Samstag, 27. Januar 2024

 25., 26.1., Antigua, Playa del Carmen, Wien

Fünfundvierzig Minuten Verspätung hat das Taxi, aber egal, mein Flug geht erst um Elf. Zweieinhalb Stunden Stau nach Guatemala City rein, absoluter Verkehrskollaps schon weit vor Sonnenaufgang. Spuren im Gegenverkehrsbereich wurden bereits entsprechend umgeleitet, Gehsteige zweckentfremdet, Bullen pfeifen und wacheln sinnbefreit mit Taschenlampen, nichts geht mehr. Blaulicht überall, aber nur deswegen, weil sich auch viele private Fahrzeuge damit ausgestattet haben. Aber egal, mein Flug geht erst um Elf. 

Beim Check In viel später ist noch eine ominöse Einreisegebühr nach Mexiko zu entrichten, also schnell Geld abheben und wieder anstellen, aber egal, mein Flug geht erst um Elf. Eine ewig lange Schlange beim Security Check und natürlich der obligatorische Wischtest für dubiose, weil verwahrloste Fluggäste, meine Zahnpasta wird ebenfalls inspiziert. Geduld ist auch vonnöten beim Warten vor der Immigration. Vor dem Boarding noch die Hose mit Zeug vollstopfen und nicht zu vergessen, das Restgepäck mit den Gummispannern auf das erlaubte Höchstmaß zu komprimieren und als ich endlich im Flieger sitze, ist es kurz vor Elf.

Mein letztes Zimmer in Playa del Carmen ist klein, fensterlos und im Keller. Es stinkt nach übergelaufenem Kanal, ein Hackler sucht kopfüber in einem Serviceschacht hängend nach der Ursache dafür. Mojitos in einer kubanischen Bar mit Livemusik für meine letzten Pesos, waidwund ins Stockbett und würde mich Ena am Morgen darauf nicht zufällig anrufen, hätte ich wohl den Flug nach Toronto versäumt. Mysterium Zeitverschiebung und Gehirnschwellung. Am Flughafen in Wien tausche ich die Schlapfen gegen die Wanderschuhe und ziehe mir den muffigen Pulli an, abgekämpft und happy und obschon noch immer blad immerhin ein paar Kilo leichter betrete ich heimischen Boden. Ohh, Vienna! Jetzt reicht´s wieder für ein Weilchen.


Donnerstag, 25. Januar 2024

 24.1., Acatenango, Antigua

Den Aufstieg zum Gipfel um 4.00 kann ich mir schenken, starke Kopfschmerzen plagen mich wohl aufgrund der Höhe. Der Acatenango ist mit viertausend Metern der dritthöchste Vulkan Zentralamerikas und ich werde wohl ein paar hundert Meter unter dem Gipfel sein. Immerhin, der Sonnenaufgang später ist auch von hier spektakulär, aber ansonsten Pech gehabt. 

Nach einem Bananenkuchen schleppe ich mich wieder runter, quartiere mich nachmittags irgendwo in Antigua ein, versuche erfolglos, für den morgigen Flug nach Cancun einzuchecken und falle in tiefen Schlaf. Der Wecker wird um 3.15 läuten.


 23.1., Antigua, Vulkan Acatenango

Drei Stunden warte ich unter Vertröstungen der zuständigen Agentur an der mir zugewiesenen Kreuzung, aber kein Shuttle ist in Sicht. Der Taxifahrer, der dann doch noch auftaucht, spricht zwar kein Wort Englisch, führt mich aber direkt zum Fuß des Acatenango. Dort finde ich nach längerer Suche mit Hilfe einheimischer Wanderer einen scheinbar nur für mich abgestellten Guide, irgendwie hatte man scheinbar auf mich vergessen und sich dann doch noch eines Besseren besonnen. 

Nach fünf Minuten steht fest: Ich hasse diesen Aufstieg. Der Untergrund besteht aus einer losen Mischung aus Erde und kleinen Steinchen, mein Mann hat mir das Frühstück für die ganze Gruppe eingepackt und es geht ohne Unterlass steil bergauf. Entlang des Weges weint jemand bittere Tränen, hoffentlich nur, weil ihm der Weg zu anstrengend ist. Nach vier Stunden schweigenden Marsches, der Typ spricht auch kein Englisch und ich hätte ohnehin keine Luft für Konversation übrig gehabt, erreiche ich halb tot knapp unter der Baumgrenze das Camp. Abgelaufene Gummibärchen von daheim und mein gefundenes passendes Tempo, Superzeitlupe, haben geholfen. Saukalt isses und der Schlafplatz ein Hohn. Ob ich lieber ein Zelt hätte oder gar eine Cabana, hatte mich der Keiler gestern gefragt. Und gerne habe ich ein paar Kopeken draufgelegt für die kleine Hütte, man will es ja schön haben. Dass aber sowohl das Zelt als auch der Bretterverschlag in Form eines Zeltes mit vielen anderen Gestalten geteilt werden muss, wurde nicht erwähnt. Wie für Sardinen in der Dose sind die Schlafsäcke dort geschlichtet und grindig sind die, als ob schon jemand darin gestorben ist und lange Zeit nicht gefunden wurde. Zwei speckige Jacken aus dem Fundus hole ich mir, die Finger sind in Ermangelung von Handschuhen schon gefühllos. 

Was zum Henker mache ich hier? Was ist schon wieder in mich gefahren, um mich überhaupt auf dieses hochalpine Flüchtlingscamp zu quälen? Der Versuch einer Erklärung. Antigua ist umgeben von den Vulkanen Agua, Acatenango und Fuego, wobei letzterer noch immer aktiv ist. In Aussicht gestellt wurde mir ein fulminanter Ausblick auf gewaltige Ausbrüche, und zumindest das war nicht übertrieben. Die zwei anderen Bilderbuchvulkane sind nicht allzu weit entfernt und deren Schlote quasi auf Augenhöhe. Der Fuego explodiert alle zwanzig Minuten oder so, wobei er glühende Lava, eine pilzförmige Aschewolke und beängstigendes Donnern und Grollen absondert. 

Eine Gruppe marschiert noch weiter zu einem noch besseren Aussichtspunkt, es muss sich um Menschmaschinen oder Echsenmenschen handeln. Ich jedenfalls bin fertig für heute und genieße das Hereinbrechen der Nacht, das Leuchten Guatemala Citys und Antiguas unter mir und das Feuer des nahen Vulkans. 

Nudeln und picksüsser Kakao werden noch am Lagerfeuer gereicht, dann kriechen alle in ihre Schlafsäcke und versuchen, etwas Schlaf zu bekommen. 


Dienstag, 23. Januar 2024

 22.1., Antigua

Hier die wichtigsten Erkenntnisse der heutigen Stadtführung. Antigua war dereinst die Hauptstadt der spanischen Kolonien in Zentralamerika, bis sie letztendlich  nach einem verheerenden Erdbeben 1773 aufgegeben werden musste. Die groben Steinstraßen sind wahre Haxenbrecher und die teilweise eingestürzten Kathedralen tragen noch Verzierungen der Maya, ein damaliges Zugeständnis der Kirche an die Indigenen. Schlammlawinen infolge zahlreicher Ausbrüche haben dem heutigen Unesco- Weltkulturerbe ganz schön zugesetzt und zahlreiche Ruinen warten noch auf ihre Sanierung, aber Antigua ist trotzdem allerliebst. Von der Eroberung Guatemalas 1524 bis zum Bürgerkrieg, der erst 1996 endete und wo die Amis wieder ihre schmutzigen Finger im Spiel  hatten, reichen die Erläuterungen des Tourguides.   

Proviant und viel Wasser muss ich noch einkaufen und für morgen den kleinen Rucksack packen, eine Nacht werde ich in einer Holzhütte am Vulkanhang verbringen. 

 

 21.1., Lanquin, Antigua

Heute kommt der Pickup schon um Sieben, aber bis der Kleinbus, in den ich später verfrachtet werde, Guatemala City erreicht, vergehen viele Stunden. Unterwegs außer einem Wohnwagen mit italienischen Kennzeichen und einem Mann mit Esstisch auf dem Kopf keine besonderen Vorkommnisse. Schwere Wolken liegen über den Bergen und später die Slums der Vororte kleben schmutzig  und windschief in den Hängen. Viele Gitter, viel Stacheldraht. Stoßzeit ist. Die Ladeflächen der Lastwagen sind voll mit Menschen. 

Das Zentrum Guatemala Citys, wo die meisten aussteigen, wirkt erstaunlich sauber und modern, aber ich muss noch weiter nach Antigua, der altehrwürdigen, ehemaligen Hauptstadt Guatemalas auf erfrischenden 1550 Metern.  Um ein Quartier konnte ich mich nicht rechtzeitig kümmern, also latsche ich so lange die alten Straßen mit ihren Gebäuden aus der spanischen Kolonialzeit ab, bis sich etwas findet. Abends die Beschwörung ewiger Freundschaft im Pub. Der alte Engländer und der Tscheche aus Belize werden schon morgen einen der umliegenden Vulkane besteigen, wegen denen jeder hier ist. 

Das Glückskeks beim Chinesen verheißt, von unerwarteter Seite wird mir geholfen werden.


 20.1., Lanquin

Noch einen Tag lang more of the same, aber schön. Schwimmen unterm Wasserfall und von dort mit einem Lkw- Schlauch zum Camp treiben lassen wie der junge Indiana Jones. Am Ufer noch pro forma die Hängematte auspacken, damit ich sie die letzten Wochen nicht komplett umsonst mitgeschleppt habe, Musik hören und schauen. Auch der Abend verläuft in gewohnten Bahnen, am Tequila nippen und hören, was die Neuakömmlinge so zu berichten haben. 

Nett isses im Dschungelcamp, nur die Gelsen fehlen irgendwie. Wahrscheinlich den landesweiten Ausräucherungsaktionen zum Opfer gefallen, nachdem Guatemala noch im September aufgrund einer Denguefieberepidemie den Gesundheitsnotstand ausrufen musste.


Samstag, 20. Januar 2024

 19.1., Lanquin

Besser wäre es, abends nicht mehr so viel Bier zu trinken, muss man doch andernfalls im Laufe der Nacht mehrmals die steile, rutschige Leiter hinabklettern und das doch recht entlegene Klo aufsuchen.

Das gestern mit großer Vorfreude bestellte Pad Thai entpuppte sich als überzuckerte Instantnudeln, aber der Kaffee ist die echte Gemeinheit, ein lauwarmes braunes Spuckwasser. Also auf, auf zum Nationalpark Saemuc Campey, dessen Tore keine zehn Minuten Fußmarsch von hier entfernt sind, doch auch hier gibt es abgesehen von einer Kochbanane nichts für mich zu holen. Allerdings, einen bezaubernden Wasserfall habe ich ganz für mich allein. Sein Wasser ist nicht sonderlich kalt, aber gut trifft es sich, dass die Sonne soeben über die Berge gestiegen ist und mich schnell wieder auftrocknet. Vom Mirador, dem hoch gelegenen Aussichtspunkt, erschließt sich das tiefe Tal in seiner ganzen Schönheit. Viele abfallende, türkise  Wasserbecken, umgeben von grünen Steilhängen. Indiofrauen schleppen auf ihren Köpfen Kübel voll mit Kokosnüssen hier hoch, wofür ich ihnen sehr dankbar bin. Später klettere ich wieder hinab und gehe abermals baden, auch nachmittags ist der Besucherandrang überschaubar. Kleine Fische knabbern an meinen Füßen herum, auch sie sollen leben. 

Am Weg heim spült mich ein gewaltiger Wolkenbruch ins "Restaurant" einer Familie, wo ich Reis mit Hühnerbrocken esse und auf bessere Zeiten warte, bis sich ein Pärchen ebenfalls hierher verirrt. Seit einem Jahr sind sie schon unterwegs und verdienen sich das Geld dazu, indem sie für ein Callcenter arbeiten. Mit ihnen zugewiesenen Fantasienamen stellen sie sich dann vor und vertrösten stundenlang telefonisch x-beliebige Anrufer, geben sich laut spärlichen Anweisungen mal als Sprechstundenhilfe für eine Arztpraxis aus, mal als Sekretariat eines Schuhhändlers, dann wieder als Rezeption eines Finanzdienstleisters. Nein, Herr Soundso sei momentan nicht erreichbar, er werde aber umgehend zurückrufen. Ja, schreckliches Wetter in Düsseldorf, dieser Frost schon seit Tagen. Hocken aber in Guatemala bei dreißig Grad. Ob sie gerade im Bürogebäude der angerufenen Firma sitzen? Ja sicher, wo denn sonst? Warum einem dann unten niemand die Tür aufmache? Unglaublich, was es alles gibt.

Heim im Regen. Heute hört´s nicht mehr auf, aber kein Wasser in den Hähnen. Alle Häusln sind schon bis zum Anschlag zugekoffert. Unten am Fluss riecht man nichts davon, da hocken alle unter dem Blechdach und chillen.


Freitag, 19. Januar 2024

 schon wieder die falsche Reihenfolge! 17.1., Flores

Die Ruinen von Tikal. Hintergrundmotiv auf den nationalen Autokennzeichen, Weltkulturerbe sowieso. Eine Stunde fahren wir durch die Nacht und werden quasi mitten im Dschungel abgeladen. Im Laufe der nächsten Stunden werden folgende Tiere vorstellig: Tucane, Klammer- und Brüllaffen, ein orange breasted Falke (das weiß ich, weil sich besagtes Exemplar in unmittelbarer Nähe einer Schautafel niederlässt), in alle Farben leuchtende, wilde Truthähne, entzückende Nasenbären, ein Viech, das wie ein Rattenhase aussieht, Papageien und natürlich Gelsen. Ich bade förmlich in meinem Zeug und halte sie so einigermaßen in Schach, aber manche Deppen in Röckchen oder Shorts und mit Flipflops an üben sich ab jetzt im Dschungelschuhplattler. Der Guide schildert noch seine schrecklichste Nacht im nahen Camp, als er aufgrund zweier in unmittelbarer Umgebung kämpfender Jaguare kurzerhand vom Zelt ins Hotel flüchtete, weil ihm sehr die Muffe ging.

Wir machen Kilometer. Neunzig Prozent der Anlage schlummern noch überwachsen von Vegetation der letzten zweitausend Jahre vor sich hin, aber viele Gebäude sind trotzdem eindeutig als solche auszumachen. Vierzig Meter hohe Pyramiden mit oder ohne Erde und Bäumen darauf, die Form bleibt unverkennbar. Zu wenig Geld, zu viel Aufwand, so wird es wohl noch sehr lange bleiben. Der freigelegte Teil ist vollkommen ausreichend. Fünfundsechzig  Meter eine Holztreppe hoch gelatscht, schon steht man auf dem obersten Stockwerk eines bombastischen Palastes und damit über dem Dschungel mit fantastischem Weitblick. Drei andere Bauwerke ragen in der Ferne noch über das Blätterdach und wäre es heute nicht bedeckt und nebelverhangen, könnte man bis nach Österreich sehen.  Star Wars wurde hier gedreht, ich stehe auf der Homebase der Jedi Ritter. Was du wollen? Ein großer Reisender Stefsechef ist! So oder ähnlich komisch spricht wohl deren gebrechlicher Anführer und ist damit in manchen Kreisen zum Kultfuzzi geworden.

Vorratshöhlen, Pyramiden, Tempel, Paläste, Steinbrüche, Reliefs, Selbstverstümmelung als Freizeitbeschäftigung. Keine Verkäufer, wenig Besucher, wunderbar. Abends schüttet es und Bäche laufen die engen Gassen runter.


 18.1., Flores, Lanquin

Ein Ding der Unmöglichkeit, einen Chickenbus direkt nach Lanquin zu finden. Individuelle Reisegestaltung würde oftmaliges Umsteigen mit sich bringen und wäre in einem Tag wohl nicht zu bewerkstelligen. Also rein in den kleinen Touristenbus und zurückgelehnt, passt auch. 

Schnell ist die Gegend saftig grün und überwiegend menschenleer. Erstes Highlight ist eine Flussüberquerung mittels einer kleinen motorisierten Plattform, rundum hat sich eine kleine Siedlung breit gemacht. Ein Verkäufer ist schwer mit Plastikuhren behangen, ein Mitreisender ersteht eine Banane am Stiel. Das geschälte Teil wurde einfach in Schokolade getunkt und eingefroren, schon ist das Bananenschleckeis fertig. 

Ärmlichste Dörfer im Gatsch. Verschläge, Behausungen, windschiefe Hütten mit Wellblech oder Stroh gedeckt. Schweine im Dreck, Hühner, eine abgemagerte, aber trotzdem trächtige Hündin. Kinder, Männer in Gummistiefeln und mit großen Gürtelschnallen. Vom Wind vertragener Müll, der wie ein feiner Schleier über den Siedlungen liegt. Zerschlissene Kleidung auf Wäscheleinen. Kleine Särge beim Bestatter, auf Vorrat gezimmert. Ob ich mich nicht selbst schadlos halten würde an einem dieser Touristenbusse, wäre ich hier geboren, ausgebremst und als ewiger Sandler. Was kann man hier schon aus seinem Leben machen?

An Bord zwei Chilenen, die ihren unverzichtbaren Matetee schlürfen, eine polnische Lehrerin, deren Gepäck von KLM als für immer verloren eingestuft wurde, und die nach jeder Pause lautstark im Bus durchzählt. Ein Deutscher, der weltweit Marathons läuft, zwei schlecht gelaunte Schwedinnen. Als lachhafte Vips hinter verdunkelten Scheiben, als Einäugige unter den Blinden fahren wir durch die Dörfer und die wenigen völlig reizlosen Kleinstädte. Ich höre die ewiggültige Musik von Toten, Joplin, Cash, Winehouse, Brown, Cohen, und fühle mich selbst überraschend lebendig, vollständig genesen, wieder bereit für alles. 

Glückliche Kühe auf endlosen Weiden. Gebückte Menschen mit Brennholz am Rücken. Maisfelder, Wasserlöcher, Bananen, Ölpalmen. Dios es Amor. Familien auf Mopeds. Nur mehr unbefestigte Wege zweigen von der Hauptstraße ab. Steil bergauf geht es im ersten Gang, ein ölverschmierter Fahrer liegt am Asphalt unter seinem liegengebliebenen Lastwagen und schläft. Bergab curvas peligrosas, es riecht nach verschmorten Bremsen und die Sattelschlepper schleichen im Kriechgang. Die Fahrer wahrscheinlich mit einer Hand an der Fahrertür und bereit zum Sprung, sollten sich die Bremsen endgültig verabschieden, la Vista hasta, es Gfrasta! Über ungeregelte Flüsse, durch finstere Schluchten fahren wir. Cantina La Escapa. Eine personalisierte Werbetafel, im nächsten Dorf wartet ein Mechaniker, der mit zwei Schraubenschlüsseln in Händen in die Landschaft grinst. Des einen Leid...

Nach acht Stunden erreichen wir Lanquin und gemeinsam mit vier anderen werde ich auf einen Pickup verladen, der uns direkt zum Fluss nahe des Nationalparks bringt. Dort habe ich mir vorab ein Zimmerchen für zwei Nächte gebucht und es ist so schön hier, ich packe es nicht. Eine Matratze mit Moskitonetz unter einem großen Dachgiebel hoch oben, erreichbar nur über eine wackelige Hendelleiter, direkt am und mit Blick aufs Wasser. Hinter mir der Dschungel, ober mir die Sterne. Am Ufer eine kleine Schlange, Wodka aufs Haus. Ebenfalls hier abgestiegen ist ein Pärchen aus Australien, die zwei arbeiten immer vier Monate am Stück in Alaska nahe des Polarkreises. Ewiger Tag, Grizzlybären und Wölfe, mit dem Hubschrauber in die Schicht. Als Geologen suchen sie nach Gold für eine große Firma und die fantastischen Geschichten darüber sind der krönende Abschluss eines großartigen Tages.


Dienstag, 16. Januar 2024

 16.1., Flores

Neue Währung ist der Quetzal, benannt nach dem Wappenvogel Guatemalas, und  mit ihm gibt es auch ein erfreulicheres Preisgefüge. Zehn Quetzales, also einen Euro für eine zehnminütige Taxifahrt? Sehr gerne. Fünfundzwanzig für ein halbleckeres Abendessen? Ist in der Ordnung! Schwierig hingegen ist es, an die Lappen zu kommen. Nur inoffizielle Geldwechsler, die man erst aufspüren muss. Lassen sie sich dann zu einer Transaktion herab,  sind die Wechselkurse für Dollars hundsmiserabel und der gute, harte, schöne und fälschungssichere Euro hat einen noch schlechteren Stand. Die Geldautomaten sind entweder kaputt, leer oder knausrig, was das behebbare Tageslimit angeht. Die zwei Banken in näherer Umgebung, Banko Industrial und Banko Agriculturo, sind bessere Sparvereine.

Aber sehr schön ist es hier. Alte Steinstraßen, bunte Häuser, sehr nette Menschen. Am oberen Ende des Hügels, an dem Flores liegt, warten eine Kirche und schöne Aussichten. Einmal rundherum dauert keine zwanzig Minuten, auch weil ein guter Teil der untersten Straße unter Wasser steht. Scheinbar hat der See einen selten hohen Wasserstand. Unterwegs treffe ich drei Figuren, die ich schon von Mexiko beziehungsweise Belize kenne, jede(r) hat so zirka die gleiche Route geplant. Meine wird mich noch bis nach Guatemala City bringen, von wo mir meine entzückende Betreuerin und Herzdame Ena einen Flug retour nach Cancun gecheckt hat.

Noch Bohnenbrei mit Kochbananen schaufeln und dann den Sonnenuntergang am Steg genießen. Eine Bude nebenan spielt Guatemala-Musi, was auch immer man sich darunter vorstellen möchte, draußen tuckern Autofähren mit einer Ladekapazität von drei Fahrzeugen vorbei und ein paar Jetskipsychos geben ordentlich Gas. Frühschluss. Morgen auf um 4.00, wieder alte Steine schauen. Zuviel Intellekt kann auch eine Bürde sein.


 15.1., Cayo Caulker, Flores

Ok, es reicht. Gestern sind noch zwei skandinavische Junghüpfer eingezogen und spätnachts vollfett eingetrieben. Die eine Lemure mit vom Alk aufgedunsenem Sauschädel hat sich noch lautstark vor dem Zimmer angebröckelt, seinen retardierten Freund hat´s rücklings von der Leiter geschmissen, als er aufs obere Stockbett klettern wollte. Hat sich angestellt, als ob er kurz vorm Gipfelsieg auf einer Schneeleiter am Mount Everest hängen würde, der Mutant, dann ist er wie ein angeschossenes Faultier abgestürzt. Jedenfalls, um 6.00 packe ich unter komatösem Geschnarche dieser Opfer meinen Ranzen und hüpfe bei Sonnenaufgang auf das Boot nach Belize City. Das günstigste Bett in dieser Stadt, natürlich im Schlafsaal, würde fünfunddreißig Euro kosten, aber ich werde diesem Land noch heute den Rücken kehren.

Eine wilde Ecke, die Hafengegend, viele Obdachlose und Erledigte. Der Weg zum Bahnhof ist nicht viel besser, noch keine normalen Menschen unterwegs. Im kleinen, versifften Terminal dann wieder eine sagenhaft hinniche Partie. Alle, die Fahrgäste wie auch das Personal, schauen aus, als hätten sie die Nacht durchgefeiert, halten sich die Köpfe, schauen ein oder stieren mit roten, tränenden Augen in die Gegend. Der Kaffee ist ungenießbar, wahrscheinlich ist er mit Leitungswasser gemacht, und mir rinnt der Dreck runter.

Eine Stunde später fährt der Chicken Bus gut gefüllt los gen Westen, vorbei an einer bunt gestrichenen Polizeistation in der Racoon Street und dem Reisebüro Butts up! auf der Pelican Street. Komplett ausgeweidete Autowracks, ein schmuckloser, weiträumiger Friedhof auf einer Wiese, ohne Mauer oder sonstiger Absperrung zum Reich der Lebenden. 

Sehr karibisches Flair im Bus. Ein gewisser DJ Shitzky (wer nennt sich freiwillig so?) beschallt ihn in Dauerschleife mit Reggeaton, der fast untergeht in einer Kakophonie aus unzähligen Handyclips der Fahrgäste. Einer trägt einen Bibelspruch auf seinem T-Shirt, andere ihre Hosen so weit runterhängend, dass man sich nur wundern kann, warum sie sie nicht gleich bis zu den Knien runterziehen. Sehr dicke Frauen mit langen Fingernägeln und Rastazöpfchen oder mit kleinen weißen Häubchen auf in der Art von Krankenschwestern, das sind die Mennoniten. 

Ein Wartehäuschen unterwegs besteht aus vier ausgebauten, zerfledderten Autositzen auf einer Wiese unter einer Plane. Einfache Häuser auf Stelzen, ausrangierte amerikanische Schulbusse. Jackson breaks for emergency only! It´s the law! Keine Ahnung, was das bedeuten könnte. Habe ich übrigens schon erwähnt, dass die Amtssprache in Belize Englisch ist? Tatsächlich verstehe ich aber kein Wort, wenn sich die Menschen miteinander unterhalten, obwohl englische Begriffe durchaus vereinzelt verwendet werden. Vorbei an Ortschaften wie Blackman Eddy oder Spanish Lookout, vorbei an Kirchen aller denkbaren christlichen Spielarten. Nach drei Stunden komme ich in Benque an, fahre mit einem verlotterten Taxi zum Grenzübergang, pecke noch die ungerechtfertigte Ausreisegebühr und bin endlich in? Richtig, in Guatemala.

Über die Brücke marschiere ich und dann links zu den Collektivos. Stand so in einem Reiseblog und stimmt noch immer. Zwei weitere Stunden in einem ausgebauten Neunsitzer nach Santa Helena, die unterschiedlichsten Fahrgäste steigen unterwegs zu oder aus. In Guatemala gibt es keine Schwarzen mehr, stattdessen Mestizen und Latinos, oft mit runden Gesichtern und Schlitzaugen. Von Santa Helena weiter mit dem Tuktuk nach Flores, einem altehrwürdigen Dorf auf einer Insel inmitten eines Sees, und schon bin ich da. Aufs Geratewohl checke ich in einem Hotel ein, kaufe mir noch Wasser und lege mich hin, ich bin noch immer krank.


Sonntag, 14. Januar 2024

 14.1., Cayo Caulker

Mittags auf, das Fährticket nach Belize City morgen kaufen, das Fahrrad zurück geben. Heim schleppen, ein paar Eier in die Pfanne hauen und wieder ins Bett kriechen, ich bin krank.


 13.1., Caye Caulker

Als 1961 ein Hurrikan über die Insel zog, entstand "The Split", ein rund dreißig Meter breiter, natürlich mittlerweile mit Meerwasser gefluteter Graben, der seitdem Caye Caulker in zwei Hälften teilt. Die dafür notwendigen Urgewalten waren sicher kein Bemmerl. Jedenfalls muss ich da natürlich rüber, miete mir ein zu kleines Fahrrad mit Rücktritt und lasse mich von einer der kleinen Fähren übersetzen. Die hühnenhaften Blackies an Bord titulieren mich mit White Boy, was wohl politisch nicht völlig korrekt ist. 

Mittagszeit, Affenhitze, kein Schatten. Das Land völlig devastiert, mit Planierraupen eingeebnet, gerodet, abgefackelt. Vor rund fünfzehn Jahren wurde parzelliert und verkauft, seitdem wird hier gewütet. Kleine Echsen und verirrte Einsiedlerkrebse in staubiger Gegend und nicht viel mehr, bis am nördlichen Ende ein kleiner Naturschutzpark beginnt. Das entsprechende Hinweisschild ist kaum mehr zu entziffern, der schmale, gatschige Pfad verliert sich nach kurzer Zeit im Dickicht. Vor einer halb kollabierten Brücke, die über einen Sumpf führt, wird vor Krokodilen gewarnt. Nichts wie weg hier, ich trage Schlapfen und die ausgehungerten Moskitos fallen schon in Schwärmen über mich her, pecken mich durchs Leiberl und überall sonst auch. Zurück auf der Südseite mache ich Halt an einem Steg, neben dem Seepferdchen unter einem alten, eingepflockten Fischernetz leben. 

Räubergeschichten abends beim Wirten mit dem Engländer und dem Tschechen, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Malcolm war schon in fast allen Failed States oder frei zitiert nach Trump Shithole Countries dieser Welt unterwegs, in Sierra Leone, Somalia, der Elfenbeinküste, dem Suda, Kongo und so weiter. Eine Pistole am Kopf da, fast bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt von einer Meute Burschen und wahrscheinlich auf der Suche nach einem Geldgürtel nackt ausgezogen dort. In Chile arrestiert und später ausgewiesen, aber sonst sei ihm eigentlich nie etwas passiert. Wunderbar, nur die kleinen Biere stören. 


 12.1., Caye Caulker

Selber Frühstück machen ist wieder angesagt, am Rooftop mit fantastischem Blick auf die Mangroven und das Meer. Der Zahnlose ist supernett, auch wenn er seine Eigenheiten hat. Er furzt regelmäßig und riecht auch sonst etwas streng, auch macht er die Häusltüre nicht zu, wenn er pinkeln geht. Vielleicht alte Häfmgewohnheiten, he had some troubles with the police, when he was young. Malcolm ist pfuschender, weil schon pensionierter Steinmetz und reist nach alter Schule. Was ist Google? Was ist Frozen Yoghurt? Was ist Bubble Tea? Seine erste Avocado ever isst er auf mein Drängen hin und er ist nicht sonderlich begeistert. Bit greasy mate, innit? Der Sohn hat ihm diesmal ein I-Pad mitgegeben und groß ist die Freude nach entsprechender Einschulung und dem ersten Video-Telefonat.  

Nachmittags schaue ich mir die tägliche Rochenfütterung an, die sicher nicht artgemäß, aber sehr beeindruckend ist. Fünfzehn, zwanzig Tiere mit locker einem Meter Durchmesser finden sich am Strand ein, drängeln sich um kleine Fische und lassen sich dabei von Grapschern wie mir anfassen. Zu Übermütige müssen regelmäßig zurückgepfiffen und an die potentiell tödliche Gefährlichkeit der Rochen erinnert werden, Stichwort Steve Irwin. Mit im Rennen um die besten Happen sind natürlich auch die Pelikane und die Möwen und natürlich kackt mir wie schon so oft ein Vogel auf die Schulter. 

Nach einer längeren Durststrecke an Mexikos Ostküste gibt es hier wieder traumhafte Sonnenuntergänge, die mit Kinderbier begossen werden wollen.

Den Tschechen bitte ich als Gute Nacht- Geschichte noch um nähere Erklärung seiner IT- Tätigkeit in drei Sätzen und steige schon nach den ersten Worten aus. Auch der Engländer schaut wie ein Autobus, neue Welten.


Freitag, 12. Januar 2024

 11.1., Corozal, Caye Caulker

Noch vor Sonnenaufgang latsche ich in dickem Nebel zum kleinen Pier. Um Sieben legt das kleine Boot, das dennoch 62 Passagiere fassen soll, ab. Während ich auf die Abfahrt warte, erzählt mir ein Mann in meinem Alter freimütig und unaufgefordert von seinem Leben. Früher hätte er mit seiner Frau Essen verkauft, dann wäre er nur mehr daheim geblieben und sehr dick geworden. Beinahe ertrunken wäre er, aber ein großer Mann hätte ihn zu einem Felsen gezogen und gerettet. Eine alte Frau aus Ecuador hätte ihm Yoga beigebracht. Ein bisschen Kirche, wenig Freunde, wenig Geld. Einmal, vielleicht vor zwanzig Jahren, wäre er auf San Pedro gewesen. Die Leute hätten am Strand getanzt und er war glücklich. Aber das war damals, seufzt er, und schaut aufs Meer in Richtung der Insel, dereinst als La Isla Bonita besungen von Madonna, als sie noch like a Virgin war.

Für mich ist sein Sehnsuchtsort nur ein Zwischenstopp am Weg nach Caye Caulker. Nach einem schnellen Eiersandwich mit unvermeidlicher Bob Marley- Beschallung hüpfe ich schon ins nächste Boot. Oft jammere ich, die Unterkünfte seien teuer, aber sechzig Euro für ein Bett im Schlafsaal, so das günstigste Angebot im Netz, sollen nicht unerwähnt bleiben. Durch schieres Glück ergab es sich gestern, dass ich in einem Hostel für fünfzehn Juros die Nacht unterkomme, hier werde ich ein paar Tage bleiben. Was treibt mich dazu, in einem Stockbett zusammen mit einem zahnlosen alten Engländer mit verwaschenen Häfmpeckerln und einem tschechischen IT-Nomaden zu nächtigen?

Legenden vom entschleunigten Leben ohne Schuhe und ohne Autos  im verschlafenen Fischerdorf am Ende der Welt. Diese Hoffnung wird sich in etwa so akkurat erweisen wie die im fernen Ausland propagierte  Mär von Menschen, die Sachertorte essend oder Geige spielend auf Lipizzanern durch die Wiener Innenstadt reiten. Golfwagerl knattern durch die Straßen und barfuß herumzulaufen ist auch nicht unbedingt empfehlenswert. Schon vor vielen Jahren hat die Partygesellschaft den Weg hierher gefunden und Glasscherben am Boden sind keine Seltenheit. Der Typ, der mir einen Seegraserdnussbananenmilchshake verkauft, hätte auch Kokain im Angebot und die örtliche Polizei versucht mittels großer Plakate die Gäste davon in Kenntnis zu setzen, dass sie sich auf dieser Insel nicht im rechtsfreien Raum befinden. Aber bitte mich nicht falsch zu verstehen, natürlich ist es hier noch immer absolut paradiesisch. Unter den Holzstegen gleiten elegant Rochen und Barracudas vorüber, das Meer leuchtet in allen Farben.   

Fernab des geschäftigen Zentrums wird es rustikaler beziehungsweise ärmlicher. Dreck auf Brachland, aus Brettern aller Art und rostigen Blechbahnen zusammengenagelte Behausungen inmitten kaputter Kühlschränke und sonstigem Schrott. Auch hier halb versunkene, aufgegebene Segelboote. Mittels Bergen von aufgeschütteten großen Muschelschalen hat so mancher dem Meer Platz für eine weitere Behausung abgetrotzt, auch nahe des lärmigen Dieselkraftwerkes, das die Insel mit Strom versorgt. Die Insulaner üben sich auch im Geschäfte machen, verkaufen Haiöl wofür auch immer oder Kuchen. Rastafaris preisen ihre bunten Bilder und in Privathäusern bekommt man billig Essen. Nicht so ich heute. Blöd genug, in der ärgsten Hitze herumzuwandern, fasse ich einen kapitalen Sonnenstich aus und lege mich am Nachmittag nieder.


 Sorry, falsche Reihenfolge. 9.1., Puerto Morelos

Am Strand schaufeln Arbeiter das über Nacht angespülte Seegras zusammen, womit sie, so wie jeden Tag, viele Stunden lang beschäftigt sein werden. Auch ich kämpfe mit der Natur, sie hasst mich. Gestern zehn Minuten im Wasser, heute juckt´s wie gehabt. 

Im Supermarkt stehen handtuchgroße Schweinehautfetzen zum Verkauf und kleine Kakerlaken wuseln herum, da kaufen wir noch ein paar Mitbringsel ein. Für mich gibt´s später Ceviche bis zum Abwinken und Ena freut sich über plumpe Teigtascherl mit Käse, por qué no. Abends ein Strandspaziergang mit den fischenden Pelikanen und dann noch am Holzsteg sitzen, bevor wir für morgen packen. Schatzili muss schon wieder heim, die Märkte werden langsam unruhig, und ich werde weiter ziehen gen Süden und Belize.


 10.1., Puerto Morelos, Corozal

Ein langer Tag. Mitten in der Nacht auf, die Süße zum Flughafen scheiben. Fortan ist Stefsechef wieder auf sich selbst gestellt. Retour als Lone Star und das eigene Zeug packen, weiter nach Playa del Carmen, während es langsam hell und wärmer wird. Noch das Moped vom verräterischen Schlamm links säubern, dann abgeben und unbehelligt die Kaution ausfassen. Die nächste Etappe absolviere ich mit dem Bus, knappe sechs Stunden bis Chetumal nahe der Grenze zu Belice. Der sechsundsiebzig Jahre alte Amerikaner neben mir berichtet von einer kürzlichen Ufo- Sichtung seinerseits vom Dach seines Hauses aus. Mit seiner Kamera hätte er das Szenario festgehalten, aber aufgrund gefinkelter Technologie der Außerirdischen sei auf den Bildern rein gar nichts zu erkennen gewesen. Außerdem schwärmt er von einer neu entdeckten Online Dating-Plattform, wo ihm junge Damen freizügige Fotos zusenden. Mein Einwand, bei den Absendern handle es sich wohl eher um andere, weit weniger attraktive Personen, die ihn früher oder später um Kohle anhauen werden, schockt ihn nachhaltig. Der Zoll hat ihm seine THC-Bonbons konfisziert, sein Kater, eine offiziell zertifizierte Servicekatze zur Aufrechterhaltung der geistig-emotionalen Gesundheit, ist unlängst gestorben und seine Freundin hat ihn verlassen. 

Von Chetumal geht heute kein Bus mehr nach Belize und legt auch keine Fähre mehr ab. Mit zwei anderen Touris teile ich mir ein Taxi bis zur Grenze, von wo uns nach Erledigung der Formalitäten ein privater Pickup bis zum beschaulichen Küstenstädtchen Corozal mitnimmt, ein absoluter Glücksfall. Bei zwei Typen aus Missouri komme ich unter, beide zweimal geschieden, Freunde seit Kindheitstagen und seit kurzem stolze Hoteleigentümer. 

Noch Belice-Dollar abheben und zwei Kinderbiere exen, die lächerlichen Gebinde fassen gerade einmal 228ml, dann erledigt bötzn.


Dienstag, 9. Januar 2024

 8.1., Puerto Morelos

Cecilie kommt von Playa del Carmen hoch und weil es heute stürmt, verziehen wir uns ins Hinterland und besuchen den Dr. Alfredo Barrera Marin- Botanischen Garten. Geregnet hat es und der Lehmboden dort ist spiegelglatt, also haut es mich publikumswirksam beinahe aus dem Stand genau vor dem Kassahüttel mit der Mopette auf die Pfeife. Meinen Fall dämpft ein gelber "Achtung, nasser Boden!"- Aufsteller, außer Spott und Hohn und verdreckter Panier bleibt die Slapstick-Einlage in Schlapfen folgenlos.

Jeder, der in Ermangelung vollwertigerer Freizeitgestaltung schon einmal einen Botanischen Garten besucht hat, weiß so ungefähr, was ihn oder sie erwartet. Ordentlich getrimmte Pflanzen aus aller Welt, ein Schmetterlingshaus eventuell oder ein paar angelegte Teiche. Nicht so hier. Ein rund zwei Kilometer langer Pfad verläuft durch ein sumpfiges Waldgebiet. Über irgendwelche nichtssagenden Büsche und Bäume entlang des Weges wurden scheinbar wahllos mittlerweile verdreckte oder vergilbte Schilder gehängt, so in der Art: Hallo, ich bin ein Essigbaum. Ich wachse überall dort, wo man nicht schnell genug war, mich rechtzeitig auszureißen. Ich verfüge über einen Stamm, Äste und Blätter und kann mehrere Jahre alt werden.

Alle Aussichtstürme und Hängebrücken sind vollständig vermorscht und wegen Einsturzgefahr auf Dauer gesperrt. Am erstaunlichsten hier ist eigentlich die Chuzpe der Betreiber dieser kostenpflichtigen Enttäuschung. 

Regelmäßig warten dafür erbauliche und pseudospirituelle Sprüche auf den Besucher.  Listen to the sounds of the Jungle! Feel the richness of mother nature! Let the forest take root in your heart! Feel the living bark of the trees! Geh bitte, gusch jetzt. Auf den Bäumen krabbeln rote Ameisen, neben zahlreichen Gelsen die einzigen Tiere, die wir zu Gesicht bekommen. Eine der langweiligsten Stunden meines Lebens und da ist das Anschauen des TV-Testbildes in meiner Kindheit schon mitgerechnet. Kurz vor dem Ausgang entdeckt Ena dann doch noch ein Viech, ein Dasyprocta Punctata. Die Geologen unter euch können sich den gängigen Namen dieses faszinierenden Lebewesens googeln.

Abends sitzen wir auf der Gehsteigkante in der kleinen Fußgängerzone, trinken Bier und schauen Leute. Auch Ena nuckelt an einem Corona, weil der Mexikaner einfach keine akzeptablen Cocktails  machen kann oder will und Prosecco oder Wein Mangelware ist. Täglich findet sich vor fast jedem Lokal ein Musikant ein, mitunter auch mit Geige oder Harfe, aber mit Abstand der Höhepunkt des Tages ist eine zehnköpfige, tanzende  Musikkapelle in Uniform, die für eine einheimische Feiergesellschaft aufspielt. Dreckig, ungenau und mitunter falsch blasen die Trompeten, Tubas und Oboen, ein Dicker malträtiert dazu die Trommeln und Percussion, die Gesellschaft tanzt auf der Straße. Sehr, sehr geil.




Montag, 8. Januar 2024

 7.1., Puerto Morales

Die Insel der Frauen, Isla Mujeres, klingt zu geheimnisvoll, als dass man sie ignorieren könnte. Womit muss Mann rechnen? Mit karibischer New World Order? Mit gelebtem Matriarchat, einem Fall für die Gleichstellungskommission? Mit leicht beschürzten, aber doppeltdominanten Amazonen, die Chauvinisten wie mich schon von Weitem riechen können? Mit rauchenden Inselsuffragetten, mit einer lesbischen Gesellschaft, die dem anderen Geschlecht endgültig abgeschworen hat? Muß Stefsechef gar Wiedergutmachung leisten für Jahrhunderte lange Ungerechtigkeit, öffentlich Buße tun, nachdem ihn eine hammerwerfende Kampflesbe ausgemacht und überwältigt hat? Wird sich die Gefährtin im Sog der Ereignisse ebenfalls auflehnen und fortan lachhafte Zugeständnisse wie Mist runter bringen und dergleichen einfordern? 

Also raus aus den Federn schon zu Sonnenaufgang, die erste Fähre müssen wir erwischen. Klingt wild, gell, aber in Mexiko endet die Nacht erst morgens um halb Acht, das reimt sich und ist schön für Langschläferinnen wie Ena. 

Fünfzig Kilometer hoch mim Roller und endlich verstehe ich, warum alle den Helm verkehrt herum aufhaben. Ist der abgeschrägte Sonnenschutz des Helmes hinten, hat der Fahrtwind keine Angriffsfläche und kann die ohnehin völlig sinnlose Eierschale nicht mehr bis zum Hinterkopf drücken. 

Keine Stunde mit dem Schiff übergesetzt, schon sind wir da. Sechs, sieben Kilometer ist das Eiland lang und an manchen Stellen so schmal, daß man links und rechts  das Wasser sieht. Die östliche Seite ist rauher. Hier haben Wind und Wellen die Landschaft im Laufe der Zeit ordentlich zerklüftet. Auf Klippen steht eine Kirche, zu der wir wie einst Jesus auffahren. Die Wand hinter dem mit Muscheln und Seesternen geschmückten Altar ist eine einzige riesige Glasfront und gibt den Blick frei auf das scheinbar grenzenlose Meer. Ruhig und kühl ist es im Inneren. Eine Frau betet, eine andere sitzt an ihrem Souvenirstand, den sie skurillerweise ebenfalls im Gotteshaus  aufgebaut hat. 

Eine Lagune im geschützten Inneren der Insel beherbergt einen kleinen Hafen und am südlichen Ende der Insel  steht verlassen ein Leuchtturm. Die vielen Hurrikane der letzten Zeit haben die Überreste eines alten Tempels endgültig zerbröselt. Ein Kind füttert furchtlos eine große Echse, Artgenossen naschen von der Vegetation oder sonnen sich reglos auf Felsen.

Bleibt noch der Norden. So viele Frauen! Aber auch so viele Männer und Kinder! in der Früh ging´s ja noch, da waren die Strände beinahe verwaist. Aber mittlerweile haben die Saufschiffe mit offener Bar ihre torkelnen und mit Plastikbechern ausgestatteten Passagiere ausgespuckt, liegen unzählige Segel- und Motoryachten im flachen Wasser vor Anker, haben die Personenfähren von Cancun die Massen abgeladen. 

Denkt man sich aber die Gebäude, die flächendeckenden Sonnenliegen, die hunderten Golfwagerl, die ganzen Menschen weg, bleibt ein trauhafter Ort übrig. Makellos ist der weiße Pudersand. Das Wasser leuchtet in allen Schattierungen von türkis bis tiefblau. In der Brise rauschen die Palmen. Hier möchte man stranden.


Samstag, 6. Januar 2024

 6.1., Puerto Morelos

Wenn die Damen in der Wäscherei nur wüssten, wie sehr wir uns über unsere frischen, duftenden Sachen freuen. Ein trockenes Leiberl ohne Salzflecken, jungfräuliche, biegsame Socken. Eine weitere elementare Notwendigkeit erledigt sich ebenfalls beinahe von selbst. Ein Franzose hat zu viele Pesos übrig und wechselt sie uns auf der Straße zum Vorteilskurs. 

Zusätzlich zu den üblichen Militaristen, die bei dreißig Grad in voller Montur am Strand patroullieren, hat sich heute noch Personal mit Stöpseln im Ohr eingefunden, die hiesige Gouverneurin  beehrt die Stadt mit ihrer Anwesenheit. Durch dieses schräge Aufgebot schlängeln wir uns durch, bis wir zu einem kleinen Boot kommen. Ein paar hundert Meter vor der Ostküste Mexikos erstreckt sich das nach dem Great Barrier Reef zweitgrößte Riff der Welt, einen winzigen Teil davon beschnorcheln wir heute. Zwei mexikanische Brüder sind auch an Bord, sie kommen aus Chihuahua, dem Bundesstaat mit den stattlichen Hunden. Minus sieben Grad hatte es letzte Woche in ihrem Dorf  und hergeflogen seien sie für ein paar Tage Urlaub, zu gefährlich sei die Anreise über den Landweg. Erst unlängst seien sie überfallen worden, um acht Uhr morgens und zehn Stunden von daheim. Von falschen Polizisten mit Blaulicht angehalten, ihre Frauen und Kinder wenig später auf den Knien vor gezückten Waffen. Der neue Pickup mit allen darin befindlichen Habseligkeiten  war weg, aber weiterleben durften sie. Viel später, im öffentlichen Bus am Weg heim sitzend, hätten sie das geraubte Auto wiedergesehen, zusammen mit den Räubern und echten Polizisten, alle bei bester Laune.

Das hier sei ihr erster Schnorcheltrip, berichten sie strahlend, und saufen kurz darauf trotz ihren Schwimmwesten beinahe ab im aufgewühlten Meer. Es scheint, sie können gar nicht schwimmen. Einer krallt sich am Rettungsring des Guides fest und lässt sich abschleppen, der andere reißt sich ständig die Maske runter und hundelt planlos und mit großen Augen in der Gegend herum. In einer netten Mischung aus Weichkorallen und Seegras wundern sich eine Schildkröte, ein Rochen, ein paar Barracudas, ein Boxfisch, ein Clownfisch und viele Bewohner mehr. 


 2.-5.1., Celestun, Valladolid, Puerto Morelos

Ja, ich bin schreibfaul, aber es passiert auch nicht viel. Vom Küstenkaff cruisen wir ausgenüchtert weiter nach Valladolid, wo wir gerade noch so auf einer Baustelle einer Chinesenfamilie unterkommen. Fehlende Balkongeländer, überhaupt ist das halbe Gebäude noch ein Rohbau. Cecilie kann in ständiger Angst vor dem Gurgelschlitzer nicht schlafen, anstatt eines Fensters klaffen in den Badezimmern nur Löcher in den Wänden. In einer lässigen Halsstichhütte mit Saloontüren wie aus dem Westler schlürfen wir Bier und tunken uns dazu Orangen in Chillisalz, es stinkt nach Klo. In einer kühlen Xenote schwimmen wir und ertragen das von einem Seelenlosen dargebotene La Bamba abends an der Bar. 

Zurück in Playa del Carmen bringen wir das kaputte Auto mit gutem Wind an, setzen vorher noch Cecilie vor ihrem neu angemieteten Apartment ab, dann suchen Ena und ich ewig ein Moped für die nächste Zeit in Puerto Morelos. Sechzehn Euro pro Tag waren einmal, jetzt hätte man gerne siebzig. Highest Season, nichts geht mehr. Auf meine verklärte Preisvorstellung hin antwortet mir ein Verleiher: I love you man, but not that much!  Letztendlich cruisen wir auf einem stärkeren und natürlich teureren Modell als gewohnt gen Norden, hilft ja nix. Wenigstens mehr Platz fürs Gepäck und die Kleine am Sozius und schnell genug für die vertrottelten Drängler am Highway. Stunden, halbe Tage vergehen so sinnlos auf der Suche nach Mobilität, Kost und Logis. 

In trauter Zweisamkeit genießen wir viel später die bombastische Aussicht aufs Meer von Puerto Morelos höchstem Gebäude im Umkreis, mit kleinem Pool am Dach und Schaukeln an der Bar. Sogar die Pelikane fliegen unter uns, so hoch ist die Bude, wir logieren dekadent, aber schön. Ena war die Sucherei nach einer brauchbaren Bleibe irgendwann zu blöd und griff für ihre letzten Tage in Mexiko ins Gesparte und ich partizipiere frech und glücklich mit. You are happy, konstatiert auch ein Mexikaner, den wir anderntags bei Sonnenaufgang am Dach treffen, our wifes beat us up. 


Dienstag, 2. Januar 2024

 29.,30.,31.12., Campeche, Celestun

Ein paar unerforschte Ecken in dieser kitschigen Stadt gibt es noch, die mir bei meiner ersten Visite vor rund einem Monat entgangen sind. Oben auf der Stadtmauer kann man lustwandelnd Campeche überblicken und die Glocke läuten, die einst das Kommen der Piraten verkündete, aber das dazugehörige Museum mit vielleicht zehn Quadratmetern ist eher ein Scherz. Eine Schaufensterpuppe im peinlichen Kindergeburtstags- Freibeuter- Outfit erwartet den Besucher und nicht viel mehr. 

Next Stopp: Celestun, verschlafenes Küstenkaff westlich von Merida. Mitten auf der Straße schlafende Hunde am Weg dorthin müssen mehrmals umfahren werden, sie bleiben einfach liegen. Kinder, die in Lumpen Baseball spielen in Dörfern, die so  ärmlich sind, daß sich Cecilie überhaupt weigert, hier irgendwo ein kleines Päuschen einzulegen. Generell ist das ganze Land ranzig. Jede Unterkunft, jeder Wirt, die Häuser, die Autos, mitunter die Menschen, alles ist mehr oder weniger grindig. Das Bettzeug müffelt, Schamhaare kleben in der Dusche, das Häusl rinnt und die Klobrille ist ausgerissen, die Fläschchen mit Sauce am Tisch sind verkrustet und verpickt. Und das bei einem Preisniveau, das sich nicht sonderlich von dem Österreichs unterscheidet. Ich wünschte, ich könnte positiver berichten, aber dann könnte ich ja gleich beim Lonely Planet als Schreiberling starten.

Wie üblich sieht es rund um Neujahr schlecht mit Unterkünften aus. Die erste Nacht verbringen wir in einer modrigen, vollverfliesten grünen Ausnüchterungszelle mit deprimierender zwanzig Watt-Birne. 

Das unaufgeregte Celestun mit seinem durchschnittlichen Dorfstrand ist der Höhepunkt meiner beziehungsweise unserer mittlerweile über viertausend Kilometer langen Reise, zumindest wenn es um freien Zugang zum Meer geht. Ein paar Restaurants und Verschläge mit Plastiksesseln, einheimische Familien mit Kühlboxen und lauter Musik unter Palmen, Fischerboote im Sand. Frauen in Tracht verkaufen Selbstgesticktes und kaltes Kokoswasser. Eine Mole ragt ins Meer, von der aus Männer und Frauen ihre Angeln und Netze auswerfen. Wirklich nix Aufregendes, aber schon viel angesichts der schamlosen Privatisierung der vorhandenen Strandabschnitte zumindest auf der restlichen Halbinsel Yukatan. 

Einen entbehrlichen  Bootsausflug lassen wir uns aufschwatzen, damit Cecilie auch noch zu ihren Flamingos kommt. Die hocken vereinzelt auf Sandbänken und filtern rosa vor sich hin. Auf einem Felsen hocken noch Kormorane und Pelikane, so wie sie das überall anders auch tun. Durch die  Mangroven gleiten wir und sehen Termitennester und rote Krabben und irgendwo ein Stückchen weiter blubbert´s ein bisschen im Meer, scheinbar eine Süßwasserquelle. Wir hätten soeben die Bundesstaatengrenze zwischen Campeche und Yukatan überquert, aha. Dann sollen wir uns an einer seichten Stelle zirka hundert Meter vor der Küste mit bläulichem Schlamm einschmieren. Hier hätten die Maya immer gebadet und der Dreck sei gut für die Haut. Bullshit. Sicher frei erfunden. Vielmehr könnte es sich hierbei um ein antikes Gemeinschaftsklo der Maya handeln, etwas abseits der Horde und ausgestattet mit praktischer Frischwasserspülung. 

Heute endet das Jahr, aber viel merkt man nicht davon. Eine zur Feier des Tages anberaumte Achtelrallye scheitert schon nach dem zweiten Wirten, mehr geöffnete Lokale mit Alkoholausschank sind nicht auszumachen.  Am Strand bemüht sich ein angeheuerter Saxophonspieler später redlich, die Restaurantgäste bei Laune zu halten, ein Ding der Unmöglichkeit. Rund um die elitären Tische der Feiergesellschaft dröhnen die Musikboxen der Einheimischen, kläffen die Hunde, zünden Kinder Raketen. Irgendwie schaffen wir es bis Mitternacht. An einem rauchigen Lagerfeuer singt eine ältere Lady zum Jahreswechsel stimmgewaltig und spielt die Gitarre, Menschen werfen vollgeschriebene Papierschnipsel ins Feuer.

Das neue Jahr. Ausschlafen, die Wunden der gestrigen Druckbetankung lecken. Rundum wird gekotzt, es klingt, als ob Frösche am See quaken würden. Später ein Pescado frito, Ena bekommt ihre Pancakes. Dazu einen Liter Ananassaft mit Spinat, Alk werden wir nie wieder trinken. Ein sonniger, schon wieder völlig ereignisloser Tag in Mexiko.