14.12., Fes
Also, es ist
so: Fes ist das neue Marrakesch. Was das genau bedeuten soll weiß ich aber noch
nicht, da ich erst übermorgen in Marrakesch sein werde. Jedenfalls bin ich
scheinbar total hip, und das nur weil ich hier bin. Die Riads in der Altstadt
gehen weg wie die warmen Semmeln, Ausländer lassen sich in Scharen hier nieder
ein Festival jagt das andere usw. Soweit der theoretische Background, bevor ich
mir heute selbst ein Bild von der Lage mache. Die Altstadt ist riesig. Stunde
um Stunde schlendere ich die engen, verwinkelten Gassen entlang. Ich bin nicht
der einzige. Ein Geschiebe und Gedränge herrscht auf den „Hauptrouten“, zwei
oder drei Gassen weiter ist vielleicht wieder gar keiner mehr. Die Wege enden
nicht selten im Nichts, münden in schattigen Plätzen mit bunt gefliesten
Brunnen, Wasserstellen oder mächtigen Bäumen. Ich passiere überdachte und
offene Märkte, ein Standler nach dem anderen preist seine Ware an. Wer soll das
überhaupt alles kaufen? Tausende herausgebackene, fettige Süßigkeiten,
haufenweise Modeschmuck, ein ganzer Platz voll mit Schuhen. Tonnenweise Oliven,
Nüsse, Mandarinen. Teppiche, Schmuck, Keramik, Fische, es hört nie auf. Viele
Häuser sind windschief, baufällig, einsturzgefährdet und nur notdürftig mit
Planken gegeneinander abgestützt. Ich ducke mich durch lange, dunkle
Durchgänge. Eine der größten Moscheen Afrikas ist in ihrer ursprünglichen Form
überhaupt nicht mehr erkennbar, von Behausungen aller Art eingekesselt und schon
fast verschluckt. Badehäuser, Paläste, Synagogen, Stadttore. Klopfende
Kupferschmiede in einer Ecke, eine Gasse mit Hochzeitsausstattern. Bettler überall, die Fleischhauer wieder mehr unter
sich. Bei einigen hängen Kamelköpfe über dem Laden. Groß, struppig, mit
heraushängender Zunge. Schlosser arbeiten in dunklen Nischen. Fußball spielende
Kinder, Verrückte. Es stinkt nach Fisch, Scheiße und Müll, es duftet nach
frischem Brot, nach Gewürzen, Kräutern oder Blumen. Ein Anschlag auf die Sinne,
ein sensorischer Overkill. Vollbepackte Esel mit Gasflaschen oder irgendwelchen
Bündeln werden durch die engen Gassen getrieben, die Leute zwängen sich schnell
in Hauseingänge, um den Weg möglichst freizumachen. Die Treiber mit dem Stock in
der Hand schreien, alle sollen sich schleichen. Permanent labern mich Typen an,
denen die Verschlagenheit schon ins Gesicht geschrieben steht. Dope, Whiskey, Teppiche
oder total behinderte Lederschlapfen soll ich kaufen, ich brauche dringend
einen Guide, muss mir unbedingt die jüdische Synagoge ansehen. Von wo ich her
bin? Aus Russland, England, Frankreich, Spanien? Seit wann ich schon da bin?
Immer der gleiche Senf. „You have to get high bevor you die“. „Full power, no
shower!“. Die Keiler wollen auch gar kein Geld von mir, sie wollen ja nur ihr
Englisch verbessern oder hatten eh auch gerade vor, die Gerberei zu besuchen. Da
könnten wir ja eben so gut gemeinsam gehen. Ah ja, der
Bruder/Schwager/Cousin/Opa hat dort einen Shop, ob ich nicht mal schnell reinschauen
wolle? Wertlose Schmeißfliegen, die mir mit der Zeit extrem auf die Nerven
gehen. Die Gerberei muss man übrigens tatsächlich gesehen haben. Vielleicht
hundert oder zweihundert unförmige, gemauerte Becken außerhalb der Medina, gefüllt
mit milchig- weißem Wasser oder schmutzig- brauner Brühe. Auf der Straße und
über die Mauern geschlagen liegen stapelweise schmutzige Felle aller Art. Hackler
mit Eseln und Handkarren bringen stetig Nachschub. Männer, die schon seit
Generationen quasi in diesen Job hineingeboren werden, waten knietief in den Becken.
Die sind versifft mit diversen Chemikalien und Asche, mit Taubenscheisse und mit
Kuhpisse. Das darin enthaltene Kalium bleicht scheinbar die Felle. Angeblich
hat sich hier die letzten Jahrhunderte nicht viel geändert. Mein Keiler möchte
mir Pfefferminzblätter aufdrängen, die ich mir unter die Nase halten soll,
bevor wir uns dem Szenario nähern. Ich lehne natürlich ab, ein bisschen Gestank
hat ja noch keinem geschadet, oder. Aber dann, auf der Terrasse mit gutem Ausblick
auf das ganze Treiben, muss ich doch hart an mich halten, um nicht sofort von
oben in eines dieser bestialisch stinkenden Becken zu bröckeln. Leder aus Fez gilt als eines der feinsten
weltweit, also warum nicht eine Hose kaufen? Beim Schnäppchen- Angebot des
Verkäufers, umgerechnet 550 Euro, bleibt mir nicht viel mehr, als mich wortlos umzudrehen
und zu gehen. „What is wrong, mister? You don´t like the price?” Was hat der eingepfiffen? Diese ganzen größenwahnsinnigen und
aufdringlichen Idioten machen diese Stadt schon ziemlich anstrengend. Dann geb
ich mir einen Kamel- Burger, interessehalber. Schmeckt sehr gut, ein bisschen bissfest
vielleicht. Das Fleisch ist aber auch recht stark gewürzt, deswegen kann ich nicht
wirklich viel über den Geschmack sagen. Noch einen „Spiced Coffee“ am sonnigen
Platz, dann geht die Erkundung weiter. Irgendeine schlaue Obrigkeit hat dieses
Labyrinth mit einigen gut ausgeschilderten Routen versehen, das ist wirklich
sehr hilfreich. Trotzdem verlaufe ich mich am Abend dermaßen, daß ich eine gute
Stunde brauche bis ich mich wieder halbwegs orientieren kann. Eine weitere
kulinarische Entdeckung heute: „Sharon“- Früchte. So viel Obst wie hier ess ich
daheim das ganze Jahr nicht.
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