Sonntag, 19. März 2023

 18.3., von Montana nach Edirne

Alles da, alles gut. Nach einem warmen Käsebörek und einem Glas Orangensaft, der nach guter alter Ostblocktradition nach aufgelöstem Isostar schmeckt, nötige ich die dicke Frau an der Rezeption zur tatkräftigen Mithilfe. Mir und ihr bleibt keine andere Wahl, sie ist zu dieser frühen Stunde die einzig anwesende Hotelmitarbeiterin. Beim Hochwuchten der Gartenkiste aufs Autodach grunzt sie und hält sich später das Handgelenk. Mit meinen letzten Kopeken kaufe ich meine Seele frei und suche das Weite. 

Menschen auf Pferdefuhrwerken, aus Natursteinen errichtete Mauern und ganze Häuser. Antike Plastikbushaltestellen, zugekleistert mit Todesanzeigen der letzten Dekaden, Geschäfte und Statuen aus der Zeit des eisernen Vorhanges. Irgendwo steht noch ein Flakgeschütz herum, einfach so. Nach einem Marmorsteinbruch stelle ich mich der ersten Polizeikontrolle im Niemandsland. Ein einsamer Bulle mit Betonschädel kann nicht viel mit mir anfangen und stoppt gleich das nächste Auto, einen zu Schanden gerittenen Golf mit der Silhouette einer Kalaschnikow an die Heckscheibe geklebt. 

An den Ufern der Flüsse, die ich passiere, stehen die Fischer aufgefädelt, vielleicht aus Spaß an der Freud, vielleicht aus existentieller Notwendigkeit. Alte Autobusse von Gräf und Stift fahren in den Straßen, die vor langer Zeit auch in Wien ihre Runden gedreht haben. 

Nach sieben Stunden erreiche ich den Grenzübergang in Lesovo, wo ich zur Kenntnis nehmen muss, dass der türkische Katastrophenschutz entgegen der Informationen der österreichischen Wirtschaftskammer keinen permanenten Stützpunkt eingerichtet hat. Also hundert Kilometer weiter gen Süden zum Grenzübergang Kapitan Andreewo-Kapıkule, berüchtigt wegen seiner permanenten Überlastung? Doch nicht, nach langem Hin und Her setzt man mir einen Zöllner auf den eilig frei geschaufelten Beifahrersitz. Er wird mit mir die vierzig Kilometer bis zum Hauptquartier der AFAD nach Edirne fahren und dort für eine ordnungsgemäße Übergabe der Güter sorgen. 

Deswegen mag ich die Türken. Das sind ehrenhafte, pflichtbewusste und herzliche Menschen, denen eine sinnvolle Lösung von Problemen ein echtes Anliegen ist. Als ich die Zwischenlagerung der Ware in irgendeinem Kammerl mit Verweis auf meine Freunde daheim, denen ich wegen der Spenden im Wort stünde, verweigerte, gab es nichts außer vollstes Verständnis und schließlich dieses großartige Entgegenkommen. 

Der Typ ist lässig und kann obendrein gut Englisch, war früher so wie ich in der damals größten Freilichtdiskothek Halikarnas in Bodrum und hat zu Tarkans Hit "Simarik" getanzt. Und sonst: Autos, Frauen, Fußball, das volle Smalltalk- Programm. In Edirne werden wir von zwei Offiziellen mit einer Tasse Tee empfangen, dann endlich wird das Auto restlos ausgeräumt. 

Dreißig Schlafsäcke, einundzwanzig Decken, sechzehn Jacken. Pullover, Hauben und Handschuhe. Unzählige Windeln, Damenhygieneartikel, Trockenmilch, Babynahrung, fünf Kartons Wundreinigungsmittel, zweitausend Gesichtsmasken und vieles, vieles mehr. Der Skoda und ich seufzen erleichtert. Leider wird im Eifer des Gefechts auch vor meinem Proviantsackerl und meinen Schuhen nicht zurückgeschreckt, was ich leider erst Stunden später bemerken werde. 

Den Zöllner fahre ich noch heim, der darf heute schon früher in den Feierabend, anschließend suche ich mir auch gleich eine Bleibe. Es ist schon recht spät, Edirne ist scheinbar auch ganz interessant und ohne Internetz und ohne Plan muss ich auch nicht mehr weiter. Das erste entdeckte Hotel ist ausgebucht, aber die Rezeptionistin stellt mir ein Zimmer bei der Konkurrenz auf und einer ihrer Mitarbeiter hüpft bei mir rein und zeigt mir den Weg. Wo sonst gibt es so etwas? Bis ich den Typen wieder abgeliefert und inoffiziell an einer Tankstelle Geld zu gutem Kurs gewechselt habe, ist es schon wieder finster. Eineinhalb Biere noch im Hotel Selimiye, dann fallen mir die Äuglein zu.


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