9.12., Von
Chefchaouen nach Azilane
Um halb zehn
wecke ich den Rezeptionisten auf, der irgendwo eingerollt pennt, und checke aus.
Die ganze Stadt befindet sich noch im Tiefschlaf, faszinierend. Das „Eco-
Museum beim Eingang ist eine einzige Enttäuschung. Zwischen ein paar staubigen,
ausgestopften Viechern und eingelegtem Getier sitzt ein Typ und schaut blöd.
Die Wanderkarte für die nächsten Tage kann ich vergessen, der Typ versteht kein
einziges Wort von dem, was ich ihm sagen will. Also werde ich wohl oder
übel mit dem Umgebungsplan vom „Lonely
Planet“ vorlieb nehmen müssen, der misst keine 10x10 Zentimeter. Eine staubige
Piste führt in Serpentinen den Hang hoch, Chefchaouen unter mir wird immer
kleiner und relativ schnell bin ich ganz alleine. Um es vorweg zu nehmen: Kein
anderer Touri soll die nächsten Tage meine Wege kreuzen und außerhalb der
Dörfer auch nicht viele Eingeborene. Schon nach ein paar hundert Metern spüre
ich die erste Blase zärtlich keimen. Die Billigsdorfer- Motorradschuhe sind
viel zu groß, generell völlig ungeeignet und scheuern unbarmherzig. Ich werfe
eines meiner zwei Blasenpflaster ins Rennen, das ist nach kurzer Zeit weg gerubbelt.
Das zweite Pflaster klebe ich sicherheitshalber mit Superkleber auf die e
mittlerweile offene Blase. Schwere Zeiten erfordern entschlossenes Handeln. Ja,
das brennt erwartungsgemäß aber halten tut´s diesmal auch. Kurz darauf meldet
sich der andere Haxen, dessen Ferse ich abwechselnd mit zusätzlichen Socken,
einer elastischen Bandage und Tixoband bedenke aber irgendwann ist klar: Ich muss
zu den Turnschuhen wechseln, die anderen Böcke sind ab jetzt nur mehr unnötiger
Ballast. Wegschmeißen geht leider nicht, ich werde sie noch für die Heimreise
im Februar brauchen. Das erhöht mein Gepäck auf gute zehn Kilo. Ich erwarte nämlich
eisige Kälte während der Nächte und laut
Wegbeschreibung muss ich zumindest einmal campen, weil´s dort keine Herberge
gibt. Momentan genügt aber ein T- Shirt, es steht kein Wölkchen am Himmel und
es geht steil bergauf. Ich durchwandere eine steinige Karstlandschaft, passiere
noch zwei Höfe mit bemitleidenswerten, aufgebrachten Kettenhunden und dann
wird´s richtig einsam. Heute kommt mir noch ein Typ mit zwei Lasteseln unter
und ein paar Raben, fertig. Auf rund 2000 Metern Höhe wird´s dann doch wolkig,
aber die sind alle unter mir. Very nice! Die meisten angekündigten Quellen sind
trocken und auf einem kleinen Pool im Schatten liegt eine Eisschicht. Ich quere
Zedern.- Und Eichenwälder, im Tal wächst wilder Thymian. Kurz vor
Sonnenuntergang erreiche ich die einzige Herberge am Weg, eines von
einundzwanzig Häusern des Dorfes Azilane.
Wird mir später der Alte erzählen, der hier den Laden schmeißt. Vorher muss ich
mir allerdings noch meinen Weg dorthin bahnen. Neugierige, aber trotzdem demonstrativ
wegsehende Frauen (das gehört sich hier nämlich so), blökende Esel, die Zähne
fletschende, keifende Hunde mit eingezogenem Schwanz, gaffende Kinder. Was für
ein Auftritt. Der Wirt ist klein und verhutzelt und vom Wetter gegerbt, trägt
einen Hirtenumhang aus grober Wolle und spricht ein paar Brocken Englisch,
Französisch und Spanisch. Ich schätze ihn auf siebzig aber das ist schwer zu
sagen. Im Hauptraum der Unterkunft stehen vier Bänke und ein uralter Ofen. Der
kommt aus Deutschland, erklärt der Wirt nicht ohne Stolz und entfacht das
Feuer. Laut Gästebuch waren vor zirka einem Monat die letzten Gäste hier, vier
Wanderer aus Spanien. Im Oktober 2010 gab sich das letzte Mal eine
Österreicherin hier die Ehre. Nach ein paar Minuten ist´s schon angenehm warm
und das Feuer und eine zusätzliche Kerze bringen das einzige Licht in die schon
tiefe Finsternis. Zur Begrüßung wartet er mir staubtrockenen, aber guten Kuchen
und Walnüsse auf, er stopft seine lange Holzpfeife mit einem hellbraunen
Kügelchen „Kif“ und raucht sie bedächtig. Seit nunmehr fünf Jahren raucht er
das Dope nur mehr pur, der Tabak ist nicht gut für ihn. Anbauen darf er es auch
nicht mehr, ist verboten für Herbergsbetreiber. Das sei aber auch nicht weiter
schlimm, er kauft´s halt von den Nachbarn. Die Oliven kauft er auch zu, die wachsen hier
oben nicht mehr. Aber sonst ist dieser Hof so gut wie autark. Die Erdäpfel,
Paradeiser, Zwiebeln, Nüsse, roten Rüben, Karotten, der Knoblauch, das Piment-
alles Zutaten meines Abendessens- und das Brot dazu- alles wurde hier angebaut
und geerntet. Außerdem hat er noch fünfzig Hühner, fünf Ziegen, drei Schafe und
drei Kühe und fünf Söhne. Von denen ist aber nur mehr einer da, das Schicksal
der Anderen erschließt sich mir wegen der großen Verständigungsschwierigkeiten
nicht wirklich. Den Eintopf bringt noch blubbernd in einer Tonschale mit hohem,
spitzem Deckel der verbliebene Sohn. Das „Tajin“ schmeckt nach Zimt und
überhaupt ganz ausgezeichnet, der Alte bekommt etwas anderes. Wir kosten von
der jeweils anderen Schüssel, sein Essen schmeckt fast noch süßer. Das Brot und
die Nüsse rösten wir uns am Ofen. Der Alte bleibt die ganze Zeit bei mir, warum
auch immer, aber er stört mich überhaupt nicht. Um acht zieht er das letzte Mal
an seiner Pfeife und haut sich auf die eine Bank. Ich lese noch ein paar Minuten
und dann leg ich mich auf die andere Seite des Ofens und penne satt und zufrieden
ein.
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