Montag, 31. Januar 2022

 30.1., Foz do Iguazu

Zombie-Apokalypse oder vielleicht verschärfter Lockdown, mir erzählt ja hier niemand etwas. Vormittags um Zehn stehe ich an den Kreuzungen der Stadt, schaue in alle Himmelsrichtungen und sehe keine Menschenseele. Niemanden! Hier wohnen 300.000 Einwohner. Den Bus versäume ich knapp, also gehe ich wieder heim, bis der nächste in eineinhalb Stunden kommt.  

Beim zweitgrößten Staukraftwerk der Welt hocke ich dann alleine im Doppeldeckerbus. Ein ganzer Bus, ein Fahrer und ein Typ am Mikrofon nur für mich. Bei den einzelnen Stationen meint er, ich solle mich einfach umsehen, so lange es mir Spaß macht. Das Kraftwerk ist monströs und überwältigend. Der Baupartner Paraguay deckt damit drei Viertel des nationalen Strombedarfs, Brasilien immerhin fünfzehn Prozent. Die Staumauer, die Turbinen, die Überlaufrutschen sind gigantisch. Ruinen von Eisfabriken unterhalb der Mauer, damit damals der Beton beim Aushärten nicht zu warm wurde, damit sich keine Blasen bilden konnten. 40 000 Hackler fünfzehn Jahre lang im Einsatz, für hundertfünfzig von ihnen war es die letzte Baustelle.  Sogar die Fischrinnen des Stausees sind überdimensional, die werden auch als Austragungsort für Kajakmeisterschaften und dergleichen verwendet. 

Beim Besucherzentrum gibt´s ein "Totem", da könne man mit einem der Arbeiter in Verbindung treten und mehr über die damaligen Bedingungen erfahren. Ich hocke mich vor den Kasten und am Monitor erscheint ein Typ zur Befragung, aber in Echtzeit, nicht aufgezeichnet. Oh, nix verstehen. Hasta pronto! 

Zusammenfassend jedenfalls spektakulär. Nur den Capybaras, den größten Nagetieren der Welt mit bis zu achtzig Kilo Körpergewicht, ist das alles egal. Die lungern unterhalb der gezähmten Kubikkilometer Wasser herum und nagen sich ungerührt durch den Tag.

Samstag, 29. Januar 2022

 29.1., Foz do Iguazu

A thrilling Tour durch den Urwald, eine Bootsfahrt auf dem Iguassu-Fluss und umwerfende(!) Duschen unter versteckten Wasserfällen versprach das Flugblatt, da konnte ich nicht widerstehen. Außer mir nehmen noch dreizehn andere Adrenalinjunkies teil, sogar ein israelischer Tourist hat seinen Weg hierher gefunden. Nach ausgedehnten Vorbereitungshandlungen aller Beteiligten gehen wir zehn Minuten durch den Wald, sehen zwei kleinere Löcher von irgendwelchen Nagern im Boden und jeder bekommt ein Blatt zu essen. It´s like beef, meint einer der Guides, aber zumindest vom Geschmack her erinnert das Blatt eher an ein Blatt. Dann legen wir Schwimmwesten an und paddeln den sehr breiten, sehr ruhigen Fluss nicht mehr als fünfhundert Meter stromabwärts, um von dort erneut rund zehn Minuten durch den Wald zu gehen. Und schon sind wir schon am Ziel angekommen, einem sanften, schmalen Zufluss, in dem sich auf drei Stufen mit jeweils rund eineinhalb Metern Höhenunterschied ein paar hüfthohe Pools gebildet haben. Da legen wir uns hinein und wer will, wandert während des halbstündigen Aufenthaltes etwas nach oben. Anschließend begeben wir uns auf gleichem Wege zurück zum Ausgangspunkt und die unvergessliche Tour ist beendet. Der Höhepunkt der Veranstaltung ist ein zufälliger. Ein junger Mann erleidet im letzten Waldstück, es geht leicht bergauf, einen Schwächeanfall und liegt weiß wie die Wand im roten Gatsch des Weges. Das ist lustig, sorry. Seine Freundin wachelt ihm Luft zu und ein Mitarbeiter schüttet ihm Wasser über den Kopf, dann geht´s wieder. Allen hat das wilde Abenteuer sehr gut gefallen.

Eigentlich bliebe noch Zeit für den nahen Vogelpark, aber der wurde vor zwei Monaten seiner Hauptattraktion beraubt. 172 von 176 anwesenden Flamingos starben, als damals Mama Jaguar ihrem Kind zeigte, wie man Beute erlegt. Aktiv gekillt wurden nur zwei Exemplare, ergab die anschließende Autopsie, der Rest erlag dem Stress.  „Capture Myopathie“ nennt die Fachfrau diesen Zustand, bei dem  Herzversagen, gestörte Durchblutung und Leberversagen zum Tod durch Angst führen. Ein kleiner Exkurs: Flamingos reproduzieren sich nur, wenn deren Schwarm groß genug ist. Um den Insassen des Vogelparks diesen Zustand zu suggerieren, wurden großflächig Spiegel montiert. Als die zwei Jaguare das Areal unbefugt betraten und mit der Jagd begannen, wurden sie durch die Spiegel ebenfalls vervielfacht und der Herzkasperl hatte angesichts der vermeintlichen Blutorgie leichtes Spiel.

Nichts zu machen in Foz do Iguazu. Die zwei Buchhandlungen, die ich mir in Erwartung weiterer, ewig langer Busfahrten rausgesucht habe, entpuppen sich als Läden mit rein evangelikalem Textgut. Leere Kilometer. Die Stadt befindet sich heute überhaupt im Koma und schon bald folge ich ihrem Vorbild. Brasilianische Zahnstocher sind übrigens einseitig mit Minzextrakt versetzt, sollte sich jemand gefragt haben. 


Freitag, 28. Januar 2022

 28.1., Ciudad del Este

Über die Puente de la Amistad, die Brücke der Freundschaft, ist Foz do Iguazu mit der Stadt Ciudad del Este in Paraguay verbunden, die schaue ich mir heute an. Natürlich staut es sich an der Grenze gewaltig. Die Fahrer in ihren alten, oft sehr lässigen Trucks schlürfen entspannt ihren blubbernden Mate und geben keinen Zentimeter nach. Ich selbst nehme an einer besseren Heizdeckenfahrt zu den billigen Einkaufszentren direkt hinter der Grenze teil, die auf Wunsch mit einer Stadtbesichtigung kombiniert werden kann. Tatsächlich wäre das einzige, das ich gerade gut gebrauchen könnte, eine Heizdecke. Die Klimaanlage läuft schon wieder auf Anschlag. Wie ein seltenes Tier werde ich auf einem Parkplatz an einen anderen Fahrer übergeben, este amigo só fala inglês, haha, der andere gibt sich erstaunt und fast bestürzt. Mit El Silbo, der spanischen Pfeifsprache, hätte er wohl mehr anfangen können. 

Ciudad del Este, immerhin die zweitgrößte Stadt Paraguays mit rund 300.000 Bewohnern, wurde erst 1957 gegründet, mit Ausgrabungen ist nicht zu rechnen. Zu sehen gibt es neben vielen armen Menschen zum Beispiel das Estadio Antonio Aranda, wobei die österreichische Baupolizei dieses fünfzigjährige Stadion wohl nicht einmal für ein Geisterspiel freigeben würde. Des weiteren die einzige Moschee des Landes, weil hier viele Moslems aus dem Libanon leben, und die Saltos del Monday, schon wieder grandiose Wasserfälle etwas außerhalb. Ein Freiluft- Gottesdienst wird gerade vor dieser herrlichen Kulisse abgehalten, da kann die Moschee nicht mithalten. Diese Wertung bezieht sich nicht auf die angebeteten Götter, ich möchte keine Fatwa riskieren. Am Parkplatz steht derweilen das Auto mit laufendem Motor, so wie den restlichen Tag hindurch. 

Zu einer Weinverkostung wird ebenfalls geladen. Schon am gekonnten Gurgeln des Rebensaftes erkennen die andern Amateure mein Fachwissen. Die Expertise im Detail: Textur und Farbe sind in der Ordnung, artgerechter Anbau, transatlantische Hanglage. Für weitere Erkenntnisse reicht das ausgegebene Schlückchen nicht. Dazu wird Aufschnitt gereicht, wahrscheinlich Ozelot- oder Nasenbärenwurst, im Abgang etwas nussig und zartbitter.

Abends erhöhe ich beim Eckwirten auf ein Prato Executivo, bestehend aus Reis, schwarzem Bohnengatsch, gekochten Erdäpfeln, zwei Eiern, einem Stück Schwein und roten Rüben, dazu ein großes Bier. Das Litergebinde wird im Plastikkühlgehäuse serviert, ich kann mir in Ruhe die erste Halbzeit vom Kick Kolumbien gegen Peru dazu anschauen. Ziemlich peinlich, was die verhinderten Laienschauspieler da abziehen, vom inbrünstigen Mitheulen der Hymnen bis zum empörten Sterben des Heldentodes beim kleinsten Scheiß. Das beeindruckt wohl den Schiri und das Publikum, aber mit Nahaufnahme und Zeitlupe ist das Getue einfach nur lächerlich. Wo, außer vielleicht beim Wrestling, wird mehr reingefetzt als beim Fußball. 


Donnerstag, 27. Januar 2022

 27.1., Foz do Iguazu

Dreimal mehr Wasserdurchlauf als die Niagarafälle haben die Cataratas do Iguacu, dafür sind sie im Vergleich zu ihrem nordamerikanischen Pendant kostenpflichtig. Meinetwegen, aber dass man den Eintritt nur mittels Kreditkarte löhnen kann, ist frech. Seids wo angrennt, ihr Plastikidioten? Nur Bares ist Wahres! Das Besucherzentrum ist ausgerichtet für eine mittlere Völkerwanderung. Man kann gefakte Fotos mit sich und den Fällen machen lassen, Hubschrauber anmieten und Bootstouren buchen, aber Barzahlung überfordert das System. Ein Mitarbeiter brennt die Gebühr letztlich mit seiner Karte und ich ihn in Cash mit unverschämtem Analogaufschlag, dann bekomme ich endlich mein Ticket. Das macht sogleich ein Typ mit seiner Desinfektionsflasche unkenntlich, weil er den billigen Zettel förmlich mit dem Mittel tränkt, was für ein Zirkus. 

Die Wasserfälle sind überwältigend. Es sind eigentlich an die dreihundert auf einer Länge von knapp drei Kilometern und einige sind über achtzig Meter hoch. Ein Pfad führt über die gesamte Strecke und in der Gruppe meiner Busladung ist ein Typ, der sich sicher hundertmal mit dem Wasser fotografieren lässt, immer auf Rapper mit beidhändig drei ausgestreckten Fingern, wie wenn Strache drei Bier bestellt. Obwohl dieser Vergleich jetzt hinkt, wo sich doch HC, im höchstpersönlichen Endkampf mittellos geworden, gar keine drei Biere mehr leisten kann. Auch sein Mini-me im Geiste, Herbert Lord Helmchen Kickl scheidet als Vergleich aus. Als Entwurmter könnte er sich zwar bedenkenlos ein Glas Stutenmilch verabreichen, aber der Zutritt zur Gastro bleibt ihm verwehrt. Er hätte auch gar keine Freunde, die ihm bei den drei Bieren helfen könnten, und in Anbetracht seiner schmächtigen Statur würde diese Menge an nach deutschem Reinheitsgebot Gezapftem wohl seinen Führerqualitäten abträglich sein. Jetzt bin ich etwas abgeschweift. 

Das Hauptwasserfallsystem, der Teufelsschlund, ergießt sich jedenfalls in eine u-förmige, 150 Meter breite und 700 Meter lange Schlucht. Dorthin führt ein Steg und die starke Gischtbildung ist herrlich. Binnen Minuten bin ich waschelnass, es muss schon wieder über vierzig Grad in der Sonne haben. Am Weg zurück wandert noch eine Familie von Nasenbären im Gänsemarsch über den Weg, entzückend.


 26.1., Foz do Iguazu

Vom Busbahnhof latsche ich gesteinigt zuerst drei, vier Kilometer ins Zentrum der Stadt und dann noch ein Stückchen weiter bis zum Rio Parana, weil die Gegend dort zumindest auf der Karte einen grüneren Eindruck macht, bin ich plötzlich völlig unbeabsichtigt am Ende Brasiliens angekommen. Kein Witz, der Fluss bildet die Grenze zu Paraguay im Westen und ein paar Kilometer weiter südlich beginnt schon Argentinien! Ich bin eigentlich nur wegen der gleichnamigen Wasserfälle hier, aber bitte. Schon wieder im Dreiländereck. Hundert Meter vor der Staatsgrenze checke ich ins erstbeste Hostel, das mir unterkommt, ein. Ob es hier zu späterer Stunde eh sicher sei, frage ich die Rezeptionistin, ja ja, völlig ungefährlich. Ob ich auch die paar Meter runter zum Fluss gehen könne und von dort rüber nach Paraguay schauen? Auf keinen Fall. Schmuggler, Trafficers, würden dort all sorts of crimes begehen. Na schön, wenn sich das Verbrechen so genau abgrenzen lässt, bleibe ich halt oberhalb der Böschung. 

Meine Unterkunft ist ein Glücksgriff, obwohl ich den kleinen Pool im Innenhof vorsorglich boykottieren werde. Laut einer Studie, die irgendwie den Weg zu mir gefunden hat, kommen nämlich mehr als vierzig Prozent der Brasilienreisenden mit einer Hautkrankheit nach Hause, woran die Brühe in diesem Becken sicher ihren kleinen Anteil hat. Aber sonst- vom Feinsten. Klima, Fenster im ersten Stock auf die ruhige Gasse raus, Obst und kalte Getränke. Ich buche gleich für fünf Nächte und schaue mir meine neue Ecke an. Die Demarkationslinie zwischen Gut und Böse ist einfach auszumachen. Ab da, wo der Asphalt in Kopfsteinpflaster übergeht, wird´s scheinbar entrisch. Bis zur ersten größeren Straße ist es so leise, daß man die Elektrozäune der Grundstücke knistern hören kann. Ganz gediegen eigentlich, sieht man von den Schmierereien ab, die Bolsonaro Genozid vorwerfen, was seinen Umgang mit den Ureinwohnern angeht. Das einzige, womit Foz do Iguazu heute noch überraschen kann, ist seine internationale Küche. Im Restaurant Tirol könnte ich mir ein Gorgonzolaschnitzel gönnen, die österreichische Spezialität schlechthin, aber ich hau mich lieber aufs Ohr. 


Mittwoch, 26. Januar 2022

 25.1., am Weg nach Foz do Iguacu 

Brasilien ist ein weites Land. Die ersten sieben Stunden von der Ostküste zurück nach Sao Paulo sind schon lähmend, inmitten einer monströsen Blechkolonne stauen wir uns im Schritttempo rein in den Moloch, aber die anschließende achtzehnstündige Fahrt mit dem Nachtbus nach Foz do Iguazu, die ich nach drei Stunden Warterei am Busterminal antrete, kann man getrost auslassen. Ja, ich hätte fliegen können, wenn sich die Homepage des nationalen Anbieters übersetzen hätte lassen und ich im Besitz einer brasilianischen Identifikationsnummer wäre. Egal, ich fühle mich ohnehin etwas unpässlich. Für viel mehr, als im Bus herumzukugeln und darauf zu warten, dass die Zeit vergeht, fehlt mir heute der Pep. Stundenlang habe ich gestern noch recherchiert, ob es nicht doch einen lohnenden Zwischenstopp irgendwo entlang der tausend Kilometer Wegstrecke gibt, aber nein. Nur Gegend, Grasland, Äcker sehe ich, während mein umgänglicher Sitznachbar unentwegt eine noch nie gehörte Kreolsprache, einen Mix aus Spanisch und Englisch in seine zwei Telefone spricht, da helfen die Vorhänge zwischen den einzelnen Sitzen wenig. Die Nacht wird lange. Im Sitzen schlafen zu können ist mir nicht gegeben. Den Netzeintrag von 2016, man möge besagten Nachtbus aufgrund vermehrter Überfälle im großen Stil meiden, werde ich glücklicherweise erst morgen lesen.


 24.1., Paraty

Auto stoppen in Brasilien funktioniert nicht. Entweder haben die hier ein anderes Zeichen dafür als den rausgestreckten Daumen, oder sie wollen einfach nicht. Vielleicht würde eine Rasur helfen und die frische Wäsche muss auch erst noch trocknen. Eine Stunde schleppe ich mich von der Peripherie ins historische Stadtzentrum Paratys, dereinst im 16. Jahrhundert von den Portugiesen gegründet, um von hier gefladertes Gold ins Heimatland zu verschiffen. Mit diesem Move erspare ich mir übrigens den ewiglangen Trip in den Norden nach Salvador und Recife, ebenfalls gehypte Kolonialstädtchen mit Architektur des 16. und 17. Jahrhunderts. Na gut, Salvador ist darüber hinaus noch Wiege des Capoeira, einer Mischung aus Tanz und Kampfsport und somit unserem Linkswalzer oder dem Pogo vergleichbar, aber davon kann sich der Gast von heute ja auch nichts kaufen.

Bis 1954 war Paraty nur vom Meer aus zu erreichen und vom höher gelegenen Forte Defensor Perpetuo, das ich mir auch noch pflichtschuldigst antue, verteidigt. Von dort sieht man hunderte kleine Inseln am Horizont. Man möge sich in Acht nehmen, verkündet ein großes Schild im Fort, es gäbe hier einen high Index of Accidents with Oysters. Ich habe keine Ahnung, was das bedeuten könnte. Jedenfalls gibt es in Paraty die schlechtesten Straßen, die man sich nur vorstellen kann mit ihren irgendwie eingegrabenen, unförmigen Steinen, so dass man am besten stehen bleibt, möchte man sich genauer umsehen, sonst ist der Haxen schnell gebrochen. In dieser Hochburg des  Tourismus mit unzähligen Boutiquen und Restaurants in der Altstadt finde ich endlich einem Geldwechsler mit skandalösem Kurs, der am Tag drei Stunden geöffnet hat. Keine Bank, nicht einmal die staatliche Banca do Brasil, wollte meine Euros wechseln, weswegen der Typ heute mit mir das Geschäft seines Lebens macht. Die Hitze der Stadt ist im Sommer brutal. Mit dem Mototaxi heim und ab unter die Klimaanlage.