Freitag, 31. Januar 2025

 31.1., Jambiani

Bevor ich mich gen Norden absetze, zeigt mir Uwe noch sein Haus beziehungsweise zukünftiges Seminargelände. Das von einer hohen Mauer umgebene Areal direkt am Meer ist sicher so groß wie zwei Fußballfelder. Da stehen großzügige Pagoden mit Mosaikböden, Pools, leerstehende Häuser, Gemüsegärten, Ziegen-, Hühner-, und Hasenställe, Obstbäume, die schon erwähnte Madenfabrik, eine Obsttrocknungsanlage, ein Freilufttheater und ein Koiteich. Am Gelände lässt er die für den Ausbau notwendigen Ziegel gleich selbst produzieren und auch Steine schneiden, er hat eine Tischlerei und Unterkünfte für zwanzig oder so Arbeiter und einen großen Haufen Schwemmholz, das er regelmäßig einsammeln lässt. In einer Ecke liegen Tonnen von Baustahl aus dem Iran, aus Dubai erwartet er Stoff und Moskitonetze. Am Berg, dort wo der Brunnen für die künstliche Bewässerung liegt, steht noch ein riesiges Haus. Die zwei Fischerboote, die draußen vor Anker liegen, gehören auch ihm, natürlich mit Personal. 

Wenn er von seinen Plänen spricht, wird mir schwindlig, er könne hier immer gute Leute gebrauchen. Und vorne unter einem Baum liegt seit zwei Monaten seine Frau begraben, dort saß sie immer und sah aufs Meer. Das Leben kann sehr hart sein. 

Gegenüber von sehr verwahrlosten, vierstöckigen Plattenbauten im DDR-Stil erstehe ich bei einem Greißler aus einem Kanister drei Liter Sprit zum Wucherpreis, damit fahre ich nach Jambiani und beziehe ein entzückendes Zimmerchen im Vanilla House direkt am Strand.

Mehrere Erkenntnisse beim Strandspaziergang nach Paje. Erstens, dass hier nur Touristen und Massai mit Schnickschnack für sie herumlaufen, zweitens, dass ich keine Kondi mehr habe und schon nach kurzer Zeit voll erledigt bin, und drittens, dass es Dinge gibt, die ich mir nicht erklären kann. Ein Einbaum mit Ausleger, der nur einem Insulaner gehören kann, trägt den Namen Homeboy Lewandowski. Nach den Strapazen des Tages gönne ich mir gutes Essen. Die Wirtschaft lockt mit einem bestechenden Slogan, eat Chicken, make friends.

Donnerstag, 30. Januar 2025

 30.1., Makunduchi

Bei Ebbe ernten Frauen in brütender Hitze Seegras im knöcheltiefen Wasser, viele von ihnen. Bunte Tücher, leuchtend türkises Wasser, weißer Sand. Stille, nur ich knattere hier herum und im Wind rascheln die Palmen. Never give up! lautet das Motto einer Tischlerei am Weg nach Jambiani, wo es auch ein Muslim friendly Hotel gibt, wovon aber bei einem Bevölkerungsanteil von über neunzig Prozent ohnehin auszugehen sein sollte.

Upsi, nichts ahnend bin ich in die erste Touristenhochburg meiner diesjährigen Exploration gestolpert. Muzungus in Massage-, und Beautysalons, Banken, einer German Bakery oder einer Pizzeria, wo auf der Karte eine Adolf Hitler Pizza irritiert, sogar italienisches Eis gibt es. Und so wird es wohl die nächsten Tage bleiben, während ich der Ostküste bis zur großen Chwaka Bay folgen werde, da kann man nix machen. 

Im Vanilla House direkt am Meer reserviere ich mir ab morgen für zwei Tage ein Zimmer. Auf der schattigen, super gemütlichen Terrasse sitzt ein alter, ebenfalls hier gastierender Norweger, der sich mit dem Haus-Massai fließend auf Swahili unterhält, das hat Potential für ein paar gute Geschichten. 

An der einzigen Tankstelle in näherer Umgebung stauen sich dann an die dreißig Autos und Mopeds, Sprit is aus! Bei mir schaut´s auch schon sehr traurig aus im Tank, als letzte Reserve bleibt noch ein halber Liter in einer Colaflasche. Ich hoffe auf Reserven in Makunduchi. 

Am Weg dorthin besuche ich die Kumbi Höhle, in der scheinbar schon vor 30.000 Jahren ein paar innerhalb ihrer bescheidenen intellektuellen Grenzen schlaue Steinzeithomos den kühlen Schatten ihrer Bleibe genossen, während draußen die Dinosaurier wüteten. Auch chinesische Münzen aus dem vierzehnten Jahrhundert wurden gefunden, worauf sich aber niemand einen Reim machen kann.  Zurück auf der Piste sticht mir noch eine Travel Agency namens Tuff Gong ins Auge, klingt wie bei den Simpsons. Theoretisch gäbe es mehrere interessante Kulturprogramme zur Auswahl. Eine Dorf-, oder Algenfarmbesichtigung oder eine Strandwanderung, aber außer mir interessiert sich momentan niemand dafür. Lange Gesichter bei den zwei Typen, als ich ihnen mitteile, warum ich mich auch für einen Kochkurs interessieren würde, meine Frau könne nämlich nicht kochen und ich wäre verpflegungstechnisch auf mich alleine gestellt. 


Mittwoch, 29. Januar 2025

 29.1., Kizimkazi, Makunduchi

Auf, auf zum nächsten Schnorcheltrip. Zwei Spanier und ich werden vom Käptn durch eine enge Furt übers felsige, vorgelagerte Plateau manövriert, wir im Boot sitzend und er zu Fuß. Ringsum wandern Menschen auf der Jagd nach gestrandeten Kreaturen umher, haben Einbäume oder Netze im Schlepp. In diesem etwas erhöhten Bereich ist das Wasser aufgrund der Ebbe bereits abgeflossen. Ein großer fliegender Fisch muss daran glauben, er flattert wie ein Vogel, als er mit einem Staberl aufgespießt wird. Zweihundert Meter vom Ufer entfernt überwinden wir eine Riffkante, dann ist der Weg frei und wir tuckern zu einer Insel. Neben uns hat ein Boot mit gehisster Piratenflagge das gleiche Ziel.

Später unter Wasser nichts, weswegen mein guter alter Forscherkollege Jaques Cousteau in seinen Taucheranzug gemacht hätte, aber soll sein. Zumindest ein paar Fische inmitten teilweise noch lebender Korallen. Dann beschnorcheln wir noch einen Abhang mit gelbschwarzen Seesternen, wo mich eine Qualle ordentlich in der Armbeuge erwischt. 

Nachmittags ziehe ich weiter gen Westen und besichtige einen nichtssagenden, eckigen Leuchtturm und schaue den Burschen beim abendlichen Kick am Strand zu, bevor ich im Edeletablissement einchecke. Ein Pool vor der Hütte, eine Bar, eine Aussichtsplattform, Bedienstete scharwenzeln herum und Uwe erzählt. Vor drei Jahren ist er mit seiner Frau hauptsächlich wegen der Coronalüge nach Sansibar ausgewandert, vorher hat er Demos und dergleichen organisiert und wurde zunehmend angefeindet. Sie ist vor zwei Monaten gestorben, wahrscheinlich an Krebs. Ein Großteil der jetzigen Gäste sind Gesinnungsgenossen. Gefälschte Statistiken, Übersterblichkeit erst, seit es die Impfung gibt, Zensur, staatliche Repressionen. Er hat dreißig Angestellte, das Resort, in dem ich residiere, ist teilweise dreistöckig. Zusätzlich lässt er gerade ein Seminarzentrum bauen, hat eine Option auf weitere 35 Gebäude, erwartet zwei Frachtcontainer aus Singapur mit Solarpaneelen und einem Quad, züchtet Maden im großen Stil für seine Hühner, beschäftigt Gärtner, Manager, Buchhalter uvm. Ich höre hauptsächlich zu, ohne meinen Senf dazu zu geben und irgendwann gehe ich schlafen. Vorher kommt noch einer und richtet mir das Moskitonetz und vernebelt die Bude, Wahnsinn. Regen und Stromausfall während der Nacht. Ein Blitz ist zuvor mit metallischem Tuscher irgendwo in der Nähe eingeschlagen. Kein Ventilator, kein Lüftchen. Die Hitze ist fast nicht auszuhalten.


Dienstag, 28. Januar 2025

 28.1., Kizimkazi

Local Breakfast hat sein Für und Wider. Einerseits unterstützt man das hiesige Kleingewerbe, hat Promistatus und atmet den Hauch des Authentischen, andererseits ist die Auswahl dürftig. Noch nie sah zum Beispiel Gemüse das Innere meines heute gewählten Verschlages, die Insulaner kauen lediglich trockene Chapatis und schlürfen Ingwertee dazu. Auf Nachfrage bekomme ich ein Omelett und einen kleinen Fisch zur Flade, aber die Mission für heute lautet, Zwiebel, Tomaten und dergleichen auf Vorrat einzukaufen und fortan der Kochmama für raffiniertere Gerichte bereitzustellen. 

Am Strand bin ich wie immer das Opfer meiner guten Manieren, lasse mich von jedem Dahergelaufenen zutexten und verlasse den Schauplatz behangen mit Armbändern, befüllt mit Kokosnüssen und unter Eid zugesagten Transaktionen zu meinem Nachteil. Fast alle kennen mich schon von gestern, letzter Woche oder letztem Monat und in Anbetracht meiner schlechten Erinnerung muss ich ihnen wohl glauben.

Da ich dieses Kaff morgen hinter mir lassen möchte, kommt mir mittags in den Sinn, ich könnte meine nächste Destination hinsichtlich einer Unterkunft ja schon einmal auskundschaften, damit ich mir die Sucherei nach einem Quartier mit Kampfgepäck morgen erspare, Makunduchi ist ja nur fünfzehn Kilometer entfernt. Leider entscheide ich mich für einen strichliert eingezeichneten Weg entlang der Küste anstatt der asphaltierten Straße weiter nördlich und schon nach wenigen Minuten rinnt mir buchstäblich der Schweiß aus dem Helm, bei den bereitgestellten Eierschalen geht das. Blanker, löchriger, scharfkantiger Fels wechselt sich ab mit tiefem Sand, einmal verreckt das Moped und springt ewig nicht mehr an. Doch halt, auch ich lerne dazu. Nach einer halben Stunde mache ich kehrt und nehme die bedienerfreundlichere Alternativroute, was mich im Nachhinein ziemlich stolz macht. 

Viele Sterne in Makunduchi, aber nicht am Himmel. Unter zweihundert Juros die Nacht ist nichts aufzutreiben. Am Weg zurück komme ich im Hinterland noch an einem kleinen Boutique Hotel vorbei, Betreiber ist Hugo aus Rostock, der sich gerade mit dem Bürgermeister unterhält. Dem wächst seitlich irgendein gutmütiges Geschwür und niedrigen Blutdruck hat er auch, er geht von Fluch und Hexerei aus. Hugo rät ihm zu salziger Suppe am Morgen und mit der Wucherung solle er sich anfreunden. Eigentlich hält er hier Seminare für Ärzte, es geht um Umarmungen und überhaupt viel Körperlichkeit, erzählt er mir, nachdem der Bürgermeister gegangen ist, der Arzt müsse zu in erster Linie Freund sein. Das würde auch ihn langfristig glücklich machen. Dann spricht er lange über alternative Kulturen, Sichtweisen und Ansätze. Meine mit gänzlich unpassender Verve vorgetragene Meinung, Homöopathie sei nur etwas für Trotteln, weil wissenschaftlich belegt rein physikalisch absurd, Ayurveda sowieso Mumpitz und TCM nicht mehr als Folklore, haut ihn um und er spricht sich beinahe in Rage, bis wir irgendwie die Kurve bekommen und das Thema wechseln. Jedenfalls darf ich für zwei Nächte in einen seiner affengeilen Bungalows einziehen und das zum absoluten Sparfuchspreis. Vielleicht braucht er mich als schlechtes Beispiel für die zahlreich anwesenden Ärzte, als verkommenes Faktotum der Schulmedizin.

An der Bundesstraße hält mich später eine Kreatur in grüner Uniform auf, eher Militarist als Bulle. Ein bisschen Small Talk, dann sagt er, ich könne fahren und dann noch: Do you have something for me on the way? Mehr als ein wirsches No! fällt mir auf die Schnelle nicht ein und ich mache mich zügig vom Acker, hoffentlich treffen wir einander nicht wieder. Abends muss ich wieder zum Strandwirten Bier saufen, weil bei mir das Internet noch immer nicht funktioniert, alles nur für euch.


 27.1., von Fumba nach Kizimkazi

Ich träume, ich muss eine schriftliche Arbeit über Nachtmärkte schreiben, und das in einem Institut in Thailand. Ich bin schlecht vorbereitet wie immer, nichts fällt mir ein dazu. Ein Thai steckt mir netterweise eine auch nicht sehr gelungene Skizze von einem Standl zu, die gebe ich zusammen mit ein bisschen Geld in einen Umschlag, 

Dann wache und breche ich auf, in Fumba gibt es nichts mehr zu sehen oder zu tun für mich. Zieglereien, Schlossereien, Tischlereien haben ihre Erzeugnisse direkt an der Straße stehen, Militärbasen mit bewaffneten Hoschis in der näheren Umgebung, ab und an ein prächtiger, dickstämmiger Baobab und immer wieder kaputte Kühlschränke als Sitzgelegenheiten.

Es herrscht kein gesteigertes Interesse an Stefsechef, mit Ausnahme der Kinder ignoriert man mich. Auf meinem Weg nach Kizimkazi erstreckt sich eine Landzunge ohne jeglichen eingezeichneten Geländepunkt einige Kilometer gen Süden, die schaue ich mir an. Einer um die fünfzig Meter breiten Schneise der Verwüstung folge ich, abgeholzte Mangrovenwälder, aufgebrochener Boden, gefällte Bäume, Mondlandschaft. Nach einem Weilchen erreiche ich ein großes, allem Anschein nach sehr rückständiges, einst wohl recht abgelegenes Dorf mit Hütten aus Lehm oder Korallenbrocken, vor dem  die apokalyptische Schneise endet, nach bewohntem Gebiet folgt wieder die totale Zerstörung. Kein Zweifel daran, diese Siedlung, in der die meisten Gestalten, die ich zu Gesicht bekomme,  nur lethargisch herumkugeln, wird früher oder später ebenfalls dem Erdboden gleich gemacht werden, obwohl deren Schule laut Aushang von der Allianz-Versicherung adoptiert wurde. Einen Mister Manga, der mir in gebrochenem Englisch seine Dienste anbietet, frage ich, was für einen Zweck diese Verwüstung hier erfüllen soll und er antwortet: To protect the China. Wohl eher nicht, obwohl die beauftragte Firma tatsächlich chinesisch ist. Das eingezäunte Areal der Bauleitung ist mit roten Lampions und einschlägigem KrixiKraxi geschmückt. Irgendwann geht´s nicht mehr weiter. Bagger und Muldenkipper, Haufen von Geröll versperren den Weg.

Lifti, lifti, schreit mir einer am Rückweg und deutet in meine Richtung, soll sein. In mein Navi musste ich zuvor als Fortbewegungsmittel "Zu Fuß" eingeben, ansonsten hätte mir das Programm gar keine Strecke mehr ausgespuckt. Ein paar Kilometer nehme ich den Anhalter mit und später noch jemanden, der sein Begehr mit gleichem Wortlaut kundtut und dazu noch mit den Handflächen nach unten wachelt. Dann hunderte Schüler am Wegesrand! Welche Schule kann so viele Kinder fassen? 

Entlang des Weges verkaufen verschlafene Frauen Obst, von einer erstehe ich drei herrliche Maracujas und eine Mango, ihr Messer kaufe ich ihr auch gleich ab. Ob ich ihren Säugling mitnehmen möchte nach Europa, fragt sie, und ich könnte nicht sagen, ob sie das ernst meint oder nicht. In einem großen Resort irgendwo im Niemandsland bewirkt meine Frage nach dem Zimmerpreis ein heilloses Durcheinander. Für die Preisgebarung Zuständige werden auf dem Gelände gesucht, Manager werden angerufen. Hundert Dollar für eine verschimmelte Hütte, sicher nicht. Wie kommen diese Hinterwäldler bei einem monatlichen Durchschnittseinkommen von zwanzig Dollar auf diese astronomischen Summen? Weil die Touris sie bezahlen.

In der nächsten Anlage geleitet mich ein Massai mit Schmucknarben im Gesicht zur Rezeption. Am Gürtel trägt er eine Machete und einen vorne rechtwinkelig geknickten Totschläger, mit einer mächtigen Beule abschließend, der aus einer Mangrovenwurzel geschnitzt wurde und schwer in der Hand liegt. Auch hier werde ich nicht alt, aber nach zähesten Verhandlungen mit Heulen und Zähne knirschen komme ich in einem Resort in Kizimkazi unter. Die Klimaanlage dürfe ich für diesen Preis aber nicht einschalten, geh gusch. Während das Zimmer sauber gemacht wird, liegt mir noch der Haus-, und Hofkeiler in den Ohren. Neben den üblichen Boots-, und Mangroventouren hat er auch Frauen im Angebot, er imitiert beidhändig Affennippel. Alter, schleich dich. 

Reis mit Bohnen, irgendwelchen gedünsteten Blättern und einem Stück Fisch von einer Kochmama, Bier am Strand zum Sonnenuntergang. Nach Einbruch der Nacht buntes Treiben entlang der Hauptstraße. Zahlreiches Publikum hat sich bei den drei überdachten Billardtischen eingefunden, große Fleischbrocken hängen dort, wo im Akkord Spieße gegrillt werden. Hupende Mopedgeschwader cruisen.


 26.1., Fumba

Die Managerin Grace und ihre sie aufgrund ihrer besseren Englischkenntnisse unterstützenden Putzkollegin passen mich ab. Nach längerem Herumdrucksen verstehe ich, Grace hätte gerne einen Muzungufreund. Ich sei leider schon vergeben, muss ich die zwei enttäuschen, aber Hiasi, Freund und gelegentlicher Reisekollege, sei gestern in Stone Town gelandet, ich würde es ihm ausrichten. 

Zwei noch warme Germteiglaberl von der Straße zum Frühstück, bevor ich zum Strand fahre und mir das tägliche Treiben ansehe. Ein Haufen Touris hat sich schon eingefunden und wühlt in Kisten mit Masken und Flossen, obwohl die Rümpfe der Ausflugsboote noch auf blankem Fels stehen, links und rechts mit Balken gestützt, damit sie nicht umkippen. Bis die Flut einsetzt, haben die zwei  in lange karierte Tücher gewandeten Massai vielleicht ein Paar ihrer auf Stangen montierten Schuhe verkauft, die sie den Weißbroten geduldig präsentieren. Einst als stolze Stammeskrieger vom Festland gekommen, konnten sie in Sansibar nur in zwei Branchen Fuß fassen. Entweder sie verdingen sich als Wächter oder sie verkaufen wie afrikanische Al Bundys Schlapfen mit Fellbommeln an Touristen. 

Später sammle ich Issa auf, er zeigt mir eine Höhle nahe seines Dorfes. In einer schlitzförmigen Tropfsteinhöhle, zu der wir ein paar Meter hinab klettern müssen, befindet sich ein kleiner Pool, von wo die Gemeinschaft ihr Wasser bezieht, außerdem wäscht man hier auch die Wäsche. Mit Seife, jaja, nach zehn Minuten sei das Wasser wieder klar, no Problem. Ein paar kleine Fische hat man hier kürzlich ausgesetzt, wahrscheinlich, damit sie sich um die aufgrund der eingebrachten Tenside prächtig gedeihenden Algen kümmern. Links vom Pool klettere ich ein paar Meter ins Höhleninnere, bis ich ein paar Fledermäuse aufscheuche, rechts vom Wasser sind rote und weiße Fetzen um ein paar Stalagtitten gebunden. Zeichen des Witch Doctors, der hier scheinbar praktiziert, in ein paar leeren kleinen Glasflaschen, die verstreut herumliegen, war demnach einmal Medizin welcher Art auch immer. Seine Großeltern seien immer hierher gekommen um zu beten beziehungsweise ominöse Zaubersprüche aufzusagen, they believed in dark Religion and prayed to the Demons.  

Dann ruft sein Bruder an, Issas Frau gehe es nicht gut. Er ist Zweiundzwanzig und sie zum ersten mal und im siebenten Monat schwanger. Ob er mir die Schmetterlingsfarm ein andermal zeigen könnte, sie müsse wohl ins Krankenhaus. Schließlich bringe ich ihn in sein Dorf, sein Bruder schnappt sich die Frau und fährt mit ihr auf seinem Moped hupend und recht rasant vor, ich folge mit Issa. Nach zwanzig Minuten erreichen wir das erste Spital, ein größeres, unverputztes Haus, vor dem ein paar Kranke herumkugeln, und ich stecke ihm ein paar Euro für etwaige Behandlungskosten zu. Hier seien zu viele Leute, also fahren wir noch ein paar Kilometer weiter, bis wir eine wesentlich schmuckere Klinik erreichen. Gestutzte Büsche vor einer Terrasse und die Daktaris verfügen, möchte man den Bildern auf der Hauswand glauben, über ein Ultraschallgerät, ein Stethoskop, ein digitales Fiebermessgerät und andere Errungenschaften der modernen Medizin. Die Schwangere hat viel Blut verloren und bekommt eine Infusion, das Baby sei gesund. Viel Obst und Gemüse solle sie essen, ah geh, das wir im Zuge der wesentlich geruhsameren Heimfahrt einkaufen.

Abends delektiere ich mich an göttlichem Lammeintopf mit Zimt und Mangosalat und Chillies dazu, dass ich beinahe vergehe, während draußen am Meer Fischer in Einbäumen vorbei dümpeln. Noch mehr Geschichten über Eritrea, Südafrika, Ruanda und den Kongo, begleitet von Rum, der mit Vanilleschoten angesetzt wurde. 


Samstag, 25. Januar 2025

 25.1., Fumba

Issa Brown heißt mein Verbindungsmann für den heutigen Tagesausflug und die Antwort lautet ja. Um 9.00 hat er mich zum Strand bestellt, kurz vor Elf tuckern rund dreißig Italiener, Russen, Deutsche etc. und ich in einem Holzboot mit schwachbrüstigem Motor zunächst zu einer sichelförmigen Sandbank. Geschätzte zweihundert Menschen tummeln sich auf diesem kleinen Fleckchen und harren hauptsächlich der Dinge, es wird Obst gereicht und ein paar erleichtern sich wohl im Wasser. 

Dann fahren wir hundert Meter weiter zum völlig devastierten Schnorchelspot. Eine Hand voll der langweiligsten Fische, die aufzutreiben waren, grundeln resigniert über einem weißgrauen Teppich aus kaputten Korallentrümmern. Wie ein Ausflug in die Schottergrube. Große blaue Quallen gibt es dafür reichlich. Weiter fahren wir für zehn Minuten in eine mit Booten verstopfte Lagune und dann zur Hauptinsel, quasi der tropischen Shopping City Süd. Unzählige Verkaufsbuden mit Ramsch, so weit das Auge reicht. Im Hinterland steht wenigstens ein großer Baobabbaum, der wiederum aus einem noch größeren, schon vor langer Zeit gefallenen Baum wächst, das Highlight des Tages. Einer geht mit einem sogenannten Palmendieb, einer entrechteten Kokosnusskrabbe, hausieren, andere mit Kaffee und Bier. Zum Lunch wird dann kalter Reis mit Shrimps und Langusten aufgefahren, klingt aber besser, als es ist. Wie so oft hat man sich auch diesmal nicht die Mühe gemacht, vor der Zubereitung der Garnelen den Darm zu entfernen, jetzt ist alles mit Scheiße verschmiert. Und die ekelhaften Beine der Langusten sind so stachelig, dass man sie mit den Händen, geschweige denn mit der zur Verfügung gestellten Plastikgabel beim besten Willen nicht knacken kann, ein Großteil der Viecher wandert ungegessen in den Mist. Dann fahren wir wieder eine gute Stunde heim. Was für ein Dreck, die schlechteste Tour aller Zeiten. Manche sind per Bus vom Norden Sansibars herangekarrt worden, die haben fünfundsiebzig Dollar für diese Verhöhnung bezahlt. Und nein, nicht nur ich bin fassungslos ob dem Gebotenen. Hauptsächlich weichgezeichneten Unsinn sondern die zwei mitgeführten Reiseführer über diesen traurigen Ausflug ab, Frechheit. 

Mit Bier und Konyagi, einem sehr gewöhnungsbedürftigen Fusel, tröste ich mich beim Vorarlberger und schaue mir den Sonnenuntergang und das bunte Treiben einer eingemieteten Feiergesellschaft an, die haben ihren eigenen Grill in Kleinwagengröße mitgebracht und singen, tanzen, klatschen und lachen zu lautstarker Wakawaka-Musik.


Freitag, 24. Januar 2025

 24.1., von Stonetown nach Fumba

Die Gastrodamen stellen mir schon ungefragt Suppe und Reisbrötchen hin, heute bei lautstarker Afromucke und regem Andrang. Eine Katze hilft mir dabei, ungenießbare Teile unauffällig verschwinden zu lassen. Ob ich auch gedenke, den Lunch hier einzunehmen? Heute nicht, ich breche auf gen Süden. 

Den Strandzugang von Mbweni verhindert das wuchtige Schiebetor einer Botschaft, die sich scheinbar den gesamten Abschnitt eingerext hat, beim nächsten Versuch ein paar Kilometer weiter stampert mich ein Sicherheitsfuzzi einer Baufirma weg, hier wird ein Resort in bester Lage gebaut. Das House of Representatives an dem ich kurz danach vorbei komme, ein dem Kapitol nachempfundener Prachtbau, bestätigt die gängige Praxis. Alles für die Privilegierten, nix für´s Fußvolk.

Meine Reisegeschwindigkeit beträgt um die dreißig km/h, Raser fetzen mitunter mit einem Sechziger durch die Gegend, aber mehr geht einfach nicht. Schlechte Straßen, Dörfer, Menschen, Kühe und Ziegen bremsen den Verkehrsfluss. Männer auf Eselskarren reiten ihr Gefährt wie einen Streitwagen. Beim Restaurant Shining fungiert ein gewaltiger Baobabbaum mitten auf der Fahrbahn als Richtungsteiler. Bald geht die befestigte Straße in eine rumpelige Staubpiste über, ab jetzt geht´s noch langsamer vorwärts. Das Moped scheint recht geländegängig, der Rucksack liegt zwischen den Knien. Vor Fumba stehen hunderte baugleiche Betonskelette bereit für tausende Touristen, mit denen man wohl zeitnah rechnet. Fast hätte ich hier gestern ein Zimmer gebucht, inmitten der weitläufigen Baustelle wurden scheinbar schon einige Blocks fertig gestellt. Sonstige Infrastruktur: Null. Kein Schatten weit und breit, lähmende Hitze. Die ursprünglichen Wälder wurden schon vor längerer Zeit abgeholzt. 

In Fumba gelingt es mir endlich, den Strand zu erreichen. Dort liegen Fischer im Schatten großer Bäume und schauen aufs Meer, dösen, genießen ihren Feierabend. In der Dünung schaukeln ihre Daus, Holzschiffe mit hohen Masten und trapezförmigen Segeln. Einbäume mit oder ohne Ausleger komplettieren die Flotte. Man fischt hauptsächlich nachts, außer wenn der Mond zu voll steht und es zu hell ist.

Bei einem Burschen melde ich mich für eine Standardtour morgen an, alle Touris unternehmen den selben Trip, dann hockt er sich auf den Sozius und gemeinsam folgen wir seinem Freund, der ein günstiges Quartier weiter im Landesinneren kennt. Dort steige ich ab in einer kleinen Festung mit hohen Mauern, Eisentor und Wachmann, das Zimmer ist tadellos, hat sogar eine Klimaanlage. Im Badezimmer stehen zwei verschiedenfarbige und unterschiedlich große Schlapfen. Mit kaltem Wasser wasche ich mir den Staub und den Hitzestau ab.

Neu geboren diniere ich abends Labberpommes mit scharf bei einer Jungunternehmerin am Straßenrand. Ein älterer Mann schält ihr die Erdäpfel,  sie bringt sie in Form. Im kleinen Speiseraum laufen zwei Fritteusen auf Hochtouren, das Öl könnte man gelegentlich wechseln. Auf der Terrasse des Restaurants Membe schaue ich später aufs Meer und nuckle an einem Safari, dem ersten Bier seit einer Woche. Dessen Betreiber stellt sich als Vorarlberger heraus, ehemaliger Vermittler im Auftrag der Vereinten Nationen in so ziemlich allen bekannten Failed States und Shithole Countries dieses Kontinents. Räubergeschichten aus Ruanda, Somalia, Burundi, dem Kongo und dergleichen, Überfälle, Scharmützel, Intrigen und Verrat, wunderbar. 

In finsterster Nacht bahne ich mir meinen Weg vorbei an kleinen Feuern, schemenhaften Menschen am Fahrbahnrand, Fröschen und Mäusen auf der Straße, hupe dem Sheriff meiner Festung, der das Tor hinter mir schließt, und drehe die Klimaanlage auf. 


Donnerstag, 23. Januar 2025

 23.1., Stone Town

Spannende Tage. Vorgestern noch fernschriftliche Synchronverhandlungen mit drei Moped-Verleihbuden geführt, heute morgen schon zum Bestbieter gelatscht. Niemand kennt den Laden, nicht einmal ein Vertreter der hiesigen Verkehrspolizei in blitzblanker weißer Uniform. Wie er die bei all dem Staub und Dreck so sauber halten kann, ist mir ein Rätsel. Während er mir sicher gut gemeinte, aber falsche Auskunft erteilt, nimmt er nonchalant per Händedruck Bestechungsgeld von einem Passanten entgegen, von mir verabschiedet er sich per Fist bump. Ewig frage ich, bis einer auf einen Typen zeigt, der an einer Ecke sitzt, das ist mein Mann. Büro hätte er gar keines, das wäre ja viel zu teuer, gell? Meine schon im Jahre 2015 abgelaufene LKW- Fahrerkarte, die ich anstatt des Führerscheins dabei habe, musste er gestern noch editen, sprich fälschen, um das Local Permit für mich zu bekommen, ohne das man bei einer Verkehrskontrolle gleich im Vorhinein aufgeschmissen wäre. Das hat er gar nicht schlecht gemacht. Von mir bekommt er vierhundert Dollar für die nächsten vierzig Tage, vor zwei Jahren hat er die Mopette um 1800 Dollar gekauft. Fünf Dollar Bestechung für die Bullen wären genug, 1000 Shilling, das sind 40 Cent, sind für einen kurzfristigen Aufpasser zu veranschlagen. Nach rund 600 Kilometern solle ich wieder zum Ölwechsel vorbei schauen. Leider hat das Gefährt keinen USB- Ladeanschluss, wegen dem Navi wär´s gewesen.

Gegenüber meiner Unterkunft, dort, wo ich gestern die Frauen beim Brei anrühren beobachtet habe, setze ich mich in den abgewohntesten, schmuddeligsten Verschlag ever und frühstücke, mein Vermieter hat mir gut zugeredet. Die Damen sind sehr zurückhaltend, es gibt kein fließend Wasser oder Strom und vor dem Laden bedienen sich die Raben frech aus den großen Töpfen. Für mich gibt es heute dunkelbraune, trübe Rindsuppe mit teilweise etwas zähen Fleischbrocken, aber ohne auch nur ein Flankerl Gemüse und zwei fluffige Reisbrötchen dazu. Alles schmeckt gut, der Mangosaft scheint frei von Leitungswasser zu sein und zwei Euro für alles halte ich für angemessen. 

Gestärkt mache ich mich auf nach Kizimbani zur Gewürzfarm, ein erster Hupfer von zwanzig Kilometern, um Mopette, Verkehr und Straßenverhältnisse anzutesten. Hier einige Erkenntnisse: Es gibt sehr viele Menschen und noch mehr Schüler, man fährt auf der falschen Straßenseite, die LKWs überholen sehr knapp und das Offline-Navi funktioniert leidlich. Freilaufende Muzungus außerhalb der Stadt sind nicht auszumachen, ständig schreien mir Menschen vom Straßenrand etwas zu. Muzungu, yes yes, hello Friend, das Übliche.

Am Ziel meiner Reise hockt ein Typ mit roten Augen unter einem Baum, als ob er nur auf mich gewartet hätte. Jaja, hier wäre ich richtig, nein, sonst wäre niemand hier, und tatsächlich geht er mit einem Messer in der Hand mit mir in den Wald, wo auf kompaktem Raum an die fünfzig oder mehr Bäume und Gewürze angebaut wurden, auf dass der Tourist nicht die ganze Plantage ablatschen muss. Wo fange ich an, wo höre ich auf? Ein Stückchen Rinde schabt er vom Zimtbaum, hackt eine kleine Kerbe, bis rote Flüssigkeit aus dem Jodbaum austritt, gräbt Kurkuma und Ingwer aus, lässt mich an Zitronengras, Thaibasilikum, Pfeffer schnuppern, schneidet mir eine Sternfrucht, Kakao, Maracuja, Rambutan, Jackfruit, Zuckerapfel uvm. auf und erzählt zu jeder Pflanze, wofür oder wogegen sie ist, Moskitos, Wunden, Krebs, Wimmerl, Blutdruck, Manneskraft, Gedächtnis, schmiert mir rote Farbe vom Lippenstiftbaum drauf, zeigt mir Henna, Sesam,  den Affenbrotbaum, Avocados, Durian und Ananas, unbekanntes Superfood, Früchte die gleichzeitig süß, sauer und bitter sind und unzählige andere Dinge, die ich schon wieder vergessen habe. Die rote Banane nennt er Muzungu irgendwas und auf meine Frage hin, ob der weiße Mann tatsächlich wie eine Banane heißt, meint er, es wäre genau umgekehrt. Die rote Banane sei etwas Besonderes und teuer, deswegen habe man sie so benannt. Die Muzungus hätten alles erfunden, vom U-Boot bis zum Flugzeug, jeder würde sie verehren, jeder  würde sich freuen, wenn er einen zu Gesicht bekäme.

Später kommen wir an drei Frauen vorbei, die gerade im großen Stil Holzkohle ausbuddeln und mit Wasser ablöschen. Eine Woche sei das Mangoholz mit Erde zugedeckt vor sich hin geschwelt, der Baum habe keine Früchte mehr getragen. Super Sache das alles, nach zwei Stunden cruise ich wieder heim. Was ist zuerst grün und dann rot? Ein Frosch im Mixer, genau. Und was ist zuerst weiß und dann rot? Stefsechef am Moped, wenn er sich denkt, so stark wird die Sonne schon nicht sein.  

Abends krache ich wieder in eine lokale Suppenküche, es ist Zeit für Ugali. Der weiße Bampf kommt in Form eines kleinen Laibes aufs Teller, zum Tunken gibt´s Bohnengatsch und dazu noch Spinatähnliches und Schaf-, oder Ziegenfleisch in Sauce. Die Fleischteile wären in Europa den Haustieren vorbehalten, sehr zähe Stücke versetzt mit Knochen, Sehnen und Schwarten, beim besten Willen nicht klein zu kauen. Aber der Rest schmeckt sehr gut und das Ambiente ist sehr urig. 

Heute noch die Power Banks fürs Handynavi laden, mir eine Strecke und ein Ziel für morgen überlegen und vielleicht schon ein Quartier buchen, außerdem das Gepäck reduzieren und den vorerst unnötigen Teil hier einlagern, morgen werde ich Stone Town verlassen.


Mittwoch, 22. Januar 2025

 22.1., Stonetown

Über die Innenbalustrade und durch den traditionellen Innenhof verlasse ich morgens mein Haus. Recht gemütlich isses in dieser verkehrsberuhigten, weil unbefestigten, staubigen Ecke. Aufgekehrt wird trotzdem ständig, auch Blätter werden nicht toleriert. Gegenüber rühren zwei Mamas vor ihren Speiseverschlägen schon den blubbernden Brei fürs Mittagsgeschäft an, als ich mich zum großen Darajani Basar aufmache, dem Treffpunkt für die heutige Stadttour. Es wird wie immer Ugali geben, Mais-, oder Maniokbrei mit Sauce. Den Kahava vom fliegenden Händler unterwegs muss ich leider nach dem ersten Schluck wegleeren, obwohl er stark und heiß wäre. Aufgebrüht wurde mit ungenießbarem Leitungswasser, Grundwasser, das in irgendwelchen undichten Tanks gelagert wird, wie mir mein Guide Ali später erzählen wird. Durch die Lecks findet dann Ungeziefer, Echsen und anderes Getier den Weg, Viecher erleichtern sich und sterben gelegentlich darin und so schmeckt die Brühe dann auch.

Die Tour ist großartig, mit mir hat sie noch ein holländisches Pärchen gebucht. Am Markt dominieren zunächst nur Datteln und Brot die Auswahl, aber schon bald tauchen wir ein in das mit Fetzen überdachte Labyrinth. Nicht wie in den Reiseführern verheißen nach Vanille oder Gewürznelken duftet es hier, viel eher nach Diesel, Fleisch und getrocknetem Fisch. Schon bald beginnt es das erste Mal seit langem stark zu regnen und Rinnsale bilden sich zwischen den Ständen. In der Fischhalle werden die Fänge mittels einer Auktion an die Händler verkauft, Haie, Rochen, Thunfische werden zerlegt oder herum geschleppt, Blut und Innereien überall. Und ich muss sagen, eine afrikanische Fleischhalle sprengt bei mir alles bisher Gesehene. Einer hackt auf einen Rinderschädel ein, Mägen und Häute hängen von Stangen, Kiefer und Hufe liegen im Blut, laut Ali wird eigentlich alles vom Tier verwertet. Beim Gemüse ebenfalls, zum Beispiel die Blätter vom Kürbis oder der Süßkartoffel. Ich belasse es für jetzt bei ein paar fingerlangen Bananen, es gäbe aber auch Rambutan, Mangostane, Jackfruit, die Früchte des Baobab, Papayas, Maracujas, bittere, saure, geschmacksneutrale und süße Mangos  und viele, viele mir unbekannte Früchte mehr. Mit einer Maschine fräst einer das Fruchtfleisch aus Kokosnüssen, darin werden zum Beispiel Nudeln gebraten. Die ißt der Einheimische übrigens nur morgens, und das mit Zucker und Zimt. 

Weiter schlendern wir durch die verwinkelten Straßen, besuchen Handwerker und Verkäufer, schauen uns das alte Fort an, einen osmanischen Bau aus dem siebzehnten Jahrhundert, der im Laufe der Jahrhunderte mit einem wilden Stilmix aus portugiesischer und britischer Militärarchitektur bedacht wurde. Das wuchtige Gebilde wurde im Zuge des kürzesten Krieges der Geschichte, nämlich dem zwischen England und Sansibar im Jahre 1896 irgendwann zwischen 9.00 und 9.38, arg ramponiert. Das ehemalige Wahrzeichen der Stadt, ein recht imposanter Turm, ist vor einigen Jahren eingestürzt, als ihn italienische Bauarbeiter renovieren wollten. Ali versteht es bis heute nicht. Warum gerade Italiener? Deren Städte wären alle kaputt, was verstünden die schon von der Materie? 

Seit kurzem ist Stone Town Unesco- Weltkulturerbe. Viele einsturzgefährdete Häuser sind deswegen nur dauerprovisorisch mit Hilfe massiver Balken abgestützt, deren Sanierung sich seitdem aufgrund einschlägiger Vorgaben als kompliziert und kostspielig erweist. Die klassische Zimmerdecke zum Beispiel besteht aus Korallenblöcken und Felsbrocken, gestützt nur mit strategisch angebrachten Rundhölzern, die langsam morsch werden.

Mit einer Handhupe macht der Fischverkäufer auf seinem Fahrrad die Hausfrauen auf sich aufmerksam, einen Gutteil seiner Ware verfüttert er großzügig an die allgegenwärtigen Katzen. Große Plakate und Wandmalereien zeugen von Solidarität mit Palästina und dem Libanon, our Brothers in Action. Moscheen und Kirchen stehen nebeneinander, auch wenn es in dieser Stadt weniger als tausend Christen gibt.

 Türen sind hier eine große Sache. Es gibt sie in indischem oder arabischem Design und je komplexer die Schnitzereien und die Beschläge sind, desto wohlhabender gelten die Bewohner.  Oft verbirgt sich allerdings hinter den pompösen Türen nicht mehr allzu viel, das Prinzip erinnert mich an die teuren Mercedesse in Albanien. Auch das Haus, in dem dereinst Farok Bulsara geboren wurde, passieren wir, Freddie Mercury nannte er sich erst in England.

Abends latsche ich auf eigene Faust durchs Viertel. An einer Ecke spielt eine Partie Taarab, traditionelle Sansibarimusik. Zwei Frauen singen abwechselnd, einer zupft die Harfe, einer an der Geige, einer am Bass. An einer anderen Ecke unterhält ein großer Fernseher wahrscheinlich kostenpflichtig ein paar Männer. Auf drei Metern Höhe hängt ein Telefon und dazu ein Schild, Please make free international Calls. In einer halbwegs vertrauenswürdigen Fressbude lasse ich mir zur Belohnung ein feines Gemüsecurry mit Chapatis aufwarten. Viele Inder leben in Sansibar, ein Glück.


 21.1.,Sansibar, Sansibar-Stadt, Stonetown

Um drei Uhr morgens stelle ich mich erfolgreich um mein Emergency Visa an, dann hüpfe ich in eine kleine Propellermaschine, die mich nach keiner halben Stunde Flug zum Sansibar-Archipel bringt. Für einen Juro bekomme ich dort 2500 Tansania-Shilling, die Fahrt im abgefuckten Sammelbus vom Flughafen in die Stadt kostet 400.-. Die Frauen sind verschleiert, obwohl sie das in öffentlichen Verkehrsmitteln bis auf das Bedecken ihrer Haare eigentlich nicht dürften, die Männer tragen Hemden oder kaftanartige Kleidung, das Gefährt ist bummvoll. Noch ein paar Minuten meinem Navi durch die verwinkelten, oft sehr schmalen Gassen Stonetowns folgen, schon habe ich durchgeschwitzt und erledigt mein Ziel, das voll belegte Zava House, erreicht. Nix also mit meiner insgeheimen Hoffnung, frühzeitigem Check In gegen Aufpreis. Wohnungslos streife ich umher  und lasse mich dann nieder auf einen ersten, im Vorfeld allgemein gehypten Kaffee, na ja.

Vor der Küste dümpelt eine heruntergekommene Flotte von Fischer-, und Ausflugsbooten, Fähren und Containerschiffen. Am Fischmarkt tummeln sich die Katzen, Hunde sind bei Moslems unerwünscht, und auf den Straßen die Keiler. Karibu Zanzibar, willkommen, mambo mambo, servas. Ausflüge, Transportmittel, Rauchwaren und andere Dienstleistungen haben sie im Repertoire. Viele Burschen und Männer lungern herum. Manche von ihnen spielen undurchschaubare Brett-, oder Würfelspiele, andere hocken nur und schauen. Die Träger vor dem Hafen schlafen auf ihren Holzkarren, trotz des Infernos rundum mit hupenden Sattelschleppern, schreienden Händlern, Trauben von Fährgästen. Ein Rudel Männer steht gebannt vor einem Gestell, man liest die Titelseiten mehrerer dort angebrachter Zeitungen.

Der Kopf ist schwer von der Hitze, eine große Flasche Wasser verdunstet umgehend in mir. Gegen Mittag beziehe ich  mein Zimmer. Der Fotograph, der es für die Buchungsplattform abgelichtet hat, ist ein großer Künstler, irgendwie hat er es fertig gebracht, den Substandard zu kaschieren. Dass es in meiner Preisklasse nur kaltes Wasser zum Duschen gibt, macht allerdings gar nichts. Dann entschlafe ich unter dem großen Deckenventilator, endlich. 

Abends am Fressmarkt am Meer löffle ich Urojo, eine Suppe bestehend aus unreifen geriebenen Mangos, Mehl, Erdäpfeln und reichlich Gewürzen. Und gleich muss ich erkennen, dass mich auch in diesem Land früher oder später die Flitze heimsuchen wird, Besuch beim Daktari nicht ausgeschlossen. Gemüse ist Mangelware. Die angebotenen Spieße mit Fleisch, Fisch, Krebsen, Tintenfischen und Innereien gammeln schon lange ungekühlt und eingetrocknet vor sich hin, inmitten von Katzen, Fliegen, Vögeln und Müll. Am Meer stehen Shawarma-Buden, we are the first and best, others are just following our shade. Extra Ausleuchtung mittels Studioschirmen wird entlang der Ufermauer für dunkelhäutige afrikanische Touristen angeboten, die Muzungus setzen sich hauptsächlich aus älteren Touris in der Gruppe und apart gekleideten Pärchen zusammen. 


 20.1., von Wien nach Dar es Salaam

Der erste Flug nach Istanbul ist noch recht fad, prepare for landing, inschhallah, nur der Film, mit dem ich mir die Zeit bis dahin vertreibe, irritiert durch seine  Zensur. In einer Nebenrolle spielt eine Figur mit erfolgter Geschlechtsumwandlung, deren Text, sobald er dieses Thema streift, komplett gelöscht wurde, die Handlung läuft dann einfach stumm weiter. 

Diesbezüglich ein erster Vorgeschmack auf Tansania, wo Homosexualität illegal ist und der Frauenflügel der Regierung vor zwei Jahren die Kastration von Schwulen forderte. Die LGBTQ- Abteilung hat es ebenfalls nicht leicht mit einer eigens für sie eingerichteten Überwachungstruppe, obwohl sich Muttern mein Gastland der nächsten Wochen irrtümlich als Transania notiert hat, ich solle besonders gut aufpassen.

Der Anschlussflug nach Dar es Salaam ist schon wilder. Ein Verrückter ein paar Reihen vor mir, der scheinbar überall Menschen oder wen oder was auch immer sieht, mit denen er sich unterhält, dazu gestikuliert er und starrt Leute nieder, zwängt sich alle paar Minuten an seinem Sitznachbarn vorbei und rennt dann am Gang herum, fordert harsch Unmengen an Wasser von den Stewardessen und pinkelt oder schüttet sich dann an, was ihn noch ungehaltener werden lässt. Der Hahn hat ihn nachhaltig gepeckt, was will der in Tansania? Gut immerhin, dass er nicht neben mir sitzt, ich habe Angst vor Psychos.  Hinter mir brüllt derweilen ein Baby, das nicht mit den Urlaubsplänen seiner Eltern einverstanden ist, es möchte sicher nicht nach Tansania.