Mittwoch, 22. Januar 2025

 22.1., Stonetown

Über die Innenbalustrade und durch den traditionellen Innenhof verlasse ich morgens mein Haus. Recht gemütlich isses in dieser verkehrsberuhigten, weil unbefestigten, staubigen Ecke. Aufgekehrt wird trotzdem ständig, auch Blätter werden nicht toleriert. Gegenüber rühren zwei Mamas vor ihren Speiseverschlägen schon den blubbernden Brei fürs Mittagsgeschäft an, als ich mich zum großen Darajani Basar aufmache, dem Treffpunkt für die heutige Stadttour. Es wird wie immer Ugali geben, Mais-, oder Maniokbrei mit Sauce. Den Kahava vom fliegenden Händler unterwegs muss ich leider nach dem ersten Schluck wegleeren, obwohl er stark und heiß wäre. Aufgebrüht wurde mit ungenießbarem Leitungswasser, Grundwasser, das in irgendwelchen undichten Tanks gelagert wird, wie mir mein Guide Ali später erzählen wird. Durch die Lecks findet dann Ungeziefer, Echsen und anderes Getier den Weg, Viecher erleichtern sich und sterben gelegentlich darin und so schmeckt die Brühe dann auch.

Die Tour ist großartig, mit mir hat sie noch ein holländisches Pärchen gebucht. Am Markt dominieren zunächst nur Datteln und Brot die Auswahl, aber schon bald tauchen wir ein in das mit Fetzen überdachte Labyrinth. Nicht wie in den Reiseführern verheißen nach Vanille oder Gewürznelken duftet es hier, viel eher nach Diesel, Fleisch und getrocknetem Fisch. Schon bald beginnt es das erste Mal seit langem stark zu regnen und Rinnsale bilden sich zwischen den Ständen. In der Fischhalle werden die Fänge mittels einer Auktion an die Händler verkauft, Haie, Rochen, Thunfische werden zerlegt oder herum geschleppt, Blut und Innereien überall. Und ich muss sagen, eine afrikanische Fleischhalle sprengt bei mir alles bisher Gesehene. Einer hackt auf einen Rinderschädel ein, Mägen und Häute hängen von Stangen, Kiefer und Hufe liegen im Blut, laut Ali wird eigentlich alles vom Tier verwertet. Beim Gemüse ebenfalls, zum Beispiel die Blätter vom Kürbis oder der Süßkartoffel. Ich belasse es für jetzt bei ein paar fingerlangen Bananen, es gäbe aber auch Rambutan, Mangostane, Jackfruit, die Früchte des Baobab, Papayas, Maracujas, bittere, saure, geschmacksneutrale und süße Mangos  und viele, viele mir unbekannte Früchte mehr. Mit einer Maschine fräst einer das Fruchtfleisch aus Kokosnüssen, darin werden zum Beispiel Nudeln gebraten. Die ißt der Einheimische übrigens nur morgens, und das mit Zucker und Zimt. 

Weiter schlendern wir durch die verwinkelten Straßen, besuchen Handwerker und Verkäufer, schauen uns das alte Fort an, einen osmanischen Bau aus dem siebzehnten Jahrhundert, der im Laufe der Jahrhunderte mit einem wilden Stilmix aus portugiesischer und britischer Militärarchitektur bedacht wurde. Das wuchtige Gebilde wurde im Zuge des kürzesten Krieges der Geschichte, nämlich dem zwischen England und Sansibar im Jahre 1896 irgendwann zwischen 9.00 und 9.38, arg ramponiert. Das ehemalige Wahrzeichen der Stadt, ein recht imposanter Turm, ist vor einigen Jahren eingestürzt, als ihn italienische Bauarbeiter renovieren wollten. Ali versteht es bis heute nicht. Warum gerade Italiener? Deren Städte wären alle kaputt, was verstünden die schon von der Materie? 

Seit kurzem ist Stone Town Unesco- Weltkulturerbe. Viele einsturzgefährdete Häuser sind deswegen nur dauerprovisorisch mit Hilfe massiver Balken abgestützt, deren Sanierung sich seitdem aufgrund einschlägiger Vorgaben als kompliziert und kostspielig erweist. Die klassische Zimmerdecke zum Beispiel besteht aus Korallenblöcken und Felsbrocken, gestützt nur mit strategisch angebrachten Rundhölzern, die langsam morsch werden.

Mit einer Handhupe macht der Fischverkäufer auf seinem Fahrrad die Hausfrauen auf sich aufmerksam, einen Gutteil seiner Ware verfüttert er großzügig an die allgegenwärtigen Katzen. Große Plakate und Wandmalereien zeugen von Solidarität mit Palästina und dem Libanon, our Brothers in Action. Moscheen und Kirchen stehen nebeneinander, auch wenn es in dieser Stadt weniger als tausend Christen gibt.

 Türen sind hier eine große Sache. Es gibt sie in indischem oder arabischem Design und je komplexer die Schnitzereien und die Beschläge sind, desto wohlhabender gelten die Bewohner.  Oft verbirgt sich allerdings hinter den pompösen Türen nicht mehr allzu viel, das Prinzip erinnert mich an die teuren Mercedesse in Albanien. Auch das Haus, in dem dereinst Farok Bulsara geboren wurde, passieren wir, Freddie Mercury nannte er sich erst in England.

Abends latsche ich auf eigene Faust durchs Viertel. An einer Ecke spielt eine Partie Taarab, traditionelle Sansibarimusik. Zwei Frauen singen abwechselnd, einer zupft die Harfe, einer an der Geige, einer am Bass. An einer anderen Ecke unterhält ein großer Fernseher wahrscheinlich kostenpflichtig ein paar Männer. Auf drei Metern Höhe hängt ein Telefon und dazu ein Schild, Please make free international Calls. In einer halbwegs vertrauenswürdigen Fressbude lasse ich mir zur Belohnung ein feines Gemüsecurry mit Chapatis aufwarten. Viele Inder leben in Sansibar, ein Glück.


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