Montag, 5. Dezember 2016



28.11., Von Likir nach Ulley
Die zwei Buben machen sich für die Schule fertig, während ich den ersten Tee schlürfe. Schlüpfen in die Uniform, essen Reis mit Gemüse, packen die Schultaschen. Währenddessen bedient sich eine Katze ungeniert von ihren Tellern, bevor sie selbst wieder weiterlöffeln. Dann betritt die Großmutter, die Dorfälteste, die Bühne. Alt und schmutzig wie ein Felsen brabbelt sie die kommenden Lottozahlen oder göttliche Eingebungen vor sich hin, während sie zahnlos an trockenen Chapatis lutscht. Ich bekomme die übliche Gerstensuppe mit geschmacksintensiven Käsebröckerln drinnen, von der ich schon lange genug habe, und dann freundlicherweise ein Omelett. Den Knoblauch zerstampft der Koch mit einer großen Schraube, die hat er von einem Strommasten mitgehen lassen. Mit dem bereitgestellten Ketchup muss irgendetwas Schreckliches passiert sein und das schon vor sehr langer Zeit. Eigentlich ist alles bei näherer Betrachtung total versifft. Das Besteck, die Koch- und Schöpflöffel, die Teppiche. Für die Lebensmittel gibt´s keine geschlossenen Stauräume und immer mittendrin die Katzen und die verrotzten Kinder. Aber warm isses wenigstens. Seit unweit der neue Stausee in Betrieb genommen wurde kostet der Strom so gut wie nichts mehr. Abgerechnet wird mittels Flatrate. Wer mit Strom auch heizt, muss mehr bezahlen. Überwacht wird das Ganze angeblich von zwielichtigen Gestalten mit mysteriösen Messgeräten, quasi indische GIS- Kreaturen. Ansonsten besitzt jede Familie ein paar Bäume, das geht sich für das Brennholz aus. Wir brechen auf. Stanzin übernimmt eine meiner zwei Wasserflaschen, so tragen wir jeweils exakt 8,5 Kilo. Überprüft wurde das ganze penibel per Federwaage. Er hat nicht viel mit, auch keinen Schlafsack. Dafür trägt er unsere Lunchboxen, die heute noch von ihm und fortan hoffentlich von den Homestay-Besitzern gefüllt werden. Ein stetiger Aufstieg durch steinige Mondlandschaft. Die ersten Überreste eines gebleichten Gerippes lassen nicht lange auf sich warten. Der Guide tippt auf Wölfe, die hier immer wieder Nutztiere reißen. Die Landschaft ist mal bläulich, dann braun, dann gelb, dann grau. Keine Vegetation, kein Wasser. Mushroom Stones ragen grüppchenweise empor, sich verjüngende Steinsäulen mit runden Felsen ganz oben. Wilde Gazellen gar nicht so weit weg, unter ihnen ein Urial mit stattlichen Hörnern. Wir begegnen zwei Touristen mit Allradauto und überlangen Objektiven und Ferngläsern, die sind auf der Suche nach Schneeleoparden. Stanzin unterhält derweilen mit Geschichten über Zee, einem mysteriösen, sagenumwobenen Stein. Außerdem habe jeder Mensch ein Insekt im Hirn, das ihn lenkt und beherrscht. Wir rasten bei Chapati mit Gemüsefüllung, das Wasser schmeckt wie immer stark nach Plastik. Eine Stunde nach Sonnenuntergang, wir mussten schon auf unsere Stirnlampen zurückgreifen, erreichen wir endlich Ulley, ein abgeschiedenes Kaff mit sieben Häusern. In der großen Küche sitzen einmal drei, dann wieder fünf Männer im Türkensitz am Boden, eine Frau schenkt Tee ein und kocht Milch auf. Am Anfang ist mir noch nicht ganz klar, wer zur hier wohnhaften Sippe gehört. Im Raum befindet sich das einzige von der indischen Regierung zur Verfügung gestellte Telefon des Dorfes und es herrscht ein reges Kommen und Gehen. Viel zu viel Geschirr für einen einzigen Haushalt türmt sich in den Regalen, Statussymbole und Reserve für große Feste. Schalen aus Blech, chinesische Thermoskannen, große Kupferkessel. Der Opa dreht seine Gebetsmühle, ein anderer trinkt stark verwässerten Old Monk, indischen Rum. Zwei basteln aus Wolle die Fauna Ladakhs. Schneeleoparden, Wölfe, Gazellen, Ubexhirsche. Kunstvoll und mit deutschen Nadeln stechen die Männer so lange auf eine Handvoll Wolle ein, bis diese ausreichend verdichtet ist. Dazwischen spucken sie in die Hände, reiben den Wollklumpen zwischen den Händen, stechen sich auch regelmäßig mit den Nadeln und schauen dann so erstaunt, als wäre ihnen das soeben zum ersten Mal passiert. Der Buttertee wird mit Nachdruck gereicht und sollte nicht abgelehnt werden, er schmeckt recht intensiv. Vielleicht wie leicht vergorene, salzige Suppe. Die extra zugegebene Butter sollte man an den Rand des Häferls blasen, bis sich nach zahllosen Nachfüllungen ein schöner Rand gebildet hat. Den vermischt man dann händisch mit geröstetem Gerstenmehl und formt sich zum Abschluss ein Laberl daraus. Stanzin und ich bekommen darüber hinaus Chang serviert, ein natürlich aus Gerste, dem Nahrungsmittel Nummer eins, gewonnenes, milchig graues Alko-Gesöff, das durchaus fruchtig und trinkbar ist. Vielleicht nicht ganz so stark wie Bier, wird Chang traditionell den Gästen des Hauses gereicht, auch wenn der Hausherr wie in diesem Fall Abstinenzler ist. Zum Essen gibt´s selbst gemachte, mit Liebe und viel Aufwand in Form gebogene Nudeln in Rahmsauce mit Karotten. Meinen kosovarischen Schnaps traut sich außer Stanzin niemand kosten. Den beutelt´s gehörig ab und er zieht einen Fotz als hätte er Affenlulu getrunken. Gut gesättigt und abgefüllt entwende ich der Gang den einzigen Familienstrahler und haue mich im Dachgeschoss gerädert aufs Ohr.

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