Montag, 21. Februar 2022

 20., 21.2., Sao Paulo

In manchen Ecken Sao Paulos sieht man hauptsächlich hohe Mauern. Alle paar hundert Meter hocken zusätzlich Typen in Wachhäuschen so klein wie Telefonzellen und beschützen die Reichen hinter den hohen Mauern. Alles picobello hier, alles sauber. Ältere Herrschaften führen ihre Schoßhunde aus oder laufen eine Runde, es gibt sogar Radwege. Andere Ecken Sao Paulos erinnern mehr an Zeltstädte oder Zoos, vollgeschissen und vollgebrunzt, dass es einem den Atem verschlägt. Neben den Obdachlosen, die Dosen sammeln, vor sich hin dämmern oder sich ohne zu zögern von x-beliebigen Speiseresten aus Mülltonnen ernähren, gebärden sich dort unverhältnismäßig viele durch und durch wahnsinnige Gestalten. Schreiende, wild gestikulierende, verwilderte, paranoide Schattenmenschen in Decken oder in Lumpen gehüllt und immer ohne Schuhe. 

Gestern und heute unternehme ich ausgedehnte Streifzüge, mal langsamer, mal schneller, und absolviere noch zwei weitere organisierte Touren durch die Stadt. Schwerpunkt gestern waren die vielen Graffitis im Bezirk Vila Madalena und alle Geschichten dazu. Seit einigen Jahren ist es in Sao Paulo vollkommen legal, öffentliche Flächen mit Graffitis zu behübschen. Das hat den angenehmen Effekt, dass jetzt nur mehr die privaten Wände mit schnell hingeschmierten Tags, also Schriftzügen oder Initialen, verunstaltet sind, wohingegen sich der ambitionierte Sprayer an öffentlichen Mauern soviel Zeit lassen kann, wie er oder sie für die Fertigstellung der Arbeit benötigt. Wunderschöne, farbenprächtige Kunstwerke gab es da zu bestaunen, Murals, also großflächige Bemalungen an Fassaden, oder geprintete Exemplare mit zusätzlichen Verzierungen aus Glas oder Stoff. In der Beco do Batman, dem Epizentrum der Szene, tummelten sich die Touristen und machten Selfies, als hätten sie hier selbst die Dosen geschwungen. 

Zu guter Letzt heute noch das Zentrum. Die Kathedrale von Se und der Platz der Republik, wo ich vor sechs Wochen angekommen bin, die große Markthalle and such. Und jetzt reicht´s dann auch. Morgen schaue ich mir noch das Japanerviertel Libertade an, bevor ich übermorgen die Heimreise antreten werde. Die üblichen Visionen stellen sich bereits ein, ein Kornspitz mit Radieschen zum Beispiel oder ein simples Glas kaltes Wasser aus der Leitung. Ein frisch überzogenes Bett ohne Viecher in der eigenen Wohnung, wow. Immer gut für die Perspektive, ein paar Wochen fern der Heimat. Ich empfehle mich und schließe den diesjährigen Bericht mit einem brasilianischen Trinkspruch, mögen unsere Frauen niemals Witwen werden. 


Sonntag, 20. Februar 2022

 19.2., Sao Paulo

Wieder zwei Stunden mit dem Rucksack durch die Stadt latschen, bis sich ein geeignetes Quartier auftut. Sao Paulo erstreckt sich über zahlreiche Hügel und ist riesig. Über dreizehn Millionen Einwohner, die größte Stadt des Landes, jeder zehnte Brasilianer lebt hier. Dass von vier Paulistanos wiederum drei ein Fußballshirt tragen, ist statistisch nicht belegt und entspringt lediglich meiner persönlichen Einschätzung. Ur zaach jedenfalls gestaltet sich die Herbergssuche. Wieso gibt´s nur dort Zimmer, wo keiner wohnen will? Umzingelt von Stadtautobahnen und Wolkenkratzern checke ich ein und kann noch froh darüber sein. 

Nachmittags nehme ich an einer Führung durch den Ibirapuera Park teil, einem der größten Naherholungsgebiete Sao Paulos. Abermals ein äußerst langweiliges Unternehmen, diesmal werden am Ende noch sieben von sechzehn Teilnehmern übrig sein. Ein Park halt, vergleichbar in etwa mit dem Donauturmpark. Ein paar Wiesen, ein kleiner See, ein paar hässliche und obendrein noch verwahrloste Gebäude eines gewissen Oscar Niemeyer, der auch die Hauptstadt Brasilia im Grundriss eines Flugzeuges entworfen hat. Unser Mann faselt etwas von einer erfolgreichen Picasso-Ausstellung am Gelände 2004, das war vor achtzehn Jahren. Am interessantesten ist noch die kleine Skulptur eines Kindes mit einem Schwein. Früher sei es für die Kids ein beliebtes Freizeitvergnügen gewesen, ein zuvor noch mit Öl eingeriebenes Schwein zu fangen, das war vor Instagram und Tik Tok. Ein ebenfalls am Rundgang teilnehmender indischer Herzchirurg erzählt mir gleich, dass sie jetzt Rinder- statt Schweineherzklappen einbauen, wegen der Moslems. Doppelt Schwein gehabt also in letzter Zeit, die Schweine. 


Freitag, 18. Februar 2022

 18.2., Sao Paulo

Nett war es hier, aber da der einzige erkennbare Nervenkitzel auf Ilhabela für mich nur darin besteht, eventuell an einer Lebensmittelvergiftung einzugehen, setze ich mich schon früh um Sechs nach Sao Paulo ab, um mein Glück dort noch ein wenig zu strapazieren. 

Nach einer Fährüberfahrt, einer fünfstündigen Busfahrt und einigen U-Bahnen bin ich auch schon im Bezirk der Wahl Pinheiros angekommen. Ruhig und relativ sicher soll es hier sein, aber wenn kein Hotel weit und breit ausfindig zu machen ist, ist das alles hinfällig. Zwei Stunden schleppe ich und suche ich und quartiere mich letztlich ganz wo anders in einem Stundenhotel ein, weil die vorab gebuchte Stadtführung bald beginnt. Die Lady an der Rezeption hockt hinter Gittern und öffnet mir per Summer eine ebenfalls vergitterte Tür, wie im Häfm. Im kleinen Zimmer liegt eine Rolle Klopapier am Kopfende des Bettes bereit und aus den zwei Paar bereitgestellten Badeschlapfen sind seitlich große Dreiecke ausgeschnitten, damit sie nur ja niemand fladert. Wurscht jetzt, ab zum Treffpunkt. 

Tatsächlich haben fünfzehn Interessierte ihren Weg hierher gefunden, am Ende der Führung werden wir noch fünf sein. Verständlich, dass viele plötzlich noch etwas vor haben oder jemanden treffen müssen, die Tour ist über alle Maßen fad. Kernstück der Besichtigung ist die Avenida Paulista, laut der vortragenden Dame das kulturelle Zentrum der Stadt. Tatsächlich handelt es sich eigentlich nur um eine lärmige, achtspurige Straße gesäumt von meistens hässlichen Hochhäusern aus den Siebzigern. Den größten Buchladen, nicht die größte Bücherei Sao Paulos sehen wir und viele Bilder von Gebäuden, die schon lange nicht mehr stehen. Während ihrer Ausführungen muss unsere Unterhalterin immer wieder innehalten, wenn wieder einmal ein Hubschrauber über uns hinweg donnert. 2200 Flüge in der Stadt durchschnittlich pro Tag. Noch ein paar versiffte Beserlparks voll mit Sandlern begutachten und ausgezeichnete Käsebällchen in einer Bäckerei verkosten, fertig ist der Trip nach lähmenden drei Stunden. Die Leute sind schon in Feierlaune, trinken Bier und tanzen auf den Gehsteigen zu Livemusik. 

Zurück am Zimmer breite ich vorsorglich mein Tuch über das Bettzeug, um mich notdürftig vor eventuell ausgestreuten Sackratten oder Winterkirschen zu schützen. Schon bald setzt einschlägige Hintergrundbeschallung ein, wobei das Kernthema das weibliche A in allen Variationen ist. Dem folgt im Normalfall ein martialisches Schreien, wo man nur hoffen kann, dass sich niemand weh getan hat. Konkurrenz bekommen die rammelnden Akteure der nachbarlichen Zimmer von gemeingefährlichen Gesangsdarbietungen der Besucher einer nahen Karaokebar. Auch diese Nacht wird vorübergehen.


Donnerstag, 17. Februar 2022

 17.2., Ilhabela

Stefsechefs kleines Leben auf der Insel. Ein Blumenküsser, so die entzückende Bezeichnung der Einheimischen für den Kolibri, brummt geschäftig im Garten herum, während ich frühstücke und mich über den hauptsächlich im Norden beheimateten Stamm der Yanomami schlau mache. Die hängen zum Beispiel ihre Toten an einen Baum, bis diese ausreichend getrocknet sind, um verbrannt werden zu können. Die dabei entstandene Asche wird dann mit Bananen vermischt und von Freunden und der Familie verspeist, um die Seele der Verstorbenen in sich aufzunehmen. Da freue ich mich, kein Yanomami zu sein, und mische meine Banane sogleich mit einem Stück Aniskuchen. Kann ich zwar auch nicht leiden, aber letztendlich ist alles relativ. 

Der heutige Strandtag ersäuft in einem orkanartigen Unwetter, das scheinbar von Österreich herüber gezogen ist, also tröste ich mich abends mit der hiesigen Spezialität Acaraje de Bajana, das sind gebratene braune Bohnen mit getrockneten Shrimps und Tomatensauce. Klingt gut, oder? Vorgesetzt bekomme ich dann einen in altem Palmfett frittierten Klumpen mit kleinen, ungeschälten Shrimps und oben drauf einem grünlichen Gatsch. Von der stinkenden Chilisauce am Tisch koste ich nur einmal. Ja, auch sehr scharfe Lebensmittel verderben, wenn man nur lange genug darauf wartet. 

Nett war es hier, aber da der einzige erkennbare Nervenkitzel auf Ilhabela für mich lediglich darin besteht, eventuell an einer Lebensmittelvergiftung einzugehen, werde ich mich morgen früh nach Sao Paulo absetzen und mein Glück dort noch ein wenig strapazieren.


Mittwoch, 16. Februar 2022

 15., 16.2., Ilhabela

Den gestrigen Tag noch überwiegend in horizontaler Kontemplation verbracht, heute  geht´s schon wieder. Ich nehme den Bus bis ans südliche Ende der Insel, weil ich mich noch zu erledigt fühle, um stundenlang herumzuhatschen, aber trotzdem etwas sehen möchte. Natürlich gedenke ich, auf gleiche Art und Weise auch wieder zurückzukommen, und als der Fahrer am Ende seiner absolvierten Strecke im Wald, wo er mit seinem Bus kehrt macht, meiner im Rückspiegel ansichtig wird, staunt er nicht schlecht. Lange kann er nicht verstehen, dass ich seine Dienste nur zwecks des Gaudiums in Anspruch nahm und jetzt auch wieder heim möchte, so etwas ist ihm wohl noch nie passiert. Im Bus läuft neben einem Corona- auch ein Zika-Aufklärungsvideo in Endlosschleife, eine andere, zumindest bei mir völlig aus dem Fokus gerückte, hier aber noch immer aktuelle Virus-Erkrankung. 

Nach Tagen angenehmer Appetitlosigkeit gehe ich etwas essen, wobei einem bereits die dazu aufgesuchte Ecke die Entscheidung, was man denn bestellen soll, abnimmt. Im kleinen Dorfpark stehen zum Beispiel drei Fresswaggons, verfügen aber über das gleiche Sortiment. Verkauft werden frisch herausgebackene Pastel, das sind brasilianische Frühlingsrollen. Meine Füllung der Wahl besteht aus Palmherzen mit Käse und dazu gibt´s einen halben Liter frisch gepressten Zuckerrohrsaft. Der Wirt ein paar Meter weiter wiederum bereitet nichts anderes zu als Fleischspieße. Es gibt keine Beilagen, Teller oder gar Besteck, dafür aber hausgemachte scharfe Sauce und kaltes Bier in kleinen bauchigen Flascherln dazu. Die Bude ist bummvoll, immer. Auf mich wird wieder Bezug genommen als el Gringo, das mag ich. Da gibt´s gleich den Daumen nach oben, eine in diesen Breiten unverzichtbare und mit Sicherheit öfter eingesetzte Geste als in den US and A.

Schön ist es hier, wenn auch völlig unspektakulär. Am Meer kann man sich in sattgrüne  Wiesen setzen und der Sonne beim Untergehen zusehen, dort gibt´s auch weniger Sandfliegen. Oder ich beobachte die Reiher, wie sie im Schlick geduldig irgendwelchen Grindviechern nachstellen. Konkurrenz bekommen sie dabei von Krabbenfischern, die dort, wo der Fluss in das Meer mündet, kleine Netzkörbe mit Fischköpfen darin auswerfen und hinab zum Grund sinken lassen. Dann warten sie eine Minute darauf, dass Krebse hineinklettern, ziehen das Konstrukt mit einem festen Ruck nach oben und tatsächlich-zwei oder drei Viecher sind immer im Korb. Die spreizen dann ihre Scheren und haben doch kein Leiberl gegen das Messer, das ihnen gleich in den Panzer gerammt wird. Oder ich schaue mir den Schatzsucher an, der mit Metalldetektor und Sieb am Stiel den Sand absucht. 

Livemusik kommt auch vor, selten beim Wirten, häufiger in der Kirche. Wobei sich die Mainstreamgötter in dieser Ecke der Welt gegen einige alteingesessene Kontrahenten behaupten müssen. Gegen Exu zum Beispiel, der mit seinen Hörnern und einem Dauerständer auch irgendwie dynamischer rüberkommt. Oxala gehört immerhin die Sonne und Oxum, Gott des Süßwassers, werden gar Spiegel, Champagner und Honig dargebracht. Quimbanda, ein eigentlich verbotener, schwarzer Kult, wird bevorzugt auf Straßen und an städtischen Kreuzungen zelebriert. Die Teufel und Dämonen werden mit Opfergaben namens Miamiami gnädig gestimmt, na das klingt ja wirklich lecker.


Montag, 14. Februar 2022

 11.-14.2., Ilhabela

Hat jetzt doch länger als gedacht gedauert mit dem Update, aber! ich fiel der Seuche anheim. Viel mehr, als dass ich mich mit Corona angesandelt habe, ist allerdings auch nicht passiert. Erst nach zwei Tagen fiebrigen Siechtums kam mir erstmalig der Gedanke, es könnte sich dabei ja um Covid handeln, der einzige mitgeführte Selbsttest hat dann die zwei Stricherl ausgespuckt. So liege ich die meiste Zeit im Bett und gare schonend im eigenen Saft, fresse die paar abgelaufenen Paracetamol, die ich noch dabei habe, gegen das Schädelweh und warte auf Godot und darauf, dass es besser wird. Neue Studien deuten übrigens darauf hin, dass Paracetamol Einfluss auf Mitgefühl und Einfühlungsvermögen hat und die Risikobereitschaft erhöht. Hierzu kann ich keine persönlichen Erkenntnisse beitragen. Ich bin alleine hier und würden mir riskante Aktivitäten einfallen, die ich im Bett ausüben könnte, wäre ich ohnehin zu erledigt dafür. 

Während des Wochenendes hat es sich hier ordentlich abgespielt. Durchgehendes Getöse von Hubschraubern ließ mich schon von Waldbränden fantasieren, aber es waren nur die Gestopften, die sich vom Festland haben einfliegen lassen. Und gestern wieder alle retour. Kilometerlanger Stau vor der Fähre, zwei Stunden Wartezeit. Am Wasser habe ich mir im Zuge eines kurzen Auslaufs die Hackler angesehen, wie sie bei Ebbe in völliger Finsternis die nur für die zwei Tage benutzten Boote im Auftrag von deren Besitzern wieder weggesperrt haben. Als Zugfahrzeuge im tiefen Sand dienten höhergelegte Traktoren, bei denen sich wahrscheinlich zwecks der besseren Übersicht der eigentliche Traktor, also alles außer den Rädern, in zirka vier Metern Höhe befindet. Meistens aber liege ich herum und wenn sich mal ein Gecko an der Decke blicken lässt, bin ich schon recht zufrieden.


Freitag, 11. Februar 2022

 10.2., Ilhabela 

Hiermit kommt der explorative Teil meiner diesjährigen Feldforschung zu seinem Ende. Mein Quartier ist ein schattiges Refugium inmitten eines Gartens und fünf Minuten vom Strand entfernt. Es gibt guten Kaffee, eine Bar und einen Billardtisch. Beherberger Talis spricht Englisch und Ilhabela ist so, wie man sich eine Insel vorstellt. Die Fischer verkaufen ihren Fang  am Strand gleich direkt aus Styroporkisten heraus und die Inselgärtner schlafen ohne Genierer ein Stückchen weiter unter Palmen im Sand. Dass es auf dieser Insel auch nicht mehr Sehenswürdigkeiten als auf den meisten anderen der restlichen Welt gibt, Strände, Höhlen, Berge und unglaubliche 368 Wasserfälle, beruhigt mich ungemein. Ich werde nichts versäumen, sollte ich die eine oder andere Attraktion auslassen. Auch das Fahren mit dem Bus ist hier wesentlich entspannter. Soll er ruhig irgendwo unerwartet abbiegen, weit wird er nicht kommen. Die koloniale Altstadt ein Stückchen weiter im Norden ist schon erforscht und der abendliche Rundgang an die Peripherie meiner Ecke ebenfalls. Gleich neben dem Krankenhaus hat der Bestatter seinen Laden, das ist praktisch. Auch für Ilhabela gilt, dass die Armen immer dort wohnen, wo es am steilsten ist, und dass das Navi zwar immer den kürzesten, niemals aber den angenehmsten Weg von A nach B vorgibt. Am finsteren Meer fahren nach Einbruch der Dunkelheit nur mehr die kleinen, "dreispurigen" Fähren zwischen dem vier Kilometer entfernten Festland und der Insel hin und her und ich stehe irgendwo oben und schaue ihnen dabei zu. Meine Niederschriften zum Stand der Dinge werde ich hinkünftig in Erwartung ereignisloser Tage entsprechend ausdünnen, außer natürlich, es passiert was. Hier bleibe ich nämlich ein paar Tage.


Donnerstag, 10. Februar 2022

 8.2., 9.2., Campo Grande, Sao Paulo, Ilhabela

Ein letzter Anlauf, auch von hier könnte man zumindest noch in die südliche Ecke des Sumpfes gelangen. Die erste im Netz gefundene und erwartungsschwanger aufgesuchte Tourist Agency  finde ich leergeräumt vor, verstaubt und gänzlich verwaist. Im zweiten werden lediglich Einkaufsausflüge organisiert und das dritte wurde in ein Covid-Impfzentrum umgewandelt. Meine schriftliche Anfrage an eine weitere Agentur bleibt unbeantwortet. Dafür entdecke ich ein weißes Holzkreuz auf einer Verkehrsinsel, so einfach und unscheinbar, wie man es sich nur vorstellen kann. Die Inschrift lautet: 1974, CSSR. Unidos em Cristo,  vereint in Christus. Und weil ich schließlich Stefsechef bin, verwegen, verwahrlost und volksnah, setze ich mich zu ein paar Arbeitern in einen Schmuddelwirten und bediene mich gemeinsam mit den Bauernlümmeln an den eingetrockneten Resten des recht einfach gehaltenen Mittagsbuffets.

Nachmittags trete ich die Mutter aller Busfahrten an, zurück nach Sao Paulo und gleich weiter zur Insel Ilhabela. Unterwegs nicht viel Neues. Termitenhügel so groß und so widerstandsfähig, dass sich die Kühe genüsslich an ihnen reiben können, ohne größeren Schaden anzurichten. An einer Raststation hängen zwei Plakate. Das erste fordert dazu auf, Bettlern kein Geld zu geben. Es würde deren Selbstgefälligkeit unterstützen und für Alk, Drogen und Prostitution ausgegeben werden. Über das zweite sollen Männer als Reservisten für die Armee rekrutiert werden. Ein paar Worte mit einer Bolivianerin mit Auslandssemester in Alaska, dann fetzt der Bus weiter durch die Nacht, nach Eigenart der Brasilianer nur mit Standlicht. Der Sinn des Blindfluges erschließt sich mir nicht. Vielleicht möchte man Sprit sparen oder gegebenenfalls mit mehr Effekt aufblenden können, glaubt man dem Erklärungsmodell meines Reiseführers. 

Morgens um Sechs komme ich in Sao Paulo an und fahre mit der U-Bahn zu einem anderen Busterminal. Eine Frau steigt zu und hängt ein T-Shirt am Kleiderhaken über eine der Haltestangen. Dann folgt eine lautstarke Präsentation des von ihr vertriebenen Fleckenmittels, das tatsächlich guten Absatz findet. Weitere fünf Stunden im Bus nach Sao Pedro, die ich mit Magenkrämpfen und in großer Dankbarkeit für das Vorhandensein einer Bordtoilette verbringe, ohne die es ein großes, nicht mehr zu verhinderndes Unglück gegeben hätte. Dann noch zum Fährhafen latschen und gratis(!) auf die Insel übersetzen, ist mir auch noch nicht passiert. Ein riesiges Schiff aus Monrovia und ein Tanker, der unter griechischer Flagge fährt, liegen ebenfalls am großen Pier vertäut. Vier Mitarbeiter einer Touristeninformation freuen sich sehr, als ich mich nachmittags als der erste Besucher des Tages ins Gästebuch eintrage. Auf deren Rat hin folge ich der Hauptstraße nach Norden und checke dreiundzwanzig Stunden nach Antritt der Reise in der ersten Unterkunft ein, die ich zu Gesicht bekomme. Boa Noite.


Dienstag, 8. Februar 2022

 7.2., Coxim

Schon um Fünf stehe ich auf und das nicht nur, um Jagd auf die verdammten Gelsen zu machen. Es gilt auch herauszufinden, in welchen Löchern dieses Außenpostens der Zivilisation sich die touristischen Dienstleister verstecken. Später wandere ich an Läden für Baustoffe, Tierfutter und Werkzeug vorbei, alles sehr ländlich. Vor der tiefen Absteige von gestern lungern wieder die ärgsten Figuren herum, aber nach einem Weilchen finde ich doch noch das Zentrum Coxims, das sich in zwei Kreuzungen erschöpft.

 Eine ausgebleichte Tafel verrät den Standort des städtischen Tourismusbüros, wo sich fünf Angestellte über mein Erscheinen wundern und kurzfristig das Nasenbohren einstellen müssen. Einer von ihnen, Ariel, spricht englisch. Er hatte seine eigene Agentur und war Guide, bis Covid kam, deswegen. Nach längerer Sucherei aller Anwesenden drückt er mir zwei Broschüren in die Hand. Er gehe aber nicht davon aus, dass auch nur einer der Aufgelisteten mit mir in den Sumpf fahren werde. Erstens gäbe es abgesehen von mir keine weiteren Interessenten, zweitens sei jetzt auch die falsche Zeit dafür. Es gäbe momentan auch mit Allradfahrzeugen kein Durchkommen. Ob sich außer mir noch Ausländer in Coxim aufhalten würden? Das könne er sich nur schwerlich vorstellen. Ob es keine inländischen Gäste gäbe, es seien doch Ferien? Schon, aber ein Brasilianer bezahle kein gutes Geld dafür, sich bei vierzig Grad im Morast von Gelsen zerstechen zu lassen. So etwas würden nur die ausländischen Touristen buchen und die kämen einfach nicht mehr. Ob ich mir ein Motorrad mieten könne oder ein Auto oder ein Pferd? Nein. Früher schon, jetzt nicht mehr. Das mit dem Pferd erkennt er gar nicht als Witz. Schon bei der gestrigen Busfahrt hatte jemand einen Sattel als Gepäck dabei.

Vor den Banken haben sich inzwischen lange Schlangen gebildet. Vielleicht ehemalige Tourismusfachkräfte, die sich jetzt ihr Arbeitslosengeld abholen. Das ist alles sehr ernüchternd. Ein Sumpf so groß wie Deutschland, und keiner will ihn mir zeigen. Ihr hattet eure Chance, ihr Hinterwäldler. Noch am Nachmittag fahre ich zurück nach Campo Grande. Sollte mich jemals jemand fragen, was ich denn in Brasilien so gemacht hätte, werde ich ihm antworten, ich sei hauptsächlich mit dem Bus gefahren. Eine Stunde geistere ich dann noch am Bahnhof herum, um mich über mögliche Anschlüsse schlau zu machen, dann folge ich einer Schnellstraße bis zu einem in der Ferne erspähten roten Hotel-Neonschild. 


Montag, 7. Februar 2022

 6.2., Coxim

Regen, als ich um Sieben in den ersten Bus gen Norden steige. Statt Soja dominiert heute Zuckerrohr, aus dem hauptsächlich Cachaca gebrannt wird. Die Hausmarke Camelinho ist allerdings ohne Einschränkungen untrinkbar. V-förmige Strommasten sind über weite Strecken die einzigen Bauwerke in der flachen, wie mit dem Lineal gezogenen Ebene. 

Nach vier Stunden erreiche ich Campo Grande. Vom großen Feld fahre ich noch einmal vier Stunden nach Coxim. Draußen Hütten statt Häuser in staubigen Siedlungen an der Bundesstraße. Kirchen sind in Hallen mit runden Blechdächern untergebracht. LKW´s mit Jesus oder Lisa Simpson auf der Beifahrerscheibe donnern vorbei. Ein Mann mit Cowboyhut steigt im Nirgendwo aus, bevor wir an einer sehr grindigen, mit ehemals weißen Kacheln vollverfliesten Raststation Pause machen. Ein streunender Hund, der von jemandem die Reste eines Sandwiches bekommen hat, kostet davon, pinkelt dann darauf und empfiehlt sich. Auch wir fahren weiter. Wilde Deponien, Zebu-Rinder mit Höckern auf grünen Weiden. 

An einer Brücke am südlichen Ende Coxims steige ich aus und folge der Straße entlang eines Flusses. Am Stadtrand ist sie als einzige asphaltiert, sonst zweigen nur rote Staubpisten von ihr ab. Ein  leerer Springbrunnen mit ausgebleichten Skulpturen, großen, abgeschlagenen Fischen aus Beton. Zwei Frauen tanzen in einer Wiese zur Musik ihres Ghettoblasters, der Sprit kommt aus einer Styroporbox. Ein paar Palmen in verwilderten Waldstücken, kleine Wohnhäuser mit Vorgärten, in denen alte Menschen sitzen oder in Hängematten liegen. Dubiose Bars mit Trinkern und verlebten Gesellschaftsdamen. Ich gehe und gehe, drei, vier Kilometer in Richtung des vermeintlichen Zentrums, aber es ändert sich nicht viel. Die Straßen sind jetzt zwar sehr breit, aber irgendwie ist nichts da. Ich latsche durch die ausgestorbenen Blocks, bis ich eine als Hotel ausgeschilderte Absteige erreiche. Eine Frau führt mich nach hinten, das Zimmer um acht Euro. Einer liegt besoffen am Boden des Innenhofs und grunzt. Leere und volle Flaschen mit Zuckerrohrschnaps und Bier stehen und liegen herum. Es wird sich hoffentlich noch etwas besseres finden lassen. 

Weiter oben an einer Art Durchzugstraße nach einem Stadion finde ich eine weitere Unterkunft. Dort frage ich, wo den hier das Zentrum sei und das Mädchen deutet in Richtung des Flusses, von wo ich eben gekommen bin. Das muss ein schrecklicher Irrtum sein. Jedenfalls, hier bleibe ich. Die Klobrille ist gut, aber aus und eine ungesicherte Tür in eine Art Lichthof muss ich erst noch verrammeln. Später esse ich etwas in einer Lancheria am Eck und wenn ich ein Hund wäre, wüsste ich, was zu tun wäre. Dann sitze ich an der Straße, trinke Bier und schaue. Der Pickup ist das Fahrzeug der Wahl. Ich befinde mich im natürlichen Habitat des brasilianischen Rednecks, am westlichen Rand des großen Sumpfes. Morgen werde ich mehr herausfinden.


Sonntag, 6. Februar 2022

 5.2., Jardim

Der Fahrer kommt zu spät, was ihn jedoch nicht davon abhält, erst noch unbefugt im Hotel zu frühstücken, bevor wir starten. Sehr gerne würde ich ihn schon jetzt für diese Frechheit hauen, ist aber in Brasilien leider ganz normal. Dreißig Kilometer fahren wir durch beinahe vollständig abgeholzte Landschaft mit ausgemergelten Rinderherden, ehe wir in einen Feldweg einbiegen. Ein Gürteltier mit schwarzer, haariger Beute im Maul macht sich noch schnell vom Acker. 

Vor dem Balneario Jardim Ecopark werde ich ausgesetzt, einem als natürliches Aquarium mit kristallklarem Wasser propagierten Flussbad. Also ein paar betonierte Plattformen entlang des Rio Prata mit einem Bademeister und ein paar großen Fischen, die den ganzen Tag nicht viel mehr machen müssen, als auf ihre regelmäßigen Fütterungen zu warten. Mit mir sind noch ein paar lärmende Familien da. Besonders die Frauen schreien wie am Spieß, wenn der Mitarbeiter das Fischfutter ganz nahe zu ihnen hinwirft. Dann kommen nämlich die mitunter kapitalen Exemplare im Blutrausch herangeschossen und scheuen auch nicht den Körperkontakt. Das Wasser ist natürlich nicht kristallklar, sondern stinkt im Vergleich zu jedem beliebigen Fluss in Österreich eindeutig ab, aber bitte. Ich schaue sechs Stunden darauf, lege mich hin und wieder selbst in die Strömung und warte gemeinsam mit meinen beschuppten Freunden auf Leckerbissen von flussaufwärts. Den Rest der Zeit lese ich in meinem letzten Buch. So einen Tag wollte ich schon immer einmal verbringen, mit Achtzig oder so. Für etwas Kurzweil sorgen ein Eisvogel, der vorbei flitzt, ein überdrehter Kolibri und ein Biber oder Otter oder etwas in der Art, etwas oberhalb, bei der felsigen Geländekante. Auch ein mitteilungsbedürftiger Mann gesellt sich zu mir und wir kommunizieren auf portugiesisch, spanisch, englisch und deutsch. Auch Gesten und Lauten bedienen wir uns zur besseren Verständigung, außerdem lasse ich einige frei erfundene Wörter einfließen. Hier eine vollständige Zusammenfassung des Gesprächs: Ich arbeite in Wien als Fahrer (imaginäres Lenkrad, brumm brumm), bin alleine unterwegs und mit meiner Frau (mucher) noch nicht in Venedig romantisch mit der Gondel gefahren. ( Romantica, unsichtbares Schatzi umarmen, Schmatzgeräusche). Er ist Bauer, baut aber höchstwahrscheinlich kein Soja an. Mit seiner Frau ist er immer am Wochenende hier, weil sie die Natur liebt. (Natura, Deuten auf die Fische und die Umgebung). Sein Großvater ist irgendwann von Deutschland nach Brasilien ausgewandert. Mein Mann beherrscht zum Beispiel noch die Wörter Wasser, Ja und Auf Wiedersehen. Das Gespräch dauert eine Dreiviertelstunde. Dann wäre es eigentlich an der Zeit, dass ich abgeholt werde, also gehe ich dem Dienstleister schon einmal entgegen. Ebenfalls eine Dreiviertelstunde lang, dann ist er auch schon da. Die panisch vor mir flüchtenden Rinder können sich wieder entspannen. Autos sind ihnen völlig egal, aber Fußgänger kennen sie nicht. Wir fahren noch zum Buraco das Araras, dem zweiten und letzten Highlight der Tour. Meine Schlapfen muss ich aus Gründen der Sicherheit noch kostenpflichtig gegen geschlossene  Crocs eintauschen, auch ein leider nur einsprachiger Führer ist obligatorisch für den einen Kilometer langen Rundweg. Ich staune über ein riesiges, perfekt kreisrundes Loch mit fünfhundert Metern Umfang mitten im Urwald, wie mit einem überdimensionalem Apfelentkerner ausgestochen. Die senkrechten Wände sind mit Büschen und Kakteen bewachsen und mit Vogelkacke vollgekleistert, am hundert Meter tiefen Grund hat sich ein kleiner Tümpel gebildet. Prächtige rotblaue Aras, also eigentlich Papageie, Tucane mit ihren viel zu großen, Ibisse mit ihren gekrümmten Schnäbeln ziehen ihre Kreise und krächzen sich einen weg. 

Zurück in Jardim gehe ich zum Bahnhof und kaufe ein Ticket für morgen, das mich wieder ein Stückchen näher an den großen Sumpf bringen wird. Ich hoffe auf Abenteuer, auf Treibsand, Krokodile und Anacondas. 


Freitag, 4. Februar 2022

 4.2., Jardim

Auf einer Fläche so groß wie Deutschland wird in dieser Ecke Brasiliens auch für Österreich Soja in Monokultur angebaut, zweihundertfünfzig Kilometer davon schaue ich mir heute wieder an. Gewaltige Siloanlagen sind die einzigen erkennbaren Bauwerke in der weiten Ebene nach Jardim. Irgendwo unterwegs ändert sich scheinbar die Zeitzone, wenigstens etwas. Im Hotel ruft mir eine Mitarbeiterin einen fahrenden Reiseagenten ohne festem Büro an, un Estrangero möchte etwas unternehmen! Der Mann findet sich zwar zügig ein, versteht aber auch kein Wort Englisch. Das kann nicht an Covid liegen. Hier kommen einfach niemals Touristen vorbei, die kein Portugiesisch sprechen. Mit Hilfe zweier Übersetzungsprogramme gehen wir daran, eines der mühsamsten Gespräche aller Zeiten zu führen. Ein paar Sätze mit Sinn, dazwischen: die Großmutter hat harte Kanten. Ja, tut mir leid, was? Preise, Daten, Erläuterungen, die Katze verkauft blauen Kuchen. Na genau. Ab und zu schaut auch er mich total entgeistert an. Programma loco! Fällt mir dazu ein, was natürlich auch nichts heißt. Irgendwie vereinbaren wir eine Tour für morgen früh, ist aber nur nach gründlicher Waschung möglich... In China war´s auch nicht ärger.

Beim Wirten das gleiche Spiel. Ich kann ihm nicht einmal verständlich machen, dass er irgendetwas bringen soll. Bla bla bla bla bla? No entendo, inglese. Fressen her. Bla bla bla bla? No entendo, inglese. Prato do dia, Hawara. Was zum Beißen. Wegen einer Autowäsche werde ich nicht da sein. 

Das Tagesgericht unterscheidet sich ohnehin nur in Nuancen, wenn überhaupt. Ein Stück Tier, Reis und Bohnen, eventuell ein Hauch von Salat. Deswegen mag ich die Buffets Livres. Unlimitiertes Einschneiden zumindest im Ansatz erkennbarer Speisen. 

Das Zentrum Jardims ist eine Kreuzung mit ein paar Geschäften, eines verkauft Steckenpferde. Mehr ist über diese Siedlung nicht zu sagen. 36 Grad im Schatten hat es, allerdings ohne Schatten. Ich flüchte in einen Supermarkt, wo einige Lebensmittel tatsächlich noch ein Validade indeterminada, eine unbefristete Haltbarkeit, aufweisen. Dann schleppe ich mich heim und halte so wie alle anderen auch Siesta. 


Donnerstag, 3. Februar 2022

 3.2., Dourados

Einer dieser Tage. Im TV werden rund zwanzig Demonstranten gezeigt, die im Zusammenhang mit dem gestern erwähnten Mord drei Reifen anzünden. Dann gammle ich zwei Stunden am Busbahnhof herum, bevor der meinige endlich um die Ecke biegt. Die Fahrpläne wechseln scheinbar täglich und was für gestern gegolten hat, gilt noch lange nicht für heute. Über Mundo Novo, El Dorado und Caarapo nähere ich mich im Schleichtempo dem Zwischenziel Dourados, der Bus hält gefühlt an jeder Hundehütte. So mancher Hund wohnt tatsächlich besser als die Taglöhner der großen Farmen entlang der Strecke, die sich ihre traurigen Verschläge gleich neben der Straße hingestellt haben. 

Lastwagen voll beladen mit Maniok, das Plakat einer Auflistung, wie viele Menschen auf dieser Strecke schon verunfallt sind und ob man gerne Teil dieser Statistik werden möchte. Draußen peitscht der Regen gegen die Scheiben und die Straßen stehen teilweise unter rötlichem Wasser. Regelmäßig Bolsonaro mit seinem Spruch, Vaterland, Gott und Familie, oder mit aufgemaltem Hitlerbärtchen. Ein Nandu, quasi ein südamerikanischer Vogel Strauß, im Sojafeld. 

Ich döse vor mich hin, solange man mich lässt. Eine Vollbremsung, weil der Busfahrer beim Einbiegen in eine schmälere Gasse einem Mopedfahrer erfolglos die Spur abschneiden wollte, dann ein Wahnsinniger, der ohne jeden Grund eine Radkappe gegen den Bus schleudert. Mein Ziel wäre ja nach wie vor Bonito, aber in Dourados ist schon Ende Gelände. Mindestens zehn Busunternehmen sind vertreten, nächster Anschluss morgen. Es ist fünf Uhr abends! In einem Behelfsloch steige ich ab und kann mich nur über die vielen Haare im Zimmer wundern. Als ob ein Wollschwein hier vor mir genächtigt hätte. 

Die Stadt Dourados, benannt nach einem Fisch, ist natürlich auch für die Fische. Meine Erkundung endet beim ersten Laden mit kaltem Bier.


Mittwoch, 2. Februar 2022

 2.2., Guiara

Im Frühstücksfernsehen wird die Ermordung eines Menschen gezeigt, die Aufzeichnungen einer Überwachungskamera, wie er von drei Männern mit Holzstangen erschlagen wird. Keine Verpixelung oder sonstige Unkenntlichmachung der grausamsten Details. Das Opfer wollte in Rio de Janeiro von einem Ladenbesitzer dreißig Euro für zwei Tage Arbeit einfordern.

Camila, die Eigentümerin der Agentur, holt mich ab. Eine Stadtbesichtigung hat sie noch im Programm und wir fahren ins alte Viertel am Fluss. Ein Museum mit ausgestopften, unerwartet großen Ameisenbären, Häute von Anacondas an den Wänden. In verstaubten Vitrinen Fundstücke aller Art. Von Faustkeilen und Federschmuck der Ureinwohner bis zur Banknote Österreich-Ungarns ist alles dabei. Dann eine aus den Felsen der untergegangenen Wasserfälle erbaute Kirche, die hundert Jahre alte Mate-Rösterei, in der heute gelegentlich Netflix-Filme gezeigt werden, eine kleine Lok, nichts Besonderes. Unterwegs naschen wir unbekannte Früchte von Bäumen. Aber das Atelier des sechsundachtzigjährigen Herrn Pacifico, so sein Künstlername, ist dann doch recht ungewöhnlich. Die Zwei kennen sich natürlich und wir sind ewig lange dort, ich schaue mir seine seltsamen Skulpturen und die chaotische Werkstatt an, wo er gerade an einem Jesus bastelt. Während wir selbst gepflückte Mangos in seinem Garten essen, vergleichen wir Frauen mit Orchideen. Morgen reise ich weiter, den Baile da Linguiça, den deutschen Ball der Wurst? nächsten Monat werde ich versäumen.


 1.2., Guaira

Als Irrlicht des internationalen Tourismus schlendere ich durch die Stadt und dann runter zum Fluss, wo mich ein kleiner, dicker Sicherheitsmann anspricht und mitnimmt. In der Nähe befindet sich das Secretario de Tourismo, dessen Mitarbeiter mich mit der einzigen, erst im Oktober des letzten Jahres gegründeten Agentur der Stadt kurzschließen. Nur für mich finden sich nachmittags die zwei Inhaber und ein Fahrer zur kurzerhand gebuchten, spottbilligen Kajaktour ein. 

Träge treibt der Parana hier dahin, zweihundert Kilometer südlich befindet sich schon die Staumauer des Kraftwerkes. Im Zuge der Aufstauung vor vierzig Jahren verschwanden genau hier, quasi unter uns, die Seven Falls. Mit dem Verschwinden dieser mächtigen Wasserfälle endete mit einem Schlag der Tourismus im Käffchen Guaira. Kurz vorher kamen natürlich noch die Horden, eine Hängebrücke stürzte ein und ein paar blieben hier. 

Ein paar Affen und schöne Vögel lassen sich im Gehölz blicken, ich bekomme einen Fruchtsalat und dann hüpfen wir aus den Kajaks und gehen schwimmen. Ich denke an den brasilianischen Nudelwurm, auch Harnröhrenwels genannt, und Krokodile und mir ist nicht ganz wohl im bräunlichen Wasser, aber ich bleibe verschont. Das Militär fetzt mit Speedbooten herum und sichert die Grenze und irgendwann erreichen wir die Ayrton Senna-Brücke, die Brasilien mit Paraguay verbindet.  Ein gewaltiger Knick in ihr dient, wenn es nach den Erklärungen der Zwei geht, dem Ausgleich gewaltiger baulicher Unzulänglichkeiten. Beide Nationen hätten ihren jeweiligen Abschnitt der Brücke mit großem Unterschied im Höhenniveau vorangetrieben, letztendlich wurden die zwei Teilstücke über eine Art Schanze miteinander verbunden. Das klingt eigentlich zu blöd, um wahr zu sein, aber im Netz ließ sich nicht mehr darüber herausfinden. 

Viel Treibgut liegt unterhalb der Brücke rund um die Steher und ober uns rauscht der Schwerverkehr, während wir zum Ausstiegspunkt der Tour paddeln. Der Pier, an dem wir anlegen, wurde schon vor hundert Jahren verwendet, um den hier angebauten Mate in die Nachbarländer zu verschiffen. Die Sonne geht gerade unter und fertig ist der unerwartete und beschauliche Ausflug. 


  31.1., Guaira

Ambitioniertes Tagesziel für heute wäre Bonito gewesen, rund siebenhundertfünfzig Kilometer entfernt in nördlicher Richtung am Weg zum großen Sumpf. Wird´s aber nicht spielen. Obwohl der erste Bus schon eine Stunde zu spät kommt, klopft der Fahrer trotzdem noch penibel mit einem Holzhammer alle Zwillingsräder seines Busses ab, ehe wir einsteigen dürfen. Beim Anschlussbus, wieder unpünktlich, verzögert sich die Abfahrt, weil der Schaffner noch die Dokumente aller Reisenden kontrollieren möchte. Die Zeiten, als man in Brasilien ohne große Umstände untertauchen konnte, sind vorbei. Bei jedem Furz muss man sich ausweisen. Ohne Vorlage eines Personalausweises bekommt man nicht einmal Rabatt im Supermarkt. 

Als wir endlich wieder unterwegs sind, erinnert die Gegend an unsere. Hügelige Kulturlandschaft mit Sojafeldern und hin und wieder einem Stückchen Wald. Der Typ vor mir beschäftigt sich inzwischen mit einem Spiel am Handy, in dem er virtuellen Menschen eine Pediküre verabreicht. Nicht nur Nägel muß er schneiden und  Hornhaut wegraspeln, auch Hühneraugen und Warzen wollen versorgt sein. Mit einer Pinzette drückt er außerdem Wimmerl oder Geschwüre auf. Da spritzt der Eiter nur so! Oida, wie krank ist die Welt? Ekelhaft, zum anspeiben.

Irgendwann geht dem Fahrer die Kiste ein und wir warten eine verschwitzte Stunde im Niemandsland, bis wir umgeladen werden. Dazu ein martialischer Warnton, als ob wir in einem absaufenden U-Boot sitzen würden. Selbst in Dourados, irgendeiner nichtssagenden Großstadt, wäre ich erst kurz vor Mitternacht. Aber nicht ohne Plan oder Quartier, also kurzerhand im Saukaff Guaira rausgehüpft und irgendwo eingecheckt. 

Das Städtchen wirkt wie aufgeleckt, befindet sich noch immer direkt an der Grenze zu Paraguay und verfügt sogar über einen Lady´s Beauty Salon. Botox forever! steht mit entwaffnender Ehrlichkeit über dem Laden geschrieben und auf Nachfrage erklärt sich eine unterbeschäftigte Dame dazu bereit, mir Gesichts- und Kopfhaar zu stutzen. Eine Bartmaschine liegt bereit, vielleicht für stark behaarte Damen, und auch Augenbrauen und Ohrenhaare bekommen gebührende Aufmerksamkeit. Hoffentlich wird das der langweiligste Tag in Brasilien bleiben.