22.12., Wadi Rum
Die einschlägigen Tourenanbieter müssen wir heute enttäuschen, wir machen uns auf eigene Faust auf zur Wadi Rum, der bekanntesten und spektakulärsten Wüste Jordaniens.
Eine Stunde ist Ena die Sensation des Tages in einem gänzlich von Männern mit schwarzen Lederjacken und Schlapfen besetzten Minibus, etwas mühsam. Unabsehbare Warterei auf etwaige Laufkundschaft noch am Stadtrand bei Dudelmusik, dann starten wir endlich gen Norden.
Geröll und Sand, soweit das Auge reicht, und das sind viele Kilometer. Ein paar Büsche vielleicht, aber kein Baum, kein Gras. Jordanien ist zumindest hier nicht mehr als ein gigantischer Haufen Felsen. Am Checkpoint kontrolliert ein Militarist den Bus, während wir draußen warten müssen. Rauchender Schwerverkehr im Schritttempo auf der rechten Climbing Lane, in der Rinne zwischen den Richtungsfahrbahnen liegt im Laufe der Jahre angefallener Müll, vorwiegend kaputte Reifen.
Direkt am Desert Highway wechseln wir in ein unglaublich erledigtes Fahrzeug eines prekärbezahnten Beduinen, so wie man ihn sich vorstellt. Klein und runzelig, rotkariertes Tuch mit einem Schnürl am Kopf, weiße Bartstoppeln. Sein abgefucktes und mit speckigen Decken ausgelegtes Gefährt lässt er über einen kleinen Abhang anrollen, der Starter wird wohl kaputt sein, dann gurken wir durch die staubige Gegend. Eine Dampflok wie frisch aus dem Museum passieren wir, die Waggons aus Holz mit grün abblätternder Farbe, dann erreichen wir die eigentliche Wüste.
Ein Quartier brauchen wir noch und jemanden, der uns durch den roten Sand führt. Im Netz werden Zeltplätze schon um einen Euro angeboten, was natürlich Bullshit ist. Kostet dann halt der Transport dorthin das Zehnfache vom üblichen Preis, erfährt man am Ende. Alles undurchschaubar, wie üblich. Gleich von der Straße weg lassen wir uns von einem Typen Unterkunft und Ausflug andrehen, was von der Touristenpolizei im Besucherzentrum gar nicht gerne gesehen wird. Aber unser Mann Achmet ist in Ordnung, wie sich herausstellen wird. Auf der Ladefläche seines Pickups bestaunen wir schon bald die weitläufige Szenerie, während er wie auf Watte durch den tiefen Sand der unbefestigten Pisten gleitet.
Dieses Wadi erlangte bescheidene Berühmtheit durch Lawrence of Arabia, einem reichen englischen Schnösel, der sich hier vor rund hundert Jahren mit Tom Turban gemein machte und im Zuge einer arabischen Revolte gemeinsam mit seinen hiesigen Homies die Osmanen zurück gen Norden scheuchte. Von der englischen Presse wurde er zum Messias der arabischen Sache hochstilisiert, hier kannte und kennt ihn fast niemand. However, jedenfalls bettete er hier sein Haupt auf eine verlauste Ziegenhaardecke, bevor er Aqaba stürmte, und verfasste im Zuge dessen poetische Lobpreisungen an diese heiße Ecke.
Lange davor wuchsen hier Weingärten und Olivenhaine, dann schlug der Klimawandel zu. Außer ein paar Vögeln ist kein Getier auszumachen, obwohl es Schakale, Wölfe, Füchse und Vipern geben soll. Geschichten aus tausend und einer Nacht. Unlängst ausgewilderte Oryx-Antilopen sind verdurstet oder haben sich nach Saudi Arabien abgesetzt.
Breite Täler, flach wie Seen und umgeben von bizarren Felsformationen aus Sandstein, ziehen sich hundert Kilometer von Norden nach Süden. 5000 Beduinen leben noch in ihr, wobei die meisten ihr Zelt schon gegen ein Häuschen getauscht haben. Im kleinen Dorf gibt´s eine Schule und die Homebase der Desert Patrol, die früher auf Kamelen gegen aufständische Stämme vorging. Heute wirbeln sie in verbeulten Autos Sand auf und lauern auf Schmuggler aus Saudi Arabien oder retten versprengte Japaner.
Wir klettern zu einer mitten im Geröllhang versteckten Quelle, wobei es sich Ena auch diesmal nicht hat nehmen lassen, ihre behinderte Handtasche mitzunehmen. Die schleift sie jetzt durch den Dreck, während sie über die Felsen klettert, und erinnert dabei an ein in der Wüste verirrtes It-Girl. Jedenfalls ermöglichte dieser sprudelnde Quell schon einst T.S. Elliot seine Katzenwäsche, heute tränkt ihr mittels Schläuchen abgezapftes Wasser die Kamele der Umgebung, die rülpsend und grölend die gemauerten Becken in der Ebene belagern. Mehr als ein Liter pro Minute fließt da nicht, dürfte aber reichen für Mensch und Tier.
Der Guide ortet Seelenverwandtschaft und als Scheiwi von Jordanien schreite ich fortan mit einem Beduinennamen bedacht durch die Landschaft. Nach Inspektion einer monströsen Düne klettern wir durch einen schmalen Spalt, der sich rund hundert Meter durch einen Felsen schlängelt. Links und rechts wurden von irgendwelchen Neandertalern vor Jahrmillionen Zeichnungen und Symbole in die Wände geritzt, heute zieren auch Schmierereien zeitgenössischer Idioten diesen verwunschenen Ort. Abbildungen von Nutztieren, Männern und Frauen, so wie sie Kinder zeichnen würden, die Strichfrauen mitunter auf zwei Felsen stehend gebärend, so wie das Unterfangen in dieser Gegend auch heute noch praktiziert wird. Frau lässt der Natur und der Schwerkraft freien Lauf, Zuseher und Geburtshelfer müssen sich nicht bücken, um nahe am Geschehen zu sein, und irgendwer fängt hoffentlich das Baby auf.
Über natürliche Felsenbrücken und Bögen balancieren wir, ein Nomade zeigt mir eine uralte Flinte aus dem Jahre 1875. Schaut aus wie selbstgebastelt, ist unglaublich schwer und klein, und das Kaliber würde wohl ein Kamel atomisieren, hätte der stolze Besitzer auch noch die nötige Munition. Nach dem Sonnenuntergang machen wir es uns bei Tee gemütlich und Guide Achmet erzählt. Vier Frauen hätte er gerne, momentan muß er aber mit einer Vorlieb nehmen. Schenkt man einer etwas, muß man auch den anderen etwas Vergleichbares zukommen lassen. Gleiches gilt für Unterkunft, Verpflegung, Ausflüge etc. Sonst kommt das Nudelholz von allen vier Himmelsrichtungen, wobei der Kenner anmerken könnte, daß Beduinen gar keine Nudeln essen. Ob das auch umgekehrt möglich sei, fragt Ena nach, sie hätte auch die finanziellen Mittel? Schade, leider nein. So ein Lebensstil würde der weiblichen Gesundheit schaden. Der Wüstensohn selbst wirkt auch nicht mehr ganz taufrisch, obwohl er erst 31 Jahre alt ist, er dürfte voll und ganz mit seiner einen Gattin ausgelastet sein. Neun Brüder hat er und fünf Schwestern, wurde im Zelt geboren.
Daß bei Kamelrennen mittlerweile kleine Roboter statt Jockeys zum Einsatz kommen, wie man Kamelfleisch jahrelang haltbar macht, sollte das Viech die Erwartungen nicht erfüllen und vieles mehr erfahren wir. Später wird vor dem Zelt Sand weggeschaufelt, ein Tuch und ein Deckel haben das sich darunter befindliche Gargut vor Verschmutzung geschützt. Alles, was das Herz begehrt, wird aufgewartet, dann ziehen wir uns bestens geschützt vor Skorpionen und Kamelspinnen, die angeblich ganze Echsen, Ratten und Vögel verspeisen können, in unser luxuriöses Zelt zurück. Nach Art der Beduinen waschen wir uns nicht. Verfliester Boden, innen mit Decken ausgeschlagen, sogar ein Gasofen brennt. Zusätzlich warten drei dicke Plastikdecken auf ihren Einsatz, die so schwer sind, daß man sich darunter fast nicht mehr rühren kann. Gegen die zwei, drei Grad Außentemperatur helfen sie ausgezeichnet.