Asien. Es gäbe drei Brücken, das Feribot oder den brandneuen Tüneli, der unter der Meerenge verläuft. Durch letzteren fahre ich, ohne dafür zu bezahlen. Irgendwo müsste man sich vorab registrieren, Mauthäuschen gibt´s keine, also prelle ich die Zeche von drei Euro und hoffe auf spätere Nichtbelangbarkeit in der Heimat.  Absolut geschmeidig die Röhre, sicher eine technische Meisterleistung. 

Architektonisch ist die Palette breit. Altehrwürdige Moscheen stehen im Schatten extravaganter Wolkenkratzer. Entlang der Meerenge haben alte Festungen die Zeit überdauert. Am Wasser draußen parken Schiffe aller Art und Größe. Vor einigen Jahren sah ich im Rahmen eines Bootsausfluges mit der Holden sogar ein gigantisches U-Boot in Fahrt an der Wasseroberfläche. 

Apropos, wegen der bin ich ja eigentlich da Die kleine Jet Set-Maus macht hier für drei Tage Zwischenstopp am Weg nach Dubai, wo sie mit ihren liebreizenden, dauerbeschwipsten Freundinnen ein paar Tage Prosecco süffeln wird. 

Wenig los am Flughafen Atatürk, sehr wenig los. Ein Typ in einem Portierhäuschen wachelt mich weg, ich möge mich über die Häuser hauen. Sonst gibt´s noch zwei Ninja-Bullen, die auf unbeteiligt machen. Den einen behellige ich, er kann ein paar Brocken Englisch, und Folgendes ist die Quintessenz: Dieser Flughafen ist schon seit ein paar Jährchen dicht. Ich muss zum Istanbul Airport, fünfundvierzig Kilometer in Richtung Norden. Hart für die Nerven ist das Reisen mitunter. Keine Ahnung, kein Internetz, zwei Reiseführer mit, der eine elf Jahre alt und der andere dreizehn. Keine Fremdsprachenkenntnisse. Wenn der eine Scheriff mich nicht notdürftig aufgeklärt hätte, wäre ich wieder einmal angestanden. Gut, dass ich genügend Zeit für derartige Eventualitäten eingerechnet habe, alles geht sich aus. 

Eine Stunde wiedervereint kriechen wir durch den abendlichen Stau zur Fünfsternehütte, wo die Schnäppchenjägerin ein den Umständen entsprechend billiges Zimmer für uns aufgetan hat, sie möchte es schön haben. Ein Maybach fährt gerade weg, ein Angestellter parkt meinen Skoda ein. Ich lulle mich an, der Arme fährt indigniert mit meiner vollvermüllten Kiste von dannen. Lohnsklaven scharwenzeln um uns herum, bling bling.

Ein zielloser Spaziergang durch unser Viertel. Ein doppeltes Aquädukt, in einer Straße nur Fleischereien. Auf einer Brücke schauen wir den vielen Fischern zu. Weil es stark regnet, verziehen wir uns in ein Wirtshaus, der Kellner stellt uns zum Aufwärmen ein glühendes Kohlebecken hin.


Sonntag, 2. April 2023

 1.4., Beypazari

Suppe zum Frühstück geht immer, dann drehe ich meine Runde. Ein Polizist spricht mich an und zischt wieder ab, als er merkt, dass ich ihn nicht verstehe, im Museum Beypazaris gibt es viel Raum für Interpretation. Nichts ist auf Englisch angeschrieben, was allerdings bei einem Eintrittspreis von zehn Cent so in der Ordnung ist. Ich lerne, dass es zumindest theoretisch einen anatolischen Panter gibt, aber waren Ali Efendi Baba, Mürsel Baba und Ivez Baba miteinander verwandt und was haben sie geleistet? Seit wann ist es in der Türkei gesetzlich verpflichtend, einen Schnurrbart zu tragen? Wann begann das Zeitalter der Karotte? 

Einem alten Tischler kaufe ich zwei Werkstücke ab und lasse mich durch seine urige Werkstatt führen, schaue mir eine große Karawanserei aus dem siebzehnten Jahrhundert, in der einst Mensch und Kamel auf ihrem Weg entlang der Seidenstraße unterkamen, an. 

Am Markt trinke ich frisch gepressten Karottensaft, was sonst, und weil heute Samstag und die Stadt voll mit Tagesbesuchern aus Ankara ist, gibt es auch schon untertags etwas zwischen die Kiemen. Im Fastfoodladen schneidet der Gerät schweißfrei und wie immer viel Ayran dazu. 

Hoch oben am Berg befindet sich der alte, teilweise extrem heruntergekommene Teil der Stadt, wo die alten osmanischen Häuser noch nicht renoviert sind. Hier gehen die Frauen hinein, wenn ich komme, und hier spielen die vielen Kinder in den Gassen. 

In einer Billardhütte spiele ich ein paar Runden mit mir selbst, während eine Partie ums Eck Okey, ähnlich dem Rommé, spielt. So laut knallen die Männer dabei ihre Spielsteine auf den Tisch, das es klingt, als ob im Haus Stemmarbeiten durchgeführt werden. 


Samstag, 1. April 2023

 31.3., von Mustafapasa nach Beypazari 

Des Nächtens marschiert wieder lautstark der Mann mit der großen Trommel durch die Straßen. Er weckt dabei nicht nur mich, sondern vorwiegend die Fastenden, damit sie sich noch vor Sonnenaufgang stärken können. Boioioioioing. 

Ich mache mich auf gen Istanbul, die Gefährtin wird übermorgen ankommen. Im Radio ist so gut wie keine nichttürkische Musik zu empfangen, und wenn, dann werden die denkbar ausgelutschtesten Schnulzen gespielt. Heute isses zach. Die Landschaft ist nichtssagend, Ankara mit seinen sechs Millionen Einwohnern ist heftig, obwohl ich die Stadt ohne erkennbaren Anfang und ohne Ende schon am frühen Nachmittag durchfahre. 

Das einzige, das mir von Ankara in Erinnerung bleibt, ist ein Verkehrszeichen, das Straßenhund und Straßenkatze einmütig nebeneinander zeigt. Besonders die großen Streuner, von anatolischen Hirtenhunden abstammend, sind immer freundlich und zutraulich, die Türken behandeln sie gut. Einmal bekam ich vor den Toren einer Grünanlage schon zu lesen, dass die Strawanzer staatliches Eigentum sind und Tierquälerei streng bestraft wird. 

Nach vierhundert Kilometern reicht´s für heute, ich rolle aus in Beypazari. An einer Straßenkreuzung des osmanischen Relikts sticht ein bizarres Denkmal ins Auge, gigantische Karotten im Bündel. Hier wird der Karotte endlich die angemessene Anerkennung zuteil, wahrlich ein Topgemüse. Schneemänner könnten nicht riechen ohne sie und im Burgenland werden sogar Schwangerschaftstests mit ihr durchgeführt. Beißt jemand ab, nachdem der Patientin besagte Knolle zugeführt wurde, ist medizinisch evident, dass der Storch da war. 

Jedenfalls, in der Umgebung wird mehr als die Hälfte des türkischen Jahreskonsums angebaut. Jeder zweite Laden verkauft sie, in jedem zweiten Gericht ist sie. Aber erst nach Sonnenuntergang, eh klar. Bis dahin gebe ich mir die alten, dunklen Holzhäuser in den engen Gassen und schaue den Handwerkern bei ihrer Arbeit zu. Ein ereignisloser Tag.