Dienstag, 28. Februar 2017



28.2., Katoomba, Sydney
Nach einem schnellen Kaffee verstauen wir irgendwie das nasse Zelt und den ganzen Rest, es regnet noch immer. Ab nach Sydney, dort gibt´s wenigstens Museen und andere wetterfeste Ausweichmöglichkeiten. Eineinhalb Stunden Stau, laut Travelex ist das trotz der vielen innerstädtischen Autobahnen immer so. Vielleicht auch deswegen, weil der gesamte Verkehr innerhalb ausgewiesener Schoolzones von 100km/h auf 40 km/h abbremsen muss. Wir befinden uns wohlgemerkt auf einer Autobahn ohne Gehwege, mit Leitplanken und mittleren Fahrbahnteilern ohne Querungsmöglichkeiten, ähnlich der Südosttangente. Die Wohnung von Travelex und seiner Holden liegt ein paar Kilometer außerhalb des Zentrums im Stadtteil Glebe, einem sehr gemütlichen Viertel mit kleinen Reihenhäusern mit Stiegenaufgang zum Balkon, Bäckereien und Pubs. Schilder mit Geschwindigkeitsbeschränkungen warnen vor High Pedestrian Activity. Ihre Bude allerdings ist für sieben Hunderter kalt im Monat nicht so prickelnd. Ein in die Jahre gekommenes Zimmer ebenerdig zur Straße raus, die Decke ein einziger Wasserfleck, geteiltes Häusl und Dusche am Gang. Am Weg ins Zentrum kommen wir an einer aquäduktähnlichen Bogenbrücke entlang einer sehr gepflegten,  großen Wiese vorbei. Unter jedem Bogen stehen jeweils zwei Zelte, wo sich Obdachlose häuslich eingerichtet haben. Wohnraum in Sydney ist teuer und nicht leicht zu bekommen. Das Zentrum erinnert an New York. Zwischen Wolkenkratzern stehen noch vereinzelt alte Kirchen oder ehemalige öffentliche Gebäude klein wie Puppenhäuser, viele geschäftige Menschen eilen durch die Straßenschluchten. Wobei sie nicht wirklich eilen können, alle Ampeln sind nach dem Zufallsprinzip und im Zweifel für den motorisierten Verkehr geschaltet. Vorbei an Einkaufszentren und Bürogebäuden kommen wir zum Hafen mit seiner berühmten Oper und der schönen Harbour Bridge mit einer Bogenlänge von über fünfhundert Metern. Menschen sitzen auf Bänken und essen Fastfood. Ein langschnäbeliger Ibis lässt die zahlreich angetretenen Möwen im Kampf um ein paar zurückgelassene Fritten schlecht aussehen, er inhaliert ungerührt von den Attacken auf ihn ein Staberl nach dem anderen. Vom Hafen latschen wir durch den großzügig angelegten Botanischen Garten nach Chinatown, wo wir Magdalena, Travelex´ Gespielin, treffen und Suppe löffeln, die nach Zimt schmeckt. Sie ist die einzige, die sich hier irgendwie nützlich macht, sie lässt sich in Grafikdesign ausbilden. Dann ist´s an der Zeit für mich, mein wackeliges Stockbett in der Jugendherberge zu beziehen. Ein zerknautschter Surfboy begrüßt mich mit einem Hang loose, wackelt mit dem von der Faust abgespreizten Daumen und dem kleinen Finger. Eigentlich bin ich schon zu alt für das hier, aber ich muss mich den ökonomischen Zwängen und den erwähnten Missständen beugen.


27.2., Katoomba
Regen und stürmischer Wind die ganze Nacht hindurch, erst gegen Mittag reißt es endlich auf. Das Zelt steht zwar noch, aber das meiste Zeug ist nass. Ich werde den Umstand, dass es unumstößlich immer regnet, wenn ich einmal zelten bin, als neu entdecktes Naturphänomen bei der Österreichischen physikalischen Gesellschaft einbringen, sobald ich wieder daheim bin. Nach Besichtigung der bemühten Wasserfälle, die vom Bergplateau, auf dem wir uns befinden, in Richtung des tausend Meter unter uns liegenden Hunter Valleys runterplätschern, gehen wir mit Horden von Asiaten die oberen Klippen des Canyons entlang, bis wir an den Selfiesticks vorbei einen guten Blick auf die Three Sisters, einer besonders bei den Aborigines spirituell hoch im Kurs stehenden Felsformation bestehend aus drei Felsnadeln, haben. Das Gebirge der Blue Mountains ist Teil der Great Dividing Range, einer beeindruckenden Bergkette, die sich ein paar tausend Kilometer von Norden nach Süden erstreckt. Man könnte hier wunderbar wandern, wäre das Wetter nicht so bescheiden. So klettere ich nur die Furber Steps durch tropfenden Urwald runter zur Talstation der Scenic Railway, der steilsten Standseilbahn der Welt mit einer Steigung von über fünfzig Grad, die mich wieder nach oben bringt, nachdem ich durch ein Schaufenster einen Blick in ein stillgelegtes Kohlebergwerk werfen durfte. Betreten strengstens verboten, man könnte sich schmutzig machen oder verkühlen. Auch vor einer Uneven Surface und Slippery Ground wird der Wanderer alle paar Meter gewarnt, willkommen im Wald. Für´s Abendessen erstehen Travelex und ich einen schon fertig gebratenen Gummiadler, dessen Haut extrem chemisch schmeckt. Die durch den Arsch des Chemieopfers eingespritzte Industriesauce, die gerne eine Semmelfüllung wäre, ist ebenfalls widerwärtig. Regen bei vierzehn Grad.

Montag, 27. Februar 2017



26.2., Tamworth, Katoomba
Eine ausgedehnte 450 Kilometer-Etappe zu den berühmten Blue Mountains, einem Naherholungsgebiet unweit von Sidney. Die Landschaft verändert sich, je weiter wir ins Landesinnere kommen. Braune Steppe, Pferdekoppeln statt Rinderfarmen. Auf den schlechten Straßen sitzen wir immer wieder auf, der Auspuff und die Anhängekupplung vom Ford liegen zu tief. Teilweise vom letzten Buschfeuer verbrannte Weingärten, rostige Brücken über ausgetrocknete, grün bewachsene Flussbetten. Blast Notification Boards kündigen die nächsten Sprengungen in den Steinkohleminen an, wo im Tagebau abgebaut wird und die terrassenförmig angelegten Becken bis tief nach unten reichen. Lange Minenzüge mit mehreren Loks transportieren die Kohle ab. Milchkannen oder kleine Bierfässer hängen vor staubigen Einfahrten und dienen als Postkästen, weit im Hinterland stehen einzelne Höfe mit verrosteten Maschinen, Autowracks und fleckigen, betonierten Wassertanks. Alte Holzkirchen am Weg, oft auch zweckentfremdet und jetzt Pubs oder Gallerien. In Wäldern mit rindenlosen Eukalyptusbäumen geben Indikatoren die derzeitige Brandwahrscheinlichkeit an. Nach Low-Moderate kommt schon High und am Ende der Skala steht Catastrophic. Außerdem wird vor Kameras gewarnt, die nicht nur überhöhte Geschwindigkeit, sondern angeblich auch Müdigkeit feststellen können. Law and Order überall. Zwei aufgeblähte Wombats liegen überfahren mitten auf der Fahrbahn und ein paar Kängurus stinken auch vor sich hin. Ein Ekidna, ein großer australischer Ameisenigel  mit spitzer langer Nase, ist das erste exotische Tier, das ich noch lebend zu Gesicht bekomme. Über Cullen Bullen, Wallabada und Murrundi erreichen wir schließlich Katoomba, wo wir unser Zelt am  einzigen Campingplatz weit und breit zwischen zwei Kricketfeldern aufstellen. Die Spaghetti essen wir schon in der Anstaltsküche. Es regnet und es ist richtig kalt, ab in den Schlafsack. Ich lese noch in meinem höchstpersönlichen Zeltvorraum, als sich eine heimtückisch aussehende Spinne bei mir unterstellen möchte. Ich verstopfe die Ritzen zur Außenwelt notdürftig mit Hose und Handtuch.


25.2., Dorrigo, Tamworth
So um drei Uhr morgens spannen wir schlaftrunken die zweite Plane über das Zelt, es regnet natürlich. Lästige Fliegen ärgern uns, während wir das nasse Zeug nach Sonnenaufgang zum Trocknen auflegen, dann brechen wir auf. Hügeliges Weideland, auf dem schwarze Rinder grasen, ganz selten ein paar Schafe. Weitläufige Farmen, Weidezäune. Travelex hat vor einigen Jahren eine durchfahren, die war so groß wie Belgien. Nur mehr vereinzelt stehen Bäume inmitten des natürlich gestutzten Graslandes, Billabongs, das sind kleine Wasserlöcher, ein paar Felsen. In Armidale, der höchsten Stadt Australiens, sehe ich einen Tanklastwagen, Rädchen des gerade operierenden Bushfire Helicopter Support. An die fünfzig Brände gilt es in New South Wales, dem Bundesstaat, in dem wir uns gerade aufhalten, zu löschen. Wir cruisen weiter nach Tamworth, beworben als australische Hauptstadt der Countrymusik, wo wir uns bei ein paar Victoria Bitter eine Band mit Cowboyhüten und Fransenjacken anhören möchten und wo wir die nächste Nacht verbringen werden. Am Campingplatz noch jeder ein halbes Kilo Steak, bevor wir in die Stadt schauen. Guns and Ammo-Shops, altmodische Läden mit altmodischer Werbung. Your local bloke, Taking the sting out of buying. Es ist acht Uhr abends und die Straßen sind wie ausgestorben. Alle Lokale haben den Charme von Wettcafes. Hunderennen werden auf Reihen von Fernsehern ausgestrahlt und in dem Club, den wir uns aussuchen, ein Fußballspiel, wo sich gerade ein Schwarm Kakadus auf dem Rasen niedergelassen hat. Drei Typen spielen bemühten Rock vor gelangweiltem Publikum. Vielleicht zehn Zuhörer sitzen und nippen an winzig kleinen Gläsern, kein Applaus. Ausnahmslos alle Männer und Frauen sind ausgefressen.

Freitag, 24. Februar 2017



24.2., Valla, Bellingen, Dorrigo
Ein Müslifrühstück mit saftigen Mangos aus Bobs Garten, dann lassen wir die Nussfarm hinter uns. Bob findet noch eine dünne Matratze für mich, bevor er sich sein Bodyboard schnappt und mit uns surfen geht. Trotz seiner siebenundsechzig Jahre macht er im Wasser noch immer eine schnittige Figur, während wir uns mit offenen Mündern von furchteinflößenden Wellen herumschleudern lassen, die sich unaufhaltsam und gnadenlos über uns ergießen. Ich schramme talentbefreit den schmalen Grat zwischen totaler und unkontrollierbarer Einschlotzung mit Waschmaschinenfeeling und wackelig hoffnungsfrohem Wellenreiten im Ansatz entlang,  Travelex stellt sich wenigstens nicht ganz so behindert an und rettet unsere Ehre. Ich verstehe den behelmten Surfer ein paar Meter weiter nur zu gut, Safety first. Ich verliere Teile meines Frühstücks an das Meer und Travelex seine Sonnenbrillen, die Verbindungsleinen an den Bodyboards reißen schon nach ein paar Minuten im gierigen Sog der Brandung. Beschaulichere Stunden verleben wir später im Promised Land, wo sich ein kühler Bach träge durch ein einsames Waldgebiet schlängelt. Auf sonnenbeschienenen Felsen lassen wir uns trocknen und Bob erzählt. Einst verheiratet mit einer Aborigine und Vater von vier Kindern, Suchttherapeut und Fan von Sai Baba, einem indischen Guru, das ist genug Nährboden für ein paar gute Geschichten. Nach Burritos mit Langzeitbohnen fahren Travelex und ich weiter nach Dorrigo. Wir verlassen die Küste und biegen ab ins Landesinnere. Vorbei an Coin operated Dogwash-Automaten und Australian owned Tankstellen verlassen wir städtisches Gebiet. Fast alle Häuser, egal, ob in der Stadt oder außerhalb, sind sich in ihrer uninspirierten Leichtbauweise sehr ähnlich. Nicht unterkellert, ein paar von ihnen teilweise auf Stelzen, um etwaiges Gefälle auszugleichen. Die Fassade besteht durchwegs aus horizontal angebrachten Dachlatten. In einem kleinen Campingplatz beim adretten Wasserfall checken wir ein und schwimmen noch im modrig riechenden Pool, bevor die Sonne untergeht.  Zwanzig bis dreißig Meter hohe, senkrecht abfallende Felswände begrenzen das Becken, hinter dem prasselnd herabstürzenden Wasserfall verbirgt sich eine Nische mit Sitzgelegenheit hinter dem breiten Wasservorhang. Vom Zeltplatz genießen wir eine schöne Aussicht wie daheim in der Steiermark. Ein hundertjähriger Waldschrat mit weißem langem Bart parkt sich mit dem Pickup ein und kassiert die Stellgebühr. „Wed Pewua?“, fragt er mich. Ich kombiniere die plausibelste Übersetzung, ob ich Strom auch beziehen werde. Dann noch ein joviales „Jehedeswem, meit?“ Nach rasantem Hochfahren meiner Hirnrechenleistung kann ich ihm immerhin ein eloquentes „Yes“ entgegnen, jaja, ich war gerade schwimmen. Mit Oxford English hat das hier nicht mehr viel zu tun. Unser Zelt stellen wir diesmal ohne Überplane auf, es ist wolkenlos und die Regenwahrscheinlichkeit liegt bei zehn Prozent. Dann teilen wir Bier und Käse mit der Münchner Nachbarfamilie, ehe wir uns mühsam ein Lagerfeuer aus feuchten Brettern bereiten. Die brennen dann auch stundenlang, nachdem sie sich erst einmal anständig ausgeraucht haben. Kalt wird´s, wir sind in den Bergen.