11.12., Von
Akchour nach Chefchaouen
In dieser
Nacht zieh ich alles an, inklusive der Schihose. Richtig warm wird´s so auch
nicht, aber sagenhaft unbequem im Schlafsack. Ich will zurück nach Chefchaouen,
sofort. Den restlichen Trek soll wer anderer gehen, ich bin fertig. Ich penne
fast vierzehn Stunden, trotzdem ist hier wie scheinbar überall im Land am
frühen Vormittag noch kein Schwein unterwegs. Mein Wirt hat die Rollbalken
unten, alle anderen Geschäfte auch. Dem erstbesten Passanten drücke ich
zweihundert Dirham in die Hand und den Schlüssel zum Zimmer, auf Wiedersehen.
Die Hauptattraktion des Treks, „God´s Bridge“, lass ich links liegen. Ein natürlicher,
roter Steinbogen, der sich in fünfundzwanzig Metern Höhe über den Fluss spannt,
entstanden durch jahrtausendelange Unterspülung. Schade drum, aber die Wegeschreibung
im Buch klingt nicht wirklich schlüssig und Karte hab ich ja keine. Aber auch
so gelingt es mir, mich gleich zu Beginn zu verlaufen. Der Plan wäre, über Ouslaf
weiter nach Westen gen Arhermane zu marschieren und dort irgendwo Richtung
Süden über El- Kelaa zurück nach Chefchaouen zu gelangen. Diese Alternativroute
ist im „Lonely Planet“ beschrieben, und zwar genau so. Ein Satz für einen
ganzen Tag. Zwischen den ersten zwei Kaffs steht blöderweise ein Berg, den ich
irgendwie umgehen muss. Die Leute deuten mir auch, jaja, da immer rauf und dann
rechts halten und passt schon. Eine Piste wird ein Pfad wird zu nichts, ich
steh am Hang im Gestrüpp und einer deutet mir immer noch, jaja, immer weiter.
Oida! Das kann´s ja nicht sein, hier müssen ja wohl regelmäßig Menschen
zwischen den Dörfern hin und her marschieren. Endlich kommt ein junger Typ von
unten rauf, dem mach ich mit Nachdruck klar, daß mein Leben von nun an in seinen Händen liegt.
Ja, er geht nach Arhermane, irgendwas mit Familie dort. Welche Wörter wir
gemeinsam haben: Holla, mucho, travacho, si, no, oui, baby, family, kif,
europe, petit, bon voyage, dirham, ami und vielleicht noch zwei oder drei
aber sicher nicht mehr. Er redet wie ein Wasserfall, lacht, singt, telefoniert
und klettert den Berg rauf wie nix. Ich im Schweinsgalopp hinterher, ich darf
den Typen auf keinen Fall entwischen lassen. Er hüpft über Stock und über
Stein, mal schaut das ganze wie ein Weg aus, dann wieder nicht. Ob ich ein Foto
von ihm machen könnte und ihm das dann schicke? Ich mach ein paar und werde
mein Bestes geben. Er schreibt mir einen arabischen Aufsatz in mein Notizbuch,
inklusive seiner Telefonnummer. Ich soll ihn mal anrufen, und erzählen, wie´s
so geht. Der Typ ist echt der Hammer. Irgendwann sind wir in Arhermane, auch
hier dringt aus jedem Haus ein stetiges, schnelles Klopfen. Er klärt mich auf,
die Frauen klopfen das Cannabis, vielleicht, um das Öl zu gewinnen? Keine
Ahnung, die Gärtner unter euch werden´s vielleicht wissen. Ein Gramm vom
Feinsten kostet hier im Übrigen 10 Dirham, weniger als einen Euro. Und
überhaupt: Hier im Rif- Gebirge werden unglaubliche 42 (!) Prozent der
weltweiten Cannabis- Ernte eingefahren, Stand 2011. Geschätzte 800.000 Leute leben
davon und der Handel damit ist der größte Devisenbringer Marokkos. Wenig
überraschend werden in Spanien mehr als die Hälfte der internationalen
Drogenfunde getätigt. Ich werde mein Moped seeehr genau filzen, bevor ich
wieder nach Europa fahre, gelegentlich wird das Zeug in den Fahrzeugen
nichtsahnender Touris versteckt. Dann sitz ich vielleicht hier im Häfm, bei
Datteln und Minztee. Das Zeug wächst hier wirklich an jeder Ecke. Was für seine
Robustheit spricht, denn die Felder bestehen aus mehr Steinen als Erde. Der Typ
führt mich zu einer breiten Piste, der soll ich bis nach Chefchaouen folgen.
Das mache ich und hoffe auf ein Auto, das mich mitnimmt. Ich gehe stundenlang
die Hügel rauf und wieder runter, nichts kommt. Ich trinke das letzte Wasser
und fresse ein paar Datteln und latsche weiter. Ein altes Weib mit einem
riesigen Bündel Reisig am Rücken kommt mir entgegen, wo will die hin? Ich fülle
meine Flasche an irgendeinem Rinnsal, das über die Piste sickert. Tablette
rein, eine Stunde warten, wird schon passen. Vor El- Kelaa beginnt ein riesiges
Straßenbauprojekt mit großen Volvo- Bulldozern und MAN- Trucks, die Straße nach
Chefchaouen wird scheinbar ausgebaut. Gruppen von Zipfelmützenkuttenträgern
sitzen auf Geröllhaufen und schauen sich an, was da mit ihrem Land passiert.
El- Kelaa selbst ist ein Dreckskaff. Die Abhänge sind zugepflastert mit Dreck,
der Turm der Moschee ist total windschief und steht nur mehr durch Allahs Gnade
und die Kinder betteln um Geld. Dann endlich kann ich ein „Grand Taxi“
aufhalten, einen uralten und völlig demolierten Mercedes- Kastenwagen, der mich
das letzte Stück bis zur Stadt mitnimmt. Kostet zehn Dirham, ich hätte auch
hundert bezahlt. Ein frisches Baguette am Weg durch die Medina, duschen,
abvöllern, bötzn. Das war´s wieder mal mit Wandern, für lange, laange, sehr laaange
Zeit.
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