Donnerstag, 28. Februar 2019

26.2., Providencia

Wir schnorcheln am Morgan`s Head, einem frei stehenden, runden Felsen, dem man in Ermangelung anderer Sehenswürdigkeiten eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Antlitz des gleichnamigen Piraten zuspricht, was natürlich blanker Unsinn ist. Aber das Wasser hier ist ruhig und die Sicht ist gut. Sogar eine unbekannte Seeschlange schaut vorbei. Am Weg zurück beobachten wir zwei Fischer, wie sie gerade an die vierzig große Caracols von ihren Schalen trennen. Von acht bis
neun Faden hätten sie die Schneckenmuscheln in zweistündiger Arbeit hochgetaucht, ohne Ausrüstung natürlich, der Fang wäre durchschnittlich. Der eine hackt am oberen Ende des Gehäuses mit einer kleinen Axt einen schlitzförmigen Zugang ins Innere, in den der andere mit seinem Messer fährt, um mit einem Schnitt die Muschel von ihrem Haus zu trennen. Dann zieht er das Viech mit einem routinierten Griff am eigentlichen Ausgang aus dem Gehäuse. Faustgroß ist das noch lebende Tier mit zwei um sich blickenden Stielaugen ähnlich einer Schnecke, das der Insulaner auf einen Haufen zu den anderen delogierten Muscheln wirft.
Im kleinen Kino oben auf den Klippen sehen wir abends Kurzfilme über die Entstehung der kreolischen Sprache, wobei ich das Inselenglisch des Sprechers selbst schon kaum verstehe, und über landestypische Musikinstrumente, wobei das Jawbone, der Unterkiefer eines Pferdes, sicher das seltsamste ist. Mit einem Rundholz ratscht der Perkussionist über die Zähne und erzeugt so einen Rhythmus gebenden Sound. Das Highlight des Filmabends ist aber die Doku über die
jährliche Krabbenwanderung, wenn die Straßen von ihnen voll sind und von Menschen, die die Krabben mit Schaufeln in Säcke füllen, um sie anschließend zu verkochen. Die Tiere, die die Odyssee überleben, legen ihre Eier am Strand ab, welche ein paar Tage später als Nachwuchs in Form eines flächendeckenden roten Teppichs ins Inselinnere zurückkehren.
In Aqua Dulce oder der Freshwater Bay, wie die Bucht auch ausgeschildert ist, probiere ich ein Ceviche mit den Muscheln, es schmeckt wunderbar. Dann verabschieden wir uns endgültig von den Franzosen, deren heutige Überfahrt mit dem Katamaran wegen Schlechtwetters abgesagt wurde und die auf einen morgigen Flug umbuchen mussten. Unser Drecksmoped springt nur schlecht an und nach ein paar hundert Metern rollen Ena und ich am Weg heim im finsteren Nirgendwo aus. Ein vorbeifahrender Einheimischer mit seinem Mädchen am Sozius bestätigt nach einem Blick in den Tank unsere Vermutung: Die Anzeige ist defekt und die Mopette ist leer.
Der junge Bursche bietet an, uns bis nach Hause zu schieben, und das macht er so: Mit seinem rechten, gestreckten Auslegerfuß drückt er von links hinten seitlich auf einen Punkt irgendwo unterhalb von Ena und gibt ordentlich Gas. Mitten während der Aktion beginnt es auch noch zu schütten, wodurch wir besonders auf den Steigungen an Grip verlieren und er mit seinem Moped bei insgesamt vier Mitfahrenden hart an die Leistungsgrenze kommt. Bergab lasse ich das Gerät dann bei Höchstgeschwindigkeit im Blindflug rollen, weil ich zu Beginn der ganzen Aktion vergessen habe, den Zündschlüssel anzustecken.
Der Typ ist jedenfalls ein Genie und der Retter in der Not, wir erreichen nach ein paar Minuten durchnässt, aber glücklich unser Quartier. 
25.2., Providencia

Ein Roller muss her, und zwar schleunigst und für den Rest der Inseltage. An den Lagerfeuern ranken sich zwar verworrene Legenden um einen Inselbus und sogar Sichtungen werden beschworen, der Wahrheitsgehalt dieser Behauptungen darf aber Anbetracht der flimmernden Hitze und der breiten Beeinträchtigung der Erzählenden bezweifelt werden. So sehen wir dann auch am Weg zum Pier hoffnungsfroh und kafkaesk bis in alle Ewigkeiten Wartende in bunten Buswartehäuschen,
während wir mit der Mopette cruisend den Fahrtwind genießen. Eltern auf Zweirädern holen gerade ihre Kinder ab, deren blauweiße Uniformen perfekt zu ihrer neu gestrichenen Schule passen. Eine Warteschlange vor dem Bäcker und am Hafen wird gerade ein großes Frachtschiff mit Hilfe eines einzigen Kranlastwagens, der sich auf dem Deck ausnimmt wie ein Spielzeugauto, entladen. Der hievt große Säcke mit Sand und Zement direkt auf am Steg darunter wartende Pritschenlaster,
feinstes Insel-TV. Obst und Gemüse kommen übrigens über die nicaraguanischen Corn-Inseln von Costa Rica her, das macht scheinbar mehr Sinn als eine Versorgung vom kolumbianischen Festland. Für diese Frachter gäbe es auch Passagiertickets zu kaufen, vielleicht ein andermal.
Hinter der Roots Bar liegt der Getränkeverantwortliche doch tatsächlich in seiner Hängematte und schläft, noch weniger Service geht nicht mehr.
Am Almond Beach schwätzen, jonglieren, trinken und spielen heute Fußball: Ein kanadischer Bauer, eine kolumbianische Töpferin, ein belgischer Divemaster, schon bekannte Figuren und ein paar Insulaner. Und als die Flut und der Wind kommen, ziehen die meisten von uns auf Nahrungssuche weiter. Eine Frau im Hinterland bereitet schmackhafte Iguana-Eintöpfe zu, hat für heute aber nur mehr banale Burger im Angebot. Bleibt nur mehr unser Stammwirt am Strand. Den räumt die Bullizei auch heute wieder pünktlich um 20.00. Auch dem Nino Divino nützen die auf Podesten aufgestellten Statuen vom göttlichen Kind nichts. Der Koberer wird genötigt, das Lagerfeuer mit Wasserkübeln zu löschen und die anderen Gäste und wir müssen uns ebenfalls hurtigst vom Acker machen. Volltrotteln!
An der Straße gilt das nächtliche Ausgehverbot nicht. Dort trällert eine Kreolin Lieder zu Gitarre und Akkordeon, während unter der Terrasse Muscheln angespült werden und Krebse im seitlichen Moonwalk vorbeiwandern. 
24.2., Providencia

Mein jugendlicher Elan wird von der Holden schroff in die Schranken gewiesen. Kein Schnorchel- oder Tauchausflug heute, kein Besuch des kleinen Nationalparks und schon gar nicht die Besteigung des Inselberges mit seinem angeblich grandiosen Rundumblick kommen infrage. Ganztägig verordnete Untätigkeit zur Erlangung tiefgreifender Erholung zwingt mich zum Konsum spanischsprachiger Cartoons im Bett, während sich am Gelände ein Hackler mit seiner Motorsense austobt. Dann legt sich die Gattin auch noch hin und verfällt umgehend in Tiefschlaf, während ich in meiner Fadesse meinen wuchernden Walross-Schnauzer in Ermangelung einer Schere oder anderem Schneidegerät mit meinem Nagelzwicker trimme und zum letztenmal im Plastiksackerl meine Wäsche wasche.
Die Schlüsselwörter für den restlichen Tag in chronologischer Abfolge: Strand, Hängematte, Musik, Fisch, Bier, Sonnenuntergang, Smalltalk, Moskitos, Buch, Klimaanlage.
Etwaig mitlesenden Pedanten oder Germanisten steht es frei, mit ihnen ganze und womöglich  ausgefeilte Sätze zu bilden und einzusenden. Dem Besten winkt ein Hubschrauber oder ein kaputter Kühlschrank, das überlege ich mir noch.

Sonntag, 24. Februar 2019

23.2., Providencia

Wir folgen dem bewährten Ritual, mieten uns ein für örtliche Begriffe eigentlich fahruntüchtiges Moped- die Hupe funktioniert nicht- und fahren die Insel ab. Die ist noch ein Stück kleiner als das neunzig Kilometer weiter südlich gelegene San Andres, eine überschaubare Expedition also. Fünftausend Kreolen leben auf Providencia und auf den Straßenschildern werden englische Namen verwendet. Gun Point, Bluff Point, Alligator Point, Lazy Hill. Letzterer ist bezeichnend für das vorherrschende Feeling. Dadurch, dass es keine direkte Verbindung zum kolumbianischen Festland gibt, ist es ganz ruhig und es herrscht entspanntestes Inselflair.
Die paar anwesenden Touristen müssen mit traditionellen Veranstaltungen und Zerstreuungen vorlieb nehmen, wird ihnen der Aufenthalt im Meer oder in der Hängematte zu langweilig. Das für heute anberaumte, wöchentliche Pferderennen bei uns am Strand, ohne Sattel natürlich, findet
leider nicht statt. Im Leuchtturm kann man sich dafür einen Film  über die zweimal pro Jahr stattfindende Krabbenwanderung ansehen.
Für eine Woche begeben sich dann alle schwarzen Krabben der Insel zu den Stränden und legen dort ihre Eier, bevor sie wieder ins Hinterland zurückkehren, und ein paar Wochen später folgt ihnen dann der Nachwuchs. Die Straßen bleiben für Tage gesperrt und Providencia ist noch paralysierter, als es ohnehin schon ist. Einmal jährlich findet auch ein Iguana- Schönheitswettbewerb auf Providencia statt, vielleicht das Highlight des Kulturjahres.
Tatsächlich wimmelt es hier vor Reptilien. Ständig raschelt es im Unterholz, wenn die großen oder kleinen Echsen das Weite suchen.
Unterwegs lassen wir keine Gasse aus und landen mitunter unbeabichtigt auf Firmenarealen, wenn man sie so nennen möchte, wilden Deponien oder privaten Höfen. Jugendliche mit ihren gut gepflegten Kampfhähnen mit glänzendem Gefieder in verlotterten Siedlungen, bellende Hunde, die von phlegmatischen Insulanern zur Ordnung gerufen werden. Alle jemals seit Entdeckung des Rades hierher gelieferten Autos, Kühlschränke, Toaster, et cetera sind noch immer auf der Insel und
rosten am Fahrbahnrand oder im Unterholz vor sich hin. Auf ein fahrbares Auto kommen mindestens fünf oft total zerstörte Wracks und manche ausgetrockneten Flussläufe haben sich zu Friedhöfen für elektronische Kleingeräte und Gefriertruhen gewandelt. Ein ominöses Versorgungsschiff versorgt die Insel zu allen heiligen Zeiten, eine Abholung von kaputt gewordenen Gerätschaften findet aber offensichtlich nicht statt.
Das Meer präsentiert sich wieder in allen Varianten von Blau, während wir der Küste folgen. Wir erreichen den schaukelnden Übergang zur noch kleineren Insel Santa Catalina, die durch eine halb kaputte, schwimmende Brücke irgendwie mit Providencia verbunden ist. Die Sehenswürdigkeiten hier, eine angebliche Kanone Captain Morgans und die Überreste einer alten Verteidigungsanlage, sind zu vernachlässigen, aber nicht der Steg, der durch die Mangroven führt, oder die
windschiefen, bunten Holzhäuser. Ein Ceviche zwischendurch zur Stärkung, später ein übertrieben starker Coco Loco am Almond Beach. Nach Sonnenuntergang noch ein Bier in Rolands Roots Bar, der berühmtesten Reggaehütte Providencias am Nachbarstrand, bevor die Bullizei kommt. Nach einer Schiesserei mit einem Toten letztes Jahr werden alle Strände offiziell um 20.00 geschlossen. Dann fahren die Motorräder mit Blaulicht durch den Sand und Touristen müssen einen Wisch unterschreiben, wonach sie entsprechend belehrt wurden und sie geloben, die Sperrstunde zukünftig einzuhalten. Die Bar liegt im Schatten von Palmen mit einem mittigen Feuerplatz und verfügt unglücklicherweise über eine respektable Musikanlage mit überdimensionalen Lautsprechern. Da jedes verfügbare Dezibel genutzt wird, verkommt die eigentlich chillige Beschallung in viel zu großem Wirkungskreis zu einem lärmendes Inferno, in dem man dem Kellner die Bestellung am besten schriftlich zukommen lassen sollte, um sich ihm irgendwie verständlich machen zu können.
Am Weg heim gilt es, den großen, nicht wirklich schreckhaften Krabben auszuweichen, dann ist die Expedition beendet.
Die Franzosen nebenan berichten von beim Tauchen gesichteten Ammenhaien, auch Bullenhaie sollen hier nicht selten sein.

Samstag, 23. Februar 2019

22.2., von San Andres nach Providencia

Die Mitführung der persönlichen Habe anlässlich des heutigen Fluges nach Providencia ist auf zehn Kilo Aufgabegepäck und fünf Kilo Bordgepäck limitiert. Außerdem wird jeder Fluggast abgewogen und dessen Gewicht penibel notiert. Auf dem Rollfeld werden wir und siebzehn andere Passagiere zu einer kleinen Propellermaschine geführt, die uns in kürzester Flugzeit von nur fünfzehn Minuten übersetzt. Die Flughöhe ist dabei recht niedrig, die Aussicht großartig und der Ritt vor allem bei Durchquerung von tief hängenden Wolken etwas wackelig. In Providencia entlädt ein kleines Quad mit hölzernem Anhänger die wenigen Taschen und wirft sie durch eine Luke in die Ankunftshalle, noch weniger geht nicht. Einer mitfliegenden Schweizerin wurde trotzdem am Weg hierher Bargeld, das sie blöderweise im Hauptgepäck deponiert hatte, aus eben dem gefladert.
Vor dem Flughafen wartet ein verbeulter Wagen, der alte Fahrer spricht eine wunderliche Mischung aus Englisch und Kreolisch. Raizal nennt sich die vorherrschende Inselkultur und wirkt sehr afrikanisch. Das Inselfeeling ist gleich spürbar und ist ganz anders als das am Festland oder auf San Andres. Iguanas huschen im Unterholz herum, eine faule Katze gähnt vor dem Haupteingang zum Rollfeld. Auf gut Glück lassen wir uns zu einem beliebigen Strand führen und finden auch gleich eine nette Unterkunft. Eine schöne Echse verkriecht sich am Gelände und vor uns schaukeln kleine Fischerboote in der Dünung, hurra. Drei Minuten entfernt hat ein kleiner Laden das Notwendigste für uns, wir besitzen sogar einen Kühlschrank, dann inspizieren wir die Umgebung. Die Hängematten sind schnell aufgespannt und später dinieren wir super einfachen, gebratenen Fisch am Strand mit zwei Franzosen. Den Digestiv in Form eines traditionellen Mojitos nehmen wir am Lagerfeuer ein, schön kitschig.
21.2., San Andres

Mit einem Leihmoped fahren wir die dreißig Kilometer lange Küstenstraße von San Andres ab. Unterwegs machen hunderte Golfwagerl voll mit anderen Urlaubern genau das gleiche. Auf der westlichen Seite gibt es hauptsächlich porösen Felsstrand mit glasklarem Wasser, im Osten Sandstrände mit starkem Wind, der Wasser und Seegras auf die Fahrbahn wirft. Sieben Farben spricht man dem Meer vor der Inselgruppe zu und das ist nicht übertrieben. Die Palette erstreckt sich von tiefem Blau bis zu traumhaftem Türkis, je nach Tiefe und Untergrund. Vor der Küste liegen drei Schiffswracks, wobei der rostige Rumpf von einem noch halb aus dem Wasser ragt. Im Inselinneren
erstreckt sich noch eine kleine Lagune, an deren Ufer sich Kaimane so reglos sonnen, dass wir erst von Plastikimitaten ausgehen. Erst als wir uns ihnen auf einen Meter angenähert haben, schrecken sie auf und verschwinden im trüben Teich.
Das Schnorcheln später im Meer ist nicht schlecht. Auf sandigem Terrain wachsen nur spärlich Korallen und die Sicht auf die nicht wenigen Fische ist trotzdem hervorragend. Abends an der Strandpromenade bietet mir ein Keiler eine Tour an, im Laufe derer man Rochen streicheln kann. Ich gebe mich ahnungslos und bestelle mir bei ihm ein Rochensandwich, was für erhoffte Bestürzung und Verwirrung sorgt. So ist mein Tagwerk getan und ich begebe mich zu Bett. Das ist noch immer viel zu kurz und eine abschließende Fußleiste vereitelt eine entspannte Nachtruhe. Während sich Zwerg Nase nebenan in den Schlaf räkelt, gehe ich daran, das Kinder- Beistellbett zu beziehen. Unter der zurückgeschlagenen Tagesdecke kommt allerdings eine monströse Ameisenstraße zum Vorschein, die von wo auch immer auf der Reise wohin auch immer die Matratze quert. Sollen sie das auch weiterhin tun und schön in ihrer Ecke bleiben, ich krieche zurück ins Doppelbett und mache mich klein.
20.2., San Andres

Flugzeuge starten und landen während der Nacht rund um die Uhr. Die Rollbahn liegt so nahe, dass die ewig laufenden Motoren der Maschinen das eigentliche Ärgernis sind. Dazu bellt ein junger Hund ohne Unterlass und ab Vier übernehmen die Hähne die Ruhestörung. Der Wind heult und lässt die Fenster zittern, in der Früh setzt Regen ein.
Nach Eiern mit Knoblauchreis, wir sehnen uns schon nach anständiger Nahrung, kümmern wir uns um die Weiterfahrt auf die Nachbarinsel Providencia. Die liegt noch einmal neunzig Kilometer weiter nördlich und stellt wie alles, das abgeschieden und nur umständlich zu erreichen ist, das Traumziel schlechthin dar.
Am Flughafen kostet der billigste Flug nur fünfzehn Euro weniger als die vierstündige Überfahrt mit dem Katamaran, die man bei hoher See dem Vernehmen nach durchaus auch kotzend verbringen kann, da fällt die Entscheidung nicht schwer. Die Sammlung der zusammengefassten Informationen nimmt allerdings einen halben Tag Fußmarsch zwischen den einzelnen Büros in Anspruch, die nicht immer besetzt sind. Die Mitarbeiter sind vielleicht gerade essen oder machen daheim ein Päuschen, man weiß es nicht.
Die Stadt fernab der touristischen Ecke ist ausnehmend hässlich. Weiter zum Meer hin wartet ein aufgeputzter Duty Free- Shop nach dem anderen auf  Kundschaft. Vor ein paar Jahren wurde hier eine Freihandelszone eingerichtet. Nach einer Altstadt oder einer netten Bar suchen wir vergeblich. Zurück an der Strandpromenade treffe ich eine Bekannte aus Wien, die mir wiederum von einem anderen Arbeitskollegen erzählt, der ihr letzte Woche in Minca über den Weg gelaufen ist. Ja gibt´s was Ärgeres? Da wähnt man sich als Reisepionier am Ende der Welt und dann läuft einem hier der Plebs der Heimat vor die Füße.
19.2., von Santa Marta nach San Andres

Abgesehen davon, dass wir nach achtfacher Geldbehebung Peso-Millionäre sind, habe ich auch noch mehrere druckfrische Geldbündel mit Originalbanderole und fortlaufenden Nummern im Gepäck. Natürlich handelt es sich dabei um Bolivares aus Venezuela, die noch vor ihrer Verbreitung zu hundertlagigem Klopapier entwertet wurden, aber kaufen musste ich sie trotzdem. Ena macht sich in die Hose und beschuldigt mich, ich würde mir jeden Dreck andrehen lassen, wobei sie
die zur Beschwichtigung eingestreuten Kaufgewohnheiten der Kolumbianer auch nicht gelten lässt. Gegen die bin ich nämlich harmlos, das sind die echten Konsumopfer.
Heute zum Beispiel hüpfen wieder drei Figuren hintereinander in den Bus zum Flughafen und rücken jedem Fahrgast etwas in die Hand. Über diese Kekse, Salben, Zahnbürsten oder Törtchen erzählt der fliegende Händler dann Fantastisches, außerdem gäbe es nur heute zwei Stück zum Preis von einem oder etwas in der Richtung. Also zückt mindestens ein Drittel der Anwesenden das Börserl und nützt die einmalige Gelegenheit, so einfach geht das.
Anyway, ich bin jedenfalls happy über mein Schnäppchen und der Venezolaner hat sich auch gefreut, so viel dazu.
Mit unserer nächsten Destination San Andres verhält es sich folgendermaßen: Unsere winterliche Auszeit neigt sich schon bald dem Ende zu und die Inselgruppe im Norden Kolumbiens muss als Höhepunkt der Reise herhalten, den man sich ja bekannterweise für den Schluss aufhebt, damit die Rückkehr nach Wien auch ja fundamental ernüchternd wird. Die Inselchens liegen achthundert Kilometer nördlich vom kolumbianischen Festland und geografisch eigentlich näher zu
Nicaragua, das deswegen auch nicht müde wird, territoriale Ansprüche zu stellen. Um die Verhältnisse noch komplizierter zu machen, fühlen sich die Insulaner historisch an England gebunden, weil sich dessen Siedler hier im sechzehnten Jahrhundert gemeinsam mit schwarzen Sklaven aus Jamaika niedergelassen haben und aus deren gemeinsamem Nachwuchs die heutigen Bewohner abstammen. Neben dem Anbau von Tabak wurde damals auch fleißig der Piraterie nachgegangen, da die mit Raubgut vollbepackten spanischen Galeeren am Weg heim bei San Andres vorbei mussten. Auch Henry Morgan hatte hier sein Lager, nach dem wurde sogar ein Rum
benannt.
Der Flughafen Santa Martas ist vielleicht der am schönsten gelegene weltweit. Die Gebäude und die Rollbahn liegen direkt neben einem makellosen Strand und es gibt sogar einen direkten Zugang dorthin von der Abfertigungshalle. Sollte der Flug Verspätung haben, könnte man problemlos noch einmal kurz baden gehen oder es sich zumindest unter einem Sonnenschirm gemütlich machen. Die Mitarbeiter allerdings sind so korrupt wie im Rest Kolumbiens auch. Für die vorab zu entrichtende Inselgebühr werden wie selbstverständlich ein paar tausend Pesos mehr eingehoben. Wer nicht bezahlt, kann ja da bleiben und die Frage nach einer Quittung erübrigt sich sowieso. Nach der eigentlichen Handgepäcks- und Körperkontrolle folgt noch eine absurde Perlustrierung im Schlauch zum Flugzeug. Dabei immer schön das Geldbörserl im Auge behalten, hier ist niemandem zu trauen.
In San Andres latschen wir vom Flughafen in die gleich daneben liegende Siedlung und checken in einem Zimmer in einer Wohnung eines schimmeligen Zinshauses ein, dann schauen wir zur Küstenpromenade. Kleine Fischerboote schaukeln im vom vollen Mond beschienenen Meer. Burschen spielen Handball im weißen, pudrigen Sand. Ein Volleyballnetz ist zwischen zwei Palmen gespannt.
Schon hier, im touristischen Zentrum der Insel, ist es wunderschön, obwohl die große Menge der flanierenden Menschen verblüfft. Am späten Weg heim
patrouillieren Soldaten im losen Verbund durch unsere Gegend. Glaubt man dem Internetz, ist auch hier schon so mancher um seine Habseligkeiten erleichtert worden.
18.2., Santa Marta

Sich irgendwo in einer der Fußgängerzonen auf einen Saft hinzusetzen, ist eine soziale Herausforderung. Keine Minute vergeht zwischen den zahlreichen sich einfindenden Händlern und Bittstellern. Tinto Tinto Tinto, schreien die Kaffeeverkäufer mit ihren Thermoskannen, Aqua, Aqua, Aqua, Cerveza fria, die Typen mit den umgehängten Styroporboxen. Vertreiber von handgeschnitzten Pfeifen flöten einem damit ins Ohr, Schnorrer wollen Hände schütteln oder legen dir ihre Zuckerl auf den Tisch. Gehörlose verteilen Zettel, Rapper fuchteln einem mit ihren Fingern geheime Botschaften zu, während sie sich die Zunge verknoten, und wenn es keine Kohle gibt, dann vielleicht eine Zigarette oder den Rest vom Cola, das man vor sich stehen hat. Hutverkäufer jonglieren bis zu einem Meter hohe Stapel davon auf ihren Köpfen und manche Bauchläden sind so überladen, daß deren Träger wie menschgewordene Bananen durch die Gassen ziehen.
Zusätzlich zum schon gewohnten Fußvolk habe ich jetzt auch noch die Schuhputzergilde Santa Martas am Hals, seit ich meine von satanischem Ungeziefer befallenen Turnschuhe gekübelt und gegen brandneue, in Salento erworbene Lederböcke getauscht habe. Drei,- viermal am Tag werde ich von den gleichen Putzern gefragt, ob ich sie nicht doch endlich putzen lassen will, obwohl die Treter wie gesagt noch absolut makellos sind.
Fernab der Altstadt und der kurzen Küstenpromenade, die im Süden von einer neuen Marina und im Norden von Kokaindealern und einem Industriehafen begrenzt wird, spielt es sich ganz schön ab in Santa Marta. Zäher Verkehr und Lärm, drückende Hitze. Erledigte in Plastiksäcken statt herkömmlicher Kleidung. Etwas angenehmer ist es in den zwei schattigen Parks der Stadt. Brechtänzer üben die Beugung physikalischer und anatomischer Gesetze im erhöhten Pavillon,
Musikanten spielen für niemand bestimmten auf. Für Abkühlung sorgt der Wind am Meer und gelegentlich ein Eis oder ein Bier.
Bevor wir morgen auf die Insel San Andres fliegen, wollen auch noch die kulinarischen Annehmlichkeiten der Großstadt genützt werden, namentlich Käsebrote mit Mais aus der Dose in der
klimatisierten Bude. Im Supermarkt gab´s auch Schweinehufe und Rum im Einlitertetrapak, das ist aber mehr etwas für die Einheimischen.

Sonntag, 17. Februar 2019

17.2., Palomino, Camarones, Santa Marta

Früh am Morgen nehmen wir den Bus nach Camarones, in Palomino hält uns nichts. Natürlich fährt der Mongo an den Garnelen, so der höchst eigenartige Name des Dorfes ins Deutsche übersetzt, vorbei und man lässt uns schließlich ein paar hundert Meter später inmitten von vertrockneten Dornen aussteigen, die durch die Sohlen unserer Sandalen stechen, als wären sie aus Tofu. Wir sind
noch dabei, uns die abgebrochenen Stacheln aus unseren blutigen Füßen zu zupfen, knattern uns schon Michael und sein Vater auf ihren Mopeds entgegen. Die zwei wurden uns von Alfonso empfohlen, sprechen kein Wort Englisch und sollen uns zu den Flamingos bringen, für die die Gegend hier bekannt ist. Durch eine seltsame Landschaft cruisen wir ewig lange, eine Mischung aus sandiger Wüste mit Kakteen aller Art und verkrüppelten, dürren Bäumchen, die nahtlos übergeht in einen Mangrovensumpf oder Grasland. Jedenfalls folgen wir dem Ufer weitläufiger und jetzt durch die Ebbe größtenteils trockener, flacher Senken. Bis zum eigentlichen Meer kommen wir dabei nie.
Riesige Haufen mit ausgebleichten Austernschalen, Schwärme von Ibissen, gestrandete Einbäume, Menschen mit Ziegen in der Hitze der schier endlosen, schattenlosen und flachen Weite.
Kleine Dörfer oder vereinzelte Höfe am Weg, die primitiven Lehmhütten sind mit Bambusstecken verstärkt. In einem abfließenden Rinnsal versuchen Wayuu, mit geworfenen Netzen kleine Fische zu fangen.
Irgendwann lassen wir die Mopeds stehen und gehen zu Fuß weiter, bis wir endlich die Flamingos rosa in der Ferne schimmern sehen, ein paar hundert Vögel vielleicht. Richtig seltsam sehen die Viecher aus, wenn sie fliegen. Sie wirken dabei viel zu dünn und viel zu lang.
Ena macht einen Buben sehr glücklich, der mit einem Stecken einen Reifen durch das weite Land rollt, er bekommt eine ganze Packung Zuckerl von ihr. Gerne hätte ich sein Gesicht gesehen, wenn er sich das erste davon in den Mund schiebt, die Geschmacksrichtung Hollunderblüte hatte er sicher noch nicht. Aber er macht sich umgehend aus dem Staub und das im wahrsten Sinne des Wortes. Später setzen wir vier uns noch zum Meer, trinken etwas und unterhalten uns, so gut es halt geht. Der Ältere erzählt uns zum Beispiel, wie wir das seifenförmige Insektenschutzmittel, das wir uns gestern gekauft haben, anzuwenden haben. Einfach die Haut vorher nass machen, den Stein darüber ziehen, fertig. Auch er hat so ein Stück zuhause und es funktioniert prächtig. Mindestens zehnmal erzählt er uns das, ich übertreibe nicht, als wäre eine Schallplatte hängengeblieben. Vielleicht vertreiben sich die Menschen hier so ihre Zeit, wahnsinnig viel dürfte hier ja nicht passieren, oder der Hammer leidet schlicht an Altersschwachsinn. Sein Sohn nickt jedenfalls unverzagt vor sich hin und das tun wir auch, bis uns die zwei wieder zurück zur Hauptstraße bringen. Auf den Bus warten wir diesmal nicht.
Die erste Etappe legen wir auf der Ladefläche eines Pickup zurück, die dauerprovisorisch mit Sitzbänken bestückt ist. Im Zuge einer Polizeikontrolle klopft ein Bulle auf der Pseudosuche nach Drogen oder Sonstigem so lange gegen die Karosserie des Wagens, bis ihm der Fahrer endlich entnervt sein Schmiergeld zusteckt, sich der Asoziale in den Schatten am Straßenrand zurück schleicht und die Fahrt weitergehen kann. Den zweiten Teil der Strecke bedient ein anderes
Collectivo, ein schwer zusammengerittener Daihatsu, den wir uns mit einem Alten auf Krücken und einem mit Elektrokleinwaren behängten fliegenden Händler teilen.
In Palomino verabschieden wir uns noch von Alfonso, schultern unser Zeug und fahren gleich die zwei Stunden weiter nach Santa Marta, hier hält uns nichts mehr.
Dort fassen wir um kein Geld ein Zimmer mit Klimaanlage aus und nur widerwillig lasse ich mich zu einer ersten abendlichen Erkundung der Stadt überreden. Mehrere kleine Fußgängerzonen mit Livemusik und Taschenspielern, am Meer ein Mann mit einem Teleskop, durch das man die Krateroberfläche des vollen Mondes bestaunen kann, renovierte, weiß getünchte Kirchen mit übergroßen Holzportalen auf leeren Plätzen, ein herausgeputzter Park mit einem Reiterstandbild Simon Bolivars, der hier einst das Zeitliche gesegnet hat, und vieles mehr. Doch dazu ein andermal, jetzt lasse ich mich ausgiebig klimatisieren.
16.2., Palomino

Ab 7.30 treibt uns schon nachbarliche Mehrfachbeschallung aus dem Schlaf. Wer da etwas davon haben soll, bleibt mir ein Rätsel, man könnte sich ja wenigstens abwechseln. Zum Trost serviert uns Alfonsos Frau das fluffigste jemals verkostete Omelett, bevor wir ein paar Stunden am Idiotenstrand herumkugeln. Illegal breiten wir unser Tuch am Areal eines verwaisten Resorts auf, reiner Selbstschutz. Für Verpflegung ist jedenfalls gesorgt. Bierverkäufer im Minutentakt und geröstete Cashews von fliegenden Wayuu-Händlern. In Palomino ist es insgesamt nicht so prickelnd, falls ich es noch nicht erwähnt habe. Beim venezolanischen Wirten später singt eine Frau und imitiert nicht vorhandene Bläserbegleitung, indem sie sich die Nase zuhält und instrumentenlos vor
sich hin trompetet, das ist wenigstens lustig.
15.2., von Minca nach Palomino

An jeder Kreuzung Santa Martas bemühen sich mindestens fünf Leute darum, den Wartenden auf welche Art und Weise auch immer ein paar Pesos abzunehmen. Auch unseren Bus entert ein Entertainer -ich weise hiermit für alle Schnarchnasen auf das großartige Wortspiel hin- und verfasst im Stegreifsprechgesang passende Reime für jeden Fahrgast, wofür er auch angemessen entlohnt wird. Die übliche Vorgehensweise beim Anschnorren funktioniert in Kolumbien übrigens mit Hilfe von Zuckerln oder Lollies. Die hält einem der Schnorrer hin und möchte dafür etwas Kleingeld. 
Je höher wir nach Norden fahren, desto mehr Soldaten und Wayuu sieht man. Die ersteren haben in der Nähe eine Basis, die anderen leben schon seit Jahrhunderten autonom in kleinen Bergdörfern ringsum. Sie sind immer in weißes Leinen gewandet und tauschen hier oft Fische gegen von ihnen angebautes Obst und Gemüse, wie uns Alfonso erzählen wird. Er ist unser sympathischer Quartiergeber für die nächsten zwei Tage, sieht aus wie John Malkovich und spricht leidlich englisch. Palomino selbst ist ein Saukaff mit viertausend Einwohnern. Bis auf die Hauptstraße ist nichts asphaltiert und entsprechend staubig präsentiert es sich. Kaputte Autos und Unrat in den absurd unebenen Gassen. Einen der schönsten Strände Kolumbiens soll es hier allerdings geben und deswegen sind wir auch da. Ein einziger Weg führt zur Küste, da folgt ein Restaurant, Tourveranstalter oder Schmuckverkäufer dem nächsten und Berge von stinkenden Müllsäcken türmen sich. Normalerweise würde laut Alfonso die Müllabfuhr zweimal die Woche kommen, aber momentan gäbe es Probleme mit der Deponie, was auch immer das heißen soll. Eher grauslich also, aber so richtig enttäuschend ist der hoch gepriesene Strand. Der zieht sich nämlich fad und schnurgerade über ein paar Kilometer. Haufen von riesigen Reifen fungieren als Wellenbrecher, der Sand ist teilweise schwarz und das Ärgste: Das Hinterland ist über die gesamte Länge mit Stacheldraht eingezäunt und somit vollständig vom Sandstreifen des Strandes getrennt. Das bedeutet, dass es kein Fleckchen Schatten und keinen einzigen verfügbaren Baum für die Hängematten gibt, ein schlechter Scherz. Noch dazu sind alle paar Meter rote Flaggen auf Dauer montiert. Die sollten eigentlich nur im Anlassfall vor gefährlichen Brandungsrückströmungen warnen und sind als Dauerinstallation  so aussagekräftig wie rosa Luftballons. Der Gast kann sich also zwischen Hautkrebs und Ertrinkungstod entscheiden am vielleicht schönsten Strand Kolumbiens in Palmino, was für ein skandalöser Bullshit.
Oben an der Hauptstraße wummert ohrenbetäubende Musik aus den Bars und Billardsalons und die Einheimischen hacken sich pünktlich zum Beginn des Wochenendes um.

Samstag, 16. Februar 2019

14.2., Minca

Das Kratzen nimmt kein Ende. Unsere Haxen schauen aus, als hätte man mit Schrotflinten auf uns geschossen, und wir schmieren uns in Ermangelung anständiger Medizin schon mit Sojabohnenöl und ähnlichem Unsinn ein. Immer neue Bisse und Stiche tauchen wie aus dem Nichts auf, unter der langen Hose, innerhalb der Schuhe, dunkle Mächte. Das Insektenschutzmittel ist weitgehend wirkungslos und der Feind unsichtbar.
Auch dreister Diebstahl trübt das Glück. Bei der Abholung der Panier von der Wäscherei fehlt eine von Enas Hosen. Selbstredend ist das so nicht hinzunehmen, wo ihre bescheidene Reisegarderobe ohnehin nur ein Minimum an modischen Entfaltungsmöglichkeiten und anlassbezogener Adjustierung gewährleisten kann. Ena stellt die Bude kurzerhand auf den Kopf, das ist jetzt nicht mehr lustig. Alle Anwesenden müssen auch die privaten Räumlichkeiten während der Durchsuchung
verlassen, als wäre die Geheimpolizei bei der Arbeit. Kalmierende Worte meinerseits bringen auch mich ins Schussfeld des bösen Blickes. Stefsechef in Gefahr!
Die Waschfrau gibt sich baff und ahnungslos, möchte uns sogar das bezahlte Geld zurückgeben, denn die Hose bleibt verschwunden. Ohnmächtige Wut, rotierende Zeiger im Stimmungsbarometer. Ich habe hier ja leicht reden. Würde aber meine einzige mitgeführte lange Hose abhanden kommen, ich würde nicht zögern und die kleptomanische Putze umgehend in ihrer prähistorischen Waschmaschine ersäufen.
Louis, der Redneck aus Florida, stößt zu uns, das vierte mal in der vierten Stadt. Er war die letzten Tage ganz oben unterwegs, am nördlichsten Zipfel Lateinamerikas. Eine einfache Bundesstraße, die durch das dünn besiedelte Gebiet führt, genügt dort vollauf, um das überschaubare Verkehrsaufkommen zu bewältigen. Umso erstaunter war Louis, als diese plötzlich für zwei, drei Kilometer in eine Autobahn mit jeweils zwei Richtungsfahrbahnen ohne bauliche Trennung in deren Mitte übergegangen ist. Ein Örtlicher hat ihn später diesbezüglich aufgeklärt. Bei Bedarf wird dieser Abschnitt nachts von der Polizei gesperrt um per Flugzeug Drogen abzutransportieren. Irgendwie muß das Zeug ja außer Landes geschafft werden. Seit dem damals von den USA und der kolumbianischen Regierung gestarteten War on Drugs hat sich allein die Anbaufläche für Koka versiebenfacht. Außerdem hat Louis von einem der vielen aus ihrem Land geflüchteten Venezoelanern als Souvenir für daheim ein dickes Bündel wertlos gewordene Bolivares erstanden. An vielen Plätzen würden sie außerdem fässerweise Rohöl verkaufen, das einzig greifbar
Wertvolle von daheim.
Wir hatschen aus dem Kaff. An einer Wand hängt ein Käfer so groß wie ein Spatz und zwei Meter tiefer hockt eine Spinne, die ist nicht viel kleiner. Pferde und Esel flanieren scheinbar herrenlos weiter außerhalb durch die Gegend. Unser Interesse heute gilt heute aber mehr dem Kakao, ringsum bieten ein paar Farmen Führungen an. Ich fasse zusammen: Geernteter Kakao muß zuerst fermentiert werden, dann stinkt er. Wird er aber anschließend getrocknet und geröstet, riecht das besser. Reiner Kakao schmeckt stark und gut, aber bitter, weswegen meistens noch Zucker und Milch zugesetzt werden, dann hat man Schokolade. Am meisten davon weltweit naschen mittlerweile deutsche Frauen, was deren Männer bewiesen humorlos macht.

Mittwoch, 13. Februar 2019

13.2., Minca

Neben nächtlichen Klogängen, sich verstärkender Fehlsichtigkeit und Erlangung ungeahnter Weisheit ist ein weiteres untrügliches Zeichen für das Älterwerden die Teilnahme an Vogelbeobachtungstouren. Wir stellen uns sogar den Wecker auf 5.30 und noch vor Sonnenaufgang marschieren Ena und ich gemeinsam mit zwölf anderen Möchtegernornithologen mit unserem Guide mit klingendem Namen Jungle Joe los. Ausgerüstet mit Ferngläsern und durch die Bank schwer zerstochen sehen wir im Ortsbild mindestens genauso seltsam aus wie die zwei Indigenen, die uns gewandet in einem seltsamen weißen Indianeraufzug und dazu eierschalenartigen, weißen Kopfbedeckungen ähnlich der albanischen Kapuq i bardh entgegenkommen. Sechsundachtzig dieser autonomen Stämme gibt es in Kolumbien, alle mit ihrer eigenen Sprache und eigener Kultur.
Nun aber zu den Aves, dem Laien auch als Vögel bekannt. Im Laufe von Jahrmillionen haben deren Vertreter eine geniale Technik entwickelt, Feinde abzuschrecken,
sie haben sich zu der langweiligsten Spezies überhaupt entwickelt. Potentielle Aggressoren verfallen bei ihrem Anblick in lähmende Fadesse und Agonie und verlieren jede Motivation, sie zu behelligen. Sollte dieser Mechanismus nicht greifen, kann der Vogel immer noch wegfliegen. Außer es handelt sich um ein Huhn oder einen Pinguin, doch die Vertiefung in die Kompensationsstrategien dieser faszinierenden Flugprimaten würde jetzt zu weit führen.
Jungle Joe späht angestrengt ins Geäst, trägt einen Laserpointer und einen Lautsprecher mit allerlei abrufbarem Gezwitscher und Gepfeife mit sich herum und zeigt sich freudig erregt, wenn seine Täuschung aufgeht. Entdeckt er einen seiner gefiederten Freunde in weiter Ferne, treibt er die Gruppe sogleich energisch an, eben dorthin zu laufen, was nur bedingt funktioniert. Wir haben echt alte Säcke unter uns und das Gelände ist ungeeignet für Rollatoren. Oh my God!, schreit er dann und rennt davon, als ob er einen Meteoriten oder ein Ufo erblickt hätte, und wir und unsere geriatrischen Freunde geben unser Bestes, ihm nachzukommen. In alle Himmelsrichtungen schwärmen wir aus, Joe verteilt dazwischen Geldscheine an ausgesuchte Bewohner des Umlandes, auf dass sie ihn
auch beim nächsten mal telefonisch verständigen, sollte sich interessantes Federvieh bei ihnen blicken lassen.
Das System funktioniert. Eine alte Frau gibt per Fernmelder den Anflug von zwei großen, gelbblauen Papageien bekannt. Die hocken gegenüber von ihrem Haus nur ein paar Meter weiter oben im Geäst und schälen Rinde von den Zweigen. Ist kein geeigneter Baum greifbar, machen sie gerne Kabel, Antennen und Fassaden kaputt. Außerdem sehen wir Tukane mit leuchtend gelben Schnäbeln, ein Specht mit rotem Schädel klopft sich die Birne weich und andere Vögel bauen eifrig an von Ästen nach unten hängenden, schlauchförmigen Nestern. Die Weibchen organisieren hierzu das Baumaterial und die Männchen sind mit dem Nestbau beauftragt. Missfällt den Weibchen etwas an der Bauweise oder haben sie ihre Tage, rasten sie mitunter aus und zerstören in blinder Raserei das gesamte Nest.
Auch Geier und Greifvögel jeglicher Couleur ziehen ihre Bahnen. Neben erwähnten, sogar der ahnungslosen Allgemeinheit hinlänglich bekannten Vögeln konnte ich noch den äußerst seltenen hodenlosen Hüfthorcher, den doppelschwänzigen Bienengurgler, den schiefstehenden Wurmwobbler und sogar den krummkralligen Wolkengrundler ausmachen, weil ich früher bei den Pfadfindern war
und mein Auge von da her entsprechend geschult ist.
Dann gehen wir schnell heim. Auch scharfe Saucen können schlecht werden, wenn sie beim Wirten zu lange in der Sonne stehen. Spätestens, wenn es beim Aufmachen der Flasche zischt und die Pampe am Teller Blasen wirft, sollte man sie nicht mehr essen, möchte man den Tag unabhängig von sanitären Einrichtungen verbringen.
12.2., Minca

Der Wasserfall am Ende eines einstündigen Marsches entlang einer staubigen Piste ist ja ganz nett und das Bad im kalten Pool auch angenehm erfrischend, aber für den Weg retour bestehe ich trotzdem auf eines der wartenden Motorradtaxis. Tatsächlich sind wir schon nach fünf Minuten wieder zurück im Dorf, aber der Ärger der Gefährtin über die Fahrweise der Zweiradchauffeure klingt erst im Laufe der nächsten Stunden ab. Kindische Überholmanöver, Auffrischung der Langhaarfrisur bei rasanter Fahrt über Stock und Stein, Malträtierung des Pfirsichpopos am schlecht gefederten Sozius. Und ich bin schuld daran, ich Unmensch. Da hilft nur
ein Stanitzel mit süßen Churros und später eine versöhnliche Mojitorallye durch Minca, mehr passiert heute nicht. Das gemäßigte Klima kommt unserem Nichtstun entgegen, die Heerscharen an beißenden und stechenden Viechern weniger.
11.2., von Cartagena nach Minca

Vier Stunden mit dem Bus nach Norden. Erwähnenswert ist eine über viele Kilometer von Menschenhand aufgeschüttete Fahrbahn über eine ausgedehnte Bucht hinweg, eine maritime Abkürzung quasi. Und die ärmlichen, verdreckten Siedlungen. Die fallen mir auch immer ein, wenn das Wort karibisch fällt, nicht die palmengesäumten weißen Strände.
Die letzte halbe Stunde nehmen wir von der Küstenstadt Santa Marta ein Taxi den Berg hoch, das bringt uns ins auf sechshundert Meter gelegene Bergdorf Minca. Eine Hauptstraße, von der zweigen noch vier oder fünf Gassen ab, die schon nach wenigen Metern nicht mehr asphaltiert sind. Ein Zimmer finden wir gegenüber der Kirche, eigentlich einer kleinen Kapelle. Das Bild eines zweijährigen Buben prangt auf jeder Hauswand, er ist seit Oktober abgängig. Im Park ein Schild: Deine Familie und dein Dorf vermissen dich.
Minca ist schwer von Touristen überlaufen, aber warum? Im Dorf selbst gibt es außer inflationär vielen Restaurants und Herbergen gar nichts zu sehen. Einer gemalten Landkarte nach gibt es im Umland noch einen Wasserfall und ein Schwimmloch und Ena möchte eine der Kakaofarmen besuchen. Klingt nach ein paar erholsamen Tagen, wunderbar.
Stiegen führen hinter der Kapelle einen steilen Hang hoch. Über die gelangen wir zu einer Aussichtsplattform, wo wir auf einer Schaukelbank über das Tal unter uns und weiter dahinter Santa Marta schauen, während die Sonne untergeht und wir den schlechtesten jemals gemixten Mojito trinken. Ein Berliner erzählt, er wäre in Cartagena nachts von Bullen ausgeraubt worden. Nach einer ergebnislosen Leibes- und Geldbörsenvisitation hätten sie gemeint, er solle
schleunigst 100.000 Pesos locker machen, wolle er Ungemach vermeiden, was der auch eingeschüchtert und staunend ob der Dreistigkeit der Polizisten gemacht hat. Bei solchen Gesetzeshütern braucht man gar keine Verbrecher mehr.

Dienstag, 12. Februar 2019

10.2., von der Isla Grande nach Cartagena

Gar nicht so einfach, von dieser Insel wieder wegzukommen. Die Chefin des Hauses will einfach nicht wahrhaben, dass wir sie nicht verstehen, und textet uns auf die getanzte Frage nach einer Transportmöglichkeit zurück zum Festland minutenlang zu. Ihr Sohn wird uns später auf ein Schnellboot quetschen, aber vorher suchen wir uns noch ein Stück Strand. Entlang von Stacheldrahtzäunen, vorbei an raumgreifenden Resorts suchen wir nach einer Lücke im System und latschen dabei unabsichtlich auf ein fremdes Grundstück. Die Frau darauf nutzt gleich die Gelegenheit und preist Fische aus einer Styroporbox an, ehe sie uns den Weg zum Meer
weist, und schon eine halbe Stunde später serviert mir ihr Mann mein Mittagessen direkt an den versteckten Strand, den man nur kletternd erreichen kann. Dazu ein kaltes Bier, schön.
Die Heimfahrt später gestaltet sich abenteuerlich bis skandalös. Das Boot ist heillos überladen, weil die Insulaner und die Bootsführer miteinander packeln und noch zusätzlich zu den offiziellen Fahrgästen blinde Passagiere an Bord bringen. Mit Vollstoff fetzen wir in Richtung Cartagena, das Hauptgepäck auf unseren Knien, zuerst über das offene Meer, dann durch ein enges, von Mangroven überwachsenes  Kanalsystem, weil der ursprüngliche Weg zurück wegen niedrigem Wasserstand ausscheidet.
Hier liegen ausrangierte Schiffe entlang der Ufer und warten auf ihre Demontage, die am Land unmittelbar dahinter stattfindet. In diesen engen Wasserwegen starten die Schnellboote im Höllentempo untereinander ein Rennen. Einen unbeteiligten Typen hauts wegen der Heckwellen vom Kanu und auch unser Boot gerät heftig ins Schlingern, wenn es ins Fahrwasser eines Rivalen gerät. Dann geht unseren Deppen der Sprit aus und sie schnorren sich einen Kanister von Kollegen, der natürlich erst umgefüllt werden muss, ehe es weitergehen kann. Mit Vollstoff natürlich, bis die Motoraufhängung eingeht. Mittlerweile wieder auf offener, rauer See, in Sichtweite schon die Containerverladekräne des Hafens, schaukeln wir antriebslos herum. Das Kielwasser der vorbeirasenden Schnellboote schwappt über die Reling, bis das Problem kurzfristig behoben ist. Dann dreht der Behindi sein Gerät wieder in den roten Bereich, der Bug hebt sich weit aus dem Wasser, bis wir nach zwei, drei Minuten wieder herumtreiben, weil er sein Drecksgefährt einfach nicht dauerhaft reparieren kann. Nach ewigen Zeiten erreichen wir endlich durchnässt Cartagena und gewinnen mit nassem Hintern Abstand zu diesen Vollkoffern.
Abends vor der Kirche steigt die Party. Eine Gruppe von Vortänzern am erhöhten Portal gibt zu verstärkter Musik Tanzschritte vor, die von gut hundert Leuten am Platz unterhalb begeistert
nachgetanzt werden. Ein Touri macht sich auch zum Deppen. Wie ein Roboter hampelt er zwischen den geschmeidigen Einheimischen herum, die den karibischen Rhythmus einfach instinktiv drauf haben, von den Kleinkindern bis zu den fitten Senioren, egal ob dick oder dünn, kurz oder lang. Rundum stehen noch ein paar hundert Leute und schauen sich das an, dazu Fressbuden, Sandler mit Einkaufswagen, andere Straßenkünstler, Bullen, Passanten, eine landestypische sonntägliche Zerstreuung.
9.2., Isla Grande

Im Schwimmanzug quer durch die Insel zu Diego. Den paar Einheimischen, denen wir begegnen, bin ich wohl nicht ganz geheuer. Mit uns werden noch vier Kolumbianer im winzigen Boot am Weg zum ersten Korallenriff waschelnass, die Gischt der Wellen ist wie eine lauwarme Dusche, die man nicht abdrehen kann. Die Holde kämpft beim Abstieg noch etwas mit ihren süßen, aber beim Druckausgleich so sturen Ohren, dass man gleich weiß, an wem sie hängen, dann schweben wir entspannt durch die Gegend.
Ganz nett ist´s hier unten, aber auch nicht sonderlich spektakulär. Ein paar Langusten konnten sich noch vor den Fischern in engen Nischen verstecken. Die tauchen bis zu fünfundzwanzig Meter in die Tiefe, natürlich ohne Ausrüstung, sammeln die Tierchen ein und verkaufen ihren Fang anschließend aus Kübeln heraus am Strand.
Am Weg zurück klappern wir ordentlich mit den Zähnen. Zuerst knappe zwei Stunden im Wasser, dann noch der Fahrtwind und die permanente Gischt. In der Hütte waschen wir uns das Salzwasser mit unserer rustikalen Bucket Shower runter, dann gehen wir ins Dorf etwas essen.
Hört man das Wort "Etwas", könnte man den falschen Eindruck unlimitierter Auswahlmöglichkeiten gewinnen, es sind derlei inselweit aber nur drei. Die Grundbeilagen Reis mit Kokosnussraspeln,
frittierte Kochbananen und eine eher symbolische Portion Salat können mit Fisch, Huhn oder noch mehr von den schon erwähnten Beilagen kombiniert werden.
Das staubige und sehr ärmliche Dorf befindet sich im Samstagsmodus. Übersteuerte Musik aus jedem dritten Haus, Bier trinkende Männer. Eine Teig knetende Mama delegiert ihre Arbeit kurzerhand an eine ihrer Töchter und bekocht uns im Rahmen ihrer Möglichkeiten ausgezeichnet. Die bettelnden Hunde verjagt sie ausdauernd, ihr eingezäuntes Grundstück hat nur freie Stellen dort, wo Gartentürchen hin müssten, und das Abwasser kippt sie auf eine benachbarte Grünfläche. Keine
Kanalisation, nur stundenweise Strom vom Generator und kein Fließwasser auch hier.
Die selbstgemachte scharfe Sauce am Tisch kann auch was. Dann umfängt uns bleierne Müdigkeit und wir machen Siesta, nachdem wir uns noch in brütender Hitze heim geschleppt haben, die Gelsen hocken auf dem Moskitonetz und warten auf ihre Gelegenheit. Diese fliegenden Arschlöcher ohne jeden weiteren Anspruch oder gesellschaftlichen Wert, was für ein Dasein.
8.2., von Cartagena auf die Isla Grande

Das gewohnte Chaos am Hafen. Kleine Schnellboote stehen sich gegenseitig im Weg, keiner weiß, wo er hin muß. Wir transpirieren hemmungslos und freuen uns über eine lumpige Stunde Verspätung, das läuft noch unter pünktlich.
 Ein holpriger Ritt mit kollektivem Aufheulen, wenn das Boot über einen Wellenkamm fetzt und
hart am Wasser aufschlägt, endet nach einer weiteren Stunde am Holzsteg des Playa Libre, dem größten Strand der Isla Grande. Wir stapfen am Hauptpfad los auf Quartiersuche. Ein Mitarbeiter oder Mitglied der Familie einer neu eröffneten Unterkunft ist sich selbst noch nicht ganz sicher, als ich ihn nach dem Weg ebendorthin frage. Los Cocos? Hmm, Los Cocos. Ahh, Los Cocos! Jaja, das sei ja hier, das ist ja seine Hütte, richtig! Etwas mißtrauisch checken wir in ein Holzhäuschen im Inselinneren ein, bis zum Meer sind es trotzdem nur hundert Meter, aber später finde ich ein Schild, wo der Name der Unterkunft zum Beweis schön draufgepinselt ist. Der Giebel des Häuschens ist offen, weswegen es etwas durchziehen kann, aber dafür lauern Gelsen überall.
In der Hängematte am Strand werden wir heute nicht alt, es zieht ein Sturm auf und es windet gewaltig. Also lieber die Insel erforschen. Die misst zirka zwei mal drei Kilometer. Die meisten Pfade, Asphalt gibt es sowieso keinen, verlaufen zentral. Stinkende Mangrovensümpfe dominieren die Küste und nur selten tut sich zwischen ihnen und schroffen Felsen ein kleiner Sandstrand auf. Einheimische deuten auf zwei große Leguane auf Bäumen, Männer mit Brennholz oder
Scheibtruhen voll mit Kokosnüssen kommen uns im Wald entgegen. Ganz selten stehen Wohnhäuser außerhalb des Dorfes, das wir uns für morgen aufheben, dafür umso mehr Ruinen oder sinnlose, teilweise schon wieder überwachsene Betonfundamente. Ein Mann ist dabei, eines dieser Fundamente mit einer Eisenstange aufzubrechen. Ein wahnwitziges, beinahe aussichtsloses Unterfangen bei dieser Hitze. Ein Kind klettert auf einen Baum, schlägt mit einem Holzscheit ein gut
gesichertes Vogelnest auf und zerstört das Gelege. Eine seltsame Insel irgendwie, mit einer eigenartigen Atmosphäre. 
Bei Diego buchen wir für morgen zwei Tauchgänge, der hat seine kleine Bude am Gelände eines Resorts. Zur Verständigung mit uns verwendet er ein Audio-Übersetzungsprogramm auf seinem Handy, das so einigermaßen funktioniert. Und wenn nicht, ist die Übersetzung so schwachsinnig, daß sie zumindest noch Unterhaltungswert hat. 
Spät am Abend gehen wir mit Connor, einem texanischen Radioproduzenten, zur sogenannten verwunschenen Lagune und schwimmen in fluoreszierendem Plankton. Ena ziert sich noch, verweist auf morgige Gelegenheiten und schaut sich das Spektakel vorerst in sicherer Entfernung von einer schwimmenden Plattform aus an.
Wie Zeitreisende im Weltall schaufeln wir unendlich viele leuchtende Punkte von uns weg, sind vollumfänglich eingehüllt von diesen sphärischen Lichtwesen. Muss man gesehen haben, sensationell.
Während wir schon bei Kerzenschein am Balkon sitzen, sieht Connor am Weg heim zu seiner Unterkunft ein krabbenartiges Viech in einem Loch verschwinden, das sich bei näherem Hinsehen als ausgewachsene Vogelspinne herausstellt. Schilderungen zufolge ist er das letzte Stück gelaufen, er lebt sonst auch in der Stadt.

Donnerstag, 7. Februar 2019

7.2., Cartagena

Die Erkenntnis des Tages: Es gibt keine einzige kolumbianische Bank, die Euros wechselt. Also weiterhin regelmäßig zum Geldautomaten pendeln, um flüssig zu bleiben. Zum Beispiel für das Castillo de San Filipe de Barajas, dem größten jemals von Spanien auf kolonialem Boden erbaute Fort. In den Mauern dieses monströsen Bauwerkes sind Abertonnen von Korallenstöcken verbaut, die man auch heute noch gut erkennen kann, und die gesamte Festung ist untertunnelt. Manche
der klaustrophobischen Stollen führen zu tief gelegenen Wasservorräten, andere ins Umfeld, um anmarschierende Feinde gegebenenfalls bequem von unten wegsprengen zu können.
Die Aussicht von der mehrstöckigen Bastion auf die Stadt ist famos und die Anlage an und für sich beeindruckend. Das Highlight unseres Besuches aber ist zumindest für mich ein sensationell bescheuerter Propagandafilm, in dem die damals vergeblichen Versuche der Engländer, die Verteidigungsanlagen zu überwinden und Cartagena einzunehmen, filmisch verarbeitet wurden. Die Kolumbianer sind darin die furchtlosen Heroes in Unterzahl, während die Engländer als die ärgsten Sautrotteln  mit hohen und weinerlichen Stimmen diffamiert werden, denen ordentlich eingeschenkt wird.
Der Anführer der gefeierten Verteidiger war damals übrigens ein Einäugiger, dem schon vor der beschriebenen Schlacht aufgrund anderer Einsätze für Volk und Vaterland ein Arm und ein Bein gefehlt haben. Als ihm im Zuge der diesmaligen Kampfhandlungen auch noch der zweite Haxen abhanden kam, ging er kurz darauf verständlicherweise ein, er hatte tatsächlich alles gegeben.
Und so vergeht der Tag. Zum Mercado Bazurto schaffen wir es heute leider nicht mehr, dort gibt es angeblich nichts, was es nicht gibt. Sogar Flußschildkröten werden in den Fress- Ständen verkocht. Dafür verkauft der Supermarkt bei uns große und frische Aloe Vera-Blätter, auch nicht schlecht.
Abends setzen wir uns beim Lieblingswirten an die Straße und schlürfen Mojitos, während wir aus dem Schauen nicht herauskommen. Die "normalen" Passanten würden ja schon reichen, die Aufgebrezelten und Schönheitsoperierten, die Obsthändler mit ihren Handkarren, die Zigarrenverkäufer, Bettler, Polizisten, Hunde, Menschen mit Suppentöpfen auf Fahrrädern, Musikanten und so weiter, aber das ist bei weitem nicht alles. Ein Typ mit Afro und Glitzerkostüm tanzt, bis die Sohle raucht, während die Taxis geduldig warten, ein paar Minuten später kommen ein paar Brechtänzer vorbei und hoffen ebenfalls, dem Publikum mit ihren halsbrecherischen Einlagen
ein paar Pesos herausleiern zu können. Auch ein Michael Jackson-Imitator tanzt den Thriller grandios und ist noch dazu gefällig kostümiert. Das Kleingeld im Sack will gut eingeteilt sein.
Sobald das Eis im Drink zu sehr geschmolzen ist und der Mojito Gefahr läuft, wässrig zu werden, ist der Wirt schon mit der Flasche Rum zur Stelle, um ein bißchen davon nachzuleeren. Hier ist es schön, sehr schön. Trotzdem werden wir morgen ins Boot steigen und zumindest das Wochenende auf der Isla Grande verbringen, wo es selten Strom und wohl kein internetz gibt.
6.2., Cartagena

Das Kronjuwel der karibischen Küste, eine Kolonialstadt von ausgesuchter Schönheit. So spricht zumindest das Werbeprospekt. Eine knappe Million Menschen lebt hier und ein guter Teil davon in der Altstadt, die von dreizehn Kilometern bis zu fünfzehn Meter dicker Stadtmauer umgeben ist. Dem historischen Teil wurde der Titel eines Unesco Weltkulturerbes zuteil, durch den schleppen wir uns heute in brutaler Hitze und schweißtreibender Luftfeuchtigkeit. 1533 wurde Cartagena
gegründet, hier waren die von den Conquistadores den Eingeborenen gefladerten Schätze gelagert, bevor sie nach Spanien gebracht wurden. Deswegen auch die Mauern und wuchtigen Forts rund um die Stadt, Cartagena war immer wieder Ziel von Angriffen und Belagerungen von Piraten. Unter ihnen auch der englische Freibeuter Sir Francis Drake, der einmal mit einem Lösegeld von zehn Millionen Pesos besänftigt werden musste, einer damals horrenden Summe. Heutzutage
spuckt freilich jeder bessere Bankomat auf Begehr eine Mille aus, was den Beheber aber noch lange nicht zum Piraten macht.
Damit wir hier auch ja nichts versäumen, schließen wir uns am Nachmittag noch einer geführten Stadttour an. Der Guide, ein älterer Herr mit sehr dicker Brille, psalmiert bemüht aber totlangweilig endlose Abfolgen von Jahreszahlen, während wir folgende Stationen besichtigen: Den Palacio de la
Inquisicion
, wo die Spanier auch auf dem Territorium ihrer Kolonie rigoros gegen Magie, Hexerei und Blasphemie vorgingen. Frauen, die unter fünfzig Kilo wogen, waren damals schon verdächtig, da ihnen das Fliegen nicht sonderlich schwerfallen konnte. Die Dicken hatten also ein gewichtiges Argument, es ging ums Überleben. Wenigstens wurden die Eingeborenen von derlei Unsinn verschont, in dieser Gegend nannten sie sich übrigens Calamari.
Am Plaza de los Coches wurden dereinst Afrikaner zum Bau der Mauer am Sklavenmarkt gehandelt und vor dem Haupteingang zur Stadt fanden die Hinrichtungen statt.
Die Frauen, die in bunter Tracht und mit Obstkörben auf dem Kopf für entgeltliche Fotos posieren, stammen aus einem Dorf ein Stückchen weiter nördlich, wo sich vor ein paar hundert Jahren geflohene Sklaven niedergelassen haben. Deren Nachfahren beweinen noch immer Geburten und feiern Todesfälle, ein religiöses Überbleibsel der damaligen Einschätzung der Lage.
5.2., von der Wüste nach Bogota und weiter nach Cartagena

Mit einem gestern noch bestellten Tuk Tuk knattern wir frühmorgens aus der Wüste, nehmen im nächsten Kaff einen gerammelt vollen Kleinbus, der nicht losfährt, ehe der letzte Nothocker belegt ist, nach Neiva, wo wir noch einiges erledigen müssen, bevor der nächste Bus nach Bogota abfährt. Für den anschließenden Flug nach Cartagena online einchecken und die Tickets ausdrucken, ein Quartier buchen, weil wir erst um Mitternacht ankommen werden, eine Rindssuppe frühstücken, dreimal sechsundachtzig Euro Cash abheben, solche Sachen.
An Bord des fürwahr luxuriösen Überlandbusses werden wir und die anderen Passagiere noch vom Fahrer mit einer Handkamera gefilmt, ehe wir starten. Keine Ahnung, was das schon wieder soll, aber wurscht. Einen Film schaue ich mir in meiner Fadesse auf spanisch an, bevor wir am Nachmittag Bogota erreichen, wo so viel Verkehr herrscht, dass sogar die Mopedfahrer Probleme haben, weiterzukommen. Das Industrieviertel am Rand der Stadt ist noch so, wie man es sich vorstellt, der Rest Bogotas wirkt auf den ersten Blick aber ganz manierlich. Viel Grafitti zwar, aber meistens bemüht und schön anzusehen im Vergleich zu den überwiegend wertlosen Schmierereien, die Wien verschandeln. Wenig Müll und gestutzte Grünanlagen, nicht schlecht.
Erst bei näherem Hinsehen entdecke ich die Favelas auf den Hängen und traurige Verschläge entlang eines Kanals. Menschen hausen auch im niedrigen Bereich unter einer Brücke, da wo sie an ihrem
Ende noch über einen Hang reicht, um letztendlich wieder an die Fahrbahn anzuschließen. Ich rede von einer Raumhöhe von vielleicht einem Meter, sich auf null reduzierend, unter dem Verkehr der Stadt.
Diesmal schrammen wir den Moloch nur, geben uns ein Sandwich im Subway am Busbahnhof und gehen später noch zum Mäci am Flughafen. Wir lechzen nach Tagen voller Reis und Bohnen nach Fastfood aller Art.
Um Mitternacht checken wir endlich an der karibischen Küste ein. Weite Wege muß man in Kolumbien zurücklegen, wenn man die Gegend wechseln möchte. Die südliche Hälfte des Landes werden wir sowieso komplett auslassen.

Dienstag, 5. Februar 2019

4.2., Tatacoa

Noch vor Sonnenaufgang verlassen wir unser Zimmer, tatsächlich nicht viel mehr als vier Betonwände und ein Blechdach darüber, und gehen in die Wüste. Weit haben wir es nicht, wir sind eh schon mittendrin, umgeben von Bergen in alle Richtungen. Kakteen aller Art und Größe, sandiges oder felsiges Territorium, seltsame Formen, entstanden durch Wind und Wetter. Aber wohin sollen wir eigentlich genau? Plan von der Gegend haben wir keinen, verständigen mit den Einheimischen können wir uns nicht. Nur eine Schotterstraße mit unbekanntem Ziel führt an unserer Unterkunft vorbei. Dort labern wir in der Hoffnung nach erhellenden Informationen den erstbesten Passanten an, der sich zu früher Stunde blicken lässt.
Stellt sich heraus, dass das Augustina ist, eine argentinische Reisende, die für ein paar Tage gegen Kost und Logis als Mitarbeiterin einer Jugendherberge in Neiva tätig ist. Ab und zu muss sie bei dort gebuchten Touren in die Wüste als Übersetzerin herhalten und ist heute schon ein paar Stunden
früher gekommen, um in aller Ruhe den Sonnenaufgang genießen zu können. Tatsächlich ist sie also die einzige der englischen Sprache mächtige Person, die sich hier so einigermaßen auskennt, weswegen wir uns sogleich unverschämt an ihre Fersen heften.
Augustina reist mit erschreckend kleinem Budget, schläft ungeachtet der Skorpione und Schlangen schon auch einmal im Freien und ist seit Monaten hauptsächlich per Anhalter unterwegs. Bei Ebbe im Börserl bäckt sie Kekse und verkauft sie auf der Straße, um wieder zu Geld zu kommen. Jetzt geht sie mit uns zu einem ihrer Aussichtspunkte, sie liebt die Wüste und das zu Recht. Bunte Vögel suchen den Schatten unter knorrigen, schirmartigen Bäumchen, Geier und kleinere Greifer, Falken oder Bussarde vielleicht, halten Ausschau nach Hasen, die sich im dornigen Gestrüpp vor ihnen verstecken. Die Kakteen tragen rosa Blüten und kleine Früchte, die aussehen wie violette Chilis und schmecken wie die Drachenfrucht. Aus den Kakteen wird auch Wüstenalk gebraut und essen kann man sie auch, wenn man entsprechend Ahnung hat. Wenn nicht, beginnt man vielleicht zu halluzinieren, hält sich selbst für einen Kaktus und verharrt womöglich seltsam verrenkt unter der sengenden Sonne, bis man dringend aufs Klo muss oder von einem Hitzschlag erlöst wird. Bis zu fünfzig Grad kann es hier heiß werden, deswegen.
Früher waren die 370 Quadratkilometer der Tatacoa-Wüste von Wasser bedeckt und neben einem Schildkrötenfriedhof und anderen versteinerten Tierchen wurde das Fossil eines monströsen Armadillos, so groß wie ein Traktor, entdeckt und ist heute im nahen Museum zu bestaunen.
Die Strahlen der Sonne dringen nur vereinzelt durch den bewölkten Himmel, aber es ist trotzdem sehr heiß, obwohl es noch recht früh ist. Ein alter Mann nimmt uns ein paar Kilometer in seinem zerbeulten Jeep mit, er liefert Säcke mit selbst hergestelltem Eis in ein Hotel in der Nähe.
Inmitten von turmartigen Sandskulpturen steht ein paar hundert Meter weiter ein betonierter Swimmingpool, eine der Hauptattraktionen hier. Etwas grauslich allerdings. Wasser ist wenig überraschend rar und man behilft sich mit reichlich Chlor, um die Brühe vor dem Kollaps zu bewahren.
Heute leben in dieser Gegend noch an die fünfunddreißig untereinander zerstrittene Familien, die größtenteils von ihren Ziegen gelebt hatten, bis vor wenigen Jahren der Tourismus bei ihnen Einzug gehalten hat. Augustina erzählt von den Eigenheiten der Hiesigen, während wir an deren Höfen vorbei gehen. Eine Oma vertreibt Wanderer unter Androhung von Waffengewalt von
ihrem Grund und unsere Familie soll sich im Streitfall mit Steinen beschießen. Außerdem gibt sie noch ein paar gehörte Geistergeschichten zum Besten, der übliche Nonsens der einem einfällt, wenn man zu viel Zeit und zu wenig Obst zur Verfügung hat.
Wir frühstücken Eier, Bohnen und Reis, versteinerte Baumstämme liegen am Areal des Wirten verstreut, dann nimmt uns ein Urlauber aus Bogota auf der Ladefläche seines Geländebuggies zurück zu unserem Quartier mit. Kurz vor zwölf flüchten wir nach einem Glas Guavensaft mit Zuckerrohr vor der Hitze in unser Zimmer, wo zumindest die Sonne nicht hinkommt und ein Ventilator wartet. Der gesamte Strom der Gegend wird mittels Solarenergie gewonnen, wobei der Staat
die dazu notwendigen Anlagen bezahlt hat. Dafür möchte er auch ein Stück vom Kuchen. Bald wird hier für alle Wanderwege Eintritt verlangt werden, Zäune entlang der Straße werden gerade gebaut.
Am Nachmittag wandern wir durch einen anderen Teil der Tatacoa, durch die so genannte rote Wüste. In den Laberintos del Cusco, einer verwinkelten Felsenlandschaft, irren auch vier betrunkene Kanadier umher, Darwin lässt grüßen.
Nach dem Sonnenuntergang essen wir bei einem Wirten, der einen mumifizierten Ziegenschädel zur Straße hin hängen hat. Zur Nachspeise wird Karamell mit Ziegenmilch gereicht, die einen wilden Nachgeschmack hinterlässt. Stockfinster isses, als wir die einzige Straße entlang marschieren, wir trinken noch ein Bier mit einem Typen, der regelmäßig daheim in Wien bei meiner Homebase im siebzehnten Hieb vorbei joggt, so klein ist die Welt. Dann duschen wir uns mit stinkendem Wasser und packen, es ist wieder soweit.
3.2., von Salento in die Wüste Tatacoa

Salento schläft noch, als wir frühmorgens zum Busbahnhof latschen. Kühe traben durch die leeren Gassen und ein Rudel verspielter Hunde begleitet uns auf unserem Weg. Die nächste Stadt, in der wir umsteigen müssen, heißt Armenia und schaut auch so aus. Ein Typ mit einem Holzstecken geht vor einer roten Ampel um Autos herum, prüft mittels Schlägen gegen die Reifen den Luftdruck und hält dann für seine fragwürdigen Dienste die Hand auf. Uns verschlägt es auf der Suche nach einem
geeigneten Geldautomaten in einen Randbezirk, wo man unsere Anwesenheit verdattert, aber wohlwollend zur Kenntnis nimmt.
Das mit dem Geld abheben ist so eine Sache. Das übliche Maximum einer Behebung liegt bei umgerechnet 86 Euro und wir reisen mit nur einer Bankkarte. Selbst bei radikalökonomischem
Lebensstil müssen wir uns also unverhältnismäßig oft um neue Geldflüsse bemühen.
Zurück beim Bahnhof wieder zwei Typen mit gezückten Revolvern, die gerade einen Automaten auffüllen, ehe sie einzeln und rücklings ihren gepanzerten Transporter besteigen, da braucht man keinen Fernseher mehr. Dann endlich fährt unser Anschlussbus nach Neiva ab, nur um sich zehn Minuten später am Ende eines Staus einzuparken. Die nächsten Stunden kommen wir nur mit zermürbender Langsamkeit voran. Die Serpentinen die Berge hoch und wieder hinunter sind zu
eng, als dass zwei Sattelschlepper gleichzeitig um die Kurven kämen und deshalb stoppt Straßenpersonal abwechselnd den Gegenverkehr. So viel Schwerverkehr ist auf dieser Strecke unterwegs, es gibt wohl keine Alternative, und die liegengebliebenen Fahrzeuge tun noch das ihrige, um das Chaos perfekt zu machen.
Unser Fahrer befindet sich im Amok-Modus und versucht mit allen Mitteln, die verlorene Zeit wieder aufzuholen, und auch der Umstand, dass ihn ein Fahrgast gemeinsam mit dem Tachometer fotografiert, bringt ihn nur kurz zur Räson. In Neiva steigen wir in einen Pickup um und fahren noch ein Stündchen, bis wir nach Einbruch der Dämmerung in der Nähe eines Observatoriums, mitten im Nirgendwo, aus dem Auto hüpfen und glücklicherweise gleich ein winziges Zimmer in der einzigen Unterkunft in Reichweite bekommen.
Schnell die Rucksäcke einsperren und über die Straße zur kleinen Sternwarte, wo ein Professor täglich um 19.00 einen Vortrag hält, das geht sich auf die Minute aus. Wegen der trockenen und klaren Wetterbedingungen, der Nähe zum Äquator und nicht zuletzt der geringen Lichtverschmutzung bietet sich die Tatacoa-Wüste bestens an, die nördliche und südliche Hemisphäre gleichzeitig zu betrachten. Erstaunlicherweise warten mit uns an die siebzig Interessierte darauf, in die vier Teleskope schauen zu dürfen. Von überall her sind sie mit Tuk Tuks, Motorrädern und Autos herangekarrt worden und nach dem Ende der Veranstaltung zerstreuen sie sich rasch in alle Winde. Wir sehen irgendwelche Nebel und Himmelskörper, der Professor leuchtet mit einem starken Handlaser in den fulminanten Sternenhimmel, bestimmt Konstellationen und referiert über das Weltall an und für sich, während die Zuhörer am Boden liegen und nach oben blicken, und wenn wir nur ein bisschen von den in spanisch gehaltenen Erläuterungen verstanden hätten, wäre der
ganze Vortrag sicher noch lohnender gewesen.
Die Familie unserer Unterkunft spricht dafür kein Wort Englisch. Sie bietet zwar Verpflegung an, hat aber keine Speisekarte, und nach längerem hin und her schiebt man uns einen Teller mit Huhn und Reis hin und ein paar Biere dazu, wunderbar.
2.2., Salento

Umgeben von uralten Espressomaschinen, die aussehen wie mit Ventilen und Druckanzeigen ausgestattete Kompressoren, frühstücken wir das Übliche. Schwarzen Kaffee, Eier, gebratene Bananen, Reis und geschmacksneutrale Scheiben aus unbekanntem Material. Die Kolumbianer sind Meister solcher wertlosen Beilagen, wogegen sich zum Beispiel Tofu als exotische Geschmacksbombe ausnimmt.
Mit Abraham, einem kurzfristig angeworbenen Einheimischen, gehen wir nach erfolgter Stärkung zur nächstgelegenen Kaffeeplantage, wo er zur Erntezeit arbeitet, und lassen uns anschildern, wie man hier biologisch landwirtschaftet. Bananensträucher und Avocadobäume sorgen für Schatten und speichern Wasser, gedüngt wird mit Abfällen aus den Küchen umliegender Hotels und Hühnerkacke. Einmal im Jahr kommt ein staatlicher Wunderwuzzi und bestimmt mit einem Zaubergerät
das Alter der Sträuche, nach fünfundzwanzig Jahren muß eine Pflanze, obwohl in der Blüte ihrer Jahre, ersetzt werden, um den hohen Qualitätsansprüchen der Abnehmer gerecht zu werden. Trotzdem muß rund ein Drittel der Jahresernte als nahezu wertlos abgeschrieben werden. Aus diesen stark wasserhältigen Bohnen wird Löskaffee gemacht und deren Bezeichnung dient kolumbianischen Frauen als Schimpfwort für ihre nichtsnutzigen Männer.
Nach einer Verkostung der guten Ware in der Privatküche des vierundachtzigjährigen Besitzers Don Emilio hüpfen wir auf einen Jeep und fahren zurück nach Salento. Am Hauptplatz, auf dem neu aufgestellte Stände Obst, gebratene Forellen und Souvenirs verkaufen, tanzen Pärchen und Horden von Einheimischen flanieren herum und genießen das Wochenende. Ena bekommt ihre tägliche Ration Erdbeeren mit Creme, dann geht´s wieder ab in den großartigen Billardsaloon, wo Schnucki als einzige Frau unter gut vierzig Campesinos auch beim Karambol glänzt. Mit Louis und seiner Spanischlehrerin essen wir noch Forellen, ehe wir daheim zusammenpacken. Morgen fahren wir vom Hochland in die Wüste.
Auch nachts kommt Salento nicht zur Ruhe. Cowboys und -girls reiten unter unserem Fenster vorbei und aus Autos wummert Reggaeton.

Samstag, 2. Februar 2019

31.1., 1.2., Salento

Über gestern gibt´s nichts Spektakuläres zu berichten, wir haben uns einen Tag Auszeit vom Urlaub genehmigt. Das bedeutet aber nicht, daß wir uns kurzfristig als Kokabauern oder Kaffeepflücker verdingt hätten, sondern vielmehr, daß wir rein gar nichts gemacht haben, wofür wir ja gar nicht hätten wegfahren müssen, gell?
Heute sind wir freilich wieder voll im Geschäft und verrenken uns die Hälse im Valle de Cocora, um die höchsten Wachspalmen der Welt zu bestaunen. Ein offener Jeep setzt uns ein paar Kilometer außerhalb von Salento ab - ich korrigiere hiermit den Namen der vormals fälschlich als Solento bezeichneten Stadt, nachdem mich wütende Leserproteste nicht ausgelasteter, notorischer Nörgler erreicht haben - und gleich zu Beginn der Wanderung machen wir Halt bei einer Forellenzucht. Plastikeulen zur Abschreckung unbekannter Fressfeinde hocken über den betonierten Becken, auf den Bäumen ringsum warten Geier auf Abfälle oder die Möglichkeit zur Gratisentnahme von einem der tausenden Fische. Dann marschieren wir ein paar Stunden durch das stetig ansteigende Gelände, immer wieder einen Fluß mithilfe wackeliger Hängebrücken oder zusammengebundener Holzstämme querend, bis wir ein kleines Hummingbird Sanctuary erreichen. Dort brummen zahlreiche Kolibris durchs Geäst und tun sich unbeeindruckt an bereitgestelltem Zuckerwasser gütlich, während sie von uns fotografiert werden. Im Eintrittspreis von knapp zwei Euro ist ein Häferl Kaukau enthalten, der seltsamerweise mit einem Stück in ihm schwimmenden Käse serviert wird. Als kleinen Snack zwischendurch gönnen wir uns noch gebackene Kolibris, bevor wir weiterziehen. Schön dekoriert mit bunten Federn sind die Teller ja, aber richtig viel dran ist nicht an so einem kleinen Vogel.
Am Nachmittag, nach einem Marsch durch Grasland und dichten Nebelwald, erreichen wir endlich das Tal mit den Wachspalmen, fünfzig Meter hoch und bis vor wenigen Jahren noch beinhart gefällt, um das Wachs von ihrer Rinde zu ernten, aus dem wiederum Kerzen gemacht wurden, ehe das touristische Potential dieser etwas lächerlich wirkenden Bäume erkannt wurde. Louis, der wieder mit von der Partie ist, lässt seine Drohne steigen und macht coole Videos, ehe er das Ding wegen der Möglichkeit der Gefährdung oder Verärgerung etwaig vorbeifliegender Kondore wieder verstauen muss, wir haben den Aufpasser nicht wirklich verstanden. Leider lässt sich keiner dieser riesigen Vögel blicken, viele gibt´s auch nicht mehr. Zurück in Salento spielen wir am Abend ein paar Runden Tejo im gut besuchten Sportkeller mit sieben Bahnen. Mit einem muffinförmigen Eisengewicht schießt man dabei auf eine rund zehn Meter entfernte, schräge Lehmwand, in deren mittigem Eisenring sich kleine mit Schwarzpulver gefüllte Briefchen befinden. Die zu vergebende
Punkteanzahl ergibt sich durch eine Kombination aus gewerteter Treffsicherheit und womöglich erfolgten Explosionen, die mitunter recht heftig ausfallen können. Dann schreckt man sich und beißende Nebelschwaden ziehen durch den Keller. Und ja, das mit den Kolibris essen war ein Scherz.