Mittwoch, 22. März 2023

 21.3., von Canakkale nach Ayvalik

Just cruisin´, baby. Verwaiste Strände mit dem Schwemmgut eines Winters, aber keinen Muschelschalen. Nicht abgeräumte, mit einer dicken Staubschicht überzogene Tische, Griller mit Kohle im Becken vor ansonsten verrammelten Wirtshäusern zeugen von überstürztem Aufbruch nach Ende der letzten Saison. Ein paar Flamingos im Sumpf, ein paar vom Schicksal verdammte Kettenhunde neben der Straße. Ein pickiger Pistazienhonigkringel hier, ein Chai mit viel Zucker da. In Ayvalik verkaufen sie Muscheln mit Reis und frischer Zitrone drüber direkt in der Schale um umgerechnet zwanzig Cent das Stück, ein Traum.

Direkt an der Promenade haben Fischerboote angelegt und preisen den wartenden Hausfrauen ihren Fang an, leeren erst hier von Hand ihre Netze. Die schönsten Fische, leopardenartig gepunktet, haiartig mit seitlichen Flossen und natürlich schon lange erstickt, werden als Beifang achtlos zurück ins Meer geworfen. Hinter der Uferstraße ist die Stadt ein einziges Freilichtmuseum. Verfallene, teilweise gänzlich eingestürzte Häuser, Ruinen, auf denen große Hunde postieren. Schornsteine und Türstöcke als letzte intakte Überbleibsel. Vor rund hundert Jahren wurden im Zuge einer ethnischen Säuberung die hier ansässigen Griechen auf die benachbarten Inseln vertrieben und so blieb oft niemand, der sich gekümmert hätte.  

Ich sitze und trinke Bier und schaue. Katzen fressen unzählige blutigsilbern schimmernde Sardinenköpfe aus einem Teller am Kopfsteinpflaster. Kommt ein Zweirad die enge Gasse angeknattert, flüchten sie in alle Himmelsrichtungen, ein paar Sekunden später sind sie wieder da. So wie der Franzose sein Baguette, führt der Türke bevorzugt seine Gasflasche auf dem Moped spazieren. Die Musik und das Bier machen müde, irgendwann treibt mich der Hunger. 

Was gibt´s noch zu beißen, frage ich einen Wirten ohne Worte, nix mehr außer Kokorec, sagt er. Soll sein, her damit. Alsbald stellt er mir einen Teller hin mit eingedrehten Fleischschnüren und einem Klumpen weißem Fett in der Mitte. Was soll das sein? Warum konnte er keine gebratenen Melanzani übrig haben oder irgendetwas anderes normales? Weil es sonst nicht mehr übrig wäre, deswegen. Normales Fleisch ist das jedenfalls keines, sagt mir eine oberflächliche, unauffällige Autopsie. Spätere Recherchen werden ergeben, dass es sich um Lammdärme handelt. Eh klar, dass die niemand fressen wollte. Das Zeug ist so unglaublich fett, noch dazu mit dem Schmalzbatzen im Inneren der Rolle, daß ich mir in gutem Glauben Reis dazu bestelle. Leider schwimmt der dann auch in Öl, ja darf das wahr sein. Den ganzen Brotkorb muss ich in mich hineinstopfen, um dem ganzen Fett irgendwie Herr zu werden, dann mutiere ich cholesterinschwanger heim. 

Die freundliche Anfrage meiner Quartiergeberin nach meinem Wohlbefinden beantworte ich mit dem stöhnenden Halten meines gedehnten Wanstes, dann rolle ich die Treppen hoch in meine Kemenate und falle in sodbrennenden Schlaf.


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