4.12., Valladolid, Tizimin, Rio Lagartos
Woutje der Belgier geht schon zum dritten mal aufs Häusl, seit ich bei meinem Löskaffee sitze. Sein Bus nach Merida geht gleich und er hat eine schwache Blase. Irgendwo in Belgien arbeitet er den Rest des Jahres als Kassier an einer Supermarktkasse und trinkt während seiner Schicht deutlich weniger als er gerne würde, weil er für zwölf Euro Stundenlohn oft fünf, sechs Stunden ohne Pause durchhackeln muss und nicht nicht einmal pinkeln gehen darf. Als ich ihm von Firmen erzähle, deren Arbeiter Windeln tragen müssen, schaut er mich mit großen Augen an, aber so groß ist der Unterschied dann gar nicht mehr.
Auch ich setze mich mittags ab, obwohl das Hostal Gayser eine spottbillige Oase der netten Menschen und Gemütlichkeit in einer sehr lauschigen Stadt ist. Sehr karibisch ist das Feeling, das mich unterwegs zur nördlichen Küste beschleicht. Sattgrüne, dichte Vegetation, dann wieder ärmliche Stelzenhütten in hügeliger, fast unbewaldeter Gegend mit Weiden und vereinzelten Palmen. Schwarzfleckig verschimmelte, aber noch immer monumentale Kathedralen der Kolonialzeit säumen meinen Weg, räudige Hunde stehen sinnlos auf der Fahrbahn herum und packen es nicht. Vor einer Ampel jongliert einer mit Macheten, vor einer anderen spielt ein ziemlich trauriger Clown die Melodica, während er auf einem Einrad balanciert. Jesus died for bikers too, steht auf dem T- Shirt eines Passanten. Ein Coral, erbaut mittels gewagter Holzkonstruktionen und blickdicht gemacht mit Palmwedeln, steht in einem Kaff neben der Straße. Vielleicht dauerprovisorisch errichtet, vielleicht auch nur für ein Rodeo in naher Zukunft. Näheres lässt sich nicht herausfinden, schade. Zwischendurch erstehe ich ein Sackerl mit Chicharrones, die nichts anderes sind als frittierte Fetzen Schweinehaut. Ein Coatl, ein entzückender kleiner Nasenbär, scharwenzelt im Niemandsland aus dem Dickicht auf die Straße und macht sofort wieder kehrt, als er meiner ansichtig wird. Gut so, den hätte ich wohl nicht mehr derbremst.
Schnell checke ich ein in der heruntergekommenen Villa Mercedes in Tizimin, am Ende des Weges noch weiter nördlich in Rio Lagartos gibt´s dem Vernehmen nach Bootstouren durch ausgedehnte Mangrovenlandschaft. Lange brauche ich nicht nach Anbietern im verschlafenen, weil gänzlich abgeschieden Fischerdorf zu suchen. Die letzten fünfzig Kilometer kam mir keine andere Siedlung mehr unter. Entlang des Malecon sitzen Männer und warten auf Suchende wie mich. Mit einem einheimischen Pärchen und mir fetzt kurz darauf ein netter Dicker zuerst dem grünen Labyrinth entgegen, dann gleiten wir beinahe lautlos durch enge Wasserwege. Ein Reiher hockt unberührt und mit einem Fisch im Schnabel im Geäst, andere Vögel suchen das Weite. Kormorane und Fregattvögel sind mir noch geläufig. Unser Mann fischt einen prähistorischen Pfeilschwanzkrebs aus dem Wasser, der sechs Augen hat, zwei davon auf seiner Unterseite. Seine vielen Haxen, mit denen er panisch herumfuchtelt, greifen sich irgendwie ekelhaft an. Froh kann er sein, das wir ihm sein blaues Blut nicht abzapfen. Man kann damit Keime in Impfstoffen nachweisen und ein Liter davon wird um viele tausend Euro gehandelt. Dann triftet gemächlich ein Krokodil vorbei, wesentlich größer als ich und nicht sehr scheu. Auf der Seite des Bootes legt es an und wartet wohl auf ein Leckerli. Ich könnte ihm den Kopf kraulen und es könnte von mir abbeißen, wenn es denn wollte. So ein schönes Coccodrillo im natürlichen Habitat zu sehen ist eine starke Sache.
Die streng riechende Saline Las Coloradas ist heute nicht wirklich pink, aber die Flamingos vor dem Feuerrot der untergehenden Sonne machen witzige Moves mit ihren dürren Haxen, um kleine Viecher aufzuwirbeln, während sie mit ihren Schnäbeln das Wasser filtern. Bailando!, ruft unser Käptn routiniert entzückt. Mister Pink kann bis zu eineinhalb Meter groß werden, wenn er fleißig filtert. Das Einreiben mit gesundem, wahrscheinlich mit wohltuendem Flamingo Aa gesättigtem Gatsch sparen wir uns, denn was viele nicht wissen- Nach dem Sonnenuntergang folgt Dunkelheit. Fünfzig Kilometer fahre ich mit Sonnenbrillen auf und Fernlicht an zurück nach Tizimin. Die Brillen deswegen, weil sie hier noch in Scharen fliegen, die Insekten. Übergänge zu in Bau befindlichen Straßenabschnitten sind mitunter sehr direkt. Unerkannte Bodenwellen heben mich nicht nur einmal aus dem Sitz. Der zum Glück sehr spärliche Gegenverkehr gibt nichts auf die Möglichkeit des Abblendens. Viel sehe ich also nicht, und wenn sich zu Beginn eines Waldstückes das Blätterdach der Bäume über mir schließt, dann wird die Finsternis noch finsterer und die Geräuschkulisse noch durchdringender. Irgendwann geht warum auch immer meine Warnblinkanlage an. Keine Ahnung, wo der Knopf dafür ist, aber anhalten werde ich deswegen sicher nicht. Gestern hat mir eine Deutsche, angestellt bei einer Organisation, die hiesige NGO´s betreut, von 110.000 Verschwundenen in Mexiko erzählt. Froh bin ich, als ich mir daheim das Gesicht freirubbeln und ein Cerveza Superior aufknacken kann.
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