Dienstag, 5. Februar 2019

4.2., Tatacoa

Noch vor Sonnenaufgang verlassen wir unser Zimmer, tatsächlich nicht viel mehr als vier Betonwände und ein Blechdach darüber, und gehen in die Wüste. Weit haben wir es nicht, wir sind eh schon mittendrin, umgeben von Bergen in alle Richtungen. Kakteen aller Art und Größe, sandiges oder felsiges Territorium, seltsame Formen, entstanden durch Wind und Wetter. Aber wohin sollen wir eigentlich genau? Plan von der Gegend haben wir keinen, verständigen mit den Einheimischen können wir uns nicht. Nur eine Schotterstraße mit unbekanntem Ziel führt an unserer Unterkunft vorbei. Dort labern wir in der Hoffnung nach erhellenden Informationen den erstbesten Passanten an, der sich zu früher Stunde blicken lässt.
Stellt sich heraus, dass das Augustina ist, eine argentinische Reisende, die für ein paar Tage gegen Kost und Logis als Mitarbeiterin einer Jugendherberge in Neiva tätig ist. Ab und zu muss sie bei dort gebuchten Touren in die Wüste als Übersetzerin herhalten und ist heute schon ein paar Stunden
früher gekommen, um in aller Ruhe den Sonnenaufgang genießen zu können. Tatsächlich ist sie also die einzige der englischen Sprache mächtige Person, die sich hier so einigermaßen auskennt, weswegen wir uns sogleich unverschämt an ihre Fersen heften.
Augustina reist mit erschreckend kleinem Budget, schläft ungeachtet der Skorpione und Schlangen schon auch einmal im Freien und ist seit Monaten hauptsächlich per Anhalter unterwegs. Bei Ebbe im Börserl bäckt sie Kekse und verkauft sie auf der Straße, um wieder zu Geld zu kommen. Jetzt geht sie mit uns zu einem ihrer Aussichtspunkte, sie liebt die Wüste und das zu Recht. Bunte Vögel suchen den Schatten unter knorrigen, schirmartigen Bäumchen, Geier und kleinere Greifer, Falken oder Bussarde vielleicht, halten Ausschau nach Hasen, die sich im dornigen Gestrüpp vor ihnen verstecken. Die Kakteen tragen rosa Blüten und kleine Früchte, die aussehen wie violette Chilis und schmecken wie die Drachenfrucht. Aus den Kakteen wird auch Wüstenalk gebraut und essen kann man sie auch, wenn man entsprechend Ahnung hat. Wenn nicht, beginnt man vielleicht zu halluzinieren, hält sich selbst für einen Kaktus und verharrt womöglich seltsam verrenkt unter der sengenden Sonne, bis man dringend aufs Klo muss oder von einem Hitzschlag erlöst wird. Bis zu fünfzig Grad kann es hier heiß werden, deswegen.
Früher waren die 370 Quadratkilometer der Tatacoa-Wüste von Wasser bedeckt und neben einem Schildkrötenfriedhof und anderen versteinerten Tierchen wurde das Fossil eines monströsen Armadillos, so groß wie ein Traktor, entdeckt und ist heute im nahen Museum zu bestaunen.
Die Strahlen der Sonne dringen nur vereinzelt durch den bewölkten Himmel, aber es ist trotzdem sehr heiß, obwohl es noch recht früh ist. Ein alter Mann nimmt uns ein paar Kilometer in seinem zerbeulten Jeep mit, er liefert Säcke mit selbst hergestelltem Eis in ein Hotel in der Nähe.
Inmitten von turmartigen Sandskulpturen steht ein paar hundert Meter weiter ein betonierter Swimmingpool, eine der Hauptattraktionen hier. Etwas grauslich allerdings. Wasser ist wenig überraschend rar und man behilft sich mit reichlich Chlor, um die Brühe vor dem Kollaps zu bewahren.
Heute leben in dieser Gegend noch an die fünfunddreißig untereinander zerstrittene Familien, die größtenteils von ihren Ziegen gelebt hatten, bis vor wenigen Jahren der Tourismus bei ihnen Einzug gehalten hat. Augustina erzählt von den Eigenheiten der Hiesigen, während wir an deren Höfen vorbei gehen. Eine Oma vertreibt Wanderer unter Androhung von Waffengewalt von
ihrem Grund und unsere Familie soll sich im Streitfall mit Steinen beschießen. Außerdem gibt sie noch ein paar gehörte Geistergeschichten zum Besten, der übliche Nonsens der einem einfällt, wenn man zu viel Zeit und zu wenig Obst zur Verfügung hat.
Wir frühstücken Eier, Bohnen und Reis, versteinerte Baumstämme liegen am Areal des Wirten verstreut, dann nimmt uns ein Urlauber aus Bogota auf der Ladefläche seines Geländebuggies zurück zu unserem Quartier mit. Kurz vor zwölf flüchten wir nach einem Glas Guavensaft mit Zuckerrohr vor der Hitze in unser Zimmer, wo zumindest die Sonne nicht hinkommt und ein Ventilator wartet. Der gesamte Strom der Gegend wird mittels Solarenergie gewonnen, wobei der Staat
die dazu notwendigen Anlagen bezahlt hat. Dafür möchte er auch ein Stück vom Kuchen. Bald wird hier für alle Wanderwege Eintritt verlangt werden, Zäune entlang der Straße werden gerade gebaut.
Am Nachmittag wandern wir durch einen anderen Teil der Tatacoa, durch die so genannte rote Wüste. In den Laberintos del Cusco, einer verwinkelten Felsenlandschaft, irren auch vier betrunkene Kanadier umher, Darwin lässt grüßen.
Nach dem Sonnenuntergang essen wir bei einem Wirten, der einen mumifizierten Ziegenschädel zur Straße hin hängen hat. Zur Nachspeise wird Karamell mit Ziegenmilch gereicht, die einen wilden Nachgeschmack hinterlässt. Stockfinster isses, als wir die einzige Straße entlang marschieren, wir trinken noch ein Bier mit einem Typen, der regelmäßig daheim in Wien bei meiner Homebase im siebzehnten Hieb vorbei joggt, so klein ist die Welt. Dann duschen wir uns mit stinkendem Wasser und packen, es ist wieder soweit.

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