Sonntag, 29. Dezember 2013




27.12., Von Essaouira nach Agadir

Immer wieder sehen wir ganze Ziegenherden in großen Bäumen äsen. Die strecken sich nicht etwa vom Boden nach oben, die klettern wirklich im Rudel in den Bäumen herum und wirken dabei von weitem wie überdimensionale Früchte. Bevorzugt werden von den Ziegen die Argan- Bäume, und das ist von den Hirten auch so geplant. In der Gegend rund um Essaouira haben sich die Bauern nämlich auf die Gewinnung von Argan- Öl spezialisiert. Das Zeug ist momentan superhip und superteuer, wird in der feinen Küche genau so wie in der Kosmetik eingesetzt, ist cholesterinsenkend und beugt Arteriosklerose vor. Die Gewinnung ist auch relativ aufwendig und etwas grauslich. Die Ziegen fressen die Früchte undverdauen eine elastische Schicht um die Kerne. Irgendwelche hier anonym bleiben wollende Arbeiter sammeln dann die Scheisse auf und fitzeln die Kerne wieder raus (Ja, es gibt noch blödere Jobs als eure). Die Kerne werden noch geröstet, zermatscht und gepresst, fertig. Die Bäume selbst sind extrem hitzebeständig und sollen in Zukunft der Bodenerosion Marokkos entgegenwirken. So, wieder was gelernt. Daheim wird abgeprüft. Am Nachmittag erreichen wir Agadir, 26 Grad. Einchecken, runter zum Strand. Plastik- City! Vollverkitschtes Pauschaldesaster! Doppeltsteriles Afrika- Disney! Entlang einer extrabreiten Strandpromenade grenzt ein Resort an das nächste. Kein einziges (!) anderes Gebäude kilometerweit. Keine Strandbar, kein Geschäft, nix. Die Sonne wird rot und geht unter, sie schämt sich für diesen Themenpark.


25., 26.12., Essaouira

Ich wiederhole mich. Auch hier ist die Altstadt geschützt durch eine rote Zinnenmauer und portugiesische Befestigungsanlagen mit Reihen von Kanonen zum Meer hin, Türmen und Schießscharten, auch hier lachen sich die Möwen am Fischmarkt beim Hafen einen Ast ab, weil es so herrlich stinkt und es tolle Abfälle in Hülle und Fülle gibt. So viele Möwen, dass wir sekündlich damit rechnen müssen, mit einschlägigen Gaben von oben bedacht zu werden. Ich bin ein gebranntes Kind. Vor einigen Jahren hat mir eine Möwe ihr Innerstes offenbart, ich hätte nie für möglich gehalten, dass so viel in einen Vogel überhaupt hinein passt. Zwei Meter lange, barracuda- ähnliche Fische, gelbschwarze Moränen und Rochen verkaufen die Fischer. Die nicht sehr stolze Flotte verrosteter Fischkutter liegt hier bis morgen vor Anker, Netze werden repariert, Karten werden gespielt. Vor den Fisch- Restaurants möchten uns die Kellner mit vollem Körpereinsatz dazu bewegen, doch bei ihnen Platz zu nehmen. Und auch hier kann man sich herrlich in den Gassen der Medina verirren, natürlich auch Unesco- Weltkulturerbe.  Einzigartig in Essaouira ist aber der ewige Wind, für den die Stadt berühmt- berüchtigt ist, der bläst rund um die Uhr und überall, aber die Frisur hält. Der Stadt vorgelagert ist eine kleine, befestigte Insel, auf der früher von irgendwelchen Mollusken Purpur für den europäischen Adel gewonnen wurde. Heute belagern nur mehr Vögel die alte Bastion, Touris dürfen nicht an Land. Die  Gefährtin shoppt, als gäb´s kein morgen und als müssten wir das nicht alles irgendwo in den drei Motorradkoffern unterbringen. Aber recht hat sie, hier gibt´s die schönsten Dinge aus Holz um kein Geld. Dabei ficht sie einsame Kämpfe gegen die landestypische Taktik des Handelns und des Feilschens. Sie kann es nämlich partout nicht leiden, wenn der Verkäufer sicherheitshalber einen lächerlich hohen Einstandspreis veranschlagt, um am Ende des zu erwartenden Hin und Her doch noch mit einem schönen Sümmchen übrig zu bleiben. Ginge es nach ihr, müsste der Typ sofort mit seinem allerletzten Angebot aufwarten und so fordert sie das dann auch vehement ein. Nur sehen sich viele halt außerstande oder schlicht nicht gewillt, plötzlich jahrtausendealte Traditionen über den Haufen zu werfen. Schon vor Jahrhunderten bildete Essaouira einen wichtigen Handelsposten zwischen dem gar nicht mehr so fernen Timbuktu und Europa. Wurde damals hauptsächlich mit Gold, Salz, Elfenbein und Straußenfedern  gehandelt, sind´s heute halt Souvenirs und gefälschte Vuitton- Taschen. Ein heimlich mitgeschnittener Dialog:
„How much is this? Tell me your best price! I don´t want to bargain. “
“150 Dirham, madame”
“Is this really your best price? Don´t make me angry!”
“120 Dirham, Madame”
“But first you said 150 and now you say 120, why don´t you tell me your best price in the beginning?”
“100 Dirham, Madame”
“Do you want me to leave?“
“80 Dirham, Madame”
„Ok, I´m leaving now!“
„60 Dirham, Madame“ Und so geht´s dahin.
Später schlendern wir den Strand entlang, der erstreckt sich über mehrere Kilometer, bis er letztendlich in eine Dünenlandschaft übergeht. Zuerst schauen wir den Kitesurfern zu. Die haben´s hier paradiesisch. Was da so vom Meer hereinkommt, kann sich echt sehen lassen und der Wind lässt niemals nach. Der nächste Strandabschnitt ist fest in der Hand von Kamel.- und Pferdevermietern, dann wird´s ruhiger. Wir durchwaten einen seichten Fluss (wahr ist natürlich, dass sich die Holde rüber tragen lässt) und vor uns tun sich die letzten Überreste einer alten Burg auf. Zwei Türme und ein paar verfallene Mauern ragen noch aus den Sanddünen, die den Rest der Anlage im Lauf der Jahre einfach verschluckt haben. Glaubt man der Stadthistorie, wurde Jimmy Hendrix hier anlässlich seines Besuches im Jahre 1969 zu seinem Song „Castles made of sand“ inspiriert, der ist allerdings schon eineinhalb Jahre vorher erschienen. Wurscht, das ganze Szenario hat trotzdem etwas sehr Sphärisches. Wir dinieren in der örtlichen Rustikal- Gastronomie, wo wir uns an zu Tode gekochter Suppe aus dem 50 Liter- Topf und heißen Germteigfladen laben, dem einzigen verfügbaren Menü des Etablissements. Das ist aber immer bummvoll mit Anrainern, die Mampfe ist ansprechend und die Rechnung für uns beide zusammen beläuft sich auf unfassbare 80 Cent. Dann locken noch fliegende Händler an jeder dritten Ecke mit Törtchen und Kuchen aller Art, Nutella- Crepes und Fettkringel, ein Traum aus 1000 und einer Kalorie. Lässt man sich schließlich irgendwo nieder, ist man im Nu umzingelt von Musikanten, waghalsigen Akrobaten in zerschlissener Zirkuskleidung mit goldenen Sternen drauf, Bettlern und Verrückten. Es ist schon finster, als wir die letzten unerforschten Winkel in der Hafengegend durchstreifen. Wir fühlen uns ins Mittelalter zurückversetzt. Steinbögen über uns, keine oder nur ganz spärliche Beleuchtung. Gestalten in Kutten oder Kaftans im Nebel, blubbernde Töpfe in Nischen, die Hufe der Esel klackern über das Kopfsteinpflaster. Uralte, windschiefe Häuser, der Wind heult.

Dienstag, 24. Dezember 2013



24.12., Von Oualidia nach Essaouira

Ein gutes Frühstück auf der sonnigen Terrasse. Ein barfüßiger Morgenspaziergang um die wunderschöne, fast menschenleere Lagune. Absolut sauber, feinster Sand. Ein kleines Fischerboot im ruhigen Gewässer, außerhalb der kleinen, natürlichen Schneise tobt das Meer. Fischer verkaufen vom Fahrrad herunter Austern und Seesterne. Ich schlürfe eine Auster aus, frisch aufgeknackt, kalt, mit Zitrone. Sensationell! Ena kann sich nicht dafür erwärmen. Das ist Urlaub, das ist schön. Dann packen wir uns zusammen und düsen weiter. Immer nach Süden, immer ganz nahe der Küste entlang. Kilometerweit unberührte Strände. Kein Treibgut, kein Müll, immer nur meterhohe Wellen. Und irgendwann hört sich auch der Verkehr komplett auf. Und dann schalte ich auf Reserve und warte auf die nächste Tankstelle. Und dann bin ich das erste Mal sehr froh, daß ich einen fast vollen Benzinkanister mithabe. Und dann warte ich wieder auf die nächste Tankstelle. Hier gibt´s wirklich nur mehr Eselkarren und Kamele, die Autos fahren weiter landeinwärts auf einer schnelleren Bundesstraße. Ena sagt, ein Tierarzt macht hier mehr Sinn als eine Tankstelle und damit hat sie nicht unrecht. Am letzten Drücker schaffen wir´s in die Stadt, tanken, stellen das Moped in einer Garage unter und beziehen Quartier in einem urigen Riad inmitten der alten Stadtmauern. Ein Brunnen plätschert in der Mitte, das Zimmer in Rot gehalten, Kopfkissen mit viel Glitzer- BlingBling. Eine geschnitzte, doppelflügige Tür, gusseiserne Gitter vor den Fenstern. Frohe Weihnachten.


23.12., Von Casablanca nach Oualidia

Ich reduziere mein Gepäck für die nächsten drei Wochen um rekordverdächtige zwei Drittel und lagere inzwischen den Rest im Hotel ein. Die drei Motorradkoffer bieten nur überschaubare Platzresourcen und Ena ist nicht mit leeren Händen gekommen. Ein Paar Stöckelschuhe kann ich ihr noch abtrotzen, immerhin. Jetzt fehlt nur noch das Moped. Zuerst mit dem schrottreifen Taxi zum Polizeihauptquartier des vierten Bezirks. Dort brauch ich nicht viel herumfragen. Ja, ich bin ja der Volldebile, der sein Motorrad einfach so auf einem öffentlichen Parkplatz abgestellt hat. Dann eine einstündige Diskussion. Illegale Entwendung? Kein Recht dazu? Privateigentum? Eine reine Sicherheitsmaßnahme, wie der Mädchenname meiner Mutter laute. Mit dem Taxi zur Verwahrstelle irgendwo außerhalb. Die Simmeringer Haide auf afrikanisch. Die Mopeds liegen teilweise auf Haufen herum, meine BMW steht gleich beim Büro- Verschlag. Ja, ich bin der Patient, der sein Motorrad einfach so auf einem öffentlichen Parkplatz abgestellt hat. Ich bezahle umgerechnet dreißig Euro und denke mir, hoffentlich ist nichts hin. Beim Starten dann die Gewissheit: Es ist was hin. Mein großes Vorhangschloss haben diese Verbrecher irgendwie aufgezwickt, aber die Lenkersperre hat gehalten. Irgendein ehrloses Schwein wollte das scheinbar nicht hinnehmen und hat beim Versuch, es doch noch zu knacken, den Lenker verzogen und das Gas- Seil ausgerissen. Ich bin so wütend, ich ringe verzweifelt um Fassung. Der zuständige Zampano, ein zurückgebliebenes Walross mit Karl Dall- Visage, schaut blöd und sagt, das war schon. Sein Scherge drückt auf allen verfügbaren Knöpfen meines Mopeds herum. Ich möchte jetzt wirklich sehr gerne beide umbringen. Stattdessen verlange ich nach einem Mechaniker, der nach einiger Zeit von einer Werkstatt in der Nähe auftaucht. Der baut ein Trumm aus und dann ist er weg. Laaange ist er weg. Inzwischen latschen alle möglichen Leute über das Werkzeug und die anderen zerlegten Teile. Dann kommt der Zangler wieder und probiert was und dann ist er wieder weg. Laaaange weg. Und dann zucke ich aus. Ich fühle mich wie Michael Douglas in „Falling down“. Ich schreie wie ein Verrückter in der Gegend herum, gebe allen Umstehenden Tiernamen und gebe ihnen eindeutig zu verstehen, das hier gleich ein großes Unglück passieren wird. Sogar die Gefährtin ist entsetzt und genau so angeflasht wie alle anderen. Diese Aasfresser haben mich vereint dazu gebracht, meine Contenance zu verlieren. Große Augen schauen mich an. Dafür geht´s jetzt schneller. Im Nu ist der Mechaniker da, fünf Minuten später ist der Schaden provisorisch behoben. Das Gas geht halt beim Auslassen nicht mehr automatisch auf Null zurück und die Gabel bleibt verbogen, aber ich bin zumindest in der Lage, diesem Sodom zu entrinnen. Für die Reparatur muss ich jetzt auch nichts mehr bezahlen, na das ist ja nett. Am Nachmittag verlassen wir endlich die Stadt, lassen alle geplanten Stopps und Besichtigungen hinter uns und erreichen ausgefroren die schon letzte Woche reservierte Unterkunft. Es ist schon lange finster. Im Restaurant gibt´s Bier und das hört sich nach einer sehr guten Idee an.


22.12., Casablanca

Noch schnell frühstücken und dann endlich raus aus der Stadt. Dieser noble Plan wird durch eine nicht unwesentliche Kleinigkeit sabotiert- das Moped ist weg. Nicht weit vom Hotel direkt auf der stark frequentierten Hafenstraße abgestellt, jetzt weg. Restlos und ultimativ weg. Ein Straßenpolizist versteht nur Bahnhof. Meine bemühte Pantomime eines irgendwann da gewesenen und jetzt verschwundenen Motorrades kann nicht überzeugen. Ein Bulle in Zivil versteht´s dann und gibt mir zu verstehen, daß ich ein Volltrottel bin. Ein Motorrad einfach so auf der Straße stehen zu lassen, unfassbar. Auf der Wachstube dann der ultimative Text: Die Polizei hat mein Motorrad „zu meiner eigenen Sicherheit“ abschleppen lassen. Einfach so, von einem vollkommen legalen Parkplatz. Könnte ja sonst gestohlen werden. Morgen soll ich dann dort und dort hinfahren, dann wird man weiter sehen. Heute geht gar nix mehr, heute ist nämlich das Amt dort geschlossen. Wir haben schon ein Zimmer im Süden gebucht und können das nicht mehr stornieren? Tja, schade, wenn man so blöd ist. Jaja, das wird natürlich was kosten. Man hatte ja schließlich viel Aufwand, weil ich so ein verantwortungsloser Hirni bin. Ich bin fassungslos. Was heißt fassungslos, ich bin kurz davor, mich in einer gewaltigen Supernova in meine Elementarteilchen aufzulösen. Ich fühle Magengeschwüre in mir aufplatzen wie Popcorn in der Mikrowelle. Diese unehelichen Söhne von räudigen Schakalen, diese schmierigen Läuse am Arsch eines verkrätzten Kamels meinen das vollkommen ernst, belehren mich im selbstgerechten Brustton der Überzeugung. Den restlichen Tag verbringe ich hauptsächlich damit, nicht Amok zu laufen. Ena mag Casablanca eigentlich ganz gern.