Donnerstag, 23. März 2023

 22.3., von Ayvalik nach Kusadasi

Bevor ich dieses pittoreske Kaff verlasse, gebe ich mir noch die allerorts bejubelte Signature-Speise von Ayvalik, die sich in einem in Ketchup und Mayo ersäuften Toast mit allem erschöpft. Was an diesem gastronomische Kniefall legendär sein soll, könnte mir maximal jemand vom Schöpfwerk erklären. Jedenfalls erzählt mir der Wirt, er sei schon zweimal in Wien gewesen, wegen Rapid Wien. Das deswegen, weil er  einmal Trainer war. Nicht hier, sondern in Canakkale. Jaja, so gut verstehe ich schon Türkisch. Rapid Wien heißt nämlich auf Türkisch Rapid Wien und Trainer heißt Trainer, wobei die Betonung in der turkmanischen Version auf dem a liegt. Leider versteht mein Gegenüber Deutsch nicht so gut wie ich seine Sprache, er behirnt nichts von dem, was ich ihm erzähle. Größter Traveller aller Zeiten und so, ich blicke in leere Augen. 

Dann stelle ich mich ewig lange mit einem Zahnlosen hin und feilsche um den Preis von einer seiner Sonnenbrillen. Außer einer Gratis-Kronenzeitung-Sonnenbrille vom letzten Donauinselfest hat es aufgrund einer organisatorischen Fehlleistung nämlich kein verdunkelter Sehbehelf in meinen Rucksack geschafft, womit ich bei den stylischen Türken natürlich voll abstinke. Jedenfalls, irgendwie scheint der Schädel nicht zu verstehen, wie das mit dem Handeln so funktioniert, und nach zehn Minuten mit Scheinen wacheln, weggehen und wieder zurückkommen muss ich erst recht den von ihm ursprünglich veranschlagten Preis von umgerechnet fünf Euronen pecken.  

Der Außenspiegel  meiner Tschesn ist erstens eingeklappt und außerdem total abgeschert, weil ich sie in einem doch recht engen Gässchen mit erstaunlich regem Durchzugsverkehr geparkt hatte. Ok, ist so hinzunehmen. Ich liebe mein Auto, weil es mir total egal ist. Solange der Spiegel noch dran ist, könnte es mir wurschter nicht sein. 

Ab in den Süden, mitten durch die Viereinhalbmillionenstadt. Izmir izmir noch von früher unangenehm in Erinnerung. Vor gut fünfundzwanzig Jahren musste ich am hiesigen Zollgelände am Hafen eine Nacht am Dach meines LKW bötzen, und das kam so. Gemeinsam mit meinen zwei damaligen Kollegen, einem Schweden und einem Engländer, waren wir auf einer Fähre von Italien an einem Sonntag mit zwei Lastwägen in der Türkei angekommen, um im Auftrag einer großen deutschen Sportbude in Istanbul ein Street Soccer Turnier auszurichten. Die Frachtpapiere waren eigentlich in Ordnung, aber leider waren wir drei Bubis damals noch zu dumm, die Zöllner vorsorglich mit einer Kleinigkeit zu bestechen, woraufhin diese eine offizielle Einladung vonseiten der türkischen Niederlassung besagter Firma einforderten. Natürlich war das Büro erst Montags wieder besetzt, deswegen die unfreiwillige Nächtigung. Eine Musikantenpartie, die weiß Gott von wo kommend für einen Gig nach Äthiopien unterwegs war, musste den allmächtigen Grenzwächtern gar ein Set in der Abfertigungshalle vorspielen, um ihre Ausführungen zu untermauern. Als ich Tags darauf nach einer unruhigen Nacht so bei meinem LKW herumlungerte, kam ein grindiger Typ mit fetten Haaren und Jeansjacke angeschlurft und fragte mich, ob ich etwas zu rauchen hätte. Dann griff er in seine  Tasche, zauberte eine Polizeimarke hervor, hieß mich die Ladebordwand öffnen und schickte seinen Hund auf Drogensuche. Ja, auch sein verlauster Möter war ein hervorragend getarnter Undercover Agent. Aber das ist eine andere Geschichte.

Starkregen mit Blitz und Donner heute in Izmir, unter den Brücken schon kein Platz mehr für die Mopedfahrer. Rote Ampeln, die als sinnlos erachtet werden, werden kollektiv ignoriert, Stoßzeit ist. Rund um den Industriehafen stinkt es ordentlich. Konteyner, Sperrmüll und rauchende Schlote. Nur die Toten haben es schön hier, ihr von einem Pinienwald beschatteter Friedhof ist die wahre Insel der Seligen. 

Eine Pause in Foca, das durch eine Halbinsel mit antiker Festung darauf geteilt ist. Es gibt Guiness, Glühwein und Burger mit der seltsamen Aufforderung, selbige mit Brutality zu essen. Schwer touristisch hier, aber Bootstouren zu den Seehunden auf dem vorgelagerten Sirenenfelsen finden noch nicht statt. 

Ein Bett in einem eiskalten Zimmerchen finde ich in Kusadasi, Epizentrum des internationalen Massentourismus mit Schwerpunkt Alkohol. Ich gebe mich mit einem Fischbrötchen und einem Efes zufrieden und bibbere durch die Nacht.


Mittwoch, 22. März 2023

 21.3., von Canakkale nach Ayvalik

Just cruisin´, baby. Verwaiste Strände mit dem Schwemmgut eines Winters, aber keinen Muschelschalen. Nicht abgeräumte, mit einer dicken Staubschicht überzogene Tische, Griller mit Kohle im Becken vor ansonsten verrammelten Wirtshäusern zeugen von überstürztem Aufbruch nach Ende der letzten Saison. Ein paar Flamingos im Sumpf, ein paar vom Schicksal verdammte Kettenhunde neben der Straße. Ein pickiger Pistazienhonigkringel hier, ein Chai mit viel Zucker da. In Ayvalik verkaufen sie Muscheln mit Reis und frischer Zitrone drüber direkt in der Schale um umgerechnet zwanzig Cent das Stück, ein Traum.

Direkt an der Promenade haben Fischerboote angelegt und preisen den wartenden Hausfrauen ihren Fang an, leeren erst hier von Hand ihre Netze. Die schönsten Fische, leopardenartig gepunktet, haiartig mit seitlichen Flossen und natürlich schon lange erstickt, werden als Beifang achtlos zurück ins Meer geworfen. Hinter der Uferstraße ist die Stadt ein einziges Freilichtmuseum. Verfallene, teilweise gänzlich eingestürzte Häuser, Ruinen, auf denen große Hunde postieren. Schornsteine und Türstöcke als letzte intakte Überbleibsel. Vor rund hundert Jahren wurden im Zuge einer ethnischen Säuberung die hier ansässigen Griechen auf die benachbarten Inseln vertrieben und so blieb oft niemand, der sich gekümmert hätte.  

Ich sitze und trinke Bier und schaue. Katzen fressen unzählige blutigsilbern schimmernde Sardinenköpfe aus einem Teller am Kopfsteinpflaster. Kommt ein Zweirad die enge Gasse angeknattert, flüchten sie in alle Himmelsrichtungen, ein paar Sekunden später sind sie wieder da. So wie der Franzose sein Baguette, führt der Türke bevorzugt seine Gasflasche auf dem Moped spazieren. Die Musik und das Bier machen müde, irgendwann treibt mich der Hunger. 

Was gibt´s noch zu beißen, frage ich einen Wirten ohne Worte, nix mehr außer Kokorec, sagt er. Soll sein, her damit. Alsbald stellt er mir einen Teller hin mit eingedrehten Fleischschnüren und einem Klumpen weißem Fett in der Mitte. Was soll das sein? Warum konnte er keine gebratenen Melanzani übrig haben oder irgendetwas anderes normales? Weil es sonst nicht mehr übrig wäre, deswegen. Normales Fleisch ist das jedenfalls keines, sagt mir eine oberflächliche, unauffällige Autopsie. Spätere Recherchen werden ergeben, dass es sich um Lammdärme handelt. Eh klar, dass die niemand fressen wollte. Das Zeug ist so unglaublich fett, noch dazu mit dem Schmalzbatzen im Inneren der Rolle, daß ich mir in gutem Glauben Reis dazu bestelle. Leider schwimmt der dann auch in Öl, ja darf das wahr sein. Den ganzen Brotkorb muss ich in mich hineinstopfen, um dem ganzen Fett irgendwie Herr zu werden, dann mutiere ich cholesterinschwanger heim. 

Die freundliche Anfrage meiner Quartiergeberin nach meinem Wohlbefinden beantworte ich mit dem stöhnenden Halten meines gedehnten Wanstes, dann rolle ich die Treppen hoch in meine Kemenate und falle in sodbrennenden Schlaf.


Dienstag, 21. März 2023

 20.3., von Edirne nach Gallipoli

Weiter gen Süden, aber vorher noch Öl nachfüllen lassen. Das ganze Jahr über braucht die Krücke keinen Tropfen und jetzt wird sie inkontinent. Auch in der Türkei hat jede Zunft ihre eigene Ecke. Man sucht also ewig, bis sich die erste Werkstatt auftut, hat dann aber eine Straße lang die größte Auswahl. Noch gestaltet sich die pantomimische Darstellung der gewünschten Dienstleistung einfach. 

Für wen ist diese zweispurige Schnellstraße gebaut worden, auf der ich fast alleine nach Gallipoli cruise? Für die mit Karfiol beladenen Traktorengespanne am Seitenstreifen wohl kaum, für die hätte ein Feldweg gereicht. Nur Äcker, keine Siedlungen. Ein paar große, zugewachsene Bunker am Weg. Im Radio finden sich mehr griechische als türkische Sender. Auf der Halbinsel empfängt mich dann ein rotes Fahnenmeer sondergleichen und in einem großzügig ausgestatteten Museum folgt die Erklärung dafür. Gestern im Jahre 1915 wurde auf Gallipoli im Zuge des ersten Weltkrieges den Mächten Frankreich, England, Australien und Neuseeland eine gewaltige Niederlage zugefügt. Führer des osmanischen Heeres war damals kein Geringerer als der Gründer der heutigen Türkei, Kemal Atatürk. Dem erfolglosen Versuch, mit Schiffen die Dardanellen hochzufahren, folgte eine Invasion, im Laufe derer 130.000 Mann abgemartert wurden. Heute fahre ich durch ein gigantisches Schlachtfeld mit ausgehobenen Gräben, und später erbauten Denkmälern und angelegten Friedhöfen. Lone Pine zum Beispiel, zahllose Gräber australischer Gefallener rund um eine einsame Pinie auf einer Anhöhe mit Blick auf das Meer. Hier ist niemand. Erst drei Jahre später wurden die Soldaten einst von dort geborgen, wo sie gefallen waren, um hier begraben zu werden. 

Auch die Türken haben hier ihre Soldaten bestattet und GIGANTISCHE Denkmäler dazu errichtet. Mythen, Heldentum, Märtyrergeschichten. Kein Sprit mehr im Tank, die Sonne geht schon unter, mit einer kleinen Fähre setze ich über nach Canakkale aufs Festland. Alte Festungen an beiden Ufern zeugen von noch viel älteren Schlachten, die an dieser Meerenge von eineinhalb Kilometern schon gefochten wurden. An Bord spielt ein Bursche traditionelle Musik mit einer Laute und die Passagiere schnippen ihre Finger dazu, as türkisch as it gets.

Irgendein Hotel beziehen, in einem Teehaus gemeinsam mit alten Männern Tee um vier türkische Lira schlürfen. Auf der Strandpromenade steht die Originalrequisite des trojanischen Pferdes aus dem Brad Pitt-Film, Troja liegt ums Eck. Werde ich auslassen und Ephesos und Pergamon auch, alte Steine habe ich schon zuhauf gesehen.


Montag, 20. März 2023

19.3., Edirne

Am Frühstücksbuffet gammelt nur eine Sorte Chemiewurst vor sich hin, aber gegrillte Oliven gibt´s und Rosenmarmelade auch. So eine Rosenmarmelade schmeckt ja nicht so besonders, wenn man sie sich nur pur aufs Brot klatscht, aber mit etwas Butter und Schafkäse schmeckt sie erst so richtig übel. Wer frisst Rosenmarmelade? Floristen vielleicht nach dem Valentinstag, aber doch keine normalen Menschen. 

Verlasse ich mein Hotel, sehe ich gleich die gigantische Selimiye-Moschee ums Eck und als inoffizieller Kulturattaché der Donaurepublik komme ich nicht umhin, der Unesco-Hütte einen Besuch abzustatten. Kaum bin ich damit fertig, steht ums Eck von ihr eine weitere Moschee und dort ums Eck dann noch eine. Ich meine damit aber keine kleinen, schnell zusammengemauerten Pimperlbauten, sondern gewaltige, monumentale, kolossale  Zeugnisse der Allmacht Allahs, ihm zu Ehren erbaut im Laufe der letzten siebenhundert Jahre von seinen irdischen Dienern. Eine Kaserne hat auch noch Platz gefunden mittendrin, der Feind ist nur sieben Kilometer entfernt. Aber die ist eingewickelt in Stacheldraht und für Besucher nicht geöffnet. 

Für das dreitägige Ölwrestling-Festival  ist es leider noch zu früh. Erst im Juni ziehen sich mit Olivenöl eingeschmierte Männer bis auf die Unterhose aus, um sich im glitschigen Herumgeschubse zu messen.  Ansonsten gibt es In Edirne reichlich Sehenswürdigkeiten. Derwischhäuser und  Gebetsschulen, ein Scharia-Gericht, Kirchen und Synagogen. Am Hauptbahnhof hielt einst der Orient Express, ich exploriere Stunde um Stunde. Viele Hunde und Katzen streunen ebenfalls durch die Straßen, in denen noch das eine oder andere uralte Holzhaus steht, die Planken sind wellenförmig verzogen. Familien ohne Helme auf knatternden Mopeds. Männer begrüßen einander, indem sie sich mit der Stirn rechts und links einen sanften Headkick verabreichen. Haufen von Sonnenblumenkernen auf den Böden der Bushaltestellen. Türkische Fahnen überall. 

Abseits der Hauptstraßen ist in meinem Viertel alles sehr verwinkelt, im Gegensatz zur Altstadt, die seltsamerweise streng rasterförmig angelegt ist. Einmal falsch abgebogen, schon verirre ich mich. Auf der Meric-Brücke am südlichen Stadtrand stehend beobachte ich drei Burschen, wie sie mit einer Angelrute ein rund zwei Meter langes Netz weit zur Flussmitte hin auswerfen. Zuerst verheddern sich zwei Exemplare und dann gleich vier darin, ich packe es nicht! Sehr idyllisch ist es am Fluss leider nicht. Ein  Hochwasserschutz für die Stadt wird gerade gebaut und entsprechend schaut es aus. Außerdem haut jeder ungeniert seinen Dreck weg, was Pärchen und Familien nicht davon abhält, entlang des Ufers ein Sonntagspicknick abzuhalten. 

Abends diniere ich Linsensuppe und Kebab, dazu knabbere ich papierdünne getrocknete Paprika und schlürfe zwei Gläser Tee. Zwei Euro will der alte Wirt dafür, indisches Preisniveau! Nur ein linker Agent hätte für ein Glas Granatapfelsaft gerne hundert Lira, das wären wahnwitzige fünf Euronen. Die Saftnase beschmutzt das Gebot der türkischen Gastfreundschaft schamlos. Ich werde ihn Erdogans Geheimpolizei melden, falls diese nicht ohnehin schon mitliest und die Sache von sich aus erledigt.


Sonntag, 19. März 2023

 18.3., von Montana nach Edirne

Alles da, alles gut. Nach einem warmen Käsebörek und einem Glas Orangensaft, der nach guter alter Ostblocktradition nach aufgelöstem Isostar schmeckt, nötige ich die dicke Frau an der Rezeption zur tatkräftigen Mithilfe. Mir und ihr bleibt keine andere Wahl, sie ist zu dieser frühen Stunde die einzig anwesende Hotelmitarbeiterin. Beim Hochwuchten der Gartenkiste aufs Autodach grunzt sie und hält sich später das Handgelenk. Mit meinen letzten Kopeken kaufe ich meine Seele frei und suche das Weite. 

Menschen auf Pferdefuhrwerken, aus Natursteinen errichtete Mauern und ganze Häuser. Antike Plastikbushaltestellen, zugekleistert mit Todesanzeigen der letzten Dekaden, Geschäfte und Statuen aus der Zeit des eisernen Vorhanges. Irgendwo steht noch ein Flakgeschütz herum, einfach so. Nach einem Marmorsteinbruch stelle ich mich der ersten Polizeikontrolle im Niemandsland. Ein einsamer Bulle mit Betonschädel kann nicht viel mit mir anfangen und stoppt gleich das nächste Auto, einen zu Schanden gerittenen Golf mit der Silhouette einer Kalaschnikow an die Heckscheibe geklebt. 

An den Ufern der Flüsse, die ich passiere, stehen die Fischer aufgefädelt, vielleicht aus Spaß an der Freud, vielleicht aus existentieller Notwendigkeit. Alte Autobusse von Gräf und Stift fahren in den Straßen, die vor langer Zeit auch in Wien ihre Runden gedreht haben. 

Nach sieben Stunden erreiche ich den Grenzübergang in Lesovo, wo ich zur Kenntnis nehmen muss, dass der türkische Katastrophenschutz entgegen der Informationen der österreichischen Wirtschaftskammer keinen permanenten Stützpunkt eingerichtet hat. Also hundert Kilometer weiter gen Süden zum Grenzübergang Kapitan Andreewo-Kapıkule, berüchtigt wegen seiner permanenten Überlastung? Doch nicht, nach langem Hin und Her setzt man mir einen Zöllner auf den eilig frei geschaufelten Beifahrersitz. Er wird mit mir die vierzig Kilometer bis zum Hauptquartier der AFAD nach Edirne fahren und dort für eine ordnungsgemäße Übergabe der Güter sorgen. 

Deswegen mag ich die Türken. Das sind ehrenhafte, pflichtbewusste und herzliche Menschen, denen eine sinnvolle Lösung von Problemen ein echtes Anliegen ist. Als ich die Zwischenlagerung der Ware in irgendeinem Kammerl mit Verweis auf meine Freunde daheim, denen ich wegen der Spenden im Wort stünde, verweigerte, gab es nichts außer vollstes Verständnis und schließlich dieses großartige Entgegenkommen. 

Der Typ ist lässig und kann obendrein gut Englisch, war früher so wie ich in der damals größten Freilichtdiskothek Halikarnas in Bodrum und hat zu Tarkans Hit "Simarik" getanzt. Und sonst: Autos, Frauen, Fußball, das volle Smalltalk- Programm. In Edirne werden wir von zwei Offiziellen mit einer Tasse Tee empfangen, dann endlich wird das Auto restlos ausgeräumt. 

Dreißig Schlafsäcke, einundzwanzig Decken, sechzehn Jacken. Pullover, Hauben und Handschuhe. Unzählige Windeln, Damenhygieneartikel, Trockenmilch, Babynahrung, fünf Kartons Wundreinigungsmittel, zweitausend Gesichtsmasken und vieles, vieles mehr. Der Skoda und ich seufzen erleichtert. Leider wird im Eifer des Gefechts auch vor meinem Proviantsackerl und meinen Schuhen nicht zurückgeschreckt, was ich leider erst Stunden später bemerken werde. 

Den Zöllner fahre ich noch heim, der darf heute schon früher in den Feierabend, anschließend suche ich mir auch gleich eine Bleibe. Es ist schon recht spät, Edirne ist scheinbar auch ganz interessant und ohne Internetz und ohne Plan muss ich auch nicht mehr weiter. Das erste entdeckte Hotel ist ausgebucht, aber die Rezeptionistin stellt mir ein Zimmer bei der Konkurrenz auf und einer ihrer Mitarbeiter hüpft bei mir rein und zeigt mir den Weg. Wo sonst gibt es so etwas? Bis ich den Typen wieder abgeliefert und inoffiziell an einer Tankstelle Geld zu gutem Kurs gewechselt habe, ist es schon wieder finster. Eineinhalb Biere noch im Hotel Selimiye, dann fallen mir die Äuglein zu.


 17.3., von Szeged über Temeswar nach Montana

Da ist er wieder, dieser typisch ungarische Mief. Wie kein anderes Land weist Ungarn flächendeckend einen markanten und recht unangenehmen Geruch auf, der an Kleidung erinnert, die zu lange im Kasten war, dazu noch ein Hauch von Trabant und Großküche. Faszinierend und irgendwie grindig zugleich, anyway. Der Frühstücksraum meiner Pension ist großzügig geschmückt mit von der Decke hängenden Propellern und Flugzeugmodellen. In einem Glaskasten ausgestellt ist sogar eine Puppe im Kampfjet-Pilotenanzug samt Helm mit Sauerstoffzufuhr, uralt und vielleicht noch selbst gestrickt von der stolzen Gattin des Soldaten des Warschauer Pakts. Heute weht ein anderer Wind in Ungarn. Von der gegenwärtig grassierenden Orbanisierung merke ich aber nichts. Zahlungskräftig und -willig werde ich als edler Wilder in die ungarische Familie aufgenommen und mit Ersatzkaffee und scharfen Salamibroten gelabt, ehe ich bei morgendlichem Sonnenschein und eisigen Temperaturen nach Rumänien weiter ziehe. Äsbästäg rendörseg, in drei Wochen sehen wir uns wieder.

An der Grenze nur ein halbherziges "Wod thet?" des verschlafenen Zöllners mit Wink aufs Autodach, zu einer genaueren Inspektion der Ladung kann er sich erfreulicherweise nicht aufraffen. Knoblauchkränze und eingelegtes Gemüse stehen zum Verkauf auf Tischen entlang der Straße, in kleineren Ortschaften schauen mir die Leute nach. Wuchtige Kirchen dominieren die ärmlichen Dörfer, außerhalb verschandeln verwüstete Fabrikanlagen und Wasserspeicher auf hohen Säulen die Gegend. Auch Lidl, Ikea und Metro haben Einzug gehalten und leisten ihren Beitrag. 

Insgesamt wirkt Rumänien noch immer wie aus der Zeit gefallen und passt damit perfekt zum Song im Autoradio, the wind of change. Noch immer keine Berge weit und breit und im Gegensatz zu früher auch keine halbstündlichen Polizeikontrollen mehr. Vorbei die Zeiten, als man dann den viehischen Bullen kommentarlos zwei Packerl Marlboro durchs Autofenster reichte, um einer willkürlichen Bestrafung wofür auch immer zu entgehen, eine Stange Tschick war weg wie nix. Nur der Kieberer, der einst am Weg zum schwarzen Meer anstatt einer Radarpistole einen hundsgemeinen Fön in Händen hielt und unsere Fahrgemeinschaft grundlos der Raserei bezichtigte, war lediglich mit harter Westwährung zu beschwichtigen, aber das ist eine andere Geschichte. Meine im Handschuhfach gelagerten  Bestechungs-Red Bull schlürfe ich jedenfalls noch selbst. 

Der Sprit ist teuer! Wie soll sich der gemeine Rumäne das leisten können? Privatkonkurs nach einmal Volltanken. Nach zwei Stunden erreiche ich Temeswar, auch hier war ich schon vor rund fünfundzwanzig Jahren. War Temeswar 1884 immerhin die erste europäische Stadt, die nachts elektrisch beleuchtet wurde, habe ich sie seit meinem letzten Besuch auch nur als abgefuckten Ort ersten Ranges in Erinnerung. Die fehlenden Kanaldeckel und die aufgebogenen Straßenbahnschienen machten das Fahren bei Dunkelheit zu einem gemeingefährlichen Unterfangen. Heute wirkt Temeswar nicht mehr so kaputt, wenn auch nicht berauschend. Die Hilfsorganisation der Wahl finde ich rasch, lade im Innenhof eine der beiden Kisten mit Schlafsäcken, Jacken und Pullis ab und bekomme dafür von den freundlichen Mitarbeitern einen untrinkbaren Automatenkaffee und einen Platz an der Sonne zum kurzen Innehalten und Plaudern. Aber nicht für lange, ich muss noch nach Montana. Zwar nicht das in the U, S and A, aber bis zum bulgarischen Namensvetter sind es auch noch ein paar Kilometer. 

Dass man in Rumänien nicht bloß für die Autobahnen, sondern für alle Straßen außerhalb der Ortschaften eine Vignette kaufen muss, kapiere ich erst kurz vor Mittag. Links die Ausläufer der schneebedeckten Karpaten, schleiche ich eingequetscht zwischen Sattelschleppern gen Bukarest. Viele Hunde, lebende und tote, und sonstige, gänzlich zu Matsch zerfahrene Kreaturen auf der Fahrbahn. Eine Weile folge ich der Donau, die hier die Grenze zu Serbien definiert, ein wildes Eck. Einzelne Gräber unter Metallschirmchen inmitten von wilden Deponien und Autowracks, finstere Gestalten. Und dann ein unfassbarer, elf Kilometer langer Stau von hunderten von Sattelschleppern vor der nächsten Grenze. Dem wahnsinnigen Fahrer eines Kastenwagens folgend brettere ich links mit bis zu neunzig km/h an den Gestrandeten vorbei, bei Gegenverkehr zwicken wir uns rechts Reifen an Reifen rein, beschleunigen dann wieder bis zur nächsten Lichthupe. Anarchie oder Tod!

Die Grenzformalitäten sind dann abermals lächerlich und schon bald quere ich die Donau vom lastwagenbelagerten rumänischen Kaff Calafat über eine hochmoderne Brücke nach Widin in Bulgarien. Auch hier sieht´s grauslich aus, Müll überall und monströse, verwüstete Industrieanlagen. Auf einem Truck steht "Transport to the end of the world", weit kann er es nicht mehr haben. Später schleiche ich auf Kopfsteinpflaster durch abgelegene Bergdörfer, die oft nur auf den ersten Blick verlassen wirken. Von irgendwo her schlurfen dann Alte hervor und winken oder schauen nur stoisch. Die vor langer Zeit selbstgemachten Lehmziegel ihrer Häuser sind schon mit der inneren Holzkonstruktion der Wände freigelegt, windschief oder gänzlich eingefallen und zugewachsen sind die Behausungen, dass ich mich wundern muss, wie man hier überhaupt noch wohnen kann. Später wird die Landschaft makellos sauber und das Abendlicht legt sich über traumhaftes, hügeliges Land. Das Abenteuer ist nicht weit, wenn man  ins Navi einfach die kürzeste Strecke von A nach B unter Auslassung der Mautstraßen eingibt. Bei Einbruch der Nacht erreiche ich Montana. Hat irgendwie schön geklungen, ist aber eine Drecksstadt, eine der hässlichsten überhaupt. Stillgelegte, verrostete Fabriken mit kaputten Fenstern direkt im Zentrum, große fortlaufende Nummern auf den Plattenbauten wie auf Baracken in einem riesigen Straflager. Der zweite Grund meiner Buchung war der mir schriftlich zugesagte, bewachte Parkplatz inmitten der Hotelanlage. Nein, gibt´s keinen. Einfach so. Arschlöcher! Und schon zu spät, noch irgendwo anders unterzukommen. Also die große Box gemeinsam mit dem Barkeeper des Hotels runter vom Autodach und irgendwo im Keller verstauen, aber das Zeug im Wageninneren muss drinnen bleiben. Notdürftig breite ich die mittlerweile total zerfledderte  Plane über die Schätze und hoffe, dass mir des Nächtens niemand das Auto aufbricht.  


 16. 3., nach Szeged, Ungarn

Voll bepackt unterwegs mit dem erledigten Skoda-Häusl in die Türkei, der als Urlaub angelegte Road Trip wurde dank zahlreicher Spender kurzerhand mit einer Hilfslieferung für die Opfer des großen Erdbebens vor ein paar Wochen verbunden. Autobahnen sind erstens unsportlich und zweitens gebührenpflichtig, Bundesstraßen werden somit hinkünftig das Mittel der Wahl sein. Der Fahrtwind rüttelt beständig an der auch am Dach angebrachten Ladung und zwingt mich ohnehin zu bedachter Fahrweise. 

Recht fad isses in Ungarn. Flach geht´s dahin durch die Puszta Kilometer um Kilometer und finster wird´s schon kurz nach Sechs. Einzig das Glimmen der Herdfeuer hinter den Vorhängen erhellt dann die Nacht, wenn die ungarischen Hausfrauen noch eine Extraportion Paprika mit großen Salamis  in ihre Gulaschtöpfe einrühren. So oder zumindest so ähnlich muss es zugehen in den hiesigen Haushalten, glaubt man der modernen Völkerkunde. Fad und flach ja, doch Obacht vor den gemeingefährlichen Bahnübergängen. Hat man so wie ich die maximale Dachlast seines Fahrzeuges mittels zweier großer Gartenkisten darauf schamlos ausgereizt und überquert man die Geleise zu schnell, haut es einem schnell das Gepäck um die Ohren. 

Zu spät dran. Nur mehr die Hasen der Nacht und ich flitzen mittlerweile durch die Dunkelheit, die Rezeption meiner vorab gebuchten Unterkunft hat schon lange geschlossen. Er hinterlege mir den Schlüssel außerhalb der vier schützenden Mauern seines Quartiers, lässt mich der Wirt fernmündlich wissen, bei Problemen könne ich seine Schwester anrufen. Warum? Hat er Streit mit ihr? Hätte sie ein Ersatzbett für mich und gar eine Schüssel mit dampfendem Gulasch für einen einsamen Reisenden? Dieses Rätsel muss nicht gelöst werden, glücklich schließe ich zu später Stunde das große Tor der Pilota Panzio hinter mir zu.