Montag, 5. Dezember 2016



29.11., Von Ulley zum Kloster Ristong
Ulley liegt auf viertausend Metern, die Temperatur heute Morgen beträgt minus zehn Grad. Die Nacht war trotz Strahler, Haube, Handschuhen und zusätzlichen Decken frostig, aber auszuhalten. Die Küche ist schon wohlig warm. Tsampa, das ist geröstetes Gerstenmehl, steht immer am Tisch. Man kann sich einen Löffel davon in den Tee rühren oder mit Wasser oder Buttertee ein Laberl daraus formen. Ein paar Männer sind schon am Essen und alle schlecken auch hier mit Wonne ihre Teller aus, das ist doch etwas grauslich. Mein Frühstück heute besteht aus fluffigen Palatschinken mit selbst gemachter Marillenmarmelade und dazu reichlich Geschichten. Alles dreht sich um den Schneeleopard. Der bringt sowohl Gäste als auch Kummer, wenn er wieder einmal auf leichter Jagd nach dem Nutzvieh ist. Die zwei Westler von gestern haben in Leh gleich drei Guides angeheuert, sie wollen nichts unversucht lassen. Die Guides wiederrum haben die Männer der Umgebung zusammengetrommelt und zweitausend Rupies für die erste Leopardensichtung des Tages ausgelobt. Der Sieger sitzt mir jetzt gegenüber, er strahlt ganzheitlich. Schon vor Sonnenaufgang war er ausgeschwärmt und hat irgendwo hoch oben ein Viech ausgemacht. Alle Sichtungen spielen sich auf größte Distanz ab, der Schneeleopard ziert sich sehr. Urbu, Chef des Hauses, zeigt mir ein paar verwackelte Videos. Als das Bild am Ende der Sequenz zur tatsächlichen Entfernung zurückzoomt, ist eigentlich überhaupt nichts mehr zu erkennen. Urbu übernimmt im weiteren Umkreis auch die Dokumentation von gerissenem Nutzvieh für das Ansuchen um staatliche Entschädigung. Bevor er Läuterung erfuhr, musste er vor ein paar Jahren noch ein Weilchen absitzen, nachdem er einen Schneeleoparden gewildert hatte. Auch gezählte zehn Wölfe im Gänsemarsch einen Pfad entlang hat er auf Video, das sind zerlumpte, wilde Viecher. Bären gibt´s hingegen nur weiter südlich in Zanskar, einer hat dem Vernehmen nach erst unlängst den Esel eines Bekannten gekillt. Wir bekommen unsere Blechnäpfe noch gefüllt, dann marschieren wir los. Es dauert nicht lange, bis wir die blutrünstigen Geschichten bestätigt bekommen, ein paar Kilometer weiter kommen wir an Überresten eines gerissenen Yaks vorbei. Lange wandern wir inmitten eines breiten, mit Geröll gefüllten Flussbettes. Das bisschen Wasser, das zu dieser Jahreszeit darin fließt, erstreckt sich abwechselnd über die gesamte Breite. Später, hoch oben auf schmalem Pfad, drücke ich mich zaghaft  zur senkrecht hochsteigenden Felswand. Ich fühle mich etwas flau und obendrein kraftlos von der gestrigen Hatscherei. Am Nachmittag erreichen wir das Kloster. Der einzige weltliche Typ im ganzen Komplex, der Koch, serviert uns Buttertee im Speisesaal. Dann kommen ein paar Mönche vom Tempel, die Puja ist gerade vorbei. Dort liegt noch Getreide am Boden verstreut, das auch von weiblichen, kahl geschorenen Mönchen zusammengekehrt wird. Die sind aber nur zur heutigen Feier aus der benachbarten Nunnery gekommen, irgendwas Besonderes stand da heute an. Jeder bekommt zur Feier des Tages eine Packung Kekse, ich auch. Viele Kinder wuseln herum, ein paar Alte wahren die Würde des Hauses. Alle sind sie scheinbar kälteunempfindlich. Über ihrer zugigen Robe tragen sie noch eine Decke und sonst nichts. Ich ziehe mich zurück in meine mir zugewiesene Zelle und lese über eine gescheiterte Besteigung des Berges Masherbrum in Pakistan, da wird mir gleich noch kälter. Am Abend gibt’s Reis, schwarze Bohnen und Karfiolcurry, das Kloster wirkt wie ausgestorben. Vereinzelte Silhouetten gebückter Mönche, üppiger Sternenhimmel über dem nächtlichen Kloster.

Keine Kommentare: