17.3., von Szeged über Temeswar nach Montana
Da ist er wieder, dieser typisch ungarische Mief. Wie kein anderes Land weist Ungarn flächendeckend einen markanten und recht unangenehmen Geruch auf, der an Kleidung erinnert, die zu lange im Kasten war, dazu noch ein Hauch von Trabant und Großküche. Faszinierend und irgendwie grindig zugleich, anyway. Der Frühstücksraum meiner Pension ist großzügig geschmückt mit von der Decke hängenden Propellern und Flugzeugmodellen. In einem Glaskasten ausgestellt ist sogar eine Puppe im Kampfjet-Pilotenanzug samt Helm mit Sauerstoffzufuhr, uralt und vielleicht noch selbst gestrickt von der stolzen Gattin des Soldaten des Warschauer Pakts. Heute weht ein anderer Wind in Ungarn. Von der gegenwärtig grassierenden Orbanisierung merke ich aber nichts. Zahlungskräftig und -willig werde ich als edler Wilder in die ungarische Familie aufgenommen und mit Ersatzkaffee und scharfen Salamibroten gelabt, ehe ich bei morgendlichem Sonnenschein und eisigen Temperaturen nach Rumänien weiter ziehe. Äsbästäg rendörseg, in drei Wochen sehen wir uns wieder.
An der Grenze nur ein halbherziges "Wod thet?" des verschlafenen Zöllners mit Wink aufs Autodach, zu einer genaueren Inspektion der Ladung kann er sich erfreulicherweise nicht aufraffen. Knoblauchkränze und eingelegtes Gemüse stehen zum Verkauf auf Tischen entlang der Straße, in kleineren Ortschaften schauen mir die Leute nach. Wuchtige Kirchen dominieren die ärmlichen Dörfer, außerhalb verschandeln verwüstete Fabrikanlagen und Wasserspeicher auf hohen Säulen die Gegend. Auch Lidl, Ikea und Metro haben Einzug gehalten und leisten ihren Beitrag.
Insgesamt wirkt Rumänien noch immer wie aus der Zeit gefallen und passt damit perfekt zum Song im Autoradio, the wind of change. Noch immer keine Berge weit und breit und im Gegensatz zu früher auch keine halbstündlichen Polizeikontrollen mehr. Vorbei die Zeiten, als man dann den viehischen Bullen kommentarlos zwei Packerl Marlboro durchs Autofenster reichte, um einer willkürlichen Bestrafung wofür auch immer zu entgehen, eine Stange Tschick war weg wie nix. Nur der Kieberer, der einst am Weg zum schwarzen Meer anstatt einer Radarpistole einen hundsgemeinen Fön in Händen hielt und unsere Fahrgemeinschaft grundlos der Raserei bezichtigte, war lediglich mit harter Westwährung zu beschwichtigen, aber das ist eine andere Geschichte. Meine im Handschuhfach gelagerten Bestechungs-Red Bull schlürfe ich jedenfalls noch selbst.
Der Sprit ist teuer! Wie soll sich der gemeine Rumäne das leisten können? Privatkonkurs nach einmal Volltanken. Nach zwei Stunden erreiche ich Temeswar, auch hier war ich schon vor rund fünfundzwanzig Jahren. War Temeswar 1884 immerhin die erste europäische Stadt, die nachts elektrisch beleuchtet wurde, habe ich sie seit meinem letzten Besuch auch nur als abgefuckten Ort ersten Ranges in Erinnerung. Die fehlenden Kanaldeckel und die aufgebogenen Straßenbahnschienen machten das Fahren bei Dunkelheit zu einem gemeingefährlichen Unterfangen. Heute wirkt Temeswar nicht mehr so kaputt, wenn auch nicht berauschend. Die Hilfsorganisation der Wahl finde ich rasch, lade im Innenhof eine der beiden Kisten mit Schlafsäcken, Jacken und Pullis ab und bekomme dafür von den freundlichen Mitarbeitern einen untrinkbaren Automatenkaffee und einen Platz an der Sonne zum kurzen Innehalten und Plaudern. Aber nicht für lange, ich muss noch nach Montana. Zwar nicht das in the U, S and A, aber bis zum bulgarischen Namensvetter sind es auch noch ein paar Kilometer.
Dass man in Rumänien nicht bloß für die Autobahnen, sondern für alle Straßen außerhalb der Ortschaften eine Vignette kaufen muss, kapiere ich erst kurz vor Mittag. Links die Ausläufer der schneebedeckten Karpaten, schleiche ich eingequetscht zwischen Sattelschleppern gen Bukarest. Viele Hunde, lebende und tote, und sonstige, gänzlich zu Matsch zerfahrene Kreaturen auf der Fahrbahn. Eine Weile folge ich der Donau, die hier die Grenze zu Serbien definiert, ein wildes Eck. Einzelne Gräber unter Metallschirmchen inmitten von wilden Deponien und Autowracks, finstere Gestalten. Und dann ein unfassbarer, elf Kilometer langer Stau von hunderten von Sattelschleppern vor der nächsten Grenze. Dem wahnsinnigen Fahrer eines Kastenwagens folgend brettere ich links mit bis zu neunzig km/h an den Gestrandeten vorbei, bei Gegenverkehr zwicken wir uns rechts Reifen an Reifen rein, beschleunigen dann wieder bis zur nächsten Lichthupe. Anarchie oder Tod!
Die Grenzformalitäten sind dann abermals lächerlich und schon bald quere ich die Donau vom lastwagenbelagerten rumänischen Kaff Calafat über eine hochmoderne Brücke nach Widin in Bulgarien. Auch hier sieht´s grauslich aus, Müll überall und monströse, verwüstete Industrieanlagen. Auf einem Truck steht "Transport to the end of the world", weit kann er es nicht mehr haben. Später schleiche ich auf Kopfsteinpflaster durch abgelegene Bergdörfer, die oft nur auf den ersten Blick verlassen wirken. Von irgendwo her schlurfen dann Alte hervor und winken oder schauen nur stoisch. Die vor langer Zeit selbstgemachten Lehmziegel ihrer Häuser sind schon mit der inneren Holzkonstruktion der Wände freigelegt, windschief oder gänzlich eingefallen und zugewachsen sind die Behausungen, dass ich mich wundern muss, wie man hier überhaupt noch wohnen kann. Später wird die Landschaft makellos sauber und das Abendlicht legt sich über traumhaftes, hügeliges Land. Das Abenteuer ist nicht weit, wenn man ins Navi einfach die kürzeste Strecke von A nach B unter Auslassung der Mautstraßen eingibt. Bei Einbruch der Nacht erreiche ich Montana. Hat irgendwie schön geklungen, ist aber eine Drecksstadt, eine der hässlichsten überhaupt. Stillgelegte, verrostete Fabriken mit kaputten Fenstern direkt im Zentrum, große fortlaufende Nummern auf den Plattenbauten wie auf Baracken in einem riesigen Straflager. Der zweite Grund meiner Buchung war der mir schriftlich zugesagte, bewachte Parkplatz inmitten der Hotelanlage. Nein, gibt´s keinen. Einfach so. Arschlöcher! Und schon zu spät, noch irgendwo anders unterzukommen. Also die große Box gemeinsam mit dem Barkeeper des Hotels runter vom Autodach und irgendwo im Keller verstauen, aber das Zeug im Wageninneren muss drinnen bleiben. Notdürftig breite ich die mittlerweile total zerfledderte Plane über die Schätze und hoffe, dass mir des Nächtens niemand das Auto aufbricht.
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