Montag, 31. Dezember 2018

30.12., Isla Colon

Beim Ausfassen des Frühstücks an der Budel der Stammkantine wird bei der Zuweisung meines bestellten Kaffees auf mich Bezug genommen als el Gringo. Das gefällt mir gut, ich fühle mich wie Clint Eastwood im Nachmittagswestern, kurz bevor er einen versoffenen Banditen mit ungepflegtem Schnurrbart über den Haufen schießt, einfach so.
Dann lassen wir uns für jeweils einen Dollar auf die Isla Caranero übersetzen, die ist nur einen Fischwurf von unserer Insel entfernt. Hier hat im Jahre des Herrn 1502 Christoph Columbus aka Cristobal Colon, nach dem nicht nur ein Ei, sondern auch die Hauptinsel der Bocas benannt wurde, im Zuge seiner vierten und letzten Expeditionsreise seine Schiffe gewartet, ehe er am Weg heim nach Spanien ein Jahr auf Jamaica gestrandet und wenig später, vielleicht des ewigen Reggae und Einrauchens leid, 1506 endgültig in die ewigen Jagdgründe gesegelt ist.
Die spontan umgesetzte Inselumrundung bringt ein unverhofftes Abenteuer. Zuerst geht´s durch den Slum, wo die Insulaner inmitten von Dreck aller Art dicht an dicht in windschiefen Hütten aus Brettern und Wellblech hausen. Daran schließen nahtlos schöne und gepflegte Anwesen an, die, um dem allmählichen Wasseranstieg etwas entgegen halten zu können, schon mit gemauerten Deichen abgesichert sind. Weiter schlängelt sich der Pfad durch Sumpflandschaft, führt uns zu einsamen Buchten und Steilwänden. Ab und zu eine Rutschpartie einen lehmigen Abhang hinunter oder eine Passage hochklettern. Felsen im Meer, an die sich knorrige Bäumchen klammern, kleine Buchten mit angeschwemmten Korallenstöcken im Sand. Mangrovenbäume mit gewundenen Wasserwurzeln, als ob Reifen halb im Erdboden vergraben wären.
Niemand sonst die ersten eineinhalb Stunden, dann die ersten Surfer, die sich an recht hohen Wellen versuchen, und schließlich hat uns die Zivilisation wieder. Wir erreichen den Hauptstrand, der von Booten der Nachbarinseln angefahren wird. Heute ist Sonntag und das merkt man. Eine
eisgekühlte Kokosnuss, dann setzen wir wieder über auf Colon.
In der Apotheke gibt´s zwar nichts Brauchbares für meine Wimmerl, dafür aber ein ganzes Regal
mit giftig-bunten Zaubertränken. Kein Witz! Es gibt Tinkturen für Glück im Casino oder in der Lotterie, für mehr Kundschaft, sollte man ein Geschäft betreiben, gegen dunkle Mächte allgemein und für eine gute Aura. Die Säfte sind zur äußerlichen Anwendung  bestimmt. Die Verkäuferin meint, nicht die Haut, sondern der Boden des Hauses müsse damit aufgewischt werden.
29.12., Isla Colon

Ein Tag ohne Pläne, der erste seit Beginn der Reise. Abgesehen von angefallenen Notwendigkeiten freilich, die erledigt werden müssen. Ein gigantisches Frühstück zu uns nehmen, check. Eine Wäscherei finden und mit Stinksachen bedenken, check. Eine abgängige Socke bei Abholung des Paketes am Nachmittag muß als Kollateralschaden hingenommen werden und macht die andere frei zum Einsatz als Kaffeefilter, hihi.  Wichtig: Mit Trocknen, sonst bleibt das Zeug bei der herrschenden Luftfeuchtigkeit ewig feucht. Nachschub an Antihistaminsalbe ausfindig machen, check. Einen Wassernachfüllautomaten finden, der nicht kaputt ist, check. Zwei davon gibt´s auf der Insel, einer steht im klimatisierten Gourmet-Supermarkt, der auch Sauerkraut in Dosen und Wasa-Knäckebrot im Sortiment hat.
 Einen Transport auf die Insel Bastimentos irgendwann die nächsten Tage und einen über die Grenze nach Costa Rica irgendwann nächste Woche organisieren wir noch, dann chillen wir auf einer Plattform am Meer und lauschen Lagerfeuergitarrenmusik und den Geschichten eines Norwegers, der sich früher sein Geld als Fischer auf einem großen Trawler in nordischer Eiseskälte verdient hat, mit Arbeitsschichten rund um die Uhr und bei schlechtem Fangerfolg mitunter Monate dauernden
Seefahrten.
Nach Sonnenuntergang starten wir mit Hans die heutige Seidlrallye im Be nice, wo man von einer Hollywood-Schaukel aus den Bootsverkehr zwischen den Inseln beobachten kann. Nächster Halt: La Buga mit dem Salzwasserpool, gefolgt vom Hostel Mamallena mit Billardtisch und Lümmeldeck aufs Meer hinaus. Eine lärmende Partie in unserer Absteige stört die Nachtruhe, aber so ist das.

Samstag, 29. Dezember 2018

28.12., Isla Colon

Wir übersiedeln noch, dann machen wir eine tagesfüllende Tour. Gemeinsam mit rund zwanzig anderen kleinen Booten finden wir uns wieder in der Dolphin-Bay, um selbige zu sichten. Tatsächlich zeigen sich vielleicht fünf Tiere, die gemächlich vor sich hin dümpeln, bis alle Bootsführer wie die Gestörten Gas geben, um näher an sie heranzukommen. Dann tauchen sie einfach unter und kommen ein paar hundert Meter später irgendwo anders wieder an die Oberfläche ehe die bizarre Jagd von
neuem startet. Das geht wohl jeden Tag so und die Viecher werden sich ihren Teil denken, wenn die Leistungskapazität ihrer Hirne das überhaupt zulässt und der Speicher nicht schon voll ist mit den Kernthemen Fisch, Wasser und Geschlechtsverkehr. Nach zwanzig Minuten hat der Spuk ein Ende und wir fetzen an Mangroveninseln vorbei weiter zu einem karibischen Traumeiland, wo wir uns inmitten von Heerscharen anderer Besucher unter schattiges Geäst zwängen, wie am ersten richtig heißen Sonntag des Jahres im Stadionbad. Große Braunpelikane hocken auf Schwemmholz, ab und zu fliegen sie auch in Formation ganz nahe über dem Wasser, vielleicht um zu jagen. Drei ganz
kleine bepalmte Inseln, eigentlich  nur größere Felsen im Blick, etwas weiter draußen am Meer von links hereinrollende Brecher. Dickleibige Einheimische mit Kühlboxen knacken sich schon die ersten Hülsen auf.
Ein paar Stunden später tuckern wir langsam entlang von Mangrovenbäumen, wir sind auf der Suche nach Faultieren. Das erste entdeckte Exemplar ist noch recht weit weg und gegen die Sonne nicht gut auszumachen, aber die Süße erspäht kurz darauf in bester Pocahontas-Manier ein Viech nicht weit über uns und rettet dem Bootsführer und den zahlenden Gästen damit den Tag. Auf einen Pfiff hin hebt das faule Tier sogar kurz sein Köpfchen und schaut uns verschlafen an, ehe es sich wieder dem Schleifen seines faden Auges hingibt. Daheim feiern wir abermals die glückliche Stunde und gehen gut essen. Alle paar Stunden verteile ich eine halbe Tube Fenistil oder stinkendes Arnica-Gel auf meinem geschundenen Körper, die Vorräte gehen rapide zur Neige.   
27.12., Isla Colon

Kaffee schnorren von den Schweizern. Irgendwo in der Küche würde ein Sieb in der Art eines alten Sockens hängen, wir bevorzugen situationselastisch die türkische Art der Zubereitung. Neben uns lässt ein Sägewerk die Maschinen hochfahren, das motiviert zum Aufbruch.
Mit Leihrädern queren wir heute die komplette Insel Colon auf der Suche nach weit entfernten und deswegen vielleicht noch verfügbaren Unterkünften, ein völlig sinnloses, aber auch nettes Unterfangen. Kurz vor Ende der urbanen Zone noch eine grölende Großfamilie am Balkon zur Straße hin, alle vollfett schon um elf Uhr vormittags. Dann wird es grüner und ruhiger. Natürlich geht es rauf und runter und runter und wieder rauf, außerdem hängt bei beiden Rädern die Schaltung. Bei mir im größten, bei Ena in einem angenehmeren Gang mittendrin. Quartiere gibt es keine, nur eine kleine Siedlung irgendwo im Unterholz. Außer uns unterwegs sind während der nächsten sechzehn Kilometer nur mehr ein barfüßiges Mädchen, ein Bub auf seinem Fahrrad und ein Typ mit einem
Kanister und einer Machete. Zwischendurch neigen sich Bambushaine von beiden Seiten über die kaputte Straße und bilden schattige Unterführungen. Rauch steigt von der Mülldeponie auf. Ein riesiges Areal wird mit unzähligen Baggern gerodet und planiert, nahtlos schließt der verschont gebliebene, dichte Dschungel an.
Ich schwitze wie ein Inuit in der Sauna und freue mich sehr, als wir endlich den Playa Estrella am Ende unserer Etappe erreichen. Mit Booten und Bussen herbeigekarrte Massen, wummernde Lautsprecher, Menschen in einer langen Warteschlange angestellt für ihr Mittagessen.
Früher war diese Ecke berühmt für die zahlreichen Seesterne im seichten Gewässer. Von ihnen sind nach zu vielen Selfies und spielenden Kindern oder Deppen nicht mehr viele übrig.
Wir schaffen etwas Distanz zwischen uns und den Bananen-Booten und gehen in einer ruhigeren Bucht schwimmen. Der Preis für fünf Minuten im Wasser werden über hundert juckende Dippel
sein, noch spüre ich nichts. Ena übernimmt wie immer die Preisverhandlungen mit dem Fahrer des einzigen öffentlichen Busses für den Rücktransport von uns und unseren Rädern. Der Typ würde uns tatsächlich mitnehmen, würde den Schrott am Dach verstauen, würde vielleicht sogar auf mein Bitten hin die Klimaanlage noch etwas höher drehen, während ich glücklich sitzend die schon bekannte Landschaft an mir vorbeiziehen lassen würde- die Preisverhandlungen scheitern, ich muss den ganzen beschissenen Weg wieder zurück radeln. Das sei gar nicht schlimm, flötet es mir von der Zugemuteten ins Ohr, wir würden ja sonst ohnehin kaum Sport machen. Zwei Geier hocken am Straßenrand und rechnen sich ihre Chancen aus, aber ich überlebe. Nach eineinhalb Stunden strampelnden Martyriums gebe ich mir stinkend und streichfähig das Kaltwasserrohr unserer Dusche, eine Unterkunft brauchen wir noch immer.
Rund um das Halligalli-Epizentrum ziehen wir wie Messerschleifer des fahrenden Volkes unsere Runden und bitten um Obdach, bis sich endlich die Rettung auftut. Ein kleines Zimmer in einem heruntergekommenen Hotel, aber leistbar mit Klima und eigenem Bad, wir sind sehr glücklich. Das will mit Schirmchendrinks gefeiert werden an einem Salzwasserpool, eigentlich einer Aussparung einer Club-Plattform raus aufs Meer. Liegestühle, Chill-Musik, Fische im Pool, die durch ein blaues,
am seichten Meeresboden installiertes Licht angezogen werden. Ich bin mittlerweile Mensch gewordener Juckreiz und vergleiche meine Beulen mit denen von Ena. Obwohl sie in Hinsicht auf Anzahl und Schwere des Dippelbefalls nicht mithalten kann, gibt es trotzdem Punkte für außergewöhnliche, exotischere, teilweise mit Flüssigkeit gefüllte Schwellungen.
26.12., von Boquete zu den Bocas del Toro, Isla Colon

Ena kauft beim Händler unseres Vertrauens noch vier obergeile Avocados auf Vorrat ein, während ich die letzten Pancakes in der Pfanne schwenke, dann steigen wir mit dreißig anderen Touristen in einen vom Hostel organisierten Kleinbus zur Inselgruppe Bocas del Toro, nicht mehr weit von der Grenze zu Costa Rica entfernt.
Wir tragen rosa Armbänder, damit wir nicht unterwegs verloren gehen. Was treibt uns zu dieser Unsportlichkeit? Der öffentliche Transport wäre mit Umwegen und längerer Reisedauer verbunden und billiger käme er auch nicht. Unser Gefährt ist weder komfortabel noch spritzig, vielmehr erstaunlich schwachbrüstig. Schon moderate Steigungen zwingen den Fahrer, mit Zwischengas in den ersten Gang zu schalten, damit wir nicht stehen bleiben.
Glückliche Kühe und Pferde grasen auf weitläufigen Weiden, die mit Palmen durchsetzt sind. Vom höchsten Punkt des Berglandes, auf geschätzten dreitausend Metern, ein fast grenzenloser Ausblick
auf das Tiefland. Den Kaffee zur mittäglichen Pause kann ich nicht fertig trinken. Wahnsinnige Bienen belagern mich, ersaufen enthusiastisch im Heissgetränk, möchten mir hinter die Sonnenbrille krabbeln, sind außer Rand und Band. Da hilft nur mehr die Flucht ins Wageninnere, bis wir weiterfahren.
Dann zerreisst es den Kühler und wir rollen aus. No problem, sagt der Fahrer, und jeder weiß, daß das so nicht ganz stimmt. Pannenbüsche werden auf die Straße gelegt, wir warten ein Weilchen und steigen letztendlich in den nächsten Linienbus in Richtung Hafen um. Nur mehr ärmliche Stelzenhütten mit Bretterwänden und Blätterdächern stehen vereinzelt entlang des Weges, wir könnten auch in Asien sein. Das Hafenstädtchen Almirante ist ebenfalls ziemlich abgefuckt. Alle
Schilder und Werbungen sind handgemalt und zerlumpte Figuren dominieren das staubige Ortsbild. Einzig das riesige Lagerareal vom hiesigen Hauptarbeitgeber Chiquita ist tiptop, die kaufen einen Großteil der nationalen Ernte auf und haben sogar eigene Containerverladekräne.
Ein Speedboot setzt uns auf die Hauptinsel Isla Colon über. Schmutzige, verbeulte Segelyachten unterwegs. Man erkennt, daß sie vor vielen Jahren prächtig waren, jetzt wirken sie, als wären sie jahrelang führerlos auf offener See getrieben.
Schon beim Aussteigen auf Colon ist klar: Hier regiert die Party. Hipsters in Hängematten, die halb im Wasser hängen, Bars zum Meer hin, Musik. Der Filthy Friday wird beworben und andere All you can drink-Bootstouren. Wir bleiben im Windschatten eines uns schon von früher bekannten spanischen Pärchens, die für uns gleich alles mitchecken. Noch einen Dollar für das Pickup-Taxi, dann sperren wir die Tür unseres nächsten Quartiers auf. Die Herberge liegt entschleunigt am Stadtrand,die große Terrasse mit Hängematten wird von Palmen beschattet und geht hinaus auf ein Feld. Im Zimmer nebenan wohnt ein schweizer Duo, die sind auch nicht berühmt für zügelloses Nachtleben. Ein stiller Rückzugsort ist gesichert. Hinter unserer Hütte landen alle paar Stunden auf der nur schleissig eingezäunten Landebahn der Insel kleinere Flugzeuge, mehr ein Ereignis denn Lärmbelästigung. Ja zur zweiten Piste!
Der Betreiber der Herberge spricht kein Wort Englisch und ist trotzdem ein schlauer Bursche. Er hat Leihfahrräder und einen Wasserautomaten, der einem für fünfundzwanzig Cent die Flasche vollfüllt.
Es gilt, keine Zeit zu verlieren, wir brauchen einen Schlafplatz ab übermorgen. In gut zwanzig Hotels/Hostels/B&B´s werden wir nachmittags vorstellig und alle sind für die nächsten Wochen entweder ausgebucht oder in ihren Preisvorstellungen hoffnungslos unverschämt. Hundert Dollar pro Nacht für ein Bett im Schlafsaal sind keine Seltenheit. Genug für heute. Rechtzeitig zur Happy Hour sitzen wir bei der kleinen Anlegestelle Colons am Meer mit einem überzuckerten Mixgetränk in Händen. Mit dabei ist Hans, ein im Bus kennengelernter Strahlenschutzbeauftragter, der Bequerels in mehreren Kernkraftwerken Deutschlands und der Schweiz zählt. Seine Sicht der Dinge ist etwas- nennen wir es subjektiv. Offshore-Windanlagen machen Lärm und bringen die Wale durcheinander, der aus ihnen gewonnene Strom sei zu stark schwankend und deshalb gefährlich. Die radioaktiven Abfälle aus den Atomreaktoren würden zu neunundneunzig Prozent eine Halbwertszeit von fünf Jahren aufweisen, die würden in Hallen einfach abklingen und anschließend konventionell entsorgt werden können. Ein interessanter Abend jedenfalls. Am siebzehnten Dezember hat Hans geheiratet, am Tag darauf ist er alleine für ein paar Wochen nach Panama auf Urlaub gefahren. Auf Colon
steigt unterdessen die Party. Restaurants, Lokale, Bars, Diskotheken, Clubs, Fastfoodläden, drei lange Straßen bilden das Epizentrum der Szene.
Reiseagenturen, Fahrrad- und Mopedverleiher, Supermärkte. Ein paar Hängengebliebene in Wohnwägen, die selbst gebastelten Schmuck verkaufen. Viele Grundstückeund Häuser stehen zum Verkauf, wahrscheinlich packen viele Insulaner das über sie hereingebrochene bunte Treiben nicht mehr und würden gerne weg von hier.
Daheim am Balkon die übliche Travellerlitanei. Yes, it´s cold right now in Austria. Yes, really cold. Von wo kommt wer her, wo war wer schon, wo war´s schön, blabla. Ich ziehe mich zurück, Oropax rein, danke für das Gespräch.

Dienstag, 25. Dezember 2018

25.12., Boquete

Heute gehen wir den Pipeline-Trail. Am Ende erwartet uns zur Abwechslung ein Wasserfall, eine der Topographie geschuldet inflationäre Sehenswürdigkeit der Region. Den Namen hat die Strecke von einer mittlerweile verwitterten und überwachsenen Wasserrohrleitung, die den Wandersmann die ganze Strecke lang begleitet, verlegt nach allen Regeln der experimentellen Künste.
Wenn man ganz ruhig ist wie wir, es geht bergauf, flattern Kolibris durch den Dschungel. Auf halbem Weg harrt ein tausend Jahre alter Baum aus, ein Gigant. Es bräuchte sicher fünfzehn bis zwanzig Leute, die sich an den Händen halten, um einen geschlossenen Kreis um ihn bilden zu können. Beim Wasserfall selbst stürzt nur eine kleine Menge Wasser die hohe Steilwand hinunter, aber Berge von großkalibrigem, zerschmettertem Holz geben eine Ahnung davon, wie es sich hier in der Regenzeit abspielen muss.
Ein vor ein paar Wochen ausgewandertes deutsches Pärchen läuft uns über den Weg. Sie hofft, ihren Beruf als Energetikerin für Tiere auch in Panama erfolgreich ausüben zu können. Ich wünsche alles Gute und lasse das Strahlenopfer weiterziehen. Der alte Taxler, der uns zurück nach Boquete bringt, bedenkt uns mit Schokolade, Äpfeln und Naschereien, Weihnachtswahnsinn. Wir passieren noch eine stark verworfene Basaltwand mit unzähligen voneinander abgetrennten Gesteinsschichten, vom Material her scheinbar vergleichbar mit dem Giant´s Causeway in Irland, dann tauchen wir ein in geschlossenen Feiertagstaumel.
Menschenmassen aus dem Umland säumen schon die heute für den Verkehr gesperrten Straßen Boquetes, Fressstände machen sich bereit für Rekordumsätze. Fast jeder trägt rot, Rentiergeweih oder eine Zipfelmütze,sogar die Hunde sind dem Anlass entsprechend adjustiert. Verkäufer mit blinkendem Zeug und Luftballons preisen schreiend ihre Schätze an, Kinder reiten auf Liliputpferden. Schon bald ist jeder freie Meter der Hauptstraße belegt. Alle warten auf die große Parade, die für fünf Uhr angesetzt ist.
Aus fünf wird sieben und dann neun, aber das tut der Hochstimmung keinen Abbruch. Die Besucher haben Sessel mitgebracht oder sitzen in den Kofferräumen ihrer Autos, auf den Kirchenstufen, auf Mauern, überall.
 Endlich kommen die Kapellen mit den großen Trommeln und Posaunen, die aufgebretzelten Tänzerinnen mit großen Fahnen und Paradestäben, schleichen mit Lichterketten geschmückte Autos mit übersteuerten Anlagen und Trucks mit riesigen Figuren die Straße hinunter, werfen
Weihnachtsmänner und Elfen den Kindern Süssigkeiten zu.
Ein Bub schläft schon im Stehen ein, wir schaffen´s vorher noch heim. 
24.12., Boquete

Zufällig ergibt es sich an der Rezeption unseres Hostels, daß zwei Typen den gleichen Tagesplan haben wie wir, eine Wanderung zu den Lost Waterfalls. Das trifft sich gut, wir teilen uns ein Taxi zum Einstiegspunkt des Rundweges. Pelle, ein Schwede, der in früher in München, irgendwo in den Staaten und jetzt in Mexiko lebt, ist IT-Nomade und vercheckt als Fotograf nebenbei noch Bilder an diverse Portale, Ricardo, ein mexikanischer Hirnforscher, lebt sein Klischee. Dicke Brillen, tollpatschig, etwas verschroben, schleppt er zwei prall gefüllte Taschen mit sich und schwitzt schon vor der eigentlichen Wanderung. Beide haben prinzipiell immer ihre Laptops und gesamten Arbeitsunterlagen dabei, Ricardo möchte zusätzlich gegen alle Eventualitäten gerüstet sein. Welche Szenarien sich bezüglich unseres auf drei Stunden angesetzten Ausfluges vor seinem geistigen Auge auftun, bleibt sein Geheimnis.
Der Pfad ist steil, rutschig und schlammig, die drei Wasserfälle wild und unberührt. Verkeiltes Schwemmholz am Rand der Becken unterhalb, lautes Tosen, kaltes Wasser. Libellen im Sprühnebel, wilde Orchideen, ein Tausendfüssler.
Am Weg zurück folgen wir dem Fluss mehrere Kilometer lang. Er schaut genau so aus, wie ein Fluss auszusehen hat. Ungezähmt, mit Stromschnellen durch riesige Felsbrocken hindurch, nur ab und an bezwungen durch kleine Hängebrücken. Frische Erdbeeren essen wir noch gemeinsam, dann setzen sich die zwei ab. Sie müssen heute noch die Stadt wechseln und Ricardo liest in den örtlichen Nachrichten, daß die Straßen wegen Weihnachten voll mit dichten Bauernschädeln sind und
deswegen im Busverkehr mit Verzögerungen zu rechnen ist.
Ena und ich nehmen unser feierliches Abendessen gemeinsam mit ein paar Einheimischen in einer klassischen Kantine zu uns, ich erstehe mein höchstpersönliches Weihnachtspackerl. Weder nach dem Öffnen des Bananenblattpaketes noch nach Verzehrung des pürierten und gepressten Inhaltes könnte ich auch nur im Ansatz sagen, was ich mir da geschenkt habe, aber gut war es. Im Nieselregen suchen wir später entlang des ausgestorbenen, jenseitigen Flussufers nach propagierten, aber
nicht existierenden Clubs, ehe wir in einer Bar mit den besten jemals in Mittelamerika gemixten White Russians landen. Am Weg heim spielt es sich ab. Bullen patroullieren auf Quads, vollfett herumtorkelnde Panamesen, einschlägiges Liedgut aus festlich geschmückten Spelunken. Um Mitternacht noch ein großes Feuerwerk, Weihnachten hardcore.

Montag, 24. Dezember 2018

23.12., Boquete

Die Ersten in der Gemeinschaftsküche pünktlich zur Eröffnung um Punkt sieben sind wir. Ena treibt die Aussicht auf Pancakes all she can eat, mich die Vorfreude auf die Reste des gestern erstandenen Baguettes und Kaffee aufs Haus bis zum Abwinken. Tatsächlich steht eine große Schüssel mit fluffigem Teig und Sirup dazu bereit, in der Pfanne zubereiten muß man die Pancakes selbst.
Ich arbeite auf zwei Herdplatten gleichzeitig, bis der ärgste Blutrausch der Holden langsam abklingt. Dann ziehen wir los. Der Wind bläst noch immer, aber es regnet nicht mehr. Wir kaufen ein Handtuch (Ena hat daheim keines eingepackt. Sie dachte, drei Monate unterwegs käme
sie sicher ohne aus?), besuchen den wöchentlichen Markt der hiesigen Auswanderergesellschaft, verlassen das Stadtgebiet Boquetes und finden uns in unberührter Natur wieder.
Am Nachmittag fahren wir mit Guide Felix und zwei Tschechen zu einer Kaffeeplantage gut zehn Kilometer außerhalb der Ortschaft. Der Einheimische quält seinen Mazda mit kaputten Stoßdämpfern und 400.000 Kilometern am Tacho steile Bergschneisen hoch, bis wir uns inmitten von Sträuchern mit roten Beeren wiederfinden.
Zuerst verkosten wir rohe, später in mehreren Stufen geröstete Bohnen, bestaunen vom Chef des Betriebes selbst entworfene und umgesetzte Schäl-, Sortier- und Trocknungsanlagen, in denen die ärgsten Auto- und Motorradteile verbaut sind, knabbern Bohnen ohne Ende. Was haben wir heute gelernt? Zu feines Mahlen genau so wie zu langes Kochen und Wiederaufwärmen des schwarzen Goldes macht Sodbrennen und große Prostatas, kaltes Aufgiessen des grob gemahlenen Kaffees
ist die Zukunft. Je stärker die Röstung, desto weniger Koffein in der Bohne, Espresso ist Fastfoodlulu und die Italiener ahnungslos.
Hier oben wird neben konventionellem Kaffee auch der teuerste Stoff der Welt produziert, das Kilo zu zweitausend Euro. Da kann der indonesische Kopi Luwag, von Schleichkatzen gefressene und halb verdaut wieder ausgekofferte Kaffeebohnen, einpacken dagegen. Uns stellt man freilich ein Häferl Touriplörre hin, auch ganz gut.
Die abendliche Seidlrallye durch alle im Reiseführer empfohlenen Lokale verläuft enttäuschend. Die Szene besteht neben ein paar Einheimischen in Adventstimmung hauptsächlich aus amerikanischen Pensionisten und Pärchen im Wanderoutfit. Den Hatscher zum höchsten Punkt Panamas, einem Vulkan, von dessen Gipfel aus man sowohl den Pazifik als auch die Karibik sehen kann, müssen wir uns übrigens nicht antun, die Strecke ist wegen Schlechtwetter für die nächsten
Tage gesperrt.

Sonntag, 23. Dezember 2018

22.12., von Santa Fe nach Boquete

Kurz nach Sonnenaufgang sitzen wir schon im Bus nach Santiago. Gerade dass die neue Bekanntschaft Betty ihr Zeug noch tragen kann, ihr thailändischer Hintergrund macht es scheinbar notwendig, auch einen Sack mit scharfen Saucen aller Art mit sich zu führen. Gemütlich geht´s hinunter ins Flachland. An der Scheibe des Busses baumelt neben drei Rosenkränzen die Silouette einer nackten Schönheit, der Bus wird mit Volksmusik beschallt. Ritschiratschi-Hölzer und
Rasseln, ritschiritschi ratsch, ritschiritschi ratsch. Dazu ein paar Trommeln, tackatacka tack, tackatacka tack, eine hektische Ziehharmonika dazu. Die Arbeit und die Frau wird besungen, trabajo y mujer, fertig ist der Hit der Berge. Auf der nassen Straße sitzen kleine Raubvögel, nach nächtlichem Regen beginnt ein prächtiger Tag.
Nach und nach füllt sich der Bus, steigen Campesinos mit Strohhüten zu, einer hat bunte Bommel drauf. Die Frauen Panamas sind tendenziell dick, deren Männer eher hager. Wahrscheinlich hat hinter verschlossenen Türen das Matriarchat dem überkommenen Machismo schon längst den Rang abgelaufen. Ist Mann devot, gibt´s ein paar in diversen Körperfalten gefundene Brösel für ihn, bei Aufmüpfigkeit gibt´s statt Nahrung nur einen Tritt in die Rosineneier des Gatten.
Solche Szenarien gehen mir durch den Kopf, während schon die Notsessel aufgeklappt und schwere Säcke im Fußraum verstaut werden, dann ist das Ladevolumen des Kleinbusses ausgeschöpft und er hält nicht mehr für weitere Fahrgäste am Wegesrand. Nach eineinhalb Stunden steigen wir in Santiago in einen Bus nach David um.
Klimaanlage, letzte Reihe, die Vorhänge zugezogen, ein Kleinkind greint vor sich hin. Ab jetzt geht´s noch zügiger weiter. Der Highway hier ist in perfektem Zustand, mitunter sind sogar Blumen am mittleren Rasenstreifen gepflanzt. Im Zuge einer Polizeisperre betritt ein Bulle den Bus, kontrolliert ein paar Passagiere und deren Gepäck, dann schaut er uns an. Laange, regungslos, unverwandt. Wir schauen zurück, laange. Wer wegschaut, wird wohl gefilzt, schätze ich.
In David verlässt uns Betty in Richtung der nördlichen Inselgruppe Bocas del Toro und die Gefährtin reiht sich erst einmal ein in die bunte Warteschlange kleinblasiger Frauen vor der einzigen Erleichterngseinrichtung des Bahnhofes, ehe wir die Kantine stürmen. Suppe mit Cassava und durchzogenen Fleischbrocken und gelber Gemüsereis mit Bohnengatsch, beides richtig gut. Gut abgefüllt und ausgestattet mit neuem Cash treten wir ein in Phase drei des Ortswechsels. Noch ein Bus, wieder hoch in die Berge nach Boquete. Fünfzig Meter noch von der Busstation ins Hostel und zumindest für die nächsten drei Tage ein Zimmerchen neben einer Bar beziehen. Der Soundcheck für den abendlichen Gig später wirft Zweifel auf, ob das die beste Wahl war.
Vorher schauen wir uns einmal um. Ein reißender Fluss hundert Meter östlich, zwei Blocks nach Norden eine wilde Spelunke, vor der ein Bauernschädel unbehelligt und friedlich seinen
Rausch ausschläft, zwei Gassen nach Westen eine brauchbare Billardhütte, in südlicher Gehweite ein riesiger Supermarkt mit allem. Nachdem wir also unser näheres Revier abgesteckt (nicht markiert) haben, gibt´s zur Belohnung Käsebaguette mit einem Bier und die Süße schmiert sich zu einem Glas Milch ein Nutellabrot. Dann legt sie sich kurz hin und steht elf Stunden nicht mehr auf. Wenigstens hab ich das Konzert nebenan in Zimmerlautstärke und Nüsse mit Honig.

Samstag, 22. Dezember 2018

21.12., Santa Fe
 
Tatsächlich passiert heute so gut wie nichts, ein Spaziergang durch die Ortschaft ist schon das Highlight des Tages. Der Billardtisch des einzigen verruchten Etablissements von Santa Fe dient nur mehr als Abstellfläche für Bierkisten und scheidet als Mittel zur Zersteuung aus. Viele vollvergitterte Häuser, zugewachsene Autowracks am Wegesrand, noch mit Nummerntafeln ausgestattet. Ein paar Hochlandfiguren streunen ebenfalls durch die Straßen. Die Frauen immer in bunten, sackförmigen Kleidern, die Männer eher abgerissen, alle mit runden, wettergegerbten Gesichtern und fast asiatisch anmutenden Augen. Frische Tortillas im Wirtshaus, schwarzen Kaffee dazu. Die Cooperativa Campesinos, der größte Supermarkt des Dorfes, sucht per Aushang Mitarbeiter für die anstehende Inventur. Bedingung dafür ist die Fähigkeit, lesen zu können, ordentlich zu sein und Anweisungen zu gehorchen. Auf den Zigarettenpackungen beim Nahversorger sind eine tote Ratte und Kakerlake abgebildet, gestorben an Gift, das laut Begleittext auch im Zigarettenrauch zu finden ist. Dann wieder in die Hängematte, dösen und lesen. Keine neuen Leute sind heute in der Jugendherberge angekommen, nur ein dubioser Brasilianer. Wäsche muß ich noch waschen, ruckizucki mit Seife im Kübel
ein paar mal durchgedrückt. Die Hostelputze wirkt begeistert und sie ist vom Fach. Packen auch noch, morgen geht´s weiter. Ena sucht unterdessen nach Quartier in Boquete, unserem nächsten Ziel. Weihnachten kommt bald und unsere Absicht für dieses Jahr ist, nicht wieder obdach-, weil zuvor planlos mit vollem Gepäck durch fremde Straßen zu latschen und, was eine akzeptable Unterkunft betrifft, auf ein Weihnachtswunder hoffen zu müssen.
20.12., Santa Fe
 
Die Polen übernehmen die Vorhut und fahren heute vor nach Boca Chica, Ena und ich gehen wandern. Ein Wasserfall wird´s, eh klar, eine Karte hätte gute Dienste geleistet. Zweihundert Meter hätten uns noch bis zum eigentlichen Ziel gefehlt, konstatiert später im Hostel eine gestern Dagewesene, die Französin Agathe, die zuhause einen Esel besitzt, das nur am Rande, weil ich neidisch bin. Die von uns entdeckten Kaskaden wären jedenfalls nur die Ausläufer der Hauptattraktion ums Eck gewesen. Keine Schilder und nicht mehr der leiseste Anhaltspunkt auf dem letzten Abschnitt, wo der verreckte Wasserfall hätte sein können, Ena sowieso schon bockig mit verschränkten Armen und nicht mehr wirklich weiterzubekommen. Sie verweigert sogar das nach den Strapazen des Anmarsches herrlich erfrischende Bad in den Pools, das Deppchen. Als wir die Runde endlich fertig gelatscht sind, bin ich fürwahr heilfroh, wieder daheim zu sein. Die Sonne unbarmherzig, das Gelände dringend begradigungsbedürftig, kein Wasser mehr, zumindest ich erledigt. Soweit das Tagesprogramm, spannend wird´s erst in der Nacht. Da marschiert nämlich unser Quartiergeber mit uns und drei anderen in den Dschungel und entdeckt alle paar Meter etwas Herzeigbares. Stabinsekten hängen perfekt getarnt von Ästen und versprühen in der Nase stechende Flüssigkeit, wenn sie belästigt werden, Fledermäuse essen wilde Feigen, Spinnen essen Spinnen. Wenn wir mit unseren Lampen in die Ferne läuchten, reflektieren hunderte Spinnenaugenpaare zurück. Jede Menge Grashüpfer und Grillen, haarige Raupen und Tausendfüssler, eine kleine Vogelspinne. Voll beladene Blattschneiderameisen marschieren über den Weg und Baumstämme hinab. Kröten und Frösche machen ungebührlichen Lärm, insgesamt drei grüne Schlangen kringeln sich harmlos im Geäst. Ein größeres, fast schwarzes und im Querschnitt fast dreieckiges Exemplar kringelt sich nicht mehr, das wurde, obwohl auch nicht giftig, scheinbar von Hiesigen mit einer Machete gekillt. Unter Blättern gut geschützt schlafen zwei Vögel, darunter ein Kolibri, von einem modrigen Baumstamm entführt unser Mann eine RIESIGE Kakerlake, so groß wie mein Zeige- Mittel- und Ringfinger zusammen. Von unten sieht sie fast aus wie eine Biene, ihre Flügel und deren Chitinschutzdeckel fühlen sich an wie ein filigranes Hightec-Material. Betty, einer deutschen Thai, steigt die Grausbirne auf und sucht ihr Heil in der Flucht. Schaben sind aber nicht ihr einziger Albtraum. Vor Tomaten ekelt sie sich so sehr, daß sie die nicht einmal angreifen möchte. Jedem Tierchen sein Blessierchen, aber manche haben´s echt nicht leicht. Anyway. Während wir so durch die lauschige Nacht wandern, ruft der Guide immer wieder mittels täuschend echt klingenden Lockrufen nach Käutzchen, die ihm auch immer brav antworten, sich aber nicht blicken lassen. Dafür entdeckt er einen stattlichen Eulenschmetterling, dessen offene Flügel, wenn am Körper zusammengehalten, einer Eule verblüffend ähnlich sehen. Auch Die Flora gibt einiges her. Bunte Blumen, Agaven, aus denen Tequila gebrannt wird, Farne, Bäume, die aus Bäumen wachsen. Irgendein lemurenartiges Geschöpf verschwindet zu schnell im Blätterdach, als daß ich es gut hätte sehen können und schlafende Tucane sind heute auch nicht aufzutreiben, aber insgesamt hat sich der Trip mehr als gelohnt. Hundemüde geht´s in die Waagrechte, morgen wird hoffentlich gechillt.

Donnerstag, 20. Dezember 2018

19.12., Santa Fe

Die Nacht war frisch und laut. Zuerst haben sich die Hunde der Gegend den letzten Gossip zugebellt, später haben die hirnlosen Hähne übernommen. Ein Häferl
Kaffee, Hochaldres, das sind langosähnliche Germteigfladen, dazu scharfe Eier, dann ein Rundgang durch das Dorf. Echte Cowboys auf kleinwüchsigen Pferden mit
Machete am Gürtel, wahrscheinlich gekauft beim Greissler am Platz, wo an die hundert von ihnen schon um jeweils vier Dollar zu haben sind, drei Fondas, also
örtliche Miniaturwirtshäuser, ein kleiner Markt, ein paar Geschäfte. Zwanzig Minuten außerhalb von Santa Fe, kurz nach einer verrosteten Bogenbrücke, verleiht
ein Kleinunternehmer aufgeblasene, schon zigmal geflickte Lkw-Schläuche, mit denen sich die zwei Polen, Ena und ich eineinhalb Stunden den Rio Santa Maria
hinuntertreiben lassen. Steuern ist nur im Ansätz möglich, weil die Arme einfach zu kurz dafür sind. Prinzipiell ein beschauliches Unterfangen. Die Flußlandschaft
ist absolut unberührt, abgesehen von zwei noch intakten und einer nur mehr in Fetzen erhaltenen Hängebrücke. Eisvögel, Reiher und Adler sehen wir, ein Schwarm
gelber Schmetterlinge bleibt auch unbeeindruckt. Die Kulisse der umliegenden Berge lässt nichts zu wünschen übrig, außer uns ist niemand unterwegs. Aber
mittendrin bringen uns Stromschnellen immer wieder in haarige Situationen, eiern und
rotieren wir bar jeglicher Kontrolle wie Flipperkugeln zwischen Felsen herum, sitzen bisweilen auf und hundeln hektisch aber wirkungslos vor uns hin, ehe uns
das Schicksal wieder in ruhigeres Fahrwasser führt. Ena zeigt sich angefressen ob der Gefährlichkeit des Unterfangens, als ob ich etwas dafür könnte. Es periculoso?
habe ich den Schlauchlauch eh noch in bestem Spanisch gefragt und darauf nur ein müdes Kopfschütteln geerntet. Eine Sonnenbrille ist zu beklagen, bei einem
Schlapfen ist der Oberteil abgerissen, unsere Arme sind vom Schaufeln durchs ständige Reiben am Schlauch aufgerubbelt. Aber wurst, super wars. Ente gut, alles gut.
Der Typ klaubt uns flußabwärts an vereinbartem Ort wieder auf und führt uns zurück ins Dorf, mehr muß heute nicht mehr passieren. Das Dinner besteht aus freien
Spenden von insgesamt sechs Mitwirkenden. Gäste von Jugendherbergen tendieren nämlich zu eigenen Nahrungsvorräten und auch wir verfügen mittlerweile über eine
respektable Grundausstattung von Essig, Öl, diversen Gewürzen und Saucen.
Aus Gemüse aller Art und Form, scharfen Substanzen, Tomatenpaste, zwei Eiern und Reis entsteht so ein durchaus essbares Gericht, Vertreter von fünf Nationen
delektieren sich daran. Nicht, daß die Eigenverpflegung wirklich billiger käme als der Sprung zum Wirten, aber es schmeckt einfach besser. Die kulinarische
Kompetenz des gemeinen Panamesen endet, zumindest was das erkennbare Angebot betrifft, bei Hamburgern und vertrockneten Fleischteilen mit Reis oder Kochbananen.
Frisches Gemüse zum Beispiel kommt, wenn überhaupt, nur in homöophatischen Dosen auf den Tisch. Heimische Haubenköche sind so selten wie ugandische Haubentaucher.
 

Mittwoch, 19. Dezember 2018

18.12., Panama City, Santa Fe
 
Heute verlassen wir die Hauptstadt, für alle Zeiten. Wirkungskreis für die nächsten Tage wird Santa Fe sein. Was zieht den Reisenden dorthin, wird sich der wenig
Ortskundige fragen? Dazu ein interaktives Mitmachspiel. Was klingt lässiger: Ich fahre am Dienstag nach Santa Fe und trinke ein Häferl frisch gerösteten Hochlandkaffe
oder Ich fahre am Dienstag nach Gramatneusiedl und trinke eine Tasse Haag Schonkaffee. Eben. Darüber hinaus liegt das anvisierte Kaff in luftigen Höhen, umgeben
von Wasserfällen, Plantagen und Orchideengärten. Hüpfen wir also in einen Bus und düsen den Panamerica Highway nach Westen entlang, der legendären Straße,
die sich von Alaska beginnend durch den Kontinent bis nach Feuerland schlängelt. Allerdings weist sie im Grenzbereich zwischen Panama und Kolumbien eine Lücke auf,
weil die Gegend dort so wild ist, daß die Kreaturen des Waldes sogar den Straßenbelag fressen würden.
Freilich darf man sich jetzt von dieser Schnellstraße nicht zu viel erwarten. Generell ist sie in schlechtem Zustand, die Höchstgeschwindigkeit hier beträgt sechzig
km/h, auf den jeweils zwei Spuren herrscht kein Rechtsfahrgebot und überholt wird nach Tagesverfassung. Annehmlichkeiten wie Leitplanken oder
Spurenmarkierungen sind über weite Strecken nicht vorhanden. In der Mitte zwischen den Richtungsfahrbahnen berläuft eine mit Buschwerk zugewachsene Rinne für
Regenwasser und ein rund hundert Meter langer Tunnel muß als bauliche Extravganz eingestuft werden. Der Bus selbst ist in der Tat äußerst bequem, weil mit einer
Klimaanlage und einem Fernseher ausgestattet.
Reggaeton spielts die meiste Zeit, so etwas wie südamerikanischen Reaggeyhiphopsalsarap. Die bunt gekleideten Protagonisten der Sing- und Tanzeinlagen wacheln o-beinig
genauso dümmlich wie ihre nördlichen Vorbilder mit gestreckten Fingern unterschiedlicher Zahl und dickem Goldbehang in die Kamera, während sie von heissen
Miezen geil beäugt werden. Später bearbeiten Typen inbrünstig ihre Ziehharmonikas, hätten sicher gerne zwanzig Finger an jeder Hand und schwitzen die Falten ihrer Instrumente voll.
Wir tingeln durch dünn besiedeltes Gebiet, einmal passieren wir in Schrittgeschwindigkeit eine Demo. Bauern auf Pferden, ein prähistorischer Mähdrescher und
Anhönger blockieren die gegenüberliegenden Spuren, ein Großaufgebot der Polizei ums Eck. Da unser Bus wirklich an jeder Hundehütte hält, dauert es schon ewig,
bis wir endlich in Santiago ankommen, einem heillos verstauten Verkehrsknotenpunkt auch für internationale Busse und Trucks. Dort wechseln wir in ein zerbeultes
Gefährt bummvoll mit bäuerlicher Reisegesellschaft für die letzten fünfzig Kilometer in die Berge. Hier komme ich zu einem weiteren Vorteil von Santa Fe
gegenüber Gramatneusiedl: Man fährt am Weg dorthin durch San Franzisco. Das trifft sich gut, da war ich eh noch nicht. Schnell noch eine Blume ins Haar gesteckt,
bevor wir in die Metropole einfahren, gefolgt von der Erkenntnis: Die Geschichten über San Franzisco sind maßlos übertrieben. Ein paar zerlumpte Bauern im Schatten
von staubigen Bäumen, ein paar windschiefe Häuser und Verschläge, na ja. Endlich kommen wir an, der Fahrer hat seinen Kleinbus die Anhöhen in kleinstem Gang förmlich hochgetreten,
finden die auserwählte Jugendherberge und bekommen das letzte freie Zimmer von insgesamt fünf im ersten Stock. Ena lässt dabei den ihrer Meinung nach übertrieben
geldgierigen Betreiber mit gewohnter Härte im Zuge der Preisverhandlungen alt aussehen, der Bergpanamese fürchtet sich vielleicht sogar ein wenig.
Das Hostel steht inmitten eines prächtigen Gartens mit Blick auf die umgebenden Berggipfel, sehr schön. Das auf San Blas kennengelernte polnische Pärchen sitzt
in der Burgerbude nebenan und hat schon fürs Abendessen eingekauft, wir erstehen im Markt irgendeiner Cooperativa auch noch Zeugs für schnelle Nudeln und süssen
Wein im Tetrapak. Gemeinsam mit einer Französin sitzen wir dann im Garten und essen und trinken und lauschen den Grillen und erzählen uns ab und zu selbst etwas.

Dienstag, 18. Dezember 2018

17.12., San Blas, Panama City
 
Eine wilde Fahrt zurück aufs Festland. Die Wellen kommen unschön von rechts und nach zwei Minuten sind wir alle waschelnass. Einzig der schlaue inselvorsteher
schützt sich mit einem Regenschirm, ein maritimer Routinier. Wir Amateure verstauen eilig zumindest unsere heiklen Habseligkeiten wie Pässe und Telefone im Plastiksackerl, die
restliche Stunde sitzen wir wie angezogen in der Dusche und harren der Dinge. Zurück nach Panama City staut es sich ganz ordentlich. Slums neben Hochhäusern
am Stadtrand, hochgerüstete Ninjacops mit Motorrädern strategisch in der Gegend verteilt. Im schon erprobten Hotel checken wir in ein stinkiges Zimmer ein und geben uns der
Klimaanlage hin, ehe Ena unschuldigen Jugendherbergsgästen beim Stockball zeigt, wo der Bartel den Most herholt. Bevor sie zu viel Oberwasser abbekommt, packe
ich die umjubelte Billardgöttin wieder ein und wir mischen uns unter das weihnachtstrunkene Volk, das im über und über mit Blingbling geschmückten Park am Meer
seine Runden dreht. Würde es in Panama zur Adventzeit auch noch schneien, die Nation würde um diese Jahreszeit kollektiv von einer rasenden Hysterie erfasst werden. Alle in Panama City
sind übrigens absolut normal, ein abnormaler Umstand. Niemand tanzt durch extravagantes Verhalten oder exklusive Bekleidungsvorlieben aus der Reihe, es dominiert
das schnöde Polohemd und der gepflegte Kurzhaarschnitt. Sittsamkeit allerorts, abgesehen von den mordor-ähnlichen No Go- Ecken der Stadt. Keine lautstarken Randgruppen, Verrückte,
Betrunkene, Punks, Rocker, Emos oder Emus. einzig der brave Vorzeigebürger bevölkert die Hauptstadt.
Peristaltische Fehlzündungen begleiten mich am Weg heim, entweder die Leber mit Kochbananen oder der Papayasaft mit Leitungswasser war keine so gute Idee.
16.12, San Blas

Wieder viel Regen, auch am Vormittag. Ena und ich kommen durch eine organisatorische Fehlleistung in den Genuss einer private Bootstour. Eine halbe Stunde brettern wir mit zwei Halbstarken
bis zu einer seichten, sandigen Stelle, wo jede Menge fette Seesterne herumgammeln. Ein Barracuda dreht auch seine Runden, wunderbar. Der zweite Stopp bringt
uns zu einer kleinen Insel, der dritte ebenso. Pflichtschuldig latschen wir die auch immer brav ab, das dauert zwischen fünf und zehn Minuten. Traumhaft, wirklich,
aber die insgesamt knapp vierhundert Inseln sehen alle vollkommen gleich aus. Nicht traurig bin ich, alsich wieder in meine Hängematte klettern darf, und abends
spielen wir etwas ähnliches wie Activity mit drei französischen Kanadiern und zwei Polinnen. Alle sind schwer zerstochen und fürchten sich vorm Gelbfieber. Außer
den Moskitos beissen oder nesseln noch Wanzen, Sandflöhe, Seeläuse und kleine Quallen um die Wette.

Montag, 17. Dezember 2018

15.12., San Blas
Dschungelsound und starker Regen des Nächtens. Trotz Blechdach werden wir auch etwas angefeuchtet, was anbetracht der affigen Hitze gar nicht so unangenehm ist und den allgemeinen,
modrig-muffigen Geruch in der Hütte erklärt. Vier fragile Wände aus dünnen Holzrohren, ein Bett im Sand, ein Blechdach darüber. Kein Fenster, keine Regale, kein Strom, zum Glück
ein zweites Bett, auf dem wir unsere Habseligkeiten ausbreiten können. Das Moskitonetz ist sicher gut gemeint, aber viel zu klein und die Patchworknotlösung unter Einwebung meines
Allzwecktuches ist nicht wirklich dicht, obwohl Ena´s Haarklammern gute Dienste leisten. Ein infernaler Tuscher irgendwann, eine Kokosnuss fällt auf eines der Dächer.
Entsprechend gerädert klettern wir kurz nach Sonnenaufgang aus der Behausung und schlürfen dünnen Kaffee, dazu frische Germteigfladen. Freche, langbeinige, langschwänzige Vögel
lauern auf Gelegenheiten zum Mundraub. Der anschließende Inselrundgang dauert keine zehn Minuten. Außerhalb des Camps beschauliches Dorfleben, wobei die Qualität der Hütten den
unsrigen entspricht, viel Müll liegt herum und unzählige große Muscheln, die von den Guna vielleicht zum Verkauf gesammelt werden. Rund achtzigtausend Mitglieder umfasst der Stamm
die nördliche Küsten- und Inselregion Comarca Guna Yala wird von ihnen halbautonom verwaltet. Ein Wasserloch dient wohl als Trinkwasserreservoir und Waschplatz. Einbäume,
Wäscheleinen, spielende Kinder. Am anderen Ende der Insel ein luftiger Palmenhain. Das Riff rund um die Insel ist relativ gesund, oft so seicht, dass sich
die Wellen daran brechen, und Lebensraum einiger seltsamer, noch nie zuvor gesehener Kreaturen. Viele Gäste bleiben hier nur eine Nacht, der Schichtwechsel findet vormittags statt.
Die Neuankömmlinge sind zahlreich, der Platz um die Tische reicht gerade noch aus. Fisch und Reis, dazu die übliche Konversation zu Mittag. Von wo wer ist, wo man schon war, wie lange
man bleibt, die nächsten Ziele, der Job daheim, blabla. Der Rest des Tages ist routiniertes Faulenzen, bis herrliche orangefarbene Erdäpfel und Allerlei vom Huhn kredenzt werden.
Am Abend entfachen die Einheimischen für uns ein Feuerchen am Strand, die Sterne funkeln, radikale Trinkspiele sorgen für flächendeckende Berauschung.
13.12., San Blas
Einen Rucksack mit unnötigem Zeug lassen wir im Hotel, um kurz vor sechs kommt der Allradtoyota. An Bord schon vier andere Figuren aus Deutschland und Holland,
wir sind komplett. Noch zehn Liter Wasser, riesige Mangos, Chips und andere Fressalien shoppen, dann verlassen wir Panama City. So schiach sind die Außenbezirke,
schimmlige Betonklötze wild in der Gegend verstreut, dreckige Industrieareale hinter hohen Mauern, Schrott, wilde Mülldeponien. Außerhalb wird´s langsam besser.
Zuerst noch Grasland, auf dem der Dunst liegt, dann führt die Straße bergauf und schlängelt sich fortan durch dichten Dschungel. Vorher bleibt der Fahrer noch
bei einem Fressverschlag stehen und steigt kommentarlos aus, wobei er den Motor laufen lässt. Geht er aufs Klo, vielleicht auf einen Coffee to go? Nein, er
bestellt sich einen Teller Frühstück, setzt sich hin und löffelt tiefenentspannt seine Suppe. Wir also auch, ich bin sowieso hungrig, weil wir unser Frühstück
versäumt haben. Es gibt fettige Mais- und Germteigfladen,dazu ein Omelett und Kaffee, passt. Später lauschen wir lateinamerikanischer Musik mit ewiggleichem
Sambasalsarhytmus, auch der alte Fahrer mit Zahnstocher im Mund hat den Groove und swingt dahin. Die Themen sind extravagant, einer besingt zum Beispiel Nachos.
Nacho, Nacho, everybody Nacho. Do the Nacho. Time is money, money is cheese, cheese is Nacho. Die Piste ist mittlerweile besonders in den Kurven und Senken
ziemlich kaputt und voller tiefer Schlaglöcher, ein paar Pickups mit Kochbananen oder Fässern unbekannten Inhalts sind noch unterwegs. Der Fahrer beschleunigt
mitunter wegen bevorstehender steiler Abschnitte, was die Kiste hergibt, und die Kompression drückt uns in die Sitze. Ena und ich kauern in der letzten, leicht
erhöhten Reihe ohne Möglichkeit, die Füße irgendwo zu verstauen, bequem ist anders. Nur mehr Botanik, ganz selten noch eine einfache Hütte am Straßenrand. Nach
einer Polizeisperre noch ein paar Kilometer, dann erreichen wir das Territorium der Guna, wo jeder zweiundzwanzig Dollar wofür auch immer ablöhnen muss. Zu den
Eingeborenen komme ich später noch. Die Typen hier schauen zwar indianisch aus, sonst aber wie jeder andere auch. Beim letzen Stopp an einem Fluß werden kleine
Gruppen von Touris in verschiedene Boote verladen, je nach vereinbarter Insel. Steg oder sonstige Infrastruktur gibt´s keinen, man klettert über die
Böschung und weiter Richtung Bootsheck. Wunderschöne, sattgrüne Flußlandschaft, vor der Mündung zum Meer nach wenigen Minuten liegen große Haufen von Schwemmholz,
ganze Bäume ineinander verkeilt. Die Regenzeit ist erst vor zwei Wochen abgeklungen. Der junge Bootsführer mit Irokesenfrisur sucht sich seinen Weg, gelangt
aufs freie Wasser und dreht den Gashahn auf, am Horizont verstreut sind runde, üppig mit Palmen bewachsene Inseln, die alle gleich aussehen. Wir erreichen unsere,
Ina, nach einer knappen Stunde, legen am Dorfsteg an und latschen unter der Beobachtung der Insulaner in unser Camp, das durch einen eher symbolischen Zaun von der
Siedlung getennt ist. Kein gerade überschäumender Empfang, aber auch kein Fallobst oder gar Pfeile für uns. Ein Briefing auf spanisch, das der ausführende Indianer
selbst nur fragmentarisch beherrscht, verkündet folgendes: Es gibt drei Mahlzeiten am Tag, die Möglichkeit, sich zu duschen um fünf Uhr abends, Kokosnüsse und
Getränke sind käuflich zu erwerben.
Die äußerst rustikalen Hütten stehen in U-Form zum Strand hin, am Platz in der Mitte stehen zwei größere überdachte Tische für
die Einnahme der Mahlzeiten. Ein paar Palmen, zwei Hängematten, zwei Kackbuden, aus. Kitschige Aussicht auf vier andere Inseln, eine davon so klein wie die im Cartoon,
wo der Schiffbrüchige unter der einzigen Palme lehnt und überschaubare Pläne für die Zukunft schmiedet. Weißer Sand, ein Korallenriff ein paar Meter weiter draußen,
wir schon bald in unseren Hängematten. Ena schlürft eine Kokosnuss, ich süffle an einer ambitionierten Ananas-Inländerrum-Mischung. Ein karibischer Traum, besser
geht´s nicht. Der Lunch besteht aus einem kleinen Fisch mit Reis und dunkelbrauner Bohnenpampe, nichts besonderes, aber voll in der Ordnung. Eine Frau aus dem Dorf
bringt die Teller, sie trägt wie die anderen auch rote Kunstperlenbänder über die gesamten Unterarme und -Schenkel.
Ein bißchen schnorcheln und einrichten des neuen Eigenheims, ein paar Seiten lesen, schon wird mittels Puster in eine große Muschel zum Abendessen gerufen.
Es gibt Lobster, bumm. Der währe wirklich gut, würde nicht überall brauner, nach Fischscheisse schmeckender Schlatz auf dem Fleisch kleben, der nicht vollständig
zu entfernen ist. Dann wird gemeinschaftlich gesoffen, ich muss meine Reserven spendieren. Der eine Pole lebt in London und trachtet hauptsächlich danach, sich noch
mehr Muskeln anzutrainieren, der andere ist Businesscoach, jetzt auf Hochzeitsreise und erklärt Menschen im Zivilleben, wie sie sich vor Publikum zu verhalten haben.
Ein Belgier arbeitet sich seit September von Californien beginnend den Kontinent hinunter, eine Holländerin erzählt von zwei Landsfrauen, die sich vor ein paar Jahren
im Dschungel Panamas verlaufen haben, eine Geschichte ohne happy End. Dann ist´s auch schon acht und alle gähnen im Chor, Schlafenszeit.    

Freitag, 14. Dezember 2018

13.12., Panama City
 
Wofür ist Panama noch bekannt, außer für seine Hüte und Papiere? Für seinen Kanal, genau. Den schauen wir uns heute an, genauer gesagt die Schleusenanlage in
Miraflores. Achtzig Kilometer haben sich zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts zuerst die Franzosen und dann die Amis voN der Karibik- bis zur Pazifikküste
durchgegraben, ein gigantisches Unterfangen über viele JahRzehnte. Sechsundzwanzig Höhenmeter müssen unterwegs überwunden werden, ein paar davon in Miraflores.
Noch nie zuvor gesehene Riesentanker stellen sich vor den zwei Meter dicken Toren an, einzeln werden sie von Elektroloks durch die Anlage gezogen, während pro
Hub eine Million Liter Regenwasser eingespeist werden. Eine Schleusung kostet so ein Containerschiff üppige 120.000 Dollar, auszahlen dürfte sich die Abkürzung
trotzdem. Ein pathetisches Filmchen zu Beginn der Führung veranschaulicht, wie ungeheuer stolz die Panamesen auf ihren Kanal sind, obwohl sie ihn gar nicht selbst
gebaut haben. Am Weg heim schwärmt uns ein deutsches Pärchen von Kolumbien vor, wir sollen Panama am besten gleich hinter uns lassen und umgehend nach Osten ziehen.
Nono, vom Hudeln kommen die Kinder. Wir werden uns morgen auf die La Blas-Inseln absetzen, im Norden vor der karibischen Küste gelegen. Eine Matratze im Sand,
bereitgestellt von irgendwelchen kommerzialisierten Indianern, gibt´s schon um sechzig Dollar. Und das ist ein Schnäppchen, Schmäh ohne. Wasser etc. muss man sich
selbst mitnehmen,irgendwo hängt hoffentlich ein gemeinschaftlicher Schlauch mit Brackwasser für die hygienische Grundversorgung. Ena hat von dieser Inselgruppe nur
das beste gehört und ich bin willenloses Gemüse und obendrein gespannt, warum trotzdem alle dorthin wollen. Ob es auf San Blas Strom oder gar Internetz gibt, kann
ich nicht sagen, wir werden mindestens drei Nächte bleiben. Ein Cocktail mit Rosmarin geht sich heute noch aus und zum Abendessen eine Linsensuppe mit Cassava, unser
Fahrer holt uns morgen um 5.30 ab.

Donnerstag, 13. Dezember 2018

12.12., Panama City
 
Eine insgesamt zehnspurige Schnellstraße ohne Ampeln oder sonstigen Querungsmöglichkeiten trennt uns nur ein Weilchen von der ewig langen Küstenpromenade samt klinisch sauberen Grünanlagen und Radstreifen, aber schnell laufen muß man schon, wenn man überleben möchte.
Bullen und Militaristen auf Golfwagerln und Mountainbikes beschützen ein paar Jogger und flanierende Touris wie uns, Heerscharen von vermummten Hacklern beseitigen umgehend jedes gefallene Blatt und gehen mit Laubbläsern rigoros und lärmend gegen Staub und störende Mikroorganismen vor. Nehme ich halt an, ich habe ja kein Mikroskop dabei.
Die Skyline der Stadt ist wahrlich beeindruckend. In nordamerikanischem Stil stehen Wolkenkratzer dicht gedrängt, rundherum mindestens genau so viele Rohbau-Skelette. Begonnen hat der Turmbau schon in den 70er Jahren, als
Panama unter General Noriega als dubioser Finanzplatz und staatlicher Drogengroßhändler wuchs und gedieh, bis George Bush from se US and A neidisch wurde und ordentlich zu randalieren begann. Auch sein Sohn hatte damals die Nase voll, aber das ist eine andere Geschichte.
An einer Anlegestelle für Fischereiboote wird Fang verladen und gearbeitet, große Pelikane hocken zufrieden auf zerbeulten Kuttern. Die Promenade führt uns letztlich zur Casco Antiguo, der im siebzehnten Jahrhundert erbauten und heute von der Unesco geschützten Altstadt mit kleinen Plätzen, ein paar verfallenen Kirchen und alten Befestigungsanlagen.
Hoch erfreute Kinder mit nagelneuen Fahrrädern, Puppen und großen Spielzeugautos bevölkern mit ihren Eltern die engen Gassen, auf einem vergitterten Sportplatz direkt am Meer verteilen durchwegs übergewichtige Mitarbeiter einer wohltätigen Organisation sagenhafte Geschenke an sie.
Überbordende Weihnachtsdekoration allerorts. Große Päckchen baumeln in den Bäumen, Rentiere und Weihnachtsmänner bevölkern die Grünflächen, sogar Züge und Boote aus Glitzerzeug stehen herum. Darüber hinaus sind viele Autos mit Rentiergeweih auf den Dächern und einem roten Bommel am Kühlergrill ausstaffiert. Die Panamesen oder Panamerianer fiebern der heiligen Nacht enthusiastisch entgegen.
Sehr lauschig ist´s auf dieser Halbinsel, außeralb wütet der Verkehr.
Am Weg zurück zum Quartier latschen wir planlos durch alle Bezirke, von denen unser Reiseführer auch untertags dringend abrät, man könnte jederzeit ausgeräumt oder gar gemeuchelt werden. Tatsächlich gibt´s ein paar wilde Ecken mit Obdachlosen und variabel Beeinträchtigten, aber die Lage bleibt überschaubar. Ein Fischmarkt, ein chinesisches Tor beim Eingang zur Chinatown, dazwischen immer wieder vermülltes, überwachsenes Brachland.
In langen Reihen locken windschiefe Fressbuden, wo sich die Einheimischen an einer schönen Auswahl an zünftiger Hausmannskost laben. Mein Magen meint, er k(r)ämpfe ohnehin noch mit früher verabreichtem Brennstoff, Ena hält sich auch noch bedeckt und führt sich vorerst ganz bedächtig mit einem Melonenshake mit Zimt in die hiesige Gastronomie ein.
Nach einer mittäglichen Siesta fahren wir mit der U-Bahn bis zum Terminal de Transportes, einem gigantischen Busbahnhof, der für ganze Völkerwanderungen ausgelegt scheint. Die Menschen stellen sich brav in Einerschlangen vor den zahllosen Plattformen an, trotz des sagenhaften Lärms läuft alles soweit geordnet ab. Der Weg zum Amador Causeway, einer ins Meer gebauten Straße, die zu drei kleinen Inseln führt, ist dann aber völlig verstopft. Zu viele Autofahrer wollen über die monumentale Puente de Las Americas, einer Brücke über den Panamakanal, Panama City in Richtung Westen verlassen.
Auf einer Plattform am Hafenbecken mit Blick auf die jetzt einige Kilometer entfernte Skyline der Stadt belohnen wir uns für die Strapazen des Tages und schlürfen gut gemixte Caipirinas zu lateinamerikanischer Hintergrundbeschallung. Dazu knabbern wir frittierte Yuca-Happen, scheinbar nur ein anderer Name für Maniok. Schmeckt gar nicht übel, superscharfe Sauce kommt mit auf den Tisch. Dann reicht´s für heute, es ist noch immer viel zu heiß.
Die Busstation bei uns ums Eck heisst El Geriatrico, das trifft´s ganz gut.

Mittwoch, 12. Dezember 2018

11.12. Wien - Panama City

Ein Kaffee und eine Thrombosespritze zum Frühstück, dann scheibt uns Henry frühmorgens bei Schneeregen und drei Grad
zum Flughafen. Auch die süsse Ena konnte sich dieses Jahr für drei Monate frei machen, am Reiseplan stehen Panama,
Costa Rica und Kolumbien. Knappe zwölf Stunden dauert der zweite Flug von Frankfurt nach Panama City. Mein Sitznachbar
am Fenster setzt mich vor jedem Klogang per Englisch-Deutsch-Übersetzungsprogramm auf seinem Handy von seinem
Vorhaben in Kenntnis. Ob das eh in Ordnung für mich sei, kurz aufstehen zu müssen, er hoffe darüber hinaus, ich könne
mich nach der Störung wieder gebührend entspannen, lese ich vom Display ab.
Als wir uns mit dem öffentlichen Bus der Hauptstadt nähern, geht schon die Sonne unter, es hat noch immer kuschelige
einunddreißig Grad. Der Fahrer nimmt uns gratis mit, wir besitzen noch keine Metrocard. Ausnahmslos alle Fahrgäste sind
besser gekleidet als ich, einer hat die Mutter Gottes als Hintergrundbild auf seinem Handy. Die Vororte wirken
ziemlich abgefuckt, ansonsten alles leidlich zivilisiert. Zwei zutrauliche Mädchen lassen sich durch unsere Einsilbigkeit
nicht weiter irritieren und nehmen sich unser an, kümmern sich um unsere Tickets und die restliche Route zum Hotel Montreal,
Welcome to Panama! Sweet. Noch immer kein Spanisch gelernt, die Gefährtin beherrscht wenigstens ein paar Brocken.
Noch ein Taxi, dann checken wir ein. Eine schmuddelige Absteige, aber durchaus authentisch, es herrscht
reges Treiben. In durchgesessenen, speckigen Stoffsesseln sitzen wir und trinken Balboa, das Serveza Nacional, die Rechnung macht drei Dollar einundachtzig. Die Landeswährung ist nur in Münzen im Umlauf und direkt an den amerikanischen Dollar gekoppelt, eigene Scheine gib´s gar keine. In der Nacht geben aufgemotzte Boliden ordentlich Gas, gehen Alarmanlagen los, schreien Babies und ihre Mütter. Um vier Uhr früh kehren unsere Zimmernachbarn heim. Es klingt, als würden sie dabei in unserem Zimmer stehen.