Freitag, 19. Dezember 2025

 19.12., Espargos, Sal

Der Wind heult unentwegt ums Haus und lässt die Fenster und Türen klappern, während ich mit Vermieter Jorge Verhandlungen bezüglich einer allfälligen Mietverlängerung führe. Die Auswahl an verfüg- und leistbaren Quartieren schrumpft vor den Feiertagen zügig und hier isses eigentlich ganz sweet. Mein Zimmer sei eigentlich nur für eine Person gedacht. Eine Nacht zur Not zu zweit wäre schon ok, aber...

Wahrheitsgemäß bedeute ich ihm, dass Ena nicht viel größer als einen Meter ist und als zusätzlicher Gast somit nicht wirklich ins Gewicht fällt, was er eher skeptisch aufnimmt. Außerdem würde ich ihn morgen als Dank für seine Gastfreundschaft auf einen Kaffee einladen, hat er doch zwölf Jahre lang als Ingenieur auf einer Plattform vor Angola gearbeitet und sicher einige gute Geschichten auf Lager. Darüber hinaus sei ich quasi schon Langzeitmieter, gedenke ich doch, im Jänner wieder hier abzusteigen, und ein Moped bräuchten wir auch noch. 

Noch einiges mehr steht auf der heutigen Agenda. Am Weg zur Bäckerei gebe ich meinen mittlerweile vollends zerrissenen Rucksack bei einem Containerschneider ab, dann schlage ich mich durch zum Ticketbüro der Fährgesellschaft. Nur ein paar Brocken Englisch spricht die Dame am Schalter, aber das Wichtigste ist leicht zu verstehen: Momentan sind alle Passagen ausgebucht und nächste Woche auch. Ich solle um acht Uhr morgens wieder vorstellig werden, dann werde man weitersehen. Eine Online-Buchung scheidet aus, weil sich das System einfach aufhängt, also werde ich ihrer Aufforderung nachkommen. Jorge hat mich schon gewarnt. An die 700.000 Kapverdier leben im Ausland, mehr als daheim.  Über Weihnachten besuchen viele ihre Familie, wobei nicht jede Insel über einen Flughafen verfügt. Zieht dann noch Sand von der Sahara heran und können die Propellerflugzeuge deswegen nicht mehr starten, geht schnell gar nichts mehr.

Dann schaue ich mir mal den Süden an, ob es sich dort auch gut leben lässt. Das Sammeltaxi nach Santa Maria wartet nur mehr auf mich, dann fahren wir schon los zum Zentrum des kapverdischen Tourismus. Eine Kaserne bemalt mit Störchen, die ihre Schnäbel kreuzen,  passieren wir und den ehemaligen, sehr kümmerlichen Präsidentenpalast, dann nur mehr felsiges Ödland bis zur zwanzig Kilometer entfernten Südspitze Sals. Ganz schön was los im Mekka für Surfer mit Kites, klassischen Surfboards oder auch Foilwings, bei denen das Brett aufgrund eines langen Tragflügels das Wasser überhaupt nicht mehr berührt. Auf Sal wurden schon Windsurfweltmeisterschaften ausgetragen. Klassische Infrastruktur auf drei langen, teilweise verkehrsberuhigten Gassen im Westen, Bars, Yogastudios, Minimärkte, Tatooläden uswusf. Am südöstlichen Zipfel trauen sich nur mehr die Wahnwitzigsten in die furchterregenden Brecher, hier herrscht akute Zerbröselungsgefahr für unbedarfte Wellenreiter. Mein Shirt binde ich mir während der kleinen Wanderung um die Südspitze um den Kopf, um meine Ohren vor dem Getöse und dem Sand zu schützen.  Erst nur mehr unfertige Rohbauten und eingezäunte Baustellen, an denen sich angewehter Plastikmüll verfangen hat, und dann nur mehr Gstettn. Fuck new Hotels! hat jemand auf eine Mauer geschmiert. Zurück im erschlossenen Teil Santa Marias delektiere ich mich an einer Straßenecke an afrikanischer Cuisine aus zerbeulten Töpfen. Ein paar Einheimische  und ich freuen sich auf Steinen und anderen Behelfssitzmöglichkeiten hockend über lauwarmen Reis mit Bohnen, ein paar Soft-Pommes und ein Stück entgegen gängiger Richtlinien zerteilten Hendels, darüber noch herrliche marinierte Zwiebeln, ich konnte es nicht verhindern. Werde ich später zumindest Ena erzählen, die gleich einem Bluthund meinen verräterischen Atem wohl schon beim Betreten des Rollfeldes wird wittern können. 

Vor Antritt der Heimfahrt nach Espargos bekreuzigen sich einige Fahrgäste und auch der Fahrer, obwohl diese Maßnahme anbetracht einer schnurgeraden Straße, die nur durch drei zumindest vorläufig noch sinnlose Kreisverkehre unterbrochen wird, etwas übertrieben anmutet. Auch ich entsende ein Stoßgebet an Unbekannt, möge mich die berüchtigte Spritzgackkrankeit Turista verschonen. Außerdem bete ich inmitten einer lautstarken Kakofonie aus Handybeschallung, Musik und sich angeregt unterhaltender Menschen im Kleinbus  für Resilienca e Confianca, gemäß dem riesengroß affichiertem Motto der Schule bei mir ums Eck. Zeit für ein Bier bleibt noch, dann mache ich mich auf zum Flughafen.


 Um vier Millimeter zu lange ist mein dereinst in Brasilien erworbener Korkenzieher dem dienstbeflissenen Hilfssheriff am Flughafen Schwechat, er darf heute nicht mit auf die Kap Verden. 

Aus zehn Inseln im Atlantik besteht der kleine afrikanische Staat westlich vom Senegal, ein Kompromiss in der heurigen Urlaubsplanung zwischen dringend benötigter Erholung mit Aussicht auf Sonne, Strand und Cocktails von Seiten der Gefährtin und meiner Hoffnung auf ein bisschen Ungemach und Abenteuer in der Fremde. Mickrige drei Wochen werden wir unterwegs sein, Stichwort monetäre Zwänge und keine Zeitausgleichsreserven mehr. 

Jedenfalls, auf einer dieser Inseln wurde im neunzehnten Jahrhundert Salz in einem Vulkankrater abgebaut, wovon ihr der Name Ilha do Sal blieb. Hier schlage ich nachts auf und könnte mein Quartier  theoretisch sogar zu Fuß erreichen. Aus ein paar Baracken nahe dem internationalen Flughafen ist im Laufe der letzten Jahrzehnte nämlich die Kleinstadt Espargos erwachsen, an deren östlichem Stadtrand ich ein den happigen Umständen entsprechend günstiges Zimmer mit Gemeinschaftshäusl am Gang gebucht habe. Fünf Euro fürs Taxi klingen allerdings auch ganz fair.

Der Asiate gegenüber ist nett und nennt mich Brother, nach kultureller Unart wird er frühmorgens lautstark sein Innerstes hochziehen und in der brüderlichen Nasszelle herumschlatzen. Eine erste Erkundung meiner neuen Hood. Ganz ausgefranst und luftig ist es hier am Stadtrand, viel Brachland noch zwischen den schmucklosen, meistens unverputzten kleinen Häusern. Viel los rund um eine Schule in unmittelbarer Nähe. In einer kleinen Padaria schlürfe ich zu kreolischer Feel good- Musi guten schwarzen Kaffee und löffle einen Gupf ungewürztes, kaltes  Couscous, zu dem mir die Kellnerin mit Wuschelhaar noch ein Schälchen Margarine reicht. Was ich mit der genau machen soll, erschließt sich mir nicht, ich lecke halt ab und zu am Löffel herum. Portugiesisch und Kreol spricht man in der ehemaligen Kolonie übrigens, beides noch immer nicht in meinem Repertoire. 

Mit einem kurzerhand angemieteten Fahrrad trete ich vorbei an der markanten Flugüberwachungsanlage auf einem zentralen Hügel über der Stadt nach Palmeira und seinem bescheidenen Hafen, der trotzdem der größte der Kap Verden ist. Alles an benötigten und verfügbaren Waren wird wenn nicht per Luft, hier umgeschlagen. Hauptsächlich kleine hölzerne Fischerboote liegen in der Bucht neben dem abgesperrten Bereich vor Anker. Eine größere Fähre, die die Inseln miteinander verbindet, wartet auf ihren nächsten Einsatz am Montag. Verrostete Baumaschinen und aufgepackelte Boote gammeln in den Straßen rundum vor sich hin. Öltanks und ein lärmiges Dieselkraftwerk verschandeln außerhalb die Gegend, wobei Windkraft die bevorzugte, weil logische Art der Energiegewinnung sein sollte. Der bläst nämlich stark und pausenlos und es gibt außer ein paar gekrümmten, kümmerlichen Büschen keine Vegetation mehr, die ihn daran hindern könnte. Nur felsige Mondlandschaft bis zum Horizont, seit vor langer Zeit die Wälder Sals zum Kalk brennen abgeholzt wurden. 

Weiter östlich entlang der Küste entdecke ich einen gigantischen Haufen Muschelschalen, den hier viele, viele LKW´s abgekippt haben müssen. Die Frage nach dem warum kann mir niemand beantworten, ich bin alleine. Südlich der Stadt, Menschen hier leben wie im heimatlichen Containistan auch in Frachtcontainern, in die sie Fenster geflext haben und aus denen karibische Musik dringt, versuche ich über Schotter und Staubpisten der Küstenlinie zu folgen, ein völlig sinnloses und anstrengendes Unterfangen. Im kleinsten Gang oder oft auch nur schiebend kämpfe ich gegen den Wind an, Steine in den Taschen wegen der feindseligen Hunde im Niemandsland. Irgendwann schon zu weit von Palmeira entfernt, um noch umzudrehen, die einzige asphaltierte Straße, die den Süden mit dem Norden der Insel verbindet, noch weit vor mir. Hier ist auch niemand, eh klar. Nachmittags kehre ich glücklich und fertig heim und labe mich an Maracujas, der besten Papaya des Universums und winzigen Bananen, alles erstanden am Mercado Municipal von zwei geduldigen Marktfrauen um ein paar Escudos. Die Umrechnung erfolgt grob auf eins zu hundert, das erleichtert die Angelegenheit.

Abends erkunde ich das im Ansatz weihnachtlich dekorierte Zentrum. Die Stadthunde sind im Gegensatz zu ihren ländlichen Artgenossen sehr gechillt und mitunter sogar übergewichtig. Frauen verkaufen wohlschmeckende, fettige und noch warme Teigtascherl aus Plastikboxen, deren Füllung sie auf Wunsch noch mit scharfen Saucen pimpen. Am kleinen Hauptplatz in der Fußgängerzone trinke ich ein Stella Kreol im Kindergebinde und bin´s zufrieden. In aushaltbaren Intervallen donnern mit ohrenbetäubendem Getöse Flugzeuge im Tiefflug herum, wobei Anrainerbeschwerden wie gesagt nicht viel bringen würden, der Flughafen war zuerst da. Morgen kommt schon Sweety, viel Zeit fürs Scouten bleibt nicht mehr. Ob die Kap Verden ausreichend Stoff für einen würdigen Blog liefern können, wird sich erst weisen. Stay tuned...