Sonntag, 3. Januar 2016



30.12., Santiago de Kuba
Es ist noch finster, als wir vom Campismo hoch zur Straße gehen, um sechs Uhr soll der einzige heute nach Osten fahrende Lkw kommen. Mit etwas Verspätung aber doch bremst sich bald ein Lastwagen ein und wir dürfen uns samt Gepäck neben den Fahrer ins devastierte Führerhaus quetschen. Der Motor heizt ungefragt den Innenraum und schon bald wird es da vorne richtig heiß. Ohne Licht fährt der ältere und glücklicherweise recht besonnene Fahrer durch die Nacht. Die Scheibe ist zerkratzt und schmutzig und entweder Kraft seiner Erfahrung oder durch das Wunder der Intuition weicht er den Schlaglöchern behände aus und bremst sich vor gröberen Schikanen ausreichend ein. DasGetriebe ist erledigt. Zwei, dreimal gibt er nach dem Auskuppeln eh schon Zwischengas und trotzdem putzt er die Zähne ordentlich, bevor er den nächsten Gang mit Körpereinsatz durchreißt. Ena hält außen am Beifahrersitz bei jedem Stopp die Pratze raus und kassiert mit steinaltem Gesicht von den am Straßenrand Wartenden den einen Peso Fuhrlohn und reicht ihn dem Fahrer weiter, als wäre sie bei ihm in die Lehre gegangen. Während der nächsten Stunde geht direkt vor uns die Sonne auf und erhellt die schöne Küstenszenerie. Neben seinen Fahrgästen transportiert der Fahrer noch andere Güter. Einer wartet schon auf seine Neonröhre, die Trafik bekommt ihre druckfrischen Zeitungen geliefert. Eine Brücke ist in der Mitte vollständig durchgeknickt und unbefahrbar, der Lastwagen weicht durch das ausgetrocknete Flussbett aus, über das sie sich spannt. Wenn es hier ausgiebiger regnet,gibt es überhaupt kein Weiterkommen mehr. Die Straßen werden endlich wieder besser, als wir uns Chivirico, einer etwas größeren Küstenstadt nähern. Von dort setzen wir die Fahrt mit einem Transporter fort, der sogar mit Sitzbänken ausgestattet ist. In Santiago steigen wir beim Hafen aus und suchen uns das nähest gelegene Quartier, dann schwärmen wir aus auf der Suche nach Nahrung. Der Reiseführer spricht von einer verzweifelten Atmosphäre, die über der Stadt liegt, aber davon können wir nichts feststellen. Sehr heiß isses, ja. Und viele linke Agenten sind unterwegs. Bei jeder Kleinigkeit, die wir kaufen, einem Stück Pizza, einem Kaffee, einer Flasche Wasser, müssen wir vorher nach dem Preis fragen, sonst steigt der mit Sicherheit in astronomische Höhen.Im Fünfminutentakt werden wir von zwielichtigen Figuren belästigt. Ich stelle mich ein bisschen verrückt, das hält sie einigermaßen in Schach. Während ich an einer Straßenecke einen entfesselten Umzug filme, sitzt ein Kubaner zu nahe und zu interessiert neben mir und mehr durch Zufall checke ich, dass er schon eifrig an den Knöpfen meiner seitlichen Hosentasche fummelt, worin sich beinahe unsere gesamten Geldreserven und die Pässe befinden. Als ich den verhinderten Dieb ansehe und beginne, mich an seinem Umhängetäschchen zu vergreifen, setzt der den größten jemals gesehenen Grinser auf und schüttelt mir ausgiebigst die Hand, bevor er sich über die Häuser haut. Später im lauschigen Park, wo wir etwas verschnaufen und einer gediegen aufspielenden Altherrenpartie nach Art des Buena Vista Social Club lauschen, kommen wir mit einer Argentinierin ins Gespräch. Sie ist militante Feministin und gleichzeitig glühende Verehrerin ihres Landsmannes Guevara.Mit ihr besuchen wir später die Kaserne, die Fidel, Raul und weitere hundertvierzehn  Mann (und zwei Frauen) 1953 gestürmt haben, um an Waffen für ihren geplanten Umsturz zu kommen. Die Einschusslöcher an der Fassade sind noch heute zu sehen. Der Angriff hat im totalen Fiasko geendet. Im Inneren der ehemaligen Kaserne hängen Fotos von den bestialisch gefolterten und getöteten Rebellen. Die Castros und noch ein paar andere Glückliche haben nach dem Reinfall in die umliegenden Berge entkommen können. Nach einem gemeinsamen Eis trennen sich unsere Wege wieder. Vielleicht treffen wir die Argentinierin in einer Woche noch einmal  im Norden. Der restliche Tag plätschert so dahin. Wir essen am Hauptplatz frisch geröstete Erdnüsse aus kleinen Stanitzeln, während die Proben für die morgigen Feierlichkeiten stattfinden, vertreiben uns im Reisebüro die Zeit mit ahnungslosen Mitarbeitern, suchen ewig nach Wasser und lassen uns von unverschämten Keilern behelligen. Ein von einem Standl gekauftes Stück Kuchen schmeckt so abartig nach Desinfektionsmittel, dass ich es sofort wieder ausspucken muss. Spaeter warten wir auf unsere ausgeflogene Vermieterin, weil wir die Haustüre nicht öffnen können. Der Nachbar zeigt uns dann den richtigen Eingang,  peinlich.

Keine Kommentare: