27.11.,
Likir
Direkt vor
meiner verglasten Zimmerfront legt sich die Sonne langsam über die Landschaft,
die schneebedeckten Berge im Hintergrund leuchten. Da bleib ich noch ein
Weilchen liegen und schau mir das an, bevor ich mich zwecks Frühstück in die
Küche begebe. Wieder Gerstensuppe, dazu Chapati, Linsen und ein Omelett mit
Gemüse, süßer Tee. Die zwei Söhne haben
heute schulfrei und malträtieren die Katzen, dem einen rinnt es aus der Nase im
großen Stil direkt in die Gosche. Geschlossener Kreislauf, Perpetuum Mobile. Im
Dezember und Jänner werden sie so wie auch alle anderen Schüler überhaupt kältefrei
haben. Mit Stanzin, dem Hausherrn und Guide, halte ich ein Schwätzchen, die
mondgesichtige Ehefrau ist zwar freundlich, aber der Tradition verpflichtet
sehr zurückhaltend. Er erzählt vom hiesigen Orakel, verkörpert von einer von
der Dorfgemeinde aufs Höchste respektierten Alten und von schwarzer Magie. Ihn
selbst hat seine Mutter einst zu einem Zauberer geschleppt, als er von seiner
Holden verlassen wurde und brennenden Liebeskummer hatte. Mit Hilfe eines
Amuletts konnte er seine Verflossene gleich viel leichter vergessen, ist er noch
heute überzeugt. Geschichten von symbolischen Objekten, die man zur richtigen
Zeit zerstören muss, um den Lauf der Dinge zu beeinflussen und von Bestrafung
im Jenseits, sollte man sich den dunklen Mächten zu sehr verschreiben.
Bingobongo, aber nicht uninteressant. Dann mache ich mich auf zum Kloster, das vor
knapp tausend Jahren auf Geheiß von Lama Duwang Chosje, a great Champion of Meditation, über dem Dorf errichtet wurde. Etwas
unterhalb steht ein moderneres, pompöses Gebäude, sollte der Dalai Lama einmal
vorbeischauen. Und angrenzend daran die Klosterschule, wo Kinder in roten
Mönchsroben im Schulhof Cricket spielen. Im windschiefen Kloster selbst sind
die Versammlungshalle und der Tempel das Herzstück. Die Wände von Letzterem
sind mit Malereien von schrecklichen Dämonen und Göttern verziert, die schicke Kränze
aus abgerissenen menschlichen Köpfen tragen, während sie sich mit deren
Innereien spielen. Rollende Augen, lange Zungen, Greifzähne, viele Arme. Außer
mir hält sich noch ein Mönch in der Anlage auf und sonst niemand. Der sperrt
mir die Tür zum Museum auf, die mit einem prähistorischen Vorhängeschloss
gesichert ist und empfiehlt sich dann zum Mittagessen. Ein Glöckchen hat
geläutet. „Lens, Lens!“ „Ähhhhh?“ „LENSTIME!“, und führt die Rechte zum Mund.
Ok, ich hab´s gecheckt. Dann schmeißt er mir noch zwei Lappen hin, von denen
ich echt nicht weiß, was ich damit anfangen soll. Eilig demonstriert er mir
deren Sinn und Zweck. Ich soll, während ich mir alte Waffen, Masken und
rituelle Gegenstände ansehe, mit meinen Füßen gleichzeitig den Boden abrubbeln.
Nicht blöd, diese Mönche. Überall liegt Geld herum, viel Geld. Auf den
Vitrinen, im Tempel vor den Statuen, in allen möglichen Ritzen steckt die Marie.
Ich weiß nicht, ob dieses Spendensystem bei uns Zukunft hätte. Im sonnigen Innenhof
mit den alten Gebetsmühlen herrscht absolute Stille, da bleib ich ein Weilchen.
Daheim eine solarerhitzte Bucket Shower, solange es noch warm ist und Packen
für morgen. Schlafsack, zwei Flaschen Wasser, zwei Bücher, Ein Tuch als erste
Barriere gegen Flöhe und Wanzen, ein Handtuch, alles an warmer Wäsche, es läppert
sich. Leider wird´s der große Rucksack werden. Draußen pfeift der Wind und
zieht durch die Ritzen, dass sich im Zimmer die Vorhänge sanft wiegen. Abends
in der Küche basteln die Frau und der Vater an Teigteilen und Stanzin erzählt
wieder. Sein Bruder ist beim Militär und brainwashed.
Achtzehn Jahre lang sitzen die indischen Soldaten mehr oder weniger ihre
Zeit ab, dann geht´s schon ab in die Pense mit monatlichen Zuwendungen auf
Lebenszeit. Das ist erstaunlich und für Indien noch viel mehr, wo hier so gut
wie niemand Pensionszahlungen bekommt. Stanzin selbst hat in jungen Jahren in
Taiwan sechs Jahre lang Zen-Buddhismus studiert und kann somit tiefenentspannt
Touristen die Berge rauf und runter treiben.
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