30.12.,
Santiago de Kuba
Es ist noch finster, als wir vom Campismo hoch zur
Straße gehen, um sechs Uhr soll der einzige heute nach Osten fahrende Lkw
kommen. Mit etwas Verspätung aber doch bremst sich bald ein Lastwagen ein und
wir dürfen uns samt Gepäck neben den Fahrer ins devastierte Führerhaus
quetschen. Der Motor heizt ungefragt den Innenraum und schon bald wird es da
vorne richtig heiß. Ohne Licht fährt der ältere und glücklicherweise recht
besonnene Fahrer durch die Nacht. Die Scheibe ist zerkratzt und schmutzig und
entweder Kraft seiner Erfahrung oder durch das Wunder der Intuition weicht er
den Schlaglöchern behände aus und bremst sich vor gröberen Schikanen ausreichend
ein. DasGetriebe ist erledigt. Zwei, dreimal gibt er nach dem Auskuppeln eh
schon Zwischengas und trotzdem putzt er die Zähne ordentlich, bevor er den
nächsten Gang mit Körpereinsatz durchreißt. Ena hält außen am Beifahrersitz bei
jedem Stopp die Pratze raus und kassiert mit steinaltem Gesicht von den am
Straßenrand Wartenden den einen Peso Fuhrlohn und reicht ihn dem Fahrer weiter,
als wäre sie bei ihm in die Lehre gegangen. Während der nächsten Stunde geht
direkt vor uns die Sonne auf und erhellt die schöne Küstenszenerie. Neben
seinen Fahrgästen transportiert der Fahrer noch andere Güter. Einer wartet
schon auf seine Neonröhre, die Trafik bekommt ihre druckfrischen Zeitungen
geliefert. Eine Brücke ist in der Mitte vollständig durchgeknickt und
unbefahrbar, der Lastwagen weicht durch das ausgetrocknete Flussbett aus, über
das sie sich spannt. Wenn es hier ausgiebiger regnet,gibt es überhaupt kein
Weiterkommen mehr. Die Straßen werden endlich wieder besser, als wir uns Chivirico,
einer etwas größeren Küstenstadt nähern. Von dort setzen wir die Fahrt mit
einem Transporter fort, der sogar mit Sitzbänken ausgestattet ist. In Santiago
steigen wir beim Hafen aus und suchen uns das nähest gelegene Quartier, dann
schwärmen wir aus auf der Suche nach Nahrung. Der Reiseführer spricht von einer
verzweifelten Atmosphäre, die über der Stadt liegt, aber davon können wir
nichts feststellen. Sehr heiß isses, ja. Und viele linke Agenten sind unterwegs.
Bei jeder Kleinigkeit, die wir kaufen, einem Stück Pizza, einem Kaffee, einer
Flasche Wasser, müssen wir vorher nach dem Preis fragen, sonst steigt der mit
Sicherheit in astronomische Höhen.Im Fünfminutentakt werden wir von
zwielichtigen Figuren belästigt. Ich stelle mich ein bisschen verrückt, das
hält sie einigermaßen in Schach. Während ich an einer Straßenecke einen
entfesselten Umzug filme, sitzt ein Kubaner zu nahe und zu interessiert neben
mir und mehr durch Zufall checke ich, dass er schon eifrig an den Knöpfen meiner
seitlichen Hosentasche fummelt, worin sich beinahe unsere gesamten Geldreserven
und die Pässe befinden. Als ich den verhinderten Dieb ansehe und beginne, mich
an seinem Umhängetäschchen zu vergreifen, setzt der den größten jemals
gesehenen Grinser auf und schüttelt mir ausgiebigst die Hand, bevor er sich
über die Häuser haut. Später im lauschigen Park, wo wir etwas verschnaufen und
einer gediegen aufspielenden Altherrenpartie nach Art des Buena Vista Social
Club lauschen, kommen wir mit einer Argentinierin ins Gespräch. Sie ist
militante Feministin und gleichzeitig glühende Verehrerin ihres Landsmannes
Guevara.Mit ihr besuchen wir später die Kaserne, die Fidel, Raul und weitere
hundertvierzehn Mann (und zwei Frauen)
1953 gestürmt haben, um an Waffen für ihren geplanten Umsturz zu kommen. Die Einschusslöcher
an der Fassade sind noch heute zu sehen. Der Angriff hat im totalen Fiasko
geendet. Im Inneren der ehemaligen Kaserne hängen Fotos von den bestialisch gefolterten
und getöteten Rebellen. Die Castros und noch ein paar andere Glückliche haben nach
dem Reinfall in die umliegenden Berge entkommen können. Nach einem gemeinsamen
Eis trennen sich unsere Wege wieder. Vielleicht treffen wir die Argentinierin in
einer Woche noch einmal im Norden. Der
restliche Tag plätschert so dahin. Wir essen am Hauptplatz frisch geröstete
Erdnüsse aus kleinen Stanitzeln, während die Proben für die morgigen
Feierlichkeiten stattfinden, vertreiben uns im Reisebüro die Zeit mit
ahnungslosen Mitarbeitern, suchen ewig nach Wasser und lassen uns von unverschämten
Keilern behelligen. Ein von einem Standl gekauftes Stück Kuchen schmeckt so
abartig nach Desinfektionsmittel, dass ich es sofort wieder ausspucken muss. Spaeter warten wir auf unsere ausgeflogene Vermieterin, weil wir die Haustüre nicht
öffnen können. Der Nachbar zeigt uns dann den richtigen Eingang, peinlich.Sonntag, 3. Januar 2016
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