1.12., Von
Hemichupachan nach Tingmosgang
Die Eier
fürs Frühstück kommen aus Leh, sie sind unbefruchtet. Sonst würde man ja ein heranwachsendes
Lebewesen essen, und das darf der aufrechte Buddhist nicht. Hühner sind in
Hemichupachan generell nicht erlaubt, da sie ja Würmer und anderes Getier essen
würden, ebenfalls nicht akzeptabel. Tiere schlachten in Ladakh nur Moslems, viele
Buddhisten lassen es sich aber dennoch nicht nehmen, eifrig Fleisch zu essen. Gelebte
Augenauswischerei also. Titi bekommt noch ein paar Aspirin aus dem Fundus gegen
seine Kopfschmerzen, dann ziehen wir weiter. Er hat beim Abschied ein Tränchen
im Auge, ein sehr herzlicher Mensch. Er war einst auf Einladung mehrerer
Freunde selbst zwei Monate in Europa und war fassungslos, als er mit einem
Großteil seiner Ersparnisse auf die Bank ging und für seinen Stapel Rupies
gerade einmal zwei Hunderteuroscheine bekommen hat. Trotz all der gesehenen
Pracht würde er niemals aus Ladakh weg wollen, hat er mir gestern versichert. Durch
einen teilweise gefrorenen Sumpf wandern Stanzin und ich eine sanft ansteigende
Landschaft hoch, bis wir auf eine Wolfsfalle stoßen. Treiben es die Wölfe zu
bunt, wird ein Schaf in diesem aus Steinen aufgeschichteten, einem Iglu ohne
Dach ähnlichen Bau ausgesetzt, als Köder für den Wolf. Der springt hungrig
durch die obere Öffnung vielleicht drei Meter in die Tiefe und genießt seine
letzte gute Mahlzeit, bevor er von der Dorfgemeinschaft gesteinigt wird. Titi
hat gestern von einer uralten Einsiedlerhöhle erzählt, die wollen wir auch noch
finden. Wir folgen einer unbefestigten, spektakulären Bergstraße, die aber vor
einer hoch aufragenden Felswand abrupt endet. Da muss erst noch kräftig gesprengt
werden, bis hier das erste Auto fahren kann. Menschliche Knochen liegen entlang
einer frisch gegrabenen Künette für irgendein Kabel. Stanzin meint, dass
Menschen, die an einer unbekannten Krankheit gestorben sind, nicht verbrannt,
sondern möglichst rasch vergraben werden. Unser heutiges Marschprogramm ist
wieder voraussehbar. Ein Tal runter, den nächsten Pass wieder hoch. Ebenso wie
das Wetter. Strahlender Sonnenschein, eisig kalt. Ein völlig verwüstetes, aus
den Fugen geratenes Flussbett erinnert an die Sturzflut 2010, bevor wir im
nächsten Homestay einkehren. Gerade als wir den ersten Tee schlürfen, helle
Aufregung! Ein verwilderter Hund, höchstwahrscheinlich vom nahen Militärcamp,
hat ein Lamm der Gastfamilie gekillt. Auch vor Menschen soll ein ausgehungertes
Rudel nicht zurückschrecken und Stanzin kennt selbstverständlich alle
einschlägigen Legenden dazu. Ein Gewehr darf keiner besitzen, obschon so
mancher Alte noch insgeheim eine Uraltflinte unter dem Bett versteckt hat. Vergiften
mit dem Stechapfel ist das Mittel der Wahl, wenn ich richtig verstehe. Endlich
wieder eine Kübeldusche vor dem Dinner, eine schaurige Wohltat bei
überschaubarer Raumtemperatur. Die Familie hier ist, obwohl wie immer sehr
freundlich, wesentlich verhaltener als ihre Vorgänger, ist auch o.k.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen