29.11., Von
Ulley zum Kloster Ristong
Ulley liegt
auf viertausend Metern, die Temperatur heute Morgen beträgt minus zehn Grad.
Die Nacht war trotz Strahler, Haube, Handschuhen und zusätzlichen Decken
frostig, aber auszuhalten. Die Küche ist schon wohlig warm. Tsampa, das ist
geröstetes Gerstenmehl, steht immer am Tisch. Man kann sich einen Löffel davon
in den Tee rühren oder mit Wasser oder Buttertee ein Laberl daraus formen. Ein
paar Männer sind schon am Essen und alle schlecken auch hier mit Wonne ihre
Teller aus, das ist doch etwas grauslich. Mein Frühstück heute besteht aus
fluffigen Palatschinken mit selbst gemachter Marillenmarmelade und dazu
reichlich Geschichten. Alles dreht sich um den Schneeleopard. Der bringt sowohl
Gäste als auch Kummer, wenn er wieder einmal auf leichter Jagd nach dem
Nutzvieh ist. Die zwei Westler von gestern haben in Leh gleich drei Guides
angeheuert, sie wollen nichts unversucht lassen. Die Guides wiederrum haben die
Männer der Umgebung zusammengetrommelt und zweitausend Rupies für die erste
Leopardensichtung des Tages ausgelobt. Der Sieger sitzt mir jetzt gegenüber, er
strahlt ganzheitlich. Schon vor Sonnenaufgang war er ausgeschwärmt und hat
irgendwo hoch oben ein Viech ausgemacht. Alle Sichtungen spielen sich auf
größte Distanz ab, der Schneeleopard ziert sich sehr. Urbu, Chef des Hauses, zeigt
mir ein paar verwackelte Videos. Als das Bild am Ende der Sequenz zur tatsächlichen
Entfernung zurückzoomt, ist eigentlich überhaupt nichts mehr zu erkennen. Urbu
übernimmt im weiteren Umkreis auch die Dokumentation von gerissenem Nutzvieh
für das Ansuchen um staatliche Entschädigung. Bevor er Läuterung erfuhr, musste
er vor ein paar Jahren noch ein Weilchen absitzen, nachdem er einen
Schneeleoparden gewildert hatte. Auch gezählte zehn Wölfe im Gänsemarsch einen
Pfad entlang hat er auf Video, das sind zerlumpte, wilde Viecher. Bären gibt´s hingegen
nur weiter südlich in Zanskar, einer hat dem Vernehmen nach erst unlängst den
Esel eines Bekannten gekillt. Wir bekommen unsere Blechnäpfe noch gefüllt, dann
marschieren wir los. Es dauert nicht lange, bis wir die blutrünstigen
Geschichten bestätigt bekommen, ein paar Kilometer weiter kommen wir an Überresten
eines gerissenen Yaks vorbei. Lange wandern wir inmitten eines breiten, mit
Geröll gefüllten Flussbettes. Das bisschen Wasser, das zu dieser Jahreszeit
darin fließt, erstreckt sich abwechselnd über die gesamte Breite. Später, hoch
oben auf schmalem Pfad, drücke ich mich zaghaft zur senkrecht hochsteigenden Felswand. Ich
fühle mich etwas flau und obendrein kraftlos von der gestrigen Hatscherei. Am
Nachmittag erreichen wir das Kloster. Der einzige weltliche Typ im ganzen
Komplex, der Koch, serviert uns Buttertee im Speisesaal. Dann kommen ein paar
Mönche vom Tempel, die Puja ist gerade vorbei. Dort liegt noch Getreide am
Boden verstreut, das auch von weiblichen, kahl geschorenen Mönchen
zusammengekehrt wird. Die sind aber nur zur heutigen Feier aus der benachbarten
Nunnery gekommen, irgendwas
Besonderes stand da heute an. Jeder bekommt zur Feier des Tages eine Packung Kekse,
ich auch. Viele Kinder wuseln herum, ein paar Alte wahren die Würde des Hauses.
Alle sind sie scheinbar kälteunempfindlich. Über ihrer zugigen Robe tragen sie
noch eine Decke und sonst nichts. Ich ziehe mich zurück in meine mir
zugewiesene Zelle und lese über eine gescheiterte Besteigung des Berges Masherbrum
in Pakistan, da wird mir gleich noch kälter. Am Abend gibt’s Reis, schwarze
Bohnen und Karfiolcurry, das Kloster wirkt wie ausgestorben. Vereinzelte
Silhouetten gebückter Mönche, üppiger Sternenhimmel über dem nächtlichen
Kloster.
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