Montag, 31. Januar 2022

 30.1., Foz do Iguazu

Zombie-Apokalypse oder vielleicht verschärfter Lockdown, mir erzählt ja hier niemand etwas. Vormittags um Zehn stehe ich an den Kreuzungen der Stadt, schaue in alle Himmelsrichtungen und sehe keine Menschenseele. Niemanden! Hier wohnen 300.000 Einwohner. Den Bus versäume ich knapp, also gehe ich wieder heim, bis der nächste in eineinhalb Stunden kommt.  

Beim zweitgrößten Staukraftwerk der Welt hocke ich dann alleine im Doppeldeckerbus. Ein ganzer Bus, ein Fahrer und ein Typ am Mikrofon nur für mich. Bei den einzelnen Stationen meint er, ich solle mich einfach umsehen, so lange es mir Spaß macht. Das Kraftwerk ist monströs und überwältigend. Der Baupartner Paraguay deckt damit drei Viertel des nationalen Strombedarfs, Brasilien immerhin fünfzehn Prozent. Die Staumauer, die Turbinen, die Überlaufrutschen sind gigantisch. Ruinen von Eisfabriken unterhalb der Mauer, damit damals der Beton beim Aushärten nicht zu warm wurde, damit sich keine Blasen bilden konnten. 40 000 Hackler fünfzehn Jahre lang im Einsatz, für hundertfünfzig von ihnen war es die letzte Baustelle.  Sogar die Fischrinnen des Stausees sind überdimensional, die werden auch als Austragungsort für Kajakmeisterschaften und dergleichen verwendet. 

Beim Besucherzentrum gibt´s ein "Totem", da könne man mit einem der Arbeiter in Verbindung treten und mehr über die damaligen Bedingungen erfahren. Ich hocke mich vor den Kasten und am Monitor erscheint ein Typ zur Befragung, aber in Echtzeit, nicht aufgezeichnet. Oh, nix verstehen. Hasta pronto! 

Zusammenfassend jedenfalls spektakulär. Nur den Capybaras, den größten Nagetieren der Welt mit bis zu achtzig Kilo Körpergewicht, ist das alles egal. Die lungern unterhalb der gezähmten Kubikkilometer Wasser herum und nagen sich ungerührt durch den Tag.

Samstag, 29. Januar 2022

 29.1., Foz do Iguazu

A thrilling Tour durch den Urwald, eine Bootsfahrt auf dem Iguassu-Fluss und umwerfende(!) Duschen unter versteckten Wasserfällen versprach das Flugblatt, da konnte ich nicht widerstehen. Außer mir nehmen noch dreizehn andere Adrenalinjunkies teil, sogar ein israelischer Tourist hat seinen Weg hierher gefunden. Nach ausgedehnten Vorbereitungshandlungen aller Beteiligten gehen wir zehn Minuten durch den Wald, sehen zwei kleinere Löcher von irgendwelchen Nagern im Boden und jeder bekommt ein Blatt zu essen. It´s like beef, meint einer der Guides, aber zumindest vom Geschmack her erinnert das Blatt eher an ein Blatt. Dann legen wir Schwimmwesten an und paddeln den sehr breiten, sehr ruhigen Fluss nicht mehr als fünfhundert Meter stromabwärts, um von dort erneut rund zehn Minuten durch den Wald zu gehen. Und schon sind wir schon am Ziel angekommen, einem sanften, schmalen Zufluss, in dem sich auf drei Stufen mit jeweils rund eineinhalb Metern Höhenunterschied ein paar hüfthohe Pools gebildet haben. Da legen wir uns hinein und wer will, wandert während des halbstündigen Aufenthaltes etwas nach oben. Anschließend begeben wir uns auf gleichem Wege zurück zum Ausgangspunkt und die unvergessliche Tour ist beendet. Der Höhepunkt der Veranstaltung ist ein zufälliger. Ein junger Mann erleidet im letzten Waldstück, es geht leicht bergauf, einen Schwächeanfall und liegt weiß wie die Wand im roten Gatsch des Weges. Das ist lustig, sorry. Seine Freundin wachelt ihm Luft zu und ein Mitarbeiter schüttet ihm Wasser über den Kopf, dann geht´s wieder. Allen hat das wilde Abenteuer sehr gut gefallen.

Eigentlich bliebe noch Zeit für den nahen Vogelpark, aber der wurde vor zwei Monaten seiner Hauptattraktion beraubt. 172 von 176 anwesenden Flamingos starben, als damals Mama Jaguar ihrem Kind zeigte, wie man Beute erlegt. Aktiv gekillt wurden nur zwei Exemplare, ergab die anschließende Autopsie, der Rest erlag dem Stress.  „Capture Myopathie“ nennt die Fachfrau diesen Zustand, bei dem  Herzversagen, gestörte Durchblutung und Leberversagen zum Tod durch Angst führen. Ein kleiner Exkurs: Flamingos reproduzieren sich nur, wenn deren Schwarm groß genug ist. Um den Insassen des Vogelparks diesen Zustand zu suggerieren, wurden großflächig Spiegel montiert. Als die zwei Jaguare das Areal unbefugt betraten und mit der Jagd begannen, wurden sie durch die Spiegel ebenfalls vervielfacht und der Herzkasperl hatte angesichts der vermeintlichen Blutorgie leichtes Spiel.

Nichts zu machen in Foz do Iguazu. Die zwei Buchhandlungen, die ich mir in Erwartung weiterer, ewig langer Busfahrten rausgesucht habe, entpuppen sich als Läden mit rein evangelikalem Textgut. Leere Kilometer. Die Stadt befindet sich heute überhaupt im Koma und schon bald folge ich ihrem Vorbild. Brasilianische Zahnstocher sind übrigens einseitig mit Minzextrakt versetzt, sollte sich jemand gefragt haben. 


Freitag, 28. Januar 2022

 28.1., Ciudad del Este

Über die Puente de la Amistad, die Brücke der Freundschaft, ist Foz do Iguazu mit der Stadt Ciudad del Este in Paraguay verbunden, die schaue ich mir heute an. Natürlich staut es sich an der Grenze gewaltig. Die Fahrer in ihren alten, oft sehr lässigen Trucks schlürfen entspannt ihren blubbernden Mate und geben keinen Zentimeter nach. Ich selbst nehme an einer besseren Heizdeckenfahrt zu den billigen Einkaufszentren direkt hinter der Grenze teil, die auf Wunsch mit einer Stadtbesichtigung kombiniert werden kann. Tatsächlich wäre das einzige, das ich gerade gut gebrauchen könnte, eine Heizdecke. Die Klimaanlage läuft schon wieder auf Anschlag. Wie ein seltenes Tier werde ich auf einem Parkplatz an einen anderen Fahrer übergeben, este amigo só fala inglês, haha, der andere gibt sich erstaunt und fast bestürzt. Mit El Silbo, der spanischen Pfeifsprache, hätte er wohl mehr anfangen können. 

Ciudad del Este, immerhin die zweitgrößte Stadt Paraguays mit rund 300.000 Bewohnern, wurde erst 1957 gegründet, mit Ausgrabungen ist nicht zu rechnen. Zu sehen gibt es neben vielen armen Menschen zum Beispiel das Estadio Antonio Aranda, wobei die österreichische Baupolizei dieses fünfzigjährige Stadion wohl nicht einmal für ein Geisterspiel freigeben würde. Des weiteren die einzige Moschee des Landes, weil hier viele Moslems aus dem Libanon leben, und die Saltos del Monday, schon wieder grandiose Wasserfälle etwas außerhalb. Ein Freiluft- Gottesdienst wird gerade vor dieser herrlichen Kulisse abgehalten, da kann die Moschee nicht mithalten. Diese Wertung bezieht sich nicht auf die angebeteten Götter, ich möchte keine Fatwa riskieren. Am Parkplatz steht derweilen das Auto mit laufendem Motor, so wie den restlichen Tag hindurch. 

Zu einer Weinverkostung wird ebenfalls geladen. Schon am gekonnten Gurgeln des Rebensaftes erkennen die andern Amateure mein Fachwissen. Die Expertise im Detail: Textur und Farbe sind in der Ordnung, artgerechter Anbau, transatlantische Hanglage. Für weitere Erkenntnisse reicht das ausgegebene Schlückchen nicht. Dazu wird Aufschnitt gereicht, wahrscheinlich Ozelot- oder Nasenbärenwurst, im Abgang etwas nussig und zartbitter.

Abends erhöhe ich beim Eckwirten auf ein Prato Executivo, bestehend aus Reis, schwarzem Bohnengatsch, gekochten Erdäpfeln, zwei Eiern, einem Stück Schwein und roten Rüben, dazu ein großes Bier. Das Litergebinde wird im Plastikkühlgehäuse serviert, ich kann mir in Ruhe die erste Halbzeit vom Kick Kolumbien gegen Peru dazu anschauen. Ziemlich peinlich, was die verhinderten Laienschauspieler da abziehen, vom inbrünstigen Mitheulen der Hymnen bis zum empörten Sterben des Heldentodes beim kleinsten Scheiß. Das beeindruckt wohl den Schiri und das Publikum, aber mit Nahaufnahme und Zeitlupe ist das Getue einfach nur lächerlich. Wo, außer vielleicht beim Wrestling, wird mehr reingefetzt als beim Fußball. 


Donnerstag, 27. Januar 2022

 27.1., Foz do Iguazu

Dreimal mehr Wasserdurchlauf als die Niagarafälle haben die Cataratas do Iguacu, dafür sind sie im Vergleich zu ihrem nordamerikanischen Pendant kostenpflichtig. Meinetwegen, aber dass man den Eintritt nur mittels Kreditkarte löhnen kann, ist frech. Seids wo angrennt, ihr Plastikidioten? Nur Bares ist Wahres! Das Besucherzentrum ist ausgerichtet für eine mittlere Völkerwanderung. Man kann gefakte Fotos mit sich und den Fällen machen lassen, Hubschrauber anmieten und Bootstouren buchen, aber Barzahlung überfordert das System. Ein Mitarbeiter brennt die Gebühr letztlich mit seiner Karte und ich ihn in Cash mit unverschämtem Analogaufschlag, dann bekomme ich endlich mein Ticket. Das macht sogleich ein Typ mit seiner Desinfektionsflasche unkenntlich, weil er den billigen Zettel förmlich mit dem Mittel tränkt, was für ein Zirkus. 

Die Wasserfälle sind überwältigend. Es sind eigentlich an die dreihundert auf einer Länge von knapp drei Kilometern und einige sind über achtzig Meter hoch. Ein Pfad führt über die gesamte Strecke und in der Gruppe meiner Busladung ist ein Typ, der sich sicher hundertmal mit dem Wasser fotografieren lässt, immer auf Rapper mit beidhändig drei ausgestreckten Fingern, wie wenn Strache drei Bier bestellt. Obwohl dieser Vergleich jetzt hinkt, wo sich doch HC, im höchstpersönlichen Endkampf mittellos geworden, gar keine drei Biere mehr leisten kann. Auch sein Mini-me im Geiste, Herbert Lord Helmchen Kickl scheidet als Vergleich aus. Als Entwurmter könnte er sich zwar bedenkenlos ein Glas Stutenmilch verabreichen, aber der Zutritt zur Gastro bleibt ihm verwehrt. Er hätte auch gar keine Freunde, die ihm bei den drei Bieren helfen könnten, und in Anbetracht seiner schmächtigen Statur würde diese Menge an nach deutschem Reinheitsgebot Gezapftem wohl seinen Führerqualitäten abträglich sein. Jetzt bin ich etwas abgeschweift. 

Das Hauptwasserfallsystem, der Teufelsschlund, ergießt sich jedenfalls in eine u-förmige, 150 Meter breite und 700 Meter lange Schlucht. Dorthin führt ein Steg und die starke Gischtbildung ist herrlich. Binnen Minuten bin ich waschelnass, es muss schon wieder über vierzig Grad in der Sonne haben. Am Weg zurück wandert noch eine Familie von Nasenbären im Gänsemarsch über den Weg, entzückend.


 26.1., Foz do Iguazu

Vom Busbahnhof latsche ich gesteinigt zuerst drei, vier Kilometer ins Zentrum der Stadt und dann noch ein Stückchen weiter bis zum Rio Parana, weil die Gegend dort zumindest auf der Karte einen grüneren Eindruck macht, bin ich plötzlich völlig unbeabsichtigt am Ende Brasiliens angekommen. Kein Witz, der Fluss bildet die Grenze zu Paraguay im Westen und ein paar Kilometer weiter südlich beginnt schon Argentinien! Ich bin eigentlich nur wegen der gleichnamigen Wasserfälle hier, aber bitte. Schon wieder im Dreiländereck. Hundert Meter vor der Staatsgrenze checke ich ins erstbeste Hostel, das mir unterkommt, ein. Ob es hier zu späterer Stunde eh sicher sei, frage ich die Rezeptionistin, ja ja, völlig ungefährlich. Ob ich auch die paar Meter runter zum Fluss gehen könne und von dort rüber nach Paraguay schauen? Auf keinen Fall. Schmuggler, Trafficers, würden dort all sorts of crimes begehen. Na schön, wenn sich das Verbrechen so genau abgrenzen lässt, bleibe ich halt oberhalb der Böschung. 

Meine Unterkunft ist ein Glücksgriff, obwohl ich den kleinen Pool im Innenhof vorsorglich boykottieren werde. Laut einer Studie, die irgendwie den Weg zu mir gefunden hat, kommen nämlich mehr als vierzig Prozent der Brasilienreisenden mit einer Hautkrankheit nach Hause, woran die Brühe in diesem Becken sicher ihren kleinen Anteil hat. Aber sonst- vom Feinsten. Klima, Fenster im ersten Stock auf die ruhige Gasse raus, Obst und kalte Getränke. Ich buche gleich für fünf Nächte und schaue mir meine neue Ecke an. Die Demarkationslinie zwischen Gut und Böse ist einfach auszumachen. Ab da, wo der Asphalt in Kopfsteinpflaster übergeht, wird´s scheinbar entrisch. Bis zur ersten größeren Straße ist es so leise, daß man die Elektrozäune der Grundstücke knistern hören kann. Ganz gediegen eigentlich, sieht man von den Schmierereien ab, die Bolsonaro Genozid vorwerfen, was seinen Umgang mit den Ureinwohnern angeht. Das einzige, womit Foz do Iguazu heute noch überraschen kann, ist seine internationale Küche. Im Restaurant Tirol könnte ich mir ein Gorgonzolaschnitzel gönnen, die österreichische Spezialität schlechthin, aber ich hau mich lieber aufs Ohr. 


Mittwoch, 26. Januar 2022

 25.1., am Weg nach Foz do Iguacu 

Brasilien ist ein weites Land. Die ersten sieben Stunden von der Ostküste zurück nach Sao Paulo sind schon lähmend, inmitten einer monströsen Blechkolonne stauen wir uns im Schritttempo rein in den Moloch, aber die anschließende achtzehnstündige Fahrt mit dem Nachtbus nach Foz do Iguazu, die ich nach drei Stunden Warterei am Busterminal antrete, kann man getrost auslassen. Ja, ich hätte fliegen können, wenn sich die Homepage des nationalen Anbieters übersetzen hätte lassen und ich im Besitz einer brasilianischen Identifikationsnummer wäre. Egal, ich fühle mich ohnehin etwas unpässlich. Für viel mehr, als im Bus herumzukugeln und darauf zu warten, dass die Zeit vergeht, fehlt mir heute der Pep. Stundenlang habe ich gestern noch recherchiert, ob es nicht doch einen lohnenden Zwischenstopp irgendwo entlang der tausend Kilometer Wegstrecke gibt, aber nein. Nur Gegend, Grasland, Äcker sehe ich, während mein umgänglicher Sitznachbar unentwegt eine noch nie gehörte Kreolsprache, einen Mix aus Spanisch und Englisch in seine zwei Telefone spricht, da helfen die Vorhänge zwischen den einzelnen Sitzen wenig. Die Nacht wird lange. Im Sitzen schlafen zu können ist mir nicht gegeben. Den Netzeintrag von 2016, man möge besagten Nachtbus aufgrund vermehrter Überfälle im großen Stil meiden, werde ich glücklicherweise erst morgen lesen.


 24.1., Paraty

Auto stoppen in Brasilien funktioniert nicht. Entweder haben die hier ein anderes Zeichen dafür als den rausgestreckten Daumen, oder sie wollen einfach nicht. Vielleicht würde eine Rasur helfen und die frische Wäsche muss auch erst noch trocknen. Eine Stunde schleppe ich mich von der Peripherie ins historische Stadtzentrum Paratys, dereinst im 16. Jahrhundert von den Portugiesen gegründet, um von hier gefladertes Gold ins Heimatland zu verschiffen. Mit diesem Move erspare ich mir übrigens den ewiglangen Trip in den Norden nach Salvador und Recife, ebenfalls gehypte Kolonialstädtchen mit Architektur des 16. und 17. Jahrhunderts. Na gut, Salvador ist darüber hinaus noch Wiege des Capoeira, einer Mischung aus Tanz und Kampfsport und somit unserem Linkswalzer oder dem Pogo vergleichbar, aber davon kann sich der Gast von heute ja auch nichts kaufen.

Bis 1954 war Paraty nur vom Meer aus zu erreichen und vom höher gelegenen Forte Defensor Perpetuo, das ich mir auch noch pflichtschuldigst antue, verteidigt. Von dort sieht man hunderte kleine Inseln am Horizont. Man möge sich in Acht nehmen, verkündet ein großes Schild im Fort, es gäbe hier einen high Index of Accidents with Oysters. Ich habe keine Ahnung, was das bedeuten könnte. Jedenfalls gibt es in Paraty die schlechtesten Straßen, die man sich nur vorstellen kann mit ihren irgendwie eingegrabenen, unförmigen Steinen, so dass man am besten stehen bleibt, möchte man sich genauer umsehen, sonst ist der Haxen schnell gebrochen. In dieser Hochburg des  Tourismus mit unzähligen Boutiquen und Restaurants in der Altstadt finde ich endlich einem Geldwechsler mit skandalösem Kurs, der am Tag drei Stunden geöffnet hat. Keine Bank, nicht einmal die staatliche Banca do Brasil, wollte meine Euros wechseln, weswegen der Typ heute mit mir das Geschäft seines Lebens macht. Die Hitze der Stadt ist im Sommer brutal. Mit dem Mototaxi heim und ab unter die Klimaanlage. 


Sonntag, 23. Januar 2022

 23.1., Paraty

Ich esse meine letzte Mango und verlasse diese kleine, idyllische Waldwelt, deren Protagonisten die Tage hauptsächlich damit verbringen, Gitarre zu spielen, zu singen und zu malen und sich von Bananen aus dem eigenen Garten zu ernähren. Leute wie ich bringen das nötige Kleingeld vorbei, ohne dass man viel Aufwand hätte, es gibt schlechtere Lebenskonzepte.  

Heute nehme ich die große Fähre zurück aufs Festland. Im Bauch des alten Schiffes ist es angenehm schattig und luftig und mit drei Juros ist man dabei. Zwei Stunden später warte ich schon unter einem Verschlag darauf, dass mich eine Familie in den richtigen Bus setzt. Der starke Mief nach getrocknetem Fisch ist heftig in der Mittagshitze. Dafür, dass sich Oma, Mama und Tochter um mich kümmern, helfe ich ihnen mit ihren sauschweren Koffern, deren Gewicht ich auf insgesamt hundertfünfzig Kilo schätze. Ohne Schmäh, mir fehlen die Worte. Schön ist die Fahrt entlang der Küste. Männer auf Pferden, Strände, Inseln, Menschen aller Hautfarben. Der Fahrtwind macht die Temperaturen erträglicher, alle Fenster sind offen. Und wie nett die Leute miteinander umgehen, auch mit mir. Irritiert ist man schon einmal, weil ich eine stammelnde Erscheinung bin, aber nie unfreundlich. 

Eines der über siebenhundert Terras Indigenas passieren wir noch, ein Schutzgebiet der Ureinwohner Brasiliens, dann hüpfe ich in Paraty raus. Eigentlich hat alles ganz gut geklappt, aber sechs Stunden für insgesamt hundertzwanzig Kilometer sind trotzdem nicht ohne. Beim Quartier angekommen, teilt mir eine Matrone mit, meine Buchung wäre storniert worden. Falscher Preis ausgeschildert, bla bla. Heute nicht. Keine Diskussion. Schlüssel her. Es geht leichter als erwartet und kaltes Bier gibt´s auch noch. Wäsche waschen, lesen, den Luxus einer Klimaanlage und nicht vorhandener Gelsen genießen.


Samstag, 22. Januar 2022

 22.1., Ilha Grande

Anders als in Jordanien findet der Besucher der hiesigen Unterwasserwelt keine versenkten Panzer oder Flugzeuge vor, dafür aber handgroße Seepferdchen, Schildkröten, Fische, die unter Wasser ihre Schwimmhäute wie Vögel mit blauem Gefieder ausbreiten, oder Garnelen in der Gestalt riesiger Weberknechte. Die zwei Tauchgänge heute führen in unheimliche Tiefen von bis zu sechs Metern, dauern ewig, weil die Tanks einfach nicht leer werden, und sind herrlich unaufgeregt. 

Es wird Zeit, morgen setze ich mich ab. Von einer für gewöhnlich gut informierten Quelle wurde mir übrigens ein interessantes Detail zur Historie Ilha Grandes zugetragen. Sie diente nicht nur als Quarantäneinsel für einwandernde Europäer, als Lepralazarett und Gefängnisinsel, auf ihr entstand auch die brasilianische Mafia. Wer etwas über das Comando Vermelho, über abgeschossene Polizeihubschrauber in Rio und ähnlichen Irrsinn lesen möchte, sei hiermit an das große Netzlexikon verwiesen. 

 21.1., Ilha Grande

Die heutige, tagesfüllende Mission lautet: Caipirinhas am Gefängnisstrand trinken, zusammengeschüttelt mit Stil von der zahnlosen Alten im makellosen Shaker. Während ich so schlürfe, schaue ich mir die brasilianischen Wochenendgesellschaften an, Profis am Werk. Eine Partie hat sich doch tatsächlich ihr eigenes Fünfzigliter-Bierfass mitgebracht, mit Zapfanlage und allem. Ein Jüngling einer anderen Familie, zwölf oder vierzehn Jahre alt, ist so dicht, dass er lallend und ziellos in der Flussmündung herumstolpert. Seine Mutter oder Oma, auch voll hinüber oder schon wahnsinnig geworden ob der Bürde der Mutterschaft, zerrt ihn schreiend im Dreck herum, bis der abgefüllte Knabe schließlich von ihr und einem anderen wie ein zerschossener Soldat weggeschleppt wird. Hier entsteht also der Stoff für die beliebten Telenovelas, das Material würde für mehrere Folgen reichen. Die Musik dazu kenne ich auch schon, der Strand wird über mehrere strategisch verteilte Ghettoblaster mit den angesagtesten Hits beschallt. 

Als ich zurück zum Dorf komme, ist das Fest zu Ehren des heiligen  Sebastian schon in vollem Gange. Während der Nimbus seines halbheiligen Namensvetters aus Österreich kürzlich arg gelitten hat, erfreut sich der Schutzpatron hier noch größter Beliebtheit. (Glaubt man den Umfragewerten, haha.) Es gibt eine Prozession, eine Bühne und Standln mit Zeug und Fressalien, wobei alles dafür Notwendige mit Handwagerl her gekarrt wurde. Aus unerfindlichen Gründen gibt es trotzdem drei Autos auf der Insel, eine Ambulanz und zwei private Fahrzeuge. Das befahrbare Straßennetz erschöpft sich in höchstens fünfhundert Metern, da wird´s ein Weilchen dauern bis es Zeit fürs 25000 km-Service ist. Die Bullen haben noch zwei etwas sinnvollere Geländemotorräder vor ihrem kleinen Gefängnis, das aussieht wie im Western, geparkt. Anyway. Eingedenk des Martyriums Sebastians esse ich eine Ladung Acarajé, das sind zu einem Teig verarbeitete und in Palmöl frittierte Bohnenlaberl, dann mutiere ich heim über den großen Gleichmacher. In welchem Aggregatszustand man sich zuvor auch immer befunden hat, nach Absolvierung des Waldweges ist man nur mehr verschwitzt, durstig und müde.


Freitag, 21. Januar 2022

 20.1., Ilha Grande

Auf, auf zum Lopes Mendes! Wer ist Lopes Mendes, wird sich der ungebildete Leser fragen, doch ihm (oder ihr, immer!) kann nur bedingt geholfen werden. Es gibt einen brasilianischen Fußballspieler mit diesem Namen, aber ob einer der schönsten Strände Brasiliens wirklich nach ihm benannt ist, war nicht herauszufinden. Jedenfalls liegt dieses Naturwunder an der Südseite der Insel, was eine ausgedehnte, mehrstündige Wanderung notwendig macht. 

Eine enge Schneise schlängelt sich durch den Urwald, mal einen halben, mal zwei Meter breit. Eine entspannte Echse wird sich blicken lassen und ein entgeisterter Nager so groß wie ein Ferkel. Stefsechef rinnt aus, pinkeln ist gestrichen. Regen wäre jetzt schön. In Sachen Luftfeuchtigkeit würde es keinen großen Unterschied mehr machen, aber das Unternehmen wenigstens etwas abkühlen. Bambus, Würgepflanzen, Bäume, die aus dem blanken Fels wachsen. Meine letzten labbrigen  Mannerschnitten esse ich, während der Lärm der Zikaden an- und abschwillt wie das Rauschen des Meeres unter mir. Tiefblau leuchtende Schmetterlinge und ein gigantischer Felsenhaufen, wo allem Anschein nach gelegentlich wesentlich mehr als das jetzige Rinnsal der Ebene entgegen plätschert.

An der Küste angekommen, klettere ich mit Hilfe eines angebrachten Seils einen großen Felsbrocken hinab, ziehe die Schuhe aus und quere eine Furt. Von der einstmaligen Brücke sind nur mehr die Steher übrig. Las Palmas, der erste Strand am Weg, ist schon entzückend. Einen Becher Guaracamp trinke ich beim Wirten, eine Mischung aus Guarana und Avocado. Eine  kleine Kapelle mit vier Sitzbänken schmücken alle zusammengetragenen Reliquien der näheren Umgebung, Bilder, Fliesen und Statuen aus allen Zeiten und Materialien. Viele der Anbetungswürdigen sind dunkelhäutig, nicht nur der heilige dritte König. Alte Hütten aus Lehm und Bambus im Hang unter Palmen. Burschen stehen im Wasser und fischen. 

Schuhe an, zurück in den Wald, wo Blattschneiderameisen ihren Salat heim tragen wie eine Armada aus kleinen Segelbooten. Eine Brücke, total vermorscht und die dünnen Trittbretter nur mehr fragmentarisch erhalten, führt zum  Praya do Mangues, dem nächsten Strand. Man würde nicht tief fallen, zwei Meter in sumpfiges Wasser. Grüne Wiese und ausladende Bäume hinter dem Strand. Eine Spritze liegt im Sand, wahrscheinlich von einem Giftler in  Rio entsorgt und mit der Strömung her gespült. Die ersten zwei englischsprachigen Touristen seit zehn Tagen, noch ein Waldstück, noch ein Strand. 

Schuhe aus, Schuhe an. Nicht so sehr wegen der Schlangen, eher wegen etwaiger Hakenwürmer. Wäre ich ein Wurm, würde ich hier im feuchten Schlamm geduldig auf eine weiche europäische Fußsohle warten, durch die ich mich bohren kann. Dann erreiche ich endlich den Lopes Mendes, sein Sand so weiß wie Mehl und so fein, dass er bei jedem Schritt quietscht. Rund um mich jagen große, weißbraune Vögel im Meer, fliegen wie Pfeile mit vollem Karacho senkrecht ins Wasser. Um Sechs nehme ich das letzte Boot zurück ins Dorf, so bummvoll , dass der Bootsführer noch zweimal stehen bleiben und die Leute umschlichten muss, ehe wir bei Sonnenuntergang die Halligalli-Zone Ilha Grandes erreichen.


Donnerstag, 20. Januar 2022

 19.1., Ilha Grande

Ein mittelprächtiger Bootsausflug gemeinsam mit einer einheimischen Familie auf einem kleinen Boot. In der Lagoa Azul, der blauen Lagune, liegen schon an die zwanzig andere Gesellschaften vor Anker, da schnorcheln wir ein bisschen und eine der Frauen, versoffen und mit Bierbauch wie ich, gibt mir ein Flascherl aus ihren reichlichen Beständen aus. Stewardess ist sie, fliegt nur mehr Paris - Rio und hat hier und dort jeweils eine Waschmaschine. Das ist ihr wichtig, sie wiederholt es ein paarmal, als ob damit alles gesagt wäre. 

Am nächsten Strand liegt ein kleines Boot mit einem Seil gesichert im Wasser und es scheint, als ob es zuvor über Jahre versenkt gewesen wäre. Schlamm und Algen und Seepockenbewuchs zentimeterdick. Ich trinke picksüssen Acai, in Europa als Superfood gepriesene, ausgepresste  Palmbemmerl aus Amazonien, und esse frittierten Toast mit Analogkäse. Damit ist mein Kalorienbedarf für heute gedeckt. Etwas anderes ist nicht aufzustellen, womit auch die Frauen Brasiliens zu kämpfen haben. Weltweit im Ruf stehend, über die Maßen hübsch zu sein, rassig und anmutig, sind sie größtenteils übergewichtig. Die Mär von der grazilen Brasilianerin gleicht der vom jodelnden Österreicher. Kann schon mal vorkommen, ist aber eher selten. Hauptsächlich kommt Zucker in Form von Reis, Bohnen und Maniok auf den Tisch, an Fett wird auch nicht gespart. 

Zwei Indizien, dass auch ich zu fett bin: Das dicke Plastikseil der Hängematte ist (schon wieder) gerissen und ich habe mir einen Wolf gelaufen.  

Heute kommt Leben in die Dschungelbude. Ein Pärchen, er aus dem Sauerland und er aus Rio, ist angekommen, Rodrigo präsentiert stolz die gezogenen Setzlinge irgendeiner psychoaktiven Pflanze und die Chilenen erzählen, warum sie aus Santiago de Chile wegziehen werden. Meine Schilderung, wonach ich im mitternächtlichen Sao Paulo  Angst gehabt hätte, kostet sie nur ein Lächeln. Der Insulaner Nando und noch einer schneiden indes in aller gebotenen Langsamkeit Bretter für Reparaturarbeiten. Ein kleiner Baum wächst schon aus dem Schilfdach, das den Außenbereich des Hauses mit zwei Hängematten und einem großen Esstisch beschattet. Dazwischen reden und rauchen die zwei Handwerker sehr viel, so wie daheim beim Heinz.


Mittwoch, 19. Januar 2022

 18.1., Ilha Grande

Schlaflos, eh klar. Bin ja nur herumgekugelt gestern. Ab Mitternacht werden die Temperaturen erträglich, ab Drei wird´s angenehm. In mir gluckert es wie im Regenwald. In der Früh weckt mich ein dümmlicher Vogel, der anhaltend gegen sein Spiegelbild auf einer der Fensterscheiben peckt. Erzählungen zufolge macht er das schon länger. Entweder keine Erinnerung oder gar kein brauchbares Hirn, der Arme. Hätte mich nicht der Pecker mit dem Pecker aus meinen Träumen gerissen, hätte es mit Leichtigkeit der Brüllaffe erledigt, der sich ebenfalls ausdauernd und lautstark bemerkbar macht. Also raus aus der Schlafstatt und einen Tee geschlürft. Nando, der Insulaner mit Zahnkette und Wuschelbart, hat sich zwar sicher nicht geduscht, seit ich ihn das erste Mal getroffen habe, reißt mir aber hinterm Haus ein Büschel haarige Blätter ab, die gut für die Verdauung sein sollen. Hoffentlich, bitter genug sind sie.

Unten an den Stränden ist der Sand so brennheiss, dass man es ohne Fußbekleidung nur ein paar Sekunden lang aushalten kann, aber das Meer ist immer da. Beim Schnorcheln kommt mir wie versprochen eine Schildkröte unter. In Brasilien stehen sie schon lange unter Schutz und man sieht sie scheinbar häufig. Der Pfad links vom Dorf führt zu einem Höllenort, direkt an einer malerischen Flussmündung ins Meer. Vielleicht haben die politischen Gefangenen, die hier in kleinen, finsteren Zellen eingesessen sind, das Rauschen der Brandung hören können. Jeweils ein vergittertes Oberlicht verbindet die winzigen Räume nur mit einem schaurigen, ebenerdigen Trakt des Gefängnisses, das durch die massiven Steinquader, mit denen es einst gebaut worden ist, von außen eher wirkt wie die Ruine eines antiken Tempels. Hoffnungslos und feucht muss es gewesen sein. Alles ist feucht auf Ilha Grande, sogar meine Taschentücher riechen schon modrig.

Einen authentischeren Caipi als den, den mir eine Alte am Strand vor dem Häfm mit Zutaten aus ihren zwei Styroporboxen anrührt, werde ich nicht mehr so schnell bekommen. Ringsum ausgelassenes happy life. Musik, Kinder, Hunde, jung, alt, alle miteinander, anders als bei uns. Weiter latsche ich einen Weg ins Hinterland hoch, vorbei an den Überresten eines Aquädukts, das laut Schautafel dereinst aus Stein und Walöl? errichtet wurde, zu einem einsamen Wasserfall. Reingehüpft in einen der mit spitzen, aber rutschigen Felsen gefüllten Pools, den Wind und die Gischt genossen und tiefenerfrischt zurück in die Zivilisation, während es schon dämmert. Ein scheinbar niemals versiegen wollender Ameisenstrom versperrt mir den Weg, flächendeckend über drei, vier Meter Breite ergießt er sich über den Pfad. Es bleibt nichts, als schnell durchzuhüpfen und trotzdem gebissen zu werden. 


Dienstag, 18. Januar 2022

 17.1., Ilha Grande

Stundenlang hat es während der Nacht geschüttet, soll ja vorkommen im Regenwald, richtig frisch wurde es. Große Nachtfalter haben es sich auf dem Moskitonetz bequem gemacht und ein zeckenartiger Käfer musste sicherheitshalber delogiert werden. 

Heute strahlender Sonnenschein. Ein Kolibri frühstückt Nektar und ich eine seltsame Frucht, die von der äußeren Erscheinung her entfernt an eine Birne erinnert. Ist vom Baum gefallen und Natalia hat schon einmal unbeschadet ein Stück davon gekostet, sollte also passen. Schmeckt recht exotisch und etwas nach Parfüm, ist außerdem scharf, wie mit Pfeffer gewürzt. Den Vormittag verbringe ich dann am Klo. 

Rodrigo, ihr Freund, schnitzt und bemalt indes unten gewundene Wurzeln und verwandelt sie in farbenfrohe Schlangen. Eine, schwarzrot gestreift, hätte er letzte Woche hier im Wald gesehen. Die zwei Stadtkinder haben auch nicht viel Ahnung von der hiesigen Pflanzen- und Tierwelt, so viel steht fest. 

Mittags mache ich mich auf zum erstbesten von hundertachtzig Stränden, Notprogramm. Wilde Jackfruits hängen an Bäumen oder verfaulen im Matsch, während ich durch den Wald geistere. Ein kleiner grauer Frosch, eine Libelle, eine Echse. Zikaden machen ordentlich Wirbel. Wasser gurgelt und gluckst in Rinnsalen oder kleinen Bächen. In einem schattigen Übergang zwischen zwei Sandstränden hänge ich die Matte auf und schaue zwischen zwei wagengroßen Felsen hindurch aufs Meer. Erfreulicherweise ist das mitgebrachte Buch wunderbar, mehr geht heute einfach nicht. Von der nächsten Bar dringt der Gesang einer kleinen Band an mein Ohr, mitunter falsch, aber mit Inbrunst vorgetragen. Wenn ich an die Frucht vom Morgen denke, muss ich mich fast anbröckeln, die wird´s wohl gewesen sein. 

Ich hänge hier quasi im Drogenviertel der Insel herum. In der Nische zwischen den Felsen werden stetig Spliffs geraucht, einer packt neben mir ungeniert weißes Pulver in ein kleines Sackerl um. 

Später trete ich den langen Marsch heim an, eher ein schweißtriefendes Hochtorkeln mit reichlich schnaufenden Pausen. Es wird schon finster und die Gelsen finden mich leicht. Ich latsche barfuß durch den Schlamm, weil ich mir das Anziehen der Schuhe ersparen wollte. Die großen Ameisen sind harmlos, aber die ganz kleinen brennen ordentlich, wenn sie zubeißen. Eine halbe Ewigkeit mutiere ich durch die Wildnis. Im Zimmer, endlich am ersehnten Ziel angekommen, eine kalte Dusche und dann unters Moskitonetz. Die Zwei fragen später an, ob ich ein Würschtl mitessen will, unten gibt´s ein Happening mit ihren chilenischen Freunden. Nichts läge mir ferner. Essen brauche ich heute keines mehr und morgen wohl auch nicht.   


 16.1., Ilha Grande

Mit dem Bus nach Angra dos Reis und von dort mit dem Schnellboot noch ein knappes Stündchen rüber auf die große Insel. Die Geldwechsler haben sonntags geschlossen und kein Bankomat gibt etwas auf die Karte der heimatlichen Bank 99, also fast ohne Devisen für eine Woche auf die Ilha Grande. Keine Straßen, keine Autos, nur eine Siedlung mit zwei Piers. Der Rest des 30x10km-Eilands ist unberührter Dschungel und verwaiste Strände, so die Mär. 

Natürlich kennt keiner mein gebuchtes Rainforest House, aber ein halbseidener Typ hat Mitleid. Er telefoniert und bringt mich dann zu einer Strandbar, wo ich bei gechillter Livemusik und einem Bier der Marke Eisenbahn warte, bis mich ein halbnackter beschlapfter Insulaner zum Quartier bringt. Als ob er etwas gestohlen hätte, hirscht er zwanzig Minuten einen engen Pfad steil bergauf durch den matschigen Wald, ich mit dem Rucksack im streng riechenden Windschatten, bis ich mit pumpendem Schädel und waschelnass die gänzlich abgeschiedene Hütte erreiche. Wow. Nichts als Botanik und der Blick aufs Meer unter mir. 

Ein junges Pärchen aus Rio de Janeiro kümmert sich um die zwei vermietbaren Zimmer, das Haus gehört dem Onkel, sie spricht akzeptables Englisch. Mein Domizil liegt über der Küche und ist der Hammer. Eine Matratze mit Moskitonetz, eine bequeme Hängematte, mehr offene Fenster als Holzwände. Rundum Bananensträucher, Farne, Limetten- und andere Obstbäume. Alles blüht in Rot und Gelb, Schmetterlinge flattern in der Brise, Dschungelsound in Stereo. Absolut paradiesisch. 

Das Wasser aus der Leitung könne ich ruhig trinken, es sei köstlich, meint Natalia. Sicher ist es das im Vergleich zu ihrer städtischen Brühe, aber was sich so an unsichtbarem Leben im Wasser tummelt, möchte ich lieber nicht wissen. Einen Liter auf ex und das Beste hoffen, die Entkeimungstabletten würden eine Wartezeit von einer Stunde bedeuten. 

Später latsche ich wieder runter ins Dorf, scheuche eine schöne Echse auf und esse etwas an der Straße unter der Beobachtung von zwei kleinen Kapuzineraffen, die auf einer Stromleitung hocken. Als es zu regnen beginnt, klettere ich wieder hoch, hau mich ins Moskitonetz und freue mich.


Sonntag, 16. Januar 2022

 15.1., Mambucaba

Samstags in Mambucaba. Aus einer der zahllosen Kirchen, die oft nicht mehr als große Säle sind, ertönt lautsprecherverstärkt der Pastor. Wie ein Gemüsehobelverkäufer im Einkaufszentrum preist er enthusiastisch die Vorzüge seines Gottes an, plärrt immer und immer wieder den gleichen Senf ins Mikro. Die Glaubensgemeinschaft bejaht lautstark. Viel Andrang auch vor der Lotterieannahmestelle, der zweiten Zentrale der Hoffnung. 

In Zeitlupe begebe ich mich auf die Suche nach einem Hut und einem Adapter, zwei Dingen, von denen ich wieder einmal nicht für möglich gehalten hätte, daß ich sie in der Fremde gut werde brauchen können. Pferdewagen, Pickups mit übersteuerten Ansagen, Laster mit Limetten auf den Straßen. Hausierer mit Energiesparlampen ziehen durch die Gassen. Noch mehr Beschaulichkeit in den verlotterten Wohnstraßen, in denen Kinder spielen oder Frauen neue Zöpfchen geflochten bekommen. Keine besonderen Aktivitäten zu erkennen in der Kaserne des 33. Battalions der Militärpolizei, die das Kraftwerk vor Terroristen, Aktivisten und Erdrutschen sichern soll.

Abends gehe ich auf den Rummel. Eine Dauerinstallation im Zentrum der Stadt, aber erst heute richtig gut besucht. Archaisches Equipment aus den 60ern, wenn ich schätzen müsste, und der eigentliche Thrill besteht für unabhängige Beobachter wohl darin, nicht aufgrund eines technischen Gebrechens ums Leben zu kommen. Es quietscht und ächzt und kracht und die Kinder und Jugendlichen schreien wie am Spieß in den vollvergitterten Teufelsmaschinen. Ein Hauch von Speibe liegt über dem Areal. Einen Hot Dog kaufe ich mir,  "One, please!", platziere ich meine Order mit erhobenem Zeigefinger. Nix, totales Unverständnis. Mit Nachdruck deute ich auf das Weckerl und die Wurst, was anderes hat die Wurstfrau ja gar nicht im Angebot, dann kommt sie endlich in die Gänge. "Com tudo?" Ja, sicher. Das Ding kommt aufgeschnitten mit Oliven, Mais, Zwiebeln, Erdäpfelstückchen, Erbsen, geriebenem Käse und Wurstsuppe darüber, boioioing. Das Bananenfestival enttäuscht leider. Keine Musi, nur Prämierungen auf der Bühne. Blablabla, irgendwer hat wohl die krummste oder gelbste Banane gezüchtet, blablabla, obrigada, obrigada. Banana Joe hätte aufgeräumt mit diesen Langweilern, wenn er nicht schon längst das Zeitliche gesegnet hätte.


Samstag, 15. Januar 2022

 14.1., Mambucaba

Habe ich schon erwähnt, dass es heiß ist? Es ist heiß. Sehr heiß. Schon um neun Uhr morgens schwitze ich, als ob ich etwas arbeiten müsste. Die Suche nach dem Tour Operator am Stadtrand scheitert zwar, aber zu sehen gibt es immer etwas. Je näher man zum Fluss kommt, der die Siedlung einrahmt, desto ruhiger wird es. Die Gehsteige sind mit Gras oder Moos zugewachsen, weil hier einfach niemand mehr unterwegs ist. Sogar Schwammerl sprießen gelegentlich aus den Äpfeln, die die freilaufenden Pferde auf die Trottoirs haben fallen gelassen. Kaputtniks hausen auch hier in vielleicht seit Urzeiten unfertigen Rohbauten, deren Fassadenlöcher sie teilweise mit Planen oder Sperrmüll verrammelt haben.

Hier bleibe ich noch ein Weilchen. Das erste Bananenfestival findet dieses Wochenende in Mambucaba statt, das darf ich nicht versäumen. Erwartungsgemäß schmücken zahlreiche Bananen das Veranstaltungsgelände, aber ein paar Jackfruits kugeln auch herum. Auf der Bühne wird wohl ebenfalls dem Affenknacker gehuldigt werden, das Event ist noch in Vorbereitung. Dem Bananenfestival fühle ich mich sehr verbunden. Auch ich schrieb einst die Lyrics zu einem tollen Bananensong, als ich einen Rockstar für Un- und Neugeborene etablieren wollte, aber das ist eine andere Geschichte. 

Auf der Schnellstraße latsche ich zum Historical Village Mambucaba, das hier als Sehenswürdigkeit durchgeht. Ich kann zwar keinen Grund dafür ausmachen, einfach ein kleines Dorf mit Kopfsteinpflaster und Kirche halt, aber der Strand ist schön. Viele Familien feiern ein schönes Wochenende. Die Frauen machen Selfies mit Entengesicht, die Männer saufen Bier und schauen aufs Meer. Ich finde den perfekten Platz für meine Hängematte unter einer kleinen, zweckfreien Holzplattform neben einer Partie, die die Umgebung in erträglicher Lautstärke mit Samba beschallt und trinke meine große Flasche Wasser mit drei Schlucken leer. Dann noch ein paar Brahma, das Bier der Wahl, wegen der Salze. Was feste Nahrung angeht, probiere ich alles, was mir von den fliegenden Händlern angetragen wird. Noch warme Pies, gefüllt mit Karotten und Oliven, frittierte Teigtaschen mit Krebsmus and such. 

Abends unternehme ich nichts. So ein Strandtag macht müde, außerdem schäme ich mich. Das alte Lied von nicht einschmieren, weil eh bewölkt und dann ausschauen wie nach dem Zimmerbrand.


Freitag, 14. Januar 2022

 13.1., Mambucaba

Es ist schon länger her, seit ich das letzte Mal aufgewacht bin ohne zu wissen, wo ich mich eigentlich  befinde. Heute knüpfe ich an diese alte Tradition an. Mambucaba, echt? Klingt ja eher afrikanisch in meinen Ohren, das Kaff auf sechs Metern Meereshöhe gibt´s aber schon seit vierhundert Jahren. Mit Walen und Sklaven haben die Portugiesen hier gehandelt und ab und zu hat ein Indianer von der anderen Seite des gleichnamigen Flusses, der hier ins Meer mündet, einen Pfeil zu ihnen rübergefetzt. Heute dient ein Teil Mambucabas der Betreiberfirma des einzigen Atomreaktors Brasiliens, der Firma Eletronuclear, dazu, ihre Belegschaft unterzubringen. Typisch. Irgendwo in diesem riesigen Land hüpfe ich zufällig aus dem Bus und finde mich wieder neben einem vierzig Jahre alten Schrottmeiler, der in einer erdrutschgefährdeten Bucht liegt und dessen Abklingbecken für alte Brennstäbe nur fünfzig Meter vom Meer entfernt sind. Ja, Wikipedia ist super. 

Der Frühstücksraum meiner Pension erinnert an ein Klassenzimmer. Alle Tische sind hin zum Fernseher ausgerichtet. Irgendein Staudamm geht bald über und von einer Explosao da Casos da Omicron wird berichtet, ah geh. Alle starren gebannt in die Glotze, nur einer schaut sich ein Video am Handy an und peckt sich lautstark darüber ab, was auch niemanden stört. Auf zum Strand, was nicht so einfach ist. Zuerst ist der Fluss im Weg, dann das abgeschirmte nukleare Dorf, wo die brasilianischen Simpsons in luxuriösen Reihenhäusern mit Blick aufs Meer residieren. Ein Sicherheitsdienst kontrolliert die einfahrenden Fahrzeuge an einer Schranke, mich behelligt niemand. Nicht viel los am zirka zwei Kilometer langen Strand, zumindest nicht so viel, als dass sich jemand am toten Delphin, der unweit der Wasserlinie im Sand liegt, stören würde. Vielleicht ist er zu Tode gekommen, als er wie einst Flipper einem vom Hai attackierten Surfer zu Hilfe kam, vielleicht hat ihn auch nur eine Schiffsschraube der Tanker draußen erledigt. Nun liegt er hier und stinkt und es scheint, als würde er noch im Tode lächeln.

 Keine Infrastruktur weit und breit und die Sonne brennt. Am Weg retour kaufe ich mir an einer Tankstelle etwas, das aussieht wie ein Hundstrümmerl und wohl nur unwesentlich besser schmeckt. Nachfragen geht ja nicht, nur teppat hindeuten und hoffen. Eine erste Exploration Mambucabas beschert mir immerhin einen Korkenzieher. Eine Flasche Wein musste ich schon in bester Mac Gyver-Manier mit meiner Zahnbürste öffnen, aber das hatte keinen Style.


Donnerstag, 13. Januar 2022

 12.01., Sao Paulo, Parque Mambucaba

Zeitig in der Früh werde ich schon zum Frühstücksmarmeladebrot vom Fernseher über mir mit detailgenauen Berichten über Verkehrsunfälle eingedeckt. Die Reporterteams sind mit ihren Hubschraubern oft schneller vor Ort als die Einsatzkräfte und halten dann mit ihren Kameras schön drauf auf die Wracks und die Beteiligten. 

Fliegende Händler in den U-Bahnen, die ihre in Plastiksackerln verstauten Waren lautstark anpreisen, während ich mich zum großen Busbahnhof im Norden der Stadt durchschlage. Dort besteige ich den modernen Bus nach Rio de Janeiro. 

Vielleicht aufgrund meines zur Tarnung getragenen Favelalooks werde ich von zwei Bullen misstrauisch beäugt, als ich mich dem Schaffner mittels Reisepass als Tourist zu erkennen gebe und darauf bestehe, meine neun Kilo Handgepäck mit an Bord nehmen zu dürfen. Die abgefuckte Kostümierung trage ich, um als entrechteter, aus den Bergen herabgestiegener Urwaldalbino wahrgenommen zu werden, und nicht als planloses Weißbrot aus dem fernen Europa. Außerdem ist die Panier ohnehin Teil meiner üblichen Garderobe, da musste ich daheim gar nicht lange suchen. 

Entlang eines der zwei biologisch toten Flüsse, die Sao Paulo nur mehr als Abwasserkanäle dienen, verlasse ich die Stadt. Schon bevor das Wasser die Metropole erreicht hat, ist es eigentlich unbrauchbar. Die Versorgung der Massen mit akzeptablem Trinkwasser ist schon vor längerer Zeit kollabiert, weil ungeklärtes Abwasser von Armensiedlungen in Ermangelung anderer Möglichkeiten zwanglos in die dafür vorgesehenen Stauseen eingeleitet wird. 

Zelte und Verschläge unter Autobahntrassen und Brücken. Oft liegt Spielzeug vor den Behausungen oder eine brasilianische Flagge weht inmitten des Drecks. Bis zu zwölf Spuren der Richtungsfahrbahn zähle ich, auf der wir den Moloch langsam verlassen. Über achtzig Kilometer dehnt sich die Stadt in alle Himmelsrichtungen. Jedes Haus in den Außenbezirken ist für sich ein kleines Gefängnis. Vergitterte Fenster, Mauern, Glasscherben, Stacheldraht. Auch Motels mit Namen Pop oder Amore verstecken sich  hinter hohen Mauern, wo man für ein paar Stunden die beengten Verhältnisse der Stadt hinter sich lassen und ein diskretes Stelldichein mit meist inoffiziellen Geschlechtspartnern genießen kann. Noch ein Stückchen weiter draußen dominieren die Favelas, die einen freilich armen, aber wesentlich bunteren Eindruck machen, als die einförmigen Wohntürme, um die herum sie sich gebildet haben.

Langsam, ganz langsam wird es grüner. Noch ein paar alte Industrieanlagen, zum Teil schon wieder von der Natur verschluckt. Viel hügeliges Land ist abgeholzt und auf den entstandenen Weideflächen grasen Kuhherden  inmitten hunderter Termitenhügel. Es ist durchgehend bewölkt, vielleicht ist Regenzeit. Eine Zeit lang folgen wir einem breiten unregulierten Fluss. Alte VW-Busse sprotzen durch die Gegend. Ganz malerisch wird es, wenigstens bis wir uns den Vororten Rio de Janeiros nähern. Fast unbeschreiblich hässlich ist es hier. Alles wirkt verschimmelt, alles ist kaputt und mit schwarzem Gekritzel beschmiert. Der gleiche Schriftzug hundertmal nebeneinander, das Werk von Gehirnamputierten. Keine zumindest bemühten Graffitis, einfach nur sinnlose Verschandelung aller zur Verfügung stehenden Flächen. Sogar die Fassaden von mehrstöckigen Gebäuden sind hoch bis unters Dach vollgeschmiert. Die Wohnhäuser, wenn man sie so nennen will, bestehen aus viereckigen Auftürmungen unverputzter, windschiefer Betonwürfel, wie Bauklötze, die ein Kind gestapelt hat. Nicht einmal spitze Steine, die in der Absicht unter Brücken einbetoniert wurden, um Obdachlose fernzuhalten, können die Verzweifelten daran hindern, auf ihnen ihr trauriges Lager aufzuschlagen. Viele Gestalten hocken oder stehen einfach nur apathisch herum. Polizisten halten ein paar Typen mit nacktem Oberkörper in Schach, ihre Hände auf dem Autodach, Beine gespreizt. Menschen sind in schwarze Müllsäcke gekleidet, brunzen gegen Wände. Wilde Deponien fallen nicht weiter auf, die Stadt selbst wirkt wie eine einzige große Müllhalde. 

Irgendwo da unten an der Küste breitet Jesus der Erlöser seine Arme aus und auf der Copacabana tummeln sich die Badegäste, heile Welt. Sogar in Kalkutta ist es schöner als hier. Kalkutta ist Döbling gegen Rio de Janeiro. Niemals hätte ich erwartet, einen noch trostloseren Ort zu finden, als das indische Drecksloch.  

Unlängst habe ich gelesen, dass Präsident Bolsonaro nach einer Messerattacke gegen ihn im Zuge seines Wahlkampfes immer wieder an Darmverschluss leidet. Mit einem Besuch Rios könnte er dieses Problem leicht lösen, diese Stadt ist echt zum Scheißen. Brasil de Merda steht auf einer Ziegelwand, wahre Worte.

Am Hauptbahnhof wechsle ich den Bus. Erst außerhalb der Stadt sehe ich die ersten zwei streunenden Hunde. Vielleicht finden sie in Rio einfach nicht genug Abfälle, weil die Konkurrenz der gänzlich Besitzlosen zu groß ist. Rundum stehen grüne, noch unberührte Berge. Fortan werde ich die größeren Städte dieses Landes nach Möglichkeit meiden, muss ja nicht sein. Zwei Stunden entlang der Küste fahren wir Richtung Westen. Sanft fallen die grünen Hänge der Berge zum Meer hin ab. Ein paar Schiffe liegen vor Anker und hinter ihnen geht die Sonne unter. Kleine Dörfer zwischen der Schnellstraße und der Küste. Hier lässt sich erahnen, wie schön Rio einmal gewesen sein muss. Nur der Busfahrer ist wahnsinnig, haut sich mit halsbrecherischer Geschwindigkeit in die engen Kurven. Ich schnalle mich an, in Brasiliens Bussen geht das. 

Der Grund meiner heute ausschweifenden Reiseberichterstattung liegt übrigens in den sieben Stunden, die die erste Busfahrt nach Rio de Janeiro gedauert hat, gefolgt von drei Stunden nach Conceicao und darüber hinaus. Auf der Landkarte ist der Trip freilich ein Witz, Brasilien ist riesig und nimmt die Hälfte des gesamten südamerikanischen Kontinents ein. Beschließt zum Beispiel ein Bewohner Manaus im Norden, das Wochenende in Sao Paulo zu verbringen, gleicht das dem Vorhaben, von Wien nach Teheran zu gelangen, sollte man zum Beispiel unzufrieden mit den heimischen Covid- Maßnahmen sein. Leistbare Inlandsflüge helfen bei der Überwindung der gewaltigen Distanzen, wobei ich mich wohl auf den Verkehr zu Wasser und zu Lande beschränken werde, was einen bescheidenen Wirkungskreis zur Folge haben wird. 

Jedenfalls, von Conceicao de Jacarei möchte ich noch eine Fähre auf die Ilha Grande, einer Insel fünfundzwanzig Kilometer vom Festland entfernt, nehmen, was aber nicht passieren wird. Erstens sind die Buspläne wieder einmal so abgestimmt, dass man das letzte Boot knapp, aber doch versäumen muss. Blöd auch, weil ich gestern schon ein Quartier gebucht habe.  Zweitens deutet mir der Busfahrer dort, wo ich eigentlich aussteigen möchte, dass ich noch gar nicht da bin. Obwohl mir mein Navi etwas anderes erzählt, bleibe ich sitzen und warte. Zehn Kilometer, dreißig Kilometer. Der Bus ist mittlerweile beinahe leer, es ist stockfinster und es regnet. Die Straße verläuft durch unbewohntes Gebiet. Ab und zu ein paar Häuser, aber keine Unterkünfte sind auszumachen. Wo fährt dieser Bus eigentlich hin? Eine Verständigung ist unmöglich. Auszusteigen bedeutet, orientierungslos im Regen zu stehen, es wird heute kein Bus mehr kommen. Nach achtzig Kilometern zwinge ich mich an der Hauptstraße einer größeren Siedlung raus und latsche in dunklen Gassen herum, bis ich das Schild einer Pousada, einer Pension, ausmache. Glücklich checke ich in unbekannten Gefilden ein. 


Mittwoch, 12. Januar 2022

 11.1., Sao Paulo

Für mein gutes Geld wird mir immerhin eine gepolsterte Klobrille geboten und zum Frühstück werden kleine, supersüße Papayas aufgetragen. Vorbei an den provisorischen Schlafstätten und Lagerfeuern rund um das Hotel muss ich mich schon bald auf die Suche nach einer neuen Unterkunft machen. In einer Straße, wo sich ein Autoersatzteilhändler an den nächsten reiht, komme ich unter. Das Zimmer ist recht klein und schäbig und den Kopfpolster überziehe ich sicherheitshalber noch mit einem T-Shirt, um Lausbefall und Kopfkrätze vorzubeugen. Für einen Zehner darf man sich auch in Sao Paulo nicht zuviel erwarten. Regen den ganzen Tag  und Trägheit, die man wohl Jetlag nennt, wenn man um Ausreden bemüht ist, bremsen mich in der Erkundung meiner Nachbarschaft und ohne die Hilfeleistungen meiner geliebten Reiseassistentin geht viel  Zeit für die Planung der nächsten Tage drauf. Jedenfalls ist festzuhalten, daß  auch untertags überdurchschnittlich viele Fertige durch die Straßen ziehen. Einer hockt einfach so in einem Mistkübel vor dem Hoteleingang und scheint sich wohl dabei zu fühlen. 

Die Einwohner der Stadt, die Paulistanos, sind eine bunte Mischung aus Nachfahren von Einwanderern der ganzen Welt. Mit meinem Gestammel und meinen großen Geldscheinen mache ich die Gewerbetreibenden unter ihnen fertig. Hay-ow spricht man den Real seltsamerweise aus und jeder Schein über umgerechnet zehn Euro scheint den Brasilianer zu überfordern. Oft werden Zuckerl statt Kleingeld angeboten, soll sein. Die Por quilo Lunch Buffets, wo alle Fressalien, egal ob Austern oder Bohnen, nach dem gleichen Kilopreis abgerechnet werden, lasse ich noch aus und verkoste Pao de Batatas, fettige Erdäpfeltaschen mit Mysteryfüllung. Das Nachtleben überlasse ich eingedenk gestriger Eindrücke den Ortskundigen und Mutigen und lasse mich  lieber von unverständlichen Telenovelas und Talkshows im TV in den Schlaf lullen.


Dienstag, 11. Januar 2022

 Brasilien

10.1., Sao Paulo

Weiter geht´s, Radio Eriwan sendet wieder. Warum es mich kurzfristig nach Brasilien verschlagen hat, kann ich selbst nicht so genau sagen. Der Flug war billig, ein paar positive Erfahrungsberichte aus dem Umfeld. Man braucht kein Visum und das Land ist groß mit allen sich daraus ergebenden Möglichkeiten. Auf jeden Fall groß genug für die paar Wochen, die ich dafür veranschlagt habe. 

Sechzehn ereignislose Flugstunden mit Latam, einer Fluglinie, die nach Jahren transkontinentaler Askese mit gefälliger Bordverpflegung punktet. Eine alte Nonne vor mir teilt Heiligenbildchen aus, weswegen die Turbulenzen im Rahmen bleiben. Mit linkem Mono-Schwellohr, an Bord gab es nur Kopfhörer mit zwei Klinken für lediglich einen Audioeingang, noch zwei Stunden alle Formalitäten erledigen, dann nehme ich den Bus ins Zentrum. Alles wirkt modern und sauber, auch die Leute machen einen zivilisierten Eindruck. 

Nur mit der Verständigung hapert´s. Englisch erweist sich als nahezu wertlos und das, was aus meinem mobilen Übersetzungsprogramm ertönt, klingt, als ob es zuvor durch einen kaputten Leierkasten geschickt worden wäre. Brasilianisches Portugiesisch in gehauchten Schleiftönen, damit komme ich auch nicht weit. 

Alles ist schwierig. Stationen, Fahrpläne, Umsteigemöglichkeiten, die Wahl der richtigen U-Bahn. Wo bekomme ich um diese Uhrzeit Geld in Landeswährung ohne absurde Spesen her, wo werden Tickets verkauft. Die Rezeption der vorab gebuchten Jugendherberge im Stadtteil Mooca hat schon lange geschlossen, als ich sie letztendlich finde, da komme ich heute nicht mehr unter. Es ist Nacht und die Gegend ist, abgesehen von ein paar barfüßigen Hinnichen vor der U-Bahn-Station, wie ausgestorben und keinesfalls vertrauenserweckend. Daß die billigste Unterkunft Sao Paulos, eine Nacht um fünf Euro in einer der größten Städte der Welt mit rund fünfzehn Millionen Einwohnern, nicht im besten Viertel beheimatet ist, hätte ich mir eigentlich auch denken können. 

Also weiter ins Zentrum. Eine Passantin wird vom Fahrscheinverkäufer genötigt, mich zum richtigen Bahnsteig zu begleiten. Auf gut Glück steige ich am Placa da Republica aus. Die Adresse einer anderen Bude mit durchgehender Rezeption habe ich noch, mit einem verschwommenen Screenshot der Wegbeschreibung dorthin. Bist du teppat. Der gleichnamige Park beim Ausgang gleicht einem verwahrlosten Campingplatz. Müll, Zelte, Verschläge, Matratzen, dunkle Figuren. Alle paar Meter StricherInnen, die mit ihren Freiern gleich an Ort und Stelle zur Sache kommen. Horden von Obdachlosen, in Reihen liegend, andere grölend herumwandernd, unter Drogen, in Fetzen, auf der Suche nach Nahrung Müllsäcke aufreißend. Kleine Feuer brennen am Gehsteig, ausdruckslose Gestalten schauen mir nach, sagen etwas. Sonst kein einziger normaler Mensch unterwegs, ich fühle mich wie ein Sparschwein am Weltspartag. Mit dem Handy in der Hand versuche ich vergeblich, mich anhand der wenigen Straßenschilder irgendwie zu orientieren, gehe einen Block, um weg von diesem Wahnsinn zu kommen, gehe noch einen. Als die Szenerie nicht besser wird, winke ich zwei Taxis, die nicht stehen bleiben, Panik beschleicht mich. Bist du teppat. Dann finde ich durch Zufall ein Hotel, das noch geöffnet hat, es ist mittlerweile Mitternacht. Fünfunddreißig Euro für die Nacht, Checkout in zwölf Stunden? Sehr gerne, ich hätte auch das Dreifache bezahlt. Oh, kaltes Bier im Automaten! Her damit, durchschnaufen und dann sofort in die Heia.


Montag, 3. Januar 2022

 2.1., Aqaba

Mehr als zwei Wochen braucht man für Jordanien wirklich nicht zu veranschlagen, das Land ist restlos aufgemischt. Sicher, es gäbe noch ein paar Wüstenfestungen, Schlösser und andere Ruinen, aber besser als Petra wird´s nicht mehr. Das Gleiche gilt für alle Wüsten, Wadis und Unterwasser-Wracks. Parasailing am Südstrand waren wir noch nicht, lassen wir aber aus. Diesen Sommer wurde dort einem Touri von einem Hai sein Fuß abgebissen, bevor er noch richtig abheben konnte. In Aqaba kennen wir mittlerweile jedes Gässchen und folgen einer täglichen Routine. Ein Kaffee beim Mäci, Stockball, Ena raucht ihre Sisha und ich trinke Tee, während wir aufs Meer schauen. Vor dem Abendessen der Sonnenuntergang und die Tauben/Rabenshow vom Balkon aus. Alle landestypischen Gerichte sind verkostet, wir sind schon auf mysteriöse Inder umgestiegen. Spicy 25 or 15? fragt uns die Kellnerin, wir tippen auf 25 und bekommen gutes, aber völlig ungeschärftes Essen vorgesetzt. Am Zimmer google ich das und die einzigen Einträge beziehen sich auf  die Spice Girls. Anyway, Zeit wird´s. Ein Update folgt, sobald ich wieder auf der Piste bin.


Samstag, 1. Januar 2022

 1.1., Aqaba

Ein frohes Neues euch und für uns gibt´s heute einen Tag der Regeneration und des Müßiggangs. Ich meine, brennende Shots und Brother Loui, ich bin ja keine Sechzehn mehr, gelle? 

Es findet sich sogar Zeit für die weitere Urlaubsplanung und bei näherem Hinsehen muß ich feststellen, daß hier Endstation für mich ist, was den nahen Osten angeht. Die Länder rundum sind beim besten Willen nicht mehr zu bereisen. Im Libanon gibt´s keinen Sprit und die Volksseele kocht, vom in die Luft geflogenen Hafen ganz zu schweigen. Israel hat wegen Corona komplett dicht gemacht, dessen Stempel im Pass würde das Reisen in der Umgebung aber auch nicht gerade leichter machen. Nach Saudi Arabien darf ich nicht ohne Einladung, der Irak und Syrien bedürfen keiner weiteren Erläuterung. Eine Million Iraker insgesamt leben als Flüchtlinge in Jordanien und so manches Auto ziert ein Foto von Saddam Hussein. Nur Ägypten wäre eine Option, aber bei den südlichen Brüdern im Geiste war ich schon. Für Libyen wurde ebenfalls ein Reiseverbot ausgesprochen und im Sudan herrscht Bürgerkrieg und Ausnahmezustand. 

Was für eine Gegend. Ein Wunder eigentlich, daß Jordanien so einigermaßen stabil ist, wobei die Betonung auf einigermaßen liegt. Vierzig Prozent der im Land lebenden Bevölkerung haben palästinensische Wurzeln. Eine große Zahl an Flüchtlingen anderer Länder belastet den Haushalt, die Inflation und Arbeitslosigkeit sind hoch. Also  übermorgen mal zurück nach Wien und von dort neu durchstarten.

 31.12., Aqaba

Ein Unwetter zieht des Nächtens über die Stadt, damit hätte ich nicht gerechnet. Getaucht wird trotzdem. Direkt vom Strand schwimmen wir zu einem fünfundsiebzig Meter langen libanesischen Frachter, der 1982 während eines Feuers an Bord  schwer beschädigt und später kontrolliert versenkt wurde, damit Fische und Taucher etwas zu sehen haben. Freilich leidet bei absichtlich platzierten Objekten der Abenteuerfaktor, aber bitte. 

Der  Hauptmast mit intaktem Krähennest ragt ins blaue Meer, das Schiff liegt auf der Seite. Ein Loch klafft im Rumpf, wahrscheinlich von einer Sprengung. Gleich daneben liegt die Tarmac Five, eine von der Firma Alcatel 1996 nach Beendigung der Verlegung eines Stromkabels nach Ägypten zwanglos entsorgte Plattform mit neun mal neun Metern. 

Ums Eck steht ein Typ wie eine Säule unter Wasser, wie bestellt und nicht abgeholt. Mittels dreier Finger, die er sich auf seine Schulter legt, gibt er unserem Guide zu verstehen, daß er Militarist ist. Dann hält er sich eine Faust gegen die Stirn, scheinbar das Zeichen für den König. Wir sollen uns zügig schleichen. Ist der Staatenlenker also schon wieder da. Scheinbar lassen seine Amtsgeschäfte genügend Spielraum für ein gewisses Maß an Freizeitaktivitäten. Soll sein, wir sind ohnehin schon durch mit unserer Runde. 

Nächster Programmpunkt der Unterwassertour ist das Underwater Military Museum. Auf einer Länge von 140 Metern sind einundzwanzig Objekte in Sand und Seegras deponiert, Hubschrauber, Kanonen, Panzer, Jeeps, ein Sanitätsfahrzeug, Truppentransporter, usw. Rundum Korallenstöcke, Kugelfische und Anemonen, sweet. 

Abends platzt die Stadt aus allen Nähten. Es staut von allen Himmelsrichtungen, was einleuchtet, weil der Hauptkreisverkehr von lustwandelnden Horden aus dem ganzen Land belagert wird. Die Süße und ich fallen mit unserem Tauchguide Thaer im Believe you ein, einer sogenannten Soft Bar am Dach eines stillgelegten Hotels hoch über der Stadt. Zu Brother Loui Loui Loui und vergleichbarem Liedgut werden brennende Shots und das erste Bier nach zehn Tagen der Askese gereicht, dazu Taucherlatein an der Schmerzgrenze. Darüber hinaus werden Einblicke in soziale Besonderheiten gewährt. Möchte Thaer eine Frau ehelichen, muß er an deren Eltern zirka dreitausend Juros abdrücken. Der gleiche Betrag wird im Falle einer Scheidung fällig.  Die Ex kann dann froh sein, wenn noch irgendwo ein alter Knacker für sie abfällt. Mehr als vier Frauen gleichzeitig darf Thaer ohnehin nicht unterhalten. Fände er also Gefallen an einer fünften, müsste er eine aus dem Sortiment abstoßen,  um den islamischen Gepflogenheiten zu entsprechen. Die fertige Betreiberin der Bar ist übrigens Christin, nur deswegen darf sie das. Die ehrenhafte Muslimin sitzt hauptsächlich zu Hause und verhält sich ruhig. 

Unser Mann ist bald sehr dicht und muß daheim noch mit der ganzen Family Mamas Geburtstag feiern, der Arme. Wir schauen uns die paar Raketen, die in Eilat und Aqaba verschossen werden, vom Balkon aus an. Böller werden reichlich gezündet und die Krähen packen es nicht. Panisch irren sie zu Hunderten im Luftraum herum, wie in Hitchcocks Die Vögel.