Montag, 5. Dezember 2016



1.12., Von Hemichupachan nach Tingmosgang
Die Eier fürs Frühstück kommen aus Leh, sie sind unbefruchtet. Sonst würde man ja ein heranwachsendes Lebewesen essen, und das darf der aufrechte Buddhist nicht. Hühner sind in Hemichupachan generell nicht erlaubt, da sie ja Würmer und anderes Getier essen würden, ebenfalls nicht akzeptabel. Tiere schlachten in Ladakh nur Moslems, viele Buddhisten lassen es sich aber dennoch nicht nehmen, eifrig Fleisch zu essen. Gelebte Augenauswischerei also. Titi bekommt noch ein paar Aspirin aus dem Fundus gegen seine Kopfschmerzen, dann ziehen wir weiter. Er hat beim Abschied ein Tränchen im Auge, ein sehr herzlicher Mensch. Er war einst auf Einladung mehrerer Freunde selbst zwei Monate in Europa und war fassungslos, als er mit einem Großteil seiner Ersparnisse auf die Bank ging und für seinen Stapel Rupies gerade einmal zwei Hunderteuroscheine bekommen hat. Trotz all der gesehenen Pracht würde er niemals aus Ladakh weg wollen, hat er mir gestern versichert. Durch einen teilweise gefrorenen Sumpf wandern Stanzin und ich eine sanft ansteigende Landschaft hoch, bis wir auf eine Wolfsfalle stoßen. Treiben es die Wölfe zu bunt, wird ein Schaf in diesem aus Steinen aufgeschichteten, einem Iglu ohne Dach ähnlichen Bau ausgesetzt, als Köder für den Wolf. Der springt hungrig durch die obere Öffnung vielleicht drei Meter in die Tiefe und genießt seine letzte gute Mahlzeit, bevor er von der Dorfgemeinschaft gesteinigt wird. Titi hat gestern von einer uralten Einsiedlerhöhle erzählt, die wollen wir auch noch finden. Wir folgen einer unbefestigten, spektakulären Bergstraße, die aber vor einer hoch aufragenden Felswand abrupt endet. Da muss erst noch kräftig gesprengt werden, bis hier das erste Auto fahren kann. Menschliche Knochen liegen entlang einer frisch gegrabenen Künette für irgendein Kabel. Stanzin meint, dass Menschen, die an einer unbekannten Krankheit gestorben sind, nicht verbrannt, sondern möglichst rasch vergraben werden. Unser heutiges Marschprogramm ist wieder voraussehbar. Ein Tal runter, den nächsten Pass wieder hoch. Ebenso wie das Wetter. Strahlender Sonnenschein, eisig kalt. Ein völlig verwüstetes, aus den Fugen geratenes Flussbett erinnert an die Sturzflut 2010, bevor wir im nächsten Homestay einkehren. Gerade als wir den ersten Tee schlürfen, helle Aufregung! Ein verwilderter Hund, höchstwahrscheinlich vom nahen Militärcamp, hat ein Lamm der Gastfamilie gekillt. Auch vor Menschen soll ein ausgehungertes Rudel nicht zurückschrecken und Stanzin kennt selbstverständlich alle einschlägigen Legenden dazu. Ein Gewehr darf keiner besitzen, obschon so mancher Alte noch insgeheim eine Uraltflinte unter dem Bett versteckt hat. Vergiften mit dem Stechapfel ist das Mittel der Wahl, wenn ich richtig verstehe. Endlich wieder eine Kübeldusche vor dem Dinner, eine schaurige Wohltat bei überschaubarer Raumtemperatur. Die Familie hier ist, obwohl wie immer sehr freundlich, wesentlich verhaltener als ihre Vorgänger, ist auch o.k.

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