Sonntag, 15. Dezember 2013



14.12., Fes

Also, es ist so: Fes ist das neue Marrakesch. Was das genau bedeuten soll weiß ich aber noch nicht, da ich erst übermorgen in Marrakesch sein werde. Jedenfalls bin ich scheinbar total hip, und das nur weil ich hier bin. Die Riads in der Altstadt gehen weg wie die warmen Semmeln, Ausländer lassen sich in Scharen hier nieder ein Festival jagt das andere usw. Soweit der theoretische Background, bevor ich mir heute selbst ein Bild von der Lage mache. Die Altstadt ist riesig. Stunde um Stunde schlendere ich die engen, verwinkelten Gassen entlang. Ich bin nicht der einzige. Ein Geschiebe und Gedränge herrscht auf den „Hauptrouten“, zwei oder drei Gassen weiter ist vielleicht wieder gar keiner mehr. Die Wege enden nicht selten im Nichts, münden in schattigen Plätzen mit bunt gefliesten Brunnen, Wasserstellen oder mächtigen Bäumen. Ich passiere überdachte und offene Märkte, ein Standler nach dem anderen preist seine Ware an. Wer soll das überhaupt alles kaufen? Tausende herausgebackene, fettige Süßigkeiten, haufenweise Modeschmuck, ein ganzer Platz voll mit Schuhen. Tonnenweise Oliven, Nüsse, Mandarinen. Teppiche, Schmuck, Keramik, Fische, es hört nie auf. Viele Häuser sind windschief, baufällig, einsturzgefährdet und nur notdürftig mit Planken gegeneinander abgestützt. Ich ducke mich durch lange, dunkle Durchgänge. Eine der größten Moscheen Afrikas ist in ihrer ursprünglichen Form überhaupt nicht mehr erkennbar, von Behausungen aller Art eingekesselt und schon fast verschluckt. Badehäuser, Paläste, Synagogen, Stadttore. Klopfende Kupferschmiede in einer Ecke, eine Gasse mit Hochzeitsausstattern.  Bettler überall, die Fleischhauer wieder mehr unter sich. Bei einigen hängen Kamelköpfe über dem Laden. Groß, struppig, mit heraushängender Zunge. Schlosser arbeiten in dunklen Nischen. Fußball spielende Kinder, Verrückte. Es stinkt nach Fisch, Scheiße und Müll, es duftet nach frischem Brot, nach Gewürzen, Kräutern oder Blumen. Ein Anschlag auf die Sinne, ein sensorischer Overkill. Vollbepackte Esel mit Gasflaschen oder irgendwelchen Bündeln werden durch die engen Gassen getrieben, die Leute zwängen sich schnell in Hauseingänge, um den Weg möglichst freizumachen. Die Treiber mit dem Stock in der Hand schreien, alle sollen sich schleichen. Permanent labern mich Typen an, denen die Verschlagenheit schon ins Gesicht geschrieben steht. Dope, Whiskey, Teppiche oder total behinderte Lederschlapfen soll ich kaufen, ich brauche dringend einen Guide, muss mir unbedingt die jüdische Synagoge ansehen. Von wo ich her bin? Aus Russland, England, Frankreich, Spanien? Seit wann ich schon da bin? Immer der gleiche Senf. „You have to get high bevor you die“. „Full power, no shower!“. Die Keiler wollen auch gar kein Geld von mir, sie wollen ja nur ihr Englisch verbessern oder hatten eh auch gerade vor, die Gerberei zu besuchen. Da könnten wir ja eben so gut gemeinsam gehen. Ah ja, der Bruder/Schwager/Cousin/Opa hat dort einen Shop, ob ich nicht mal schnell reinschauen wolle? Wertlose Schmeißfliegen, die mir mit der Zeit extrem auf die Nerven gehen. Die Gerberei muss man übrigens tatsächlich gesehen haben. Vielleicht hundert oder zweihundert unförmige, gemauerte Becken außerhalb der Medina, gefüllt mit milchig- weißem Wasser oder schmutzig- brauner Brühe. Auf der Straße und über die Mauern geschlagen liegen stapelweise schmutzige Felle aller Art. Hackler mit Eseln und Handkarren bringen stetig Nachschub. Männer, die schon seit Generationen quasi in diesen Job hineingeboren werden, waten knietief in den Becken. Die sind versifft mit diversen Chemikalien und Asche, mit Taubenscheisse und mit Kuhpisse. Das darin enthaltene Kalium bleicht scheinbar die Felle. Angeblich hat sich hier die letzten Jahrhunderte nicht viel geändert. Mein Keiler möchte mir Pfefferminzblätter aufdrängen, die ich mir unter die Nase halten soll, bevor wir uns dem Szenario nähern. Ich lehne natürlich ab, ein bisschen Gestank hat ja noch keinem geschadet, oder. Aber dann, auf der Terrasse mit gutem Ausblick auf das ganze Treiben, muss ich doch hart an mich halten, um nicht sofort von oben in eines dieser bestialisch stinkenden Becken zu bröckeln.  Leder aus Fez gilt als eines der feinsten weltweit, also warum nicht eine Hose kaufen? Beim Schnäppchen- Angebot des Verkäufers, umgerechnet 550 Euro, bleibt mir nicht viel mehr, als mich wortlos umzudrehen und zu gehen. „What is wrong, mister? You don´t like the price?” Was hat der eingepfiffen?  Diese ganzen größenwahnsinnigen und aufdringlichen Idioten machen diese Stadt schon ziemlich anstrengend. Dann geb ich mir einen Kamel- Burger, interessehalber. Schmeckt sehr gut, ein bisschen bissfest vielleicht. Das Fleisch ist aber auch recht stark gewürzt, deswegen kann ich nicht wirklich viel über den Geschmack sagen. Noch einen „Spiced Coffee“ am sonnigen Platz, dann geht die Erkundung weiter. Irgendeine schlaue Obrigkeit hat dieses Labyrinth mit einigen gut ausgeschilderten Routen versehen, das ist wirklich sehr hilfreich. Trotzdem verlaufe ich mich am Abend dermaßen, daß ich eine gute Stunde brauche bis ich mich wieder halbwegs orientieren kann. Eine weitere kulinarische Entdeckung heute: „Sharon“- Früchte. So viel Obst wie hier ess ich daheim das ganze Jahr nicht.

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