Sonntag, 3. Januar 2016



31.12., Santiago de Kuba
Geweckt werde ich schon zu nachtschlafender Zeit durch das Schreien eines Schweines, das heute anlässlich der Feierlichkeiten zum Jahreswechsel gemeinsam mit vielen anderen Artgenossen sein Leben aushauchen muss. In den Rinnsalen fließt das Blut der Schlachtungen, die oft mitten auf der Straße stattfinden, während wir uns zum Busbahnhof aufmachen. Ganze Lastwagenladungen toter Schweine werden direkt von der Ladefläche herunter verkauft. Überall werden die Kadaver entborstet und zerteilt, sitzen Menschen vor zusammengebastelten Feuerstellen und drehen geduldig die Spieße aus grünem Holz, die durch ihre Spanferkel gebohrt sind. Eine Flasche Rum steht schon zu früher Stunde in Griffweite, heute bleibt kein Auge trocken. Ein Taxler will hundertzwanzig Euronen für den morgigen Transport nach Baracoa, der Lastwagen nach Guantanamo auf halber Strecke kostet einen Euro. Ich weiß schon, wie wir morgen reisen werden.
Die Hitze ist der Wahnsinn. Wir drücken uns wie die Ratten an die Hauswände, um während der Mittagszeit möglichst die schmalen Schattenbahnen auszunützen, während wir durch die hügelige Stadt latschen. Von oben sehen wir auf den glitzernden Hafen. Dann lassen wir uns raus aus der Stadt kutschieren und nehmen ein Boot auf die kleine Insel Granma, wo der Wind geht und sogar ein paar Tropfen Regen fallen. Die Umrundung der Insel dauert vielleicht fünfzehn Minuten. Kein Verkehr welcher Art auch immer, Fischer am Pier, ein paar Wirtshäuser, ein paar betonierte oder aus Holzbrettern zusammengenagelte Behausungen. Vor uns bewacht die Festung El Morro noch immer den Zugang zur Bucht von Santiago. Während der Heimfahrt im  öffentlichen Bus kommen wir mit einem dicken Typen ins Reden, der eine abenteuerliche Geschichte auf Lager hat. Er sei ein vor langer Zeit in die Staaten ausgewanderter Pole, der in seinem Boot gemeinsam mit seinem einzigen, seekranken Besatzungsmitglied aufgrund technischer Gebrechen sechs Tage lang manövrierunfähig  auf hoher See herumgetrieben, bis er vor wenigen Stunden kubanisches Territorium ansteuern hätte können. Von den Marinebehörden hätte er eine kurzfristige Aufenthaltsgenehmigung zur Reparatur seines Bootes und zur Konsultation eines Arztes aufgrund einer Entzündung am Bein erhalten, zu dem er soeben unterwegs sei.
Als wir abends durch die Gassen ziehen, sind die Spanferkel schon schön knusprig und duften herrlich. Aus den Häusern dringt übersteuerte Musik und die Kinder draußen freuen sich außerordentlich, wenn irgendwo eine mickrige Rakete abgeschossen wird. Am Hauptplatz haben sich mehrere tausend Leute versammelt und warten auf den Jahreswechsel und wir trinken herrliche Mojitos und knabbern Erdnüsse dazu, während wir die bunte Szenerie beobachten. Von 22.00 bis Mitternacht gibt´s dann, kaum zu glauben, nichts mehr zu saufen, die Verkaufsstände stellen ihren Betrieb ein. Sicherheitspersonal kontrolliert die Prohibition, die Leute sollen sich jetzt vielmehr die Show, die auf der Bühne vor dem ehemaligen Haus von Velasquez stattfindet, ansehen. Die ist gar nicht schlecht. Tänzer in traditioneller kreolischer Tracht, ein Chor mit Streichern, eine Matrone, die Lieder schmettert. Auf kleinen Screens flattert die kubanische Flagge. Ein Übertragungswagen des staatlichen Fernsehens parkt ums Eck. Der Rest der Innenstadt ist verwaist. Alle Wirten haben geschlossen. Kein Spanferkel für uns. Um Mitternacht wird über dem Platz vom Dach eines Hauses das Feuerwerk abgeschossen. Die Raketen explodieren mit wuchtigen Detonationen und bei einigen Rohrkrepierern muss sich die Menge vor herabregnenden, glühenden Teilen in Acht nehmen. Sehr gelungen. Nachdem der letzte Sternspritzer erloschen ist, bleiben noch immer die Sterne zu bewundern. Dann schütteln wir Hände und es wird das Tanzbein geschwungen. Kleinkinder, die gerade erst der Krippe entstiegen sind, tanzen, alte Männer mit Krücken tanzen, als wäre ein Wunder an ihnen geschehen, plumpe Körper bewegen sich anmutig zu den live gespielten Rhythmen. Ich tanze nicht, ich bin Computer Adula. Irgendwann kommt die Künstlerlimousine, ein kleiner, zerbeulter, städtischer Verkehrsbus mit geblümten Vorhängen an den Fenstern und holt die Tänzer und Musiker ab und wir gehen auch heim. Feliz ano!

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