Donnerstag, 7. Februar 2019

7.2., Cartagena

Die Erkenntnis des Tages: Es gibt keine einzige kolumbianische Bank, die Euros wechselt. Also weiterhin regelmäßig zum Geldautomaten pendeln, um flüssig zu bleiben. Zum Beispiel für das Castillo de San Filipe de Barajas, dem größten jemals von Spanien auf kolonialem Boden erbaute Fort. In den Mauern dieses monströsen Bauwerkes sind Abertonnen von Korallenstöcken verbaut, die man auch heute noch gut erkennen kann, und die gesamte Festung ist untertunnelt. Manche
der klaustrophobischen Stollen führen zu tief gelegenen Wasservorräten, andere ins Umfeld, um anmarschierende Feinde gegebenenfalls bequem von unten wegsprengen zu können.
Die Aussicht von der mehrstöckigen Bastion auf die Stadt ist famos und die Anlage an und für sich beeindruckend. Das Highlight unseres Besuches aber ist zumindest für mich ein sensationell bescheuerter Propagandafilm, in dem die damals vergeblichen Versuche der Engländer, die Verteidigungsanlagen zu überwinden und Cartagena einzunehmen, filmisch verarbeitet wurden. Die Kolumbianer sind darin die furchtlosen Heroes in Unterzahl, während die Engländer als die ärgsten Sautrotteln  mit hohen und weinerlichen Stimmen diffamiert werden, denen ordentlich eingeschenkt wird.
Der Anführer der gefeierten Verteidiger war damals übrigens ein Einäugiger, dem schon vor der beschriebenen Schlacht aufgrund anderer Einsätze für Volk und Vaterland ein Arm und ein Bein gefehlt haben. Als ihm im Zuge der diesmaligen Kampfhandlungen auch noch der zweite Haxen abhanden kam, ging er kurz darauf verständlicherweise ein, er hatte tatsächlich alles gegeben.
Und so vergeht der Tag. Zum Mercado Bazurto schaffen wir es heute leider nicht mehr, dort gibt es angeblich nichts, was es nicht gibt. Sogar Flußschildkröten werden in den Fress- Ständen verkocht. Dafür verkauft der Supermarkt bei uns große und frische Aloe Vera-Blätter, auch nicht schlecht.
Abends setzen wir uns beim Lieblingswirten an die Straße und schlürfen Mojitos, während wir aus dem Schauen nicht herauskommen. Die "normalen" Passanten würden ja schon reichen, die Aufgebrezelten und Schönheitsoperierten, die Obsthändler mit ihren Handkarren, die Zigarrenverkäufer, Bettler, Polizisten, Hunde, Menschen mit Suppentöpfen auf Fahrrädern, Musikanten und so weiter, aber das ist bei weitem nicht alles. Ein Typ mit Afro und Glitzerkostüm tanzt, bis die Sohle raucht, während die Taxis geduldig warten, ein paar Minuten später kommen ein paar Brechtänzer vorbei und hoffen ebenfalls, dem Publikum mit ihren halsbrecherischen Einlagen
ein paar Pesos herausleiern zu können. Auch ein Michael Jackson-Imitator tanzt den Thriller grandios und ist noch dazu gefällig kostümiert. Das Kleingeld im Sack will gut eingeteilt sein.
Sobald das Eis im Drink zu sehr geschmolzen ist und der Mojito Gefahr läuft, wässrig zu werden, ist der Wirt schon mit der Flasche Rum zur Stelle, um ein bißchen davon nachzuleeren. Hier ist es schön, sehr schön. Trotzdem werden wir morgen ins Boot steigen und zumindest das Wochenende auf der Isla Grande verbringen, wo es selten Strom und wohl kein internetz gibt.
6.2., Cartagena

Das Kronjuwel der karibischen Küste, eine Kolonialstadt von ausgesuchter Schönheit. So spricht zumindest das Werbeprospekt. Eine knappe Million Menschen lebt hier und ein guter Teil davon in der Altstadt, die von dreizehn Kilometern bis zu fünfzehn Meter dicker Stadtmauer umgeben ist. Dem historischen Teil wurde der Titel eines Unesco Weltkulturerbes zuteil, durch den schleppen wir uns heute in brutaler Hitze und schweißtreibender Luftfeuchtigkeit. 1533 wurde Cartagena
gegründet, hier waren die von den Conquistadores den Eingeborenen gefladerten Schätze gelagert, bevor sie nach Spanien gebracht wurden. Deswegen auch die Mauern und wuchtigen Forts rund um die Stadt, Cartagena war immer wieder Ziel von Angriffen und Belagerungen von Piraten. Unter ihnen auch der englische Freibeuter Sir Francis Drake, der einmal mit einem Lösegeld von zehn Millionen Pesos besänftigt werden musste, einer damals horrenden Summe. Heutzutage
spuckt freilich jeder bessere Bankomat auf Begehr eine Mille aus, was den Beheber aber noch lange nicht zum Piraten macht.
Damit wir hier auch ja nichts versäumen, schließen wir uns am Nachmittag noch einer geführten Stadttour an. Der Guide, ein älterer Herr mit sehr dicker Brille, psalmiert bemüht aber totlangweilig endlose Abfolgen von Jahreszahlen, während wir folgende Stationen besichtigen: Den Palacio de la
Inquisicion
, wo die Spanier auch auf dem Territorium ihrer Kolonie rigoros gegen Magie, Hexerei und Blasphemie vorgingen. Frauen, die unter fünfzig Kilo wogen, waren damals schon verdächtig, da ihnen das Fliegen nicht sonderlich schwerfallen konnte. Die Dicken hatten also ein gewichtiges Argument, es ging ums Überleben. Wenigstens wurden die Eingeborenen von derlei Unsinn verschont, in dieser Gegend nannten sie sich übrigens Calamari.
Am Plaza de los Coches wurden dereinst Afrikaner zum Bau der Mauer am Sklavenmarkt gehandelt und vor dem Haupteingang zur Stadt fanden die Hinrichtungen statt.
Die Frauen, die in bunter Tracht und mit Obstkörben auf dem Kopf für entgeltliche Fotos posieren, stammen aus einem Dorf ein Stückchen weiter nördlich, wo sich vor ein paar hundert Jahren geflohene Sklaven niedergelassen haben. Deren Nachfahren beweinen noch immer Geburten und feiern Todesfälle, ein religiöses Überbleibsel der damaligen Einschätzung der Lage.
5.2., von der Wüste nach Bogota und weiter nach Cartagena

Mit einem gestern noch bestellten Tuk Tuk knattern wir frühmorgens aus der Wüste, nehmen im nächsten Kaff einen gerammelt vollen Kleinbus, der nicht losfährt, ehe der letzte Nothocker belegt ist, nach Neiva, wo wir noch einiges erledigen müssen, bevor der nächste Bus nach Bogota abfährt. Für den anschließenden Flug nach Cartagena online einchecken und die Tickets ausdrucken, ein Quartier buchen, weil wir erst um Mitternacht ankommen werden, eine Rindssuppe frühstücken, dreimal sechsundachtzig Euro Cash abheben, solche Sachen.
An Bord des fürwahr luxuriösen Überlandbusses werden wir und die anderen Passagiere noch vom Fahrer mit einer Handkamera gefilmt, ehe wir starten. Keine Ahnung, was das schon wieder soll, aber wurscht. Einen Film schaue ich mir in meiner Fadesse auf spanisch an, bevor wir am Nachmittag Bogota erreichen, wo so viel Verkehr herrscht, dass sogar die Mopedfahrer Probleme haben, weiterzukommen. Das Industrieviertel am Rand der Stadt ist noch so, wie man es sich vorstellt, der Rest Bogotas wirkt auf den ersten Blick aber ganz manierlich. Viel Grafitti zwar, aber meistens bemüht und schön anzusehen im Vergleich zu den überwiegend wertlosen Schmierereien, die Wien verschandeln. Wenig Müll und gestutzte Grünanlagen, nicht schlecht.
Erst bei näherem Hinsehen entdecke ich die Favelas auf den Hängen und traurige Verschläge entlang eines Kanals. Menschen hausen auch im niedrigen Bereich unter einer Brücke, da wo sie an ihrem
Ende noch über einen Hang reicht, um letztendlich wieder an die Fahrbahn anzuschließen. Ich rede von einer Raumhöhe von vielleicht einem Meter, sich auf null reduzierend, unter dem Verkehr der Stadt.
Diesmal schrammen wir den Moloch nur, geben uns ein Sandwich im Subway am Busbahnhof und gehen später noch zum Mäci am Flughafen. Wir lechzen nach Tagen voller Reis und Bohnen nach Fastfood aller Art.
Um Mitternacht checken wir endlich an der karibischen Küste ein. Weite Wege muß man in Kolumbien zurücklegen, wenn man die Gegend wechseln möchte. Die südliche Hälfte des Landes werden wir sowieso komplett auslassen.

Dienstag, 5. Februar 2019

4.2., Tatacoa

Noch vor Sonnenaufgang verlassen wir unser Zimmer, tatsächlich nicht viel mehr als vier Betonwände und ein Blechdach darüber, und gehen in die Wüste. Weit haben wir es nicht, wir sind eh schon mittendrin, umgeben von Bergen in alle Richtungen. Kakteen aller Art und Größe, sandiges oder felsiges Territorium, seltsame Formen, entstanden durch Wind und Wetter. Aber wohin sollen wir eigentlich genau? Plan von der Gegend haben wir keinen, verständigen mit den Einheimischen können wir uns nicht. Nur eine Schotterstraße mit unbekanntem Ziel führt an unserer Unterkunft vorbei. Dort labern wir in der Hoffnung nach erhellenden Informationen den erstbesten Passanten an, der sich zu früher Stunde blicken lässt.
Stellt sich heraus, dass das Augustina ist, eine argentinische Reisende, die für ein paar Tage gegen Kost und Logis als Mitarbeiterin einer Jugendherberge in Neiva tätig ist. Ab und zu muss sie bei dort gebuchten Touren in die Wüste als Übersetzerin herhalten und ist heute schon ein paar Stunden
früher gekommen, um in aller Ruhe den Sonnenaufgang genießen zu können. Tatsächlich ist sie also die einzige der englischen Sprache mächtige Person, die sich hier so einigermaßen auskennt, weswegen wir uns sogleich unverschämt an ihre Fersen heften.
Augustina reist mit erschreckend kleinem Budget, schläft ungeachtet der Skorpione und Schlangen schon auch einmal im Freien und ist seit Monaten hauptsächlich per Anhalter unterwegs. Bei Ebbe im Börserl bäckt sie Kekse und verkauft sie auf der Straße, um wieder zu Geld zu kommen. Jetzt geht sie mit uns zu einem ihrer Aussichtspunkte, sie liebt die Wüste und das zu Recht. Bunte Vögel suchen den Schatten unter knorrigen, schirmartigen Bäumchen, Geier und kleinere Greifer, Falken oder Bussarde vielleicht, halten Ausschau nach Hasen, die sich im dornigen Gestrüpp vor ihnen verstecken. Die Kakteen tragen rosa Blüten und kleine Früchte, die aussehen wie violette Chilis und schmecken wie die Drachenfrucht. Aus den Kakteen wird auch Wüstenalk gebraut und essen kann man sie auch, wenn man entsprechend Ahnung hat. Wenn nicht, beginnt man vielleicht zu halluzinieren, hält sich selbst für einen Kaktus und verharrt womöglich seltsam verrenkt unter der sengenden Sonne, bis man dringend aufs Klo muss oder von einem Hitzschlag erlöst wird. Bis zu fünfzig Grad kann es hier heiß werden, deswegen.
Früher waren die 370 Quadratkilometer der Tatacoa-Wüste von Wasser bedeckt und neben einem Schildkrötenfriedhof und anderen versteinerten Tierchen wurde das Fossil eines monströsen Armadillos, so groß wie ein Traktor, entdeckt und ist heute im nahen Museum zu bestaunen.
Die Strahlen der Sonne dringen nur vereinzelt durch den bewölkten Himmel, aber es ist trotzdem sehr heiß, obwohl es noch recht früh ist. Ein alter Mann nimmt uns ein paar Kilometer in seinem zerbeulten Jeep mit, er liefert Säcke mit selbst hergestelltem Eis in ein Hotel in der Nähe.
Inmitten von turmartigen Sandskulpturen steht ein paar hundert Meter weiter ein betonierter Swimmingpool, eine der Hauptattraktionen hier. Etwas grauslich allerdings. Wasser ist wenig überraschend rar und man behilft sich mit reichlich Chlor, um die Brühe vor dem Kollaps zu bewahren.
Heute leben in dieser Gegend noch an die fünfunddreißig untereinander zerstrittene Familien, die größtenteils von ihren Ziegen gelebt hatten, bis vor wenigen Jahren der Tourismus bei ihnen Einzug gehalten hat. Augustina erzählt von den Eigenheiten der Hiesigen, während wir an deren Höfen vorbei gehen. Eine Oma vertreibt Wanderer unter Androhung von Waffengewalt von
ihrem Grund und unsere Familie soll sich im Streitfall mit Steinen beschießen. Außerdem gibt sie noch ein paar gehörte Geistergeschichten zum Besten, der übliche Nonsens der einem einfällt, wenn man zu viel Zeit und zu wenig Obst zur Verfügung hat.
Wir frühstücken Eier, Bohnen und Reis, versteinerte Baumstämme liegen am Areal des Wirten verstreut, dann nimmt uns ein Urlauber aus Bogota auf der Ladefläche seines Geländebuggies zurück zu unserem Quartier mit. Kurz vor zwölf flüchten wir nach einem Glas Guavensaft mit Zuckerrohr vor der Hitze in unser Zimmer, wo zumindest die Sonne nicht hinkommt und ein Ventilator wartet. Der gesamte Strom der Gegend wird mittels Solarenergie gewonnen, wobei der Staat
die dazu notwendigen Anlagen bezahlt hat. Dafür möchte er auch ein Stück vom Kuchen. Bald wird hier für alle Wanderwege Eintritt verlangt werden, Zäune entlang der Straße werden gerade gebaut.
Am Nachmittag wandern wir durch einen anderen Teil der Tatacoa, durch die so genannte rote Wüste. In den Laberintos del Cusco, einer verwinkelten Felsenlandschaft, irren auch vier betrunkene Kanadier umher, Darwin lässt grüßen.
Nach dem Sonnenuntergang essen wir bei einem Wirten, der einen mumifizierten Ziegenschädel zur Straße hin hängen hat. Zur Nachspeise wird Karamell mit Ziegenmilch gereicht, die einen wilden Nachgeschmack hinterlässt. Stockfinster isses, als wir die einzige Straße entlang marschieren, wir trinken noch ein Bier mit einem Typen, der regelmäßig daheim in Wien bei meiner Homebase im siebzehnten Hieb vorbei joggt, so klein ist die Welt. Dann duschen wir uns mit stinkendem Wasser und packen, es ist wieder soweit.
3.2., von Salento in die Wüste Tatacoa

Salento schläft noch, als wir frühmorgens zum Busbahnhof latschen. Kühe traben durch die leeren Gassen und ein Rudel verspielter Hunde begleitet uns auf unserem Weg. Die nächste Stadt, in der wir umsteigen müssen, heißt Armenia und schaut auch so aus. Ein Typ mit einem Holzstecken geht vor einer roten Ampel um Autos herum, prüft mittels Schlägen gegen die Reifen den Luftdruck und hält dann für seine fragwürdigen Dienste die Hand auf. Uns verschlägt es auf der Suche nach einem
geeigneten Geldautomaten in einen Randbezirk, wo man unsere Anwesenheit verdattert, aber wohlwollend zur Kenntnis nimmt.
Das mit dem Geld abheben ist so eine Sache. Das übliche Maximum einer Behebung liegt bei umgerechnet 86 Euro und wir reisen mit nur einer Bankkarte. Selbst bei radikalökonomischem
Lebensstil müssen wir uns also unverhältnismäßig oft um neue Geldflüsse bemühen.
Zurück beim Bahnhof wieder zwei Typen mit gezückten Revolvern, die gerade einen Automaten auffüllen, ehe sie einzeln und rücklings ihren gepanzerten Transporter besteigen, da braucht man keinen Fernseher mehr. Dann endlich fährt unser Anschlussbus nach Neiva ab, nur um sich zehn Minuten später am Ende eines Staus einzuparken. Die nächsten Stunden kommen wir nur mit zermürbender Langsamkeit voran. Die Serpentinen die Berge hoch und wieder hinunter sind zu
eng, als dass zwei Sattelschlepper gleichzeitig um die Kurven kämen und deshalb stoppt Straßenpersonal abwechselnd den Gegenverkehr. So viel Schwerverkehr ist auf dieser Strecke unterwegs, es gibt wohl keine Alternative, und die liegengebliebenen Fahrzeuge tun noch das ihrige, um das Chaos perfekt zu machen.
Unser Fahrer befindet sich im Amok-Modus und versucht mit allen Mitteln, die verlorene Zeit wieder aufzuholen, und auch der Umstand, dass ihn ein Fahrgast gemeinsam mit dem Tachometer fotografiert, bringt ihn nur kurz zur Räson. In Neiva steigen wir in einen Pickup um und fahren noch ein Stündchen, bis wir nach Einbruch der Dämmerung in der Nähe eines Observatoriums, mitten im Nirgendwo, aus dem Auto hüpfen und glücklicherweise gleich ein winziges Zimmer in der einzigen Unterkunft in Reichweite bekommen.
Schnell die Rucksäcke einsperren und über die Straße zur kleinen Sternwarte, wo ein Professor täglich um 19.00 einen Vortrag hält, das geht sich auf die Minute aus. Wegen der trockenen und klaren Wetterbedingungen, der Nähe zum Äquator und nicht zuletzt der geringen Lichtverschmutzung bietet sich die Tatacoa-Wüste bestens an, die nördliche und südliche Hemisphäre gleichzeitig zu betrachten. Erstaunlicherweise warten mit uns an die siebzig Interessierte darauf, in die vier Teleskope schauen zu dürfen. Von überall her sind sie mit Tuk Tuks, Motorrädern und Autos herangekarrt worden und nach dem Ende der Veranstaltung zerstreuen sie sich rasch in alle Winde. Wir sehen irgendwelche Nebel und Himmelskörper, der Professor leuchtet mit einem starken Handlaser in den fulminanten Sternenhimmel, bestimmt Konstellationen und referiert über das Weltall an und für sich, während die Zuhörer am Boden liegen und nach oben blicken, und wenn wir nur ein bisschen von den in spanisch gehaltenen Erläuterungen verstanden hätten, wäre der
ganze Vortrag sicher noch lohnender gewesen.
Die Familie unserer Unterkunft spricht dafür kein Wort Englisch. Sie bietet zwar Verpflegung an, hat aber keine Speisekarte, und nach längerem hin und her schiebt man uns einen Teller mit Huhn und Reis hin und ein paar Biere dazu, wunderbar.
2.2., Salento

Umgeben von uralten Espressomaschinen, die aussehen wie mit Ventilen und Druckanzeigen ausgestattete Kompressoren, frühstücken wir das Übliche. Schwarzen Kaffee, Eier, gebratene Bananen, Reis und geschmacksneutrale Scheiben aus unbekanntem Material. Die Kolumbianer sind Meister solcher wertlosen Beilagen, wogegen sich zum Beispiel Tofu als exotische Geschmacksbombe ausnimmt.
Mit Abraham, einem kurzfristig angeworbenen Einheimischen, gehen wir nach erfolgter Stärkung zur nächstgelegenen Kaffeeplantage, wo er zur Erntezeit arbeitet, und lassen uns anschildern, wie man hier biologisch landwirtschaftet. Bananensträucher und Avocadobäume sorgen für Schatten und speichern Wasser, gedüngt wird mit Abfällen aus den Küchen umliegender Hotels und Hühnerkacke. Einmal im Jahr kommt ein staatlicher Wunderwuzzi und bestimmt mit einem Zaubergerät
das Alter der Sträuche, nach fünfundzwanzig Jahren muß eine Pflanze, obwohl in der Blüte ihrer Jahre, ersetzt werden, um den hohen Qualitätsansprüchen der Abnehmer gerecht zu werden. Trotzdem muß rund ein Drittel der Jahresernte als nahezu wertlos abgeschrieben werden. Aus diesen stark wasserhältigen Bohnen wird Löskaffee gemacht und deren Bezeichnung dient kolumbianischen Frauen als Schimpfwort für ihre nichtsnutzigen Männer.
Nach einer Verkostung der guten Ware in der Privatküche des vierundachtzigjährigen Besitzers Don Emilio hüpfen wir auf einen Jeep und fahren zurück nach Salento. Am Hauptplatz, auf dem neu aufgestellte Stände Obst, gebratene Forellen und Souvenirs verkaufen, tanzen Pärchen und Horden von Einheimischen flanieren herum und genießen das Wochenende. Ena bekommt ihre tägliche Ration Erdbeeren mit Creme, dann geht´s wieder ab in den großartigen Billardsaloon, wo Schnucki als einzige Frau unter gut vierzig Campesinos auch beim Karambol glänzt. Mit Louis und seiner Spanischlehrerin essen wir noch Forellen, ehe wir daheim zusammenpacken. Morgen fahren wir vom Hochland in die Wüste.
Auch nachts kommt Salento nicht zur Ruhe. Cowboys und -girls reiten unter unserem Fenster vorbei und aus Autos wummert Reggaeton.

Samstag, 2. Februar 2019

31.1., 1.2., Salento

Über gestern gibt´s nichts Spektakuläres zu berichten, wir haben uns einen Tag Auszeit vom Urlaub genehmigt. Das bedeutet aber nicht, daß wir uns kurzfristig als Kokabauern oder Kaffeepflücker verdingt hätten, sondern vielmehr, daß wir rein gar nichts gemacht haben, wofür wir ja gar nicht hätten wegfahren müssen, gell?
Heute sind wir freilich wieder voll im Geschäft und verrenken uns die Hälse im Valle de Cocora, um die höchsten Wachspalmen der Welt zu bestaunen. Ein offener Jeep setzt uns ein paar Kilometer außerhalb von Salento ab - ich korrigiere hiermit den Namen der vormals fälschlich als Solento bezeichneten Stadt, nachdem mich wütende Leserproteste nicht ausgelasteter, notorischer Nörgler erreicht haben - und gleich zu Beginn der Wanderung machen wir Halt bei einer Forellenzucht. Plastikeulen zur Abschreckung unbekannter Fressfeinde hocken über den betonierten Becken, auf den Bäumen ringsum warten Geier auf Abfälle oder die Möglichkeit zur Gratisentnahme von einem der tausenden Fische. Dann marschieren wir ein paar Stunden durch das stetig ansteigende Gelände, immer wieder einen Fluß mithilfe wackeliger Hängebrücken oder zusammengebundener Holzstämme querend, bis wir ein kleines Hummingbird Sanctuary erreichen. Dort brummen zahlreiche Kolibris durchs Geäst und tun sich unbeeindruckt an bereitgestelltem Zuckerwasser gütlich, während sie von uns fotografiert werden. Im Eintrittspreis von knapp zwei Euro ist ein Häferl Kaukau enthalten, der seltsamerweise mit einem Stück in ihm schwimmenden Käse serviert wird. Als kleinen Snack zwischendurch gönnen wir uns noch gebackene Kolibris, bevor wir weiterziehen. Schön dekoriert mit bunten Federn sind die Teller ja, aber richtig viel dran ist nicht an so einem kleinen Vogel.
Am Nachmittag, nach einem Marsch durch Grasland und dichten Nebelwald, erreichen wir endlich das Tal mit den Wachspalmen, fünfzig Meter hoch und bis vor wenigen Jahren noch beinhart gefällt, um das Wachs von ihrer Rinde zu ernten, aus dem wiederum Kerzen gemacht wurden, ehe das touristische Potential dieser etwas lächerlich wirkenden Bäume erkannt wurde. Louis, der wieder mit von der Partie ist, lässt seine Drohne steigen und macht coole Videos, ehe er das Ding wegen der Möglichkeit der Gefährdung oder Verärgerung etwaig vorbeifliegender Kondore wieder verstauen muss, wir haben den Aufpasser nicht wirklich verstanden. Leider lässt sich keiner dieser riesigen Vögel blicken, viele gibt´s auch nicht mehr. Zurück in Salento spielen wir am Abend ein paar Runden Tejo im gut besuchten Sportkeller mit sieben Bahnen. Mit einem muffinförmigen Eisengewicht schießt man dabei auf eine rund zehn Meter entfernte, schräge Lehmwand, in deren mittigem Eisenring sich kleine mit Schwarzpulver gefüllte Briefchen befinden. Die zu vergebende
Punkteanzahl ergibt sich durch eine Kombination aus gewerteter Treffsicherheit und womöglich erfolgten Explosionen, die mitunter recht heftig ausfallen können. Dann schreckt man sich und beißende Nebelschwaden ziehen durch den Keller. Und ja, das mit den Kolibris essen war ein Scherz.