Montag, 5. Dezember 2016



27.11., Likir
Direkt vor meiner verglasten Zimmerfront legt sich die Sonne langsam über die Landschaft, die schneebedeckten Berge im Hintergrund leuchten. Da bleib ich noch ein Weilchen liegen und schau mir das an, bevor ich mich zwecks Frühstück in die Küche begebe. Wieder Gerstensuppe, dazu Chapati, Linsen und ein Omelett mit Gemüse, süßer Tee. Die zwei  Söhne haben heute schulfrei und malträtieren die Katzen, dem einen rinnt es aus der Nase im großen Stil direkt in die Gosche. Geschlossener Kreislauf, Perpetuum Mobile. Im Dezember und Jänner werden sie so wie auch alle anderen Schüler überhaupt kältefrei haben. Mit Stanzin, dem Hausherrn und Guide, halte ich ein Schwätzchen, die mondgesichtige Ehefrau ist zwar freundlich, aber der Tradition verpflichtet sehr zurückhaltend. Er erzählt vom hiesigen Orakel, verkörpert von einer von der Dorfgemeinde aufs Höchste respektierten Alten und von schwarzer Magie. Ihn selbst hat seine Mutter einst zu einem Zauberer geschleppt, als er von seiner Holden verlassen wurde und brennenden Liebeskummer hatte. Mit Hilfe eines Amuletts konnte er seine Verflossene gleich viel leichter vergessen, ist er noch heute überzeugt. Geschichten von symbolischen Objekten, die man zur richtigen Zeit zerstören muss, um den Lauf der Dinge zu beeinflussen und von Bestrafung im Jenseits, sollte man sich den dunklen Mächten zu sehr verschreiben. Bingobongo, aber nicht uninteressant. Dann mache ich mich auf zum Kloster, das vor knapp tausend Jahren auf Geheiß von Lama Duwang Chosje, a great Champion of Meditation, über dem Dorf errichtet wurde. Etwas unterhalb steht ein moderneres, pompöses Gebäude, sollte der Dalai Lama einmal vorbeischauen. Und angrenzend daran die Klosterschule, wo Kinder in roten Mönchsroben im Schulhof Cricket spielen. Im windschiefen Kloster selbst sind die Versammlungshalle und der Tempel das Herzstück. Die Wände von Letzterem sind mit Malereien von schrecklichen Dämonen und Göttern verziert, die schicke Kränze aus abgerissenen menschlichen Köpfen tragen, während sie sich mit deren Innereien spielen. Rollende Augen, lange Zungen, Greifzähne, viele Arme. Außer mir hält sich noch ein Mönch in der Anlage auf und sonst niemand. Der sperrt mir die Tür zum Museum auf, die mit einem prähistorischen Vorhängeschloss gesichert ist und empfiehlt sich dann zum Mittagessen. Ein Glöckchen hat geläutet. „Lens, Lens!“ „Ähhhhh?“ „LENSTIME!“, und führt die Rechte zum Mund. Ok, ich hab´s gecheckt. Dann schmeißt er mir noch zwei Lappen hin, von denen ich echt nicht weiß, was ich damit anfangen soll. Eilig demonstriert er mir deren Sinn und Zweck. Ich soll, während ich mir alte Waffen, Masken und rituelle Gegenstände ansehe, mit meinen Füßen gleichzeitig den Boden abrubbeln. Nicht blöd, diese Mönche. Überall liegt Geld herum, viel Geld. Auf den Vitrinen, im Tempel vor den Statuen, in allen möglichen Ritzen steckt die Marie. Ich weiß nicht, ob dieses Spendensystem bei uns Zukunft hätte. Im sonnigen Innenhof mit den alten Gebetsmühlen herrscht absolute Stille, da bleib ich ein Weilchen. Daheim eine solarerhitzte Bucket Shower, solange es noch warm ist und Packen für morgen. Schlafsack, zwei Flaschen Wasser, zwei Bücher, Ein Tuch als erste Barriere gegen Flöhe und Wanzen, ein Handtuch, alles an warmer Wäsche, es läppert sich. Leider wird´s der große Rucksack werden. Draußen pfeift der Wind und zieht durch die Ritzen, dass sich im Zimmer die Vorhänge sanft wiegen. Abends in der Küche basteln die Frau und der Vater an Teigteilen und Stanzin erzählt wieder. Sein Bruder ist beim Militär und brainwashed. Achtzehn Jahre lang sitzen die indischen Soldaten mehr oder weniger ihre Zeit ab, dann geht´s schon ab in die Pense mit monatlichen Zuwendungen auf Lebenszeit. Das ist erstaunlich und für Indien noch viel mehr, wo hier so gut wie niemand Pensionszahlungen bekommt. Stanzin selbst hat in jungen Jahren in Taiwan sechs Jahre lang Zen-Buddhismus studiert und kann somit tiefenentspannt Touristen die Berge rauf und runter treiben.

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