31.12.,
Santiago de Kuba
Geweckt
werde ich schon zu nachtschlafender Zeit durch das Schreien eines Schweines,
das heute anlässlich der Feierlichkeiten zum Jahreswechsel gemeinsam mit vielen
anderen Artgenossen sein Leben aushauchen muss. In den Rinnsalen fließt das
Blut der Schlachtungen, die oft mitten auf der Straße stattfinden, während wir
uns zum Busbahnhof aufmachen. Ganze Lastwagenladungen toter Schweine werden
direkt von der Ladefläche herunter verkauft. Überall werden die Kadaver
entborstet und zerteilt, sitzen Menschen vor zusammengebastelten Feuerstellen
und drehen geduldig die Spieße aus grünem Holz, die durch ihre Spanferkel
gebohrt sind. Eine Flasche Rum steht schon zu früher Stunde in Griffweite,
heute bleibt kein Auge trocken. Ein Taxler will hundertzwanzig Euronen für den
morgigen Transport nach Baracoa, der Lastwagen nach Guantanamo auf halber
Strecke kostet einen Euro. Ich weiß schon, wie wir morgen reisen werden.
Die
Hitze ist der Wahnsinn. Wir drücken uns wie die Ratten an die Hauswände, um
während der Mittagszeit möglichst die schmalen Schattenbahnen auszunützen, während
wir durch die hügelige Stadt latschen. Von oben sehen wir auf den glitzernden
Hafen. Dann lassen wir uns raus aus der Stadt kutschieren und nehmen ein Boot
auf die kleine Insel Granma, wo der Wind geht und sogar ein paar Tropfen Regen
fallen. Die Umrundung der Insel dauert vielleicht fünfzehn Minuten. Kein
Verkehr welcher Art auch immer, Fischer am Pier, ein paar Wirtshäuser, ein paar
betonierte oder aus Holzbrettern zusammengenagelte Behausungen. Vor uns bewacht
die Festung El Morro noch immer den Zugang zur Bucht von Santiago. Während der
Heimfahrt im öffentlichen Bus kommen wir
mit einem dicken Typen ins Reden, der eine abenteuerliche Geschichte auf Lager
hat. Er sei ein vor langer Zeit in die Staaten ausgewanderter Pole, der in seinem
Boot gemeinsam mit seinem einzigen, seekranken Besatzungsmitglied aufgrund
technischer Gebrechen sechs Tage lang manövrierunfähig auf hoher See herumgetrieben, bis er vor
wenigen Stunden kubanisches Territorium ansteuern hätte können. Von den Marinebehörden
hätte er eine kurzfristige Aufenthaltsgenehmigung zur Reparatur seines Bootes
und zur Konsultation eines Arztes aufgrund einer Entzündung am Bein erhalten,
zu dem er soeben unterwegs sei.
Als
wir abends durch die Gassen ziehen, sind die Spanferkel schon schön knusprig
und duften herrlich. Aus den Häusern dringt übersteuerte Musik und die Kinder
draußen freuen sich außerordentlich, wenn irgendwo eine mickrige Rakete
abgeschossen wird. Am Hauptplatz haben sich mehrere tausend Leute versammelt
und warten auf den Jahreswechsel und wir trinken herrliche Mojitos und knabbern
Erdnüsse dazu, während wir die bunte Szenerie beobachten. Von 22.00 bis
Mitternacht gibt´s dann, kaum zu glauben, nichts mehr zu saufen, die
Verkaufsstände stellen ihren Betrieb ein. Sicherheitspersonal kontrolliert die
Prohibition, die Leute sollen sich jetzt vielmehr die Show, die auf der Bühne
vor dem ehemaligen Haus von Velasquez stattfindet, ansehen. Die ist gar nicht
schlecht. Tänzer in traditioneller kreolischer Tracht, ein Chor mit Streichern,
eine Matrone, die Lieder schmettert. Auf kleinen Screens flattert die
kubanische Flagge. Ein Übertragungswagen des staatlichen Fernsehens parkt ums
Eck. Der Rest der Innenstadt ist verwaist. Alle Wirten haben geschlossen. Kein
Spanferkel für uns. Um Mitternacht wird über dem Platz vom Dach eines Hauses
das Feuerwerk abgeschossen. Die Raketen explodieren mit wuchtigen Detonationen
und bei einigen Rohrkrepierern muss sich die Menge vor herabregnenden,
glühenden Teilen in Acht nehmen. Sehr gelungen. Nachdem der letzte
Sternspritzer erloschen ist, bleiben noch immer die Sterne zu bewundern. Dann
schütteln wir Hände und es wird das Tanzbein geschwungen. Kleinkinder, die
gerade erst der Krippe entstiegen sind, tanzen, alte Männer mit Krücken tanzen,
als wäre ein Wunder an ihnen geschehen, plumpe Körper bewegen sich anmutig zu
den live gespielten Rhythmen. Ich tanze nicht, ich bin Computer Adula.
Irgendwann kommt die Künstlerlimousine, ein kleiner, zerbeulter, städtischer
Verkehrsbus mit geblümten Vorhängen an den Fenstern und holt die Tänzer und
Musiker ab und wir gehen auch heim. Feliz ano!
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