28.11., Von
Likir nach Ulley
Die zwei
Buben machen sich für die Schule fertig, während ich den ersten Tee schlürfe.
Schlüpfen in die Uniform, essen Reis mit Gemüse, packen die Schultaschen. Währenddessen
bedient sich eine Katze ungeniert von ihren Tellern, bevor sie selbst wieder
weiterlöffeln. Dann betritt die Großmutter, die Dorfälteste, die Bühne. Alt und
schmutzig wie ein Felsen brabbelt sie die kommenden Lottozahlen oder göttliche
Eingebungen vor sich hin, während sie zahnlos an trockenen Chapatis lutscht.
Ich bekomme die übliche Gerstensuppe mit geschmacksintensiven Käsebröckerln drinnen,
von der ich schon lange genug habe, und dann freundlicherweise ein Omelett. Den
Knoblauch zerstampft der Koch mit einer großen Schraube, die hat er von einem
Strommasten mitgehen lassen. Mit dem bereitgestellten Ketchup muss irgendetwas
Schreckliches passiert sein und das schon vor sehr langer Zeit. Eigentlich ist
alles bei näherer Betrachtung total versifft. Das Besteck, die Koch- und
Schöpflöffel, die Teppiche. Für die Lebensmittel gibt´s keine geschlossenen Stauräume
und immer mittendrin die Katzen und die verrotzten Kinder. Aber warm isses
wenigstens. Seit unweit der neue Stausee in Betrieb genommen wurde kostet der
Strom so gut wie nichts mehr. Abgerechnet wird mittels Flatrate. Wer mit Strom auch heizt, muss mehr bezahlen. Überwacht
wird das Ganze angeblich von zwielichtigen Gestalten mit mysteriösen
Messgeräten, quasi indische GIS- Kreaturen. Ansonsten besitzt jede Familie ein
paar Bäume, das geht sich für das Brennholz aus. Wir brechen auf. Stanzin
übernimmt eine meiner zwei Wasserflaschen, so tragen wir jeweils exakt 8,5
Kilo. Überprüft wurde das ganze penibel per Federwaage. Er hat nicht viel mit,
auch keinen Schlafsack. Dafür trägt er unsere Lunchboxen, die heute noch von
ihm und fortan hoffentlich von den Homestay-Besitzern gefüllt werden. Ein
stetiger Aufstieg durch steinige Mondlandschaft. Die ersten Überreste eines
gebleichten Gerippes lassen nicht lange auf sich warten. Der Guide tippt auf
Wölfe, die hier immer wieder Nutztiere reißen. Die Landschaft ist mal bläulich,
dann braun, dann gelb, dann grau. Keine Vegetation, kein Wasser. Mushroom Stones ragen grüppchenweise
empor, sich verjüngende Steinsäulen mit runden Felsen ganz oben. Wilde Gazellen
gar nicht so weit weg, unter ihnen ein Urial
mit stattlichen Hörnern. Wir
begegnen zwei Touristen mit Allradauto und überlangen Objektiven und Ferngläsern,
die sind auf der Suche nach Schneeleoparden. Stanzin unterhält derweilen mit
Geschichten über Zee, einem
mysteriösen, sagenumwobenen Stein. Außerdem habe jeder Mensch ein Insekt im
Hirn, das ihn lenkt und beherrscht. Wir rasten bei Chapati mit Gemüsefüllung,
das Wasser schmeckt wie immer stark nach Plastik. Eine Stunde nach
Sonnenuntergang, wir mussten schon auf unsere Stirnlampen zurückgreifen, erreichen
wir endlich Ulley, ein abgeschiedenes Kaff mit sieben Häusern. In der großen
Küche sitzen einmal drei, dann wieder fünf Männer im Türkensitz am Boden, eine
Frau schenkt Tee ein und kocht Milch auf. Am Anfang ist mir noch nicht ganz klar,
wer zur hier wohnhaften Sippe gehört. Im Raum befindet sich das einzige von der
indischen Regierung zur Verfügung gestellte Telefon des Dorfes und es herrscht
ein reges Kommen und Gehen. Viel zu viel Geschirr für einen einzigen Haushalt türmt
sich in den Regalen, Statussymbole und Reserve für große Feste. Schalen aus
Blech, chinesische Thermoskannen, große Kupferkessel. Der Opa dreht seine
Gebetsmühle, ein anderer trinkt stark verwässerten Old Monk, indischen Rum. Zwei basteln aus Wolle die Fauna Ladakhs.
Schneeleoparden, Wölfe, Gazellen, Ubexhirsche. Kunstvoll und mit deutschen
Nadeln stechen die Männer so lange auf eine Handvoll Wolle ein, bis diese
ausreichend verdichtet ist. Dazwischen spucken sie in die Hände, reiben den
Wollklumpen zwischen den Händen, stechen sich auch regelmäßig mit den Nadeln und
schauen dann so erstaunt, als wäre ihnen das soeben zum ersten Mal passiert.
Der Buttertee wird mit Nachdruck gereicht und sollte nicht abgelehnt werden, er
schmeckt recht intensiv. Vielleicht wie leicht vergorene, salzige Suppe. Die extra
zugegebene Butter sollte man an den Rand des Häferls blasen, bis sich nach
zahllosen Nachfüllungen ein schöner Rand gebildet hat. Den vermischt man dann
händisch mit geröstetem Gerstenmehl und formt sich zum Abschluss ein Laberl
daraus. Stanzin und ich bekommen darüber hinaus Chang serviert, ein natürlich aus Gerste, dem Nahrungsmittel Nummer
eins, gewonnenes, milchig graues Alko-Gesöff, das durchaus fruchtig und
trinkbar ist. Vielleicht nicht ganz so stark wie Bier, wird Chang traditionell
den Gästen des Hauses gereicht, auch wenn der Hausherr wie in diesem Fall
Abstinenzler ist. Zum Essen gibt´s selbst gemachte, mit Liebe und viel Aufwand
in Form gebogene Nudeln in Rahmsauce mit Karotten. Meinen kosovarischen Schnaps
traut sich außer Stanzin niemand kosten. Den beutelt´s gehörig ab und er zieht
einen Fotz als hätte er Affenlulu getrunken. Gut gesättigt und abgefüllt
entwende ich der Gang den einzigen Familienstrahler und haue mich im
Dachgeschoss gerädert aufs Ohr.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen