Sonntag, 6. Februar 2022

 5.2., Jardim

Der Fahrer kommt zu spät, was ihn jedoch nicht davon abhält, erst noch unbefugt im Hotel zu frühstücken, bevor wir starten. Sehr gerne würde ich ihn schon jetzt für diese Frechheit hauen, ist aber in Brasilien leider ganz normal. Dreißig Kilometer fahren wir durch beinahe vollständig abgeholzte Landschaft mit ausgemergelten Rinderherden, ehe wir in einen Feldweg einbiegen. Ein Gürteltier mit schwarzer, haariger Beute im Maul macht sich noch schnell vom Acker. 

Vor dem Balneario Jardim Ecopark werde ich ausgesetzt, einem als natürliches Aquarium mit kristallklarem Wasser propagierten Flussbad. Also ein paar betonierte Plattformen entlang des Rio Prata mit einem Bademeister und ein paar großen Fischen, die den ganzen Tag nicht viel mehr machen müssen, als auf ihre regelmäßigen Fütterungen zu warten. Mit mir sind noch ein paar lärmende Familien da. Besonders die Frauen schreien wie am Spieß, wenn der Mitarbeiter das Fischfutter ganz nahe zu ihnen hinwirft. Dann kommen nämlich die mitunter kapitalen Exemplare im Blutrausch herangeschossen und scheuen auch nicht den Körperkontakt. Das Wasser ist natürlich nicht kristallklar, sondern stinkt im Vergleich zu jedem beliebigen Fluss in Österreich eindeutig ab, aber bitte. Ich schaue sechs Stunden darauf, lege mich hin und wieder selbst in die Strömung und warte gemeinsam mit meinen beschuppten Freunden auf Leckerbissen von flussaufwärts. Den Rest der Zeit lese ich in meinem letzten Buch. So einen Tag wollte ich schon immer einmal verbringen, mit Achtzig oder so. Für etwas Kurzweil sorgen ein Eisvogel, der vorbei flitzt, ein überdrehter Kolibri und ein Biber oder Otter oder etwas in der Art, etwas oberhalb, bei der felsigen Geländekante. Auch ein mitteilungsbedürftiger Mann gesellt sich zu mir und wir kommunizieren auf portugiesisch, spanisch, englisch und deutsch. Auch Gesten und Lauten bedienen wir uns zur besseren Verständigung, außerdem lasse ich einige frei erfundene Wörter einfließen. Hier eine vollständige Zusammenfassung des Gesprächs: Ich arbeite in Wien als Fahrer (imaginäres Lenkrad, brumm brumm), bin alleine unterwegs und mit meiner Frau (mucher) noch nicht in Venedig romantisch mit der Gondel gefahren. ( Romantica, unsichtbares Schatzi umarmen, Schmatzgeräusche). Er ist Bauer, baut aber höchstwahrscheinlich kein Soja an. Mit seiner Frau ist er immer am Wochenende hier, weil sie die Natur liebt. (Natura, Deuten auf die Fische und die Umgebung). Sein Großvater ist irgendwann von Deutschland nach Brasilien ausgewandert. Mein Mann beherrscht zum Beispiel noch die Wörter Wasser, Ja und Auf Wiedersehen. Das Gespräch dauert eine Dreiviertelstunde. Dann wäre es eigentlich an der Zeit, dass ich abgeholt werde, also gehe ich dem Dienstleister schon einmal entgegen. Ebenfalls eine Dreiviertelstunde lang, dann ist er auch schon da. Die panisch vor mir flüchtenden Rinder können sich wieder entspannen. Autos sind ihnen völlig egal, aber Fußgänger kennen sie nicht. Wir fahren noch zum Buraco das Araras, dem zweiten und letzten Highlight der Tour. Meine Schlapfen muss ich aus Gründen der Sicherheit noch kostenpflichtig gegen geschlossene  Crocs eintauschen, auch ein leider nur einsprachiger Führer ist obligatorisch für den einen Kilometer langen Rundweg. Ich staune über ein riesiges, perfekt kreisrundes Loch mit fünfhundert Metern Umfang mitten im Urwald, wie mit einem überdimensionalem Apfelentkerner ausgestochen. Die senkrechten Wände sind mit Büschen und Kakteen bewachsen und mit Vogelkacke vollgekleistert, am hundert Meter tiefen Grund hat sich ein kleiner Tümpel gebildet. Prächtige rotblaue Aras, also eigentlich Papageie, Tucane mit ihren viel zu großen, Ibisse mit ihren gekrümmten Schnäbeln ziehen ihre Kreise und krächzen sich einen weg. 

Zurück in Jardim gehe ich zum Bahnhof und kaufe ein Ticket für morgen, das mich wieder ein Stückchen näher an den großen Sumpf bringen wird. Ich hoffe auf Abenteuer, auf Treibsand, Krokodile und Anacondas. 


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