Dienstag, 31. Dezember 2019

30.12., von Dawei nach Myeik

Wer hätte gedacht, daß es so lange dauern wird, in Myanmar ein paar hundert Kilometer zurückzulegen. Heute also schon auf um 3.30, durch die kühle Nacht mit dem Tucktuck raus aus der Stadt und hurtig den nächsten Bus bestiegen, Minivans werden fortan boykottiert. Schon kurz vor Fünf fahren wir los. Im Bus schaut´s ziemlich wild aus, es spritelt und die meisten Fahrgäste schlafen, vielleicht sind sie auch bewusstlos wegen der Dämpfe oder einer schleichenden Kohlenmonoxidvergiftung.
Der Bus kommt direkt aus Yangon und es bleibt zu hoffen, daß der Fahrer irgendwann zwischendurch getauscht wurde. Wie immer halten wir kurz darauf dort, wo der Parkplatz schon voll mit anderen Reisegesellschaften ist. Aus unbekannten Gründen bleiben alle Busse immer beim gleichen Wirten stehen und es spielt sich ab. Es gibt Reis mit Ei und süßen Tee, daran könnte ich mich gewöhnen. Später riecht es außer nach Diesel immer
wieder auch nach Scheisse, ein Kind vor uns hat allem Anschein nach eine massive Stinkbombe ausgeklinkt und verschärft das Unterfangen.
Die Landschaft draußen wird immer schöner. Kleine Dörfer mit Stelzenhütten, hin und wieder sogar unberührter Urwald. Aber die Straße ist schlecht und kurvig, an Schlaf ist nicht zu denken.
Mit überschaubaren zwei Stunden Verspätung treffen wir in Myeik ein, angeblich der schönsten und wohlhabensten Stadt Myanmars. Reich geworden ist sie offiziell durch Fischfang und Handel, außerdem wird hier die wunderbar stinkige Fischpaste Ngapi produziert. Aber eigentlich ist Myeik das Schmuggelzentrum für Waren aller Art nach Thailand. Die vorgelagerte Inselwelt ist nur teilweise bereisbar, viele werden militärisch genutzt. Diesen Archipel im indischen Ozean steuern alle Tauchboote der Umgebung an und aufgrund der Abgeschiedenheit ranken sich reichlich Gerüchte um die Gegend. Schatzinseln, verschollene Schiffe, so etwas in der Art. Seenomaden, eigentlich der Stamm der Moken, gibt´s hier ebenfalls, wie auch weiter südlich vor der thailändischen
Stamminsel Koh Phayam.
Mit einem Moped fahren wir die Hafengegend ab, wo geschwungene Fischkutter aus Holz im schlammigen Wasser dümpeln, dann grasen wir ein paar Tourenanbieter ab.
Alle haben die gleichen zwei Ausflüge im Angebot, die Preise sind staatlich vorgegeben und nicht verhandelbar. Unsere Versuche, ein individuelles Programm zusammenzustellen, scheitern, jeder macht sich vor der Staatsgewalt in die Hose. Bevor ich meinen Kummer mit einer Flasche Myanmar-Rum um siebzig Cent ersäufe, teste ich ihn heute sicherheitshalber nur mit einem Schlückchen an und warte mit dem Exzess bis morgen, ich möchte nicht unabsichtlich erblinden. Am Abend
spazieren wir durch die grünen Ausläufer der Stadt, wo es recht idyllisch zugeht. Die Holzäuser haben nicht wirklich blickdichte Wände und wir schauen den Leuten beim Essen oder fernsehen zu. Die Kinder spielen auf der Straße, wir werden bestaunt und angelacht und ab und zu nimmt jemand seinen Mut zusammen und spricht uns an. Noch Sushi beim Chinesen, nichts ist unmöglich, und das war´s dann. Ein langer Tag.

Montag, 30. Dezember 2019

29.12., von Mawlamyine nach Dawei

Entlang des Sperrgebietes hin zur thailändischen Grenze fahren wir mit einem Minivan weiter nach Süden. Das Dach und der Kofferraum sind voll mit Zwiebeln und Chillies. Als wir mit halbstündiger Verspätung weg kommen, sieht es noch nach einer beschaulichen Fahrt nach Dawei aus. Diese Kleinstadt, eigentlich nur Zwischenstation am Weg nach Myeik, sollte touristisch noch recht jungfräulich sein. Am interessantesten sind wohl ein paar alte Holzhäuser aus vergangenen Zeiten, soll sein. Reisende könnten im hiesigen Kloster die Schenkel der Erdgöttin Dharani reiben, um die Wahrscheinlichkeit einer sicheren Ankunft zu erhöhen, das klingt irgendwie geil. Kaum sind wir ums Eck vom Terminal, beginnt der Vollhorst schon, seine Kiste mit Laufkundschaft aller Art zu befüllen. Dann holt er noch Frau und Kind ab und die Zeit vergeht. Viel zu schnell verwandelt sich die wichtigste Nord-Süd-Verbindung in eine holprige Piste und hinter uns speiben sich wieder die Frauen an.
Kein Wunder auch, permanent werden irgendwelche vergorenen Früchte und sonstige Kotz-Katalysatoren genascht. Zu Mittag fresse auch ich beim Wirten alles, was ich hingestellt bekomme, und das ist viel mehr als die zwei Schüsselchen rote Bohnen und wässriges Fisch-Erdäpfel-Gulasch, die ich ursprünglich bestellt habe. Zum obligatorischen Reis werden noch rohe Gurken und Kraut, Wasserspinat und Okra in Suppe und zwei verschiedene, für die Gegend typische, fischig-fermentierte Stinkesaucen  gereicht. Weiter geht die Reise, wir sitzen inzwischen schon sehr unbequem. Als bei einem weiteren Stopp noch eine Fahrgästin in unsere Reihe gequetscht wird, wird die Süsse sauer und gebietet dem Treiben lautstark Einhalt.
Wir fahren und fahren und kommen nicht an. Personenkontrolle am Schranken eines Bergpasses, den wir in Zeitlupe erklommen haben, kurzfristige Anhaltungen, wo die Piste gerade ausgebaut wird. Ein umgestürzter, vollständig ausgebrannter Sattelschlepper, daneben antike Feuerwehren, die mit einer Pumpe ihre Wassertanks im Fluss füllen. Viel Verkehr generell mit Traktoren, schwachbrüstigen Lastwägen und scheinbar selbstgebastelten Gefährten, ein Radfahrer mit Vollvisierhelm.
Die Gegend ist die ganzen dreihundert Kilometer hindurch mehr oder weniger eine einzige Kautschukplantage mit Bäumen in Reih und Glied, dazwischen stehen noch ein paar Betelnusspalmen. Unser Fahrer überholt nach westlichen Maßstäben zwar noch immer wie ein Wahnsinniger, fährt aber für örtlichen Standard doch ungewöhnlich verhalten, vielleicht wegen der vielen Körbe am Dach. Dadurch gerät er noch mehr in Enas Visier, die heute schlecht drauf ist, wohingegen ich die
Ruhe in Person bin, obwohl mir der Motor durchs Bodenblech schön langsam die Zehen knusprig brät. Wenn sie nur seine Sprache sprechen könnte, diese Dumpfbacke, sie möchte ab jetzt weiterfahren. Das ist ihr Ernst, Napoleonsyndrom im fortgeschrittenen Stadium.
Es ist schon lange finster, als wir endlich in Dawei einreiten, so war das nicht ausgemacht. Schnell eine Behausung finden, dann auf die Straße. Viele enthusiastische Zuseher bei einem Fußvolleyballturnier, wo die Spieler mittels akrobatischer Sprünge und Bein-Extremstretching versuchen, eine hohle Bastkugel ins gegnerische Feld zu fetzen, Elektrolyt und Futter für uns in einem Biergarten bei angenehmem Stromausfall.
28.12., Mawlamyine

Mit einem Mietmoped unseres chinesischen Beherbergers kümmern wir uns zuerst am Busbahnhof um Tickets für morgen, dann gurken wir gen Süden zum größten liegenden Buddha der Welt. Die gesamte Anlage ist dazu angetan, in Kürze eine der Hauptattraktionen des Landes zu werden, aber noch ist sie nicht fertig und nur ein paar einheimische Touristen staunen mit uns über die riesige, hundertachtzig Meter lange Konstruktion, die da in der Gegend herumliegt. Über einen Stiegenaufgang betritt man den Buddha über seinen Kopf, die ersten zwei Stockwerke bis zur Hüfte sind auch innen schon fertiggestellt. Dreidimensionale Abbildungen von allerlei Göttern und Fabelwesen, irgendwelche Szenen, die nur ein Buddhist versteht. Auch die haben scheinbar ihre Hölle. Menschen werden von Monstern aufgespießt und mit glühenden Kohlen überschüttet, es kommt auch zu Organentnahmen ohne Einwilligung des Patienten. Der hintere Teil des Liegenden ist noch in der Rohbauphase, wobei die Baustelle nicht abgesichert und auch nicht gesperrt ist. Räume mit grauen, noch nicht fertig modellierten Skulpturen, kaputte Figuren. Bis in den fünften Stock, ganz hinten bei den riesigen Zehen, gehen wir, wo wir durch Baulücken ins Freie gelangen und den zweiten, ebenfalls in Bau befindlichen Riesenbuddha am Gegenhang bewundern. Wie ein umgefallener, halb fertiger Wolkenkratzer, erstaunlich. Nebenbei müssen wir zahlreiche Fototermine wahrnehmen, wir sind hier auch der Hit. Bereitwillig spenden wir noch zwei schwarze Keramikfliesen für das Haupthaar des neuen Buddha, dann rauschen wir entlang eines ewig langen Spaliers von tönernen Mönchsfiguren von dannen. Nächster Halt: Eine teilweise seeehr niedrige, zur Betstelle umfunktionierte Höhle, dann suchen wir ein paar Dörfer heim. Männer spielen eine Kombination aus Karten.- und Billardspiel mit kleinen Kegeln um Geld, ländliche Beschaulichkeit. Zurück in der Stadt gibt´s natürlich auch eine Riesenpagode am Berg mit einem uralten, noch immer bewohnten Kloster aus Holz nebenan, da geht die Sonne schon unter. Viele farbenfrohe indische Tempel stechen ins Auge, eine größere Community hat sich angesiedelt. Unser peristaltisches Glück strapazieren wir heute mit bröckeligem Früchtejoghurt und viel zu scharfem Essen am Ufer des Thanlwin, wo wir auch winzige Vögel im Ganzen und unbekannte, stachelige Meereskreaturen verzehren könnten. Spezielle Zutatenverbote der Gefährtin sind dem Personal noch nicht näherzubringen, für die Zukunft übersetzen wir daheim noch die wichtigsten Schlagwörter und fotografieren sie ab für die dreiundneunzig Prozent der des Lesens Mächtigen.

Freitag, 27. Dezember 2019

27.12., Kin Pun, Mawlamyine 

Nach ein paar Scheiben Zwieback und chinesischem Tee, der irgendwie nach Suppe schmeckt, klettern wir gemeinsam mit rund sechzig Einheimischen auf die Ladefläche eines der vielen Trucks, die uns nach oben zum heiligen Felsen bringen. Das ganze Szenario erinnert an eine gigantische Viehverladung. In einer großen offenen Halle klettern wir auf Rampen und werden von dort raumfüllend eingeschlichtet. Im Nachhinein macht das durchaus Sinn, die Trucks rasen vorallem am Weg zurück
mit Vollgas durch die steilen Serpentinen, den ersten Gang voll auf Anschlag.
Oben am Berg angekommen wieder raus aus den Latschen, was etwas ekelhaft ist, weil die Leute ihren Dreck und ihre oralen Säfte nicht immer bei sich behalten können, und dem Felsen entgegen. Der ganze Zirkus ist eigentlich in keinster Weise gerechtfertigt. Der Golden Rock war ursprünglich nur ein ganz banaler Felsen, der in seiner exponierten Lage am Hang mit verhältnismäßig wenig Auflagefläche recht fragil wirkte, was irgendjemanden dazu veranlasste, auf ihm eine kleine Stupa zu
errichten. Daraufhin kleisterten ihn Gläubige mit Goldfolie zu und jetzt wird hier ein Riesentamtam um ihn gemacht. Wenn es nach hiesigen Kriterien ginge, wäre das Waldviertel mit seinen Findlingen und Wackelsteinen das spirituelle Zentrum der Welt.
Träger schleppen gebrechliche oder fette Menschen auf Bambussänften die letzte Etappe hoch, Kinder und Gepäck werden gegen Bezahlung in geflochtene Körbe verfrachtet und
hoch getragen. Erstere weinen dann, weil sie nicht im Korb sitzen möchten, und werden von ihren Eltern getröstet, die den Trägern hinterher dackeln.
Sinnlose Sicherheitsschleusen, ein verfliester großer Platz. Ena hat nur sehr beschränkten Zugang zum Felsen, weil sie weiblich und somit unrein ist, was ich so nicht bestätigen könnte. Sie duscht regelmäßig und putzt sich auch brav die kleinen Mäusezähnchen, weswegen sie mit, nennen wir es
fundamentalem Unverständnis, auf die Restriktionen reagiert. Während ich direkt am anbetungswürdigen Stein die Leute beim Anpicken der Folie und Beten beobachte, bedenkt sie außerhalb der Sperrzone das Wachpersonal mit ihrem bösen Blick und hält meine Schuhe.
Die Fahrt zurück ist schrecklich. Wegen der Dieseldämpfe der vor uns fahrenden LKW´s und den vielen engen Kurven speiben sich rund um uns die Leute an und es ist unglaublich eng. Zurück in Kin Pun taumeln wir zum KFC, der sich hier wie ein funkelndes Raumschiff inmitten von Holzhütten und kleinen Betonhäuschen eingenistet hat, und genießen die Klimaanlage. Viel Zeit bleibt nicht, bis wir uns schon wieder gemeinsam mit Obst-Ladies, Bauern und einheimischen Touristen in einen Pickup quetschen, um an der Hauptstraße den Bus nach Mawlamyine zu erreichen. Der kommt eine Stunde zu spät, noch Zeit genug, sich mit einem Asia-Ami zu unterhalten, der hier vier Jahre als Diplomat tätig war und jetzt um die Häuser zieht. Die längste Brücke Myanmars mit dreieinhalb Kilometern Länge bringt uns in die nächste Stadt. Die Rikschafahrer verstehen kein Englisch mehr und können auch nix mit unserer Schrift anfangen, in der wir die Adresse der angepeilten Unterkünfte parat hätten, und so dauert es ein Weilchen, bis wir endlich in einem Chinesenhotel unterkommen. Gefüllte Teigfladen unter einem riesigen Werbebildschirm am Ufer des verdreckten Flusses mit Bier im Vorteilsgebinde.
26.12., von Yangon zum Golden Rock

Ahornsirup-Suppe mit Nudeln zum Frühstück, Wahnsinn. Dann verlassen wir die Stadt. Gar nicht so einfach, wo doch auch heute noch wahrscheinlich aufgrund meines Namenstages Feiertag ist und Gerüchten zufolge das halbe Land unterwegs ist. Der Taxler, der uns zum Busbahnhof bringt, schlatzt, wie die meisten anderen auch, seinen überflüssigen roten Betelsaft in eine Plastikflasche, deren Inhalt am Armaturenbrett hin und her schwappt. Als er uns gleich nach der Einfahrt zum großen Terminal raus lässt, werden wir schon von irgendwelchen Strolchen abgefangen, die uns unseren Ticketvoucher abnehmen und uns vierzig Minuten vor der Zeit in irgendeinen gerade abfahrenden Schrotthaufen stecken. Wie so oft sind
wir Spielball unbegreiflicher Abläufe. Englisch wird von den meisten in seiner Aussprache sehr frei interpretiert und alles Geschriebene kommt mit sehr vielen Kreisen, Klammern und Schleifen daher und sieht in etwa so aus: oco]0c0[§:gg°°pp00o]ogcg: So fehlt mir selbst als se best traveler of se world mitunter der letzte Wahrheitsbeweis und wir fügen uns notgedrungen den Umständen.
Nicht, daß der Tacho funktionieren würde, aber mit geschätzten vierzig km/h holpern wir gute zweihundert Kilometer bis nach Kin Pun, von wo aus wir morgen den Golden Rock besichtigen werden. Generell wird sich für uns zwei nur die Exploration des südlichen Ausläufers des Landes ausgehen, mehr ist in den knappen zehn Tagen, die Ena hier noch bleiben, nicht zu schaffen.
Ganz gemütlich ist´s im Bus. Vollgedudelt von burmesischer Popmusik und inmitten von sehr bunt und unabhängig vom Geschlecht in Röcken gekleideten Menschen schauen wir uns die Landschaft an, die gemächlich an uns vorbei zieht. Weite, flache Ebenen mit vereinzelten Bäumen, Melonen.- und Reisfelder. Zwischen den staubigen und ärmlichen Ortschaften ein paar Verschläge und Hütten, alles relativ zugemüllt. Bei Einbruch der Finsternis erreichen wir das Kaff, das als Sprungbrett für die Ausflüge zum heiligen Felsen fungiert, und quartieren uns in einem überteuerten und schäbigen Zimmer ein, bevor wir die Gegend erkunden.
Hunderte Unterstände mit Ramsch, reichlich Fressbuden mit allerlei gefüllten Töpfen, ein Obst.- und Gemüsemarkt. Wer soll das alles essen? Wir jedenfalls halten uns an Reis als Basis, dazu werden uns Schüsselchen mit teilweise unbekanntem Inhalt hingestellt. Die Alte, die uns bedient, hat sich ihre den Burmesen eigene gelbliche Pflegepaste Thanakha dick und flächendeckend ins Gesicht geschmiert und hinterlässt einen clownesken, leicht gruseligen Eindruck.
Noch die üblichen Insiderinformationen mit einem Ami und einem Franzosen getauscht, o0oc:[c]uco0. Das heißt auf burmesisch Gute Nacht.

Mittwoch, 25. Dezember 2019

25.12., Yangon, formerly known as Rangoon

Auch zum Frühstück werden Reis, Nudeln, Gemüse, Ei und Fisch gereicht, für Ena gibt´s noch zu süße Toastscheiben mit Margarine und Marmelade. Das Hotel ist überhaupt der Hammer mit unerwarteten Annehmlichkeiten wie einer wohlsortierten Minibar, Warmwasser und Klimaanlage. Nur der Staat darf Touristen beherbergen und der zeigt sich diesbezüglich von seiner besten Seite.
Wir wandern unseren Hausberg im Norden Yangons hinab bis zur Shwedagan Pagode, einem 700-1000 Jahre alten Bauwerk und einer der drei wichtigsten Sehenswürdigkeiten Burmas.
Schon vor den vier überdachten, gewaltigen Aufgängen zur weitläufigen, fünf Hektar großen Plattform mit goldenen, teilweise hundert Meter hohen Stupas tummeln sich hunderte Standler und fliegende Händler mit Waren aller Art, Obst, Spielzeug, Souvenirs, Essen, Zuckerrohrsaft uvm. Ein Mönch schnorrt mich um Kohle an, "Money, Money!" Auf meinen ablehnenden Bescheid reagiert er baff erstaunt. "No? Why no money???" Die nächsten Stunden verbringen wir barfuß und
Ena züchtig bedeckt mit einem Leih-Longy inmitten Tausender Besucher. Großfamilien folgen im Gänsemarsch absurd aufgebrezelten und mit Sonnenschirmchen beschatteten Knaben, die als Novizen für ein paar Tage oder Wochen ins Kloster eintreten werden. Bananen werden geopfert und Erinnerungsfotos geschossen.
Mönche und Zivilisten psalmieren aus kleinen Büchern vor Statuen, Pärchen bitten die dafür zuständigen Gottheiten um männlichen Nachwuchs, andere möchten ihre Krankheiten loswerden. In einer Ecke ein prachtvoller Bodhibaum, der dem Samen des Baumes entsprungen sein soll, unter dem Siddhartha nach sechs Jahren Meditation die Erleuchtung fand und zum Buddha wurde, ein nachgemachter, viel zu großer Zahn des Allerheiligsten ruht in einer pompösen Vitrine. Inmitten der
Anlage thront die Hauptstupa, eine gigantische Steinbeule mit aufgesetztem Zylinder, auf dem wiederum ein Schirm mit einer Windfahne steckt. Gespendete goldene Ringe, Armreifen, Geschmeide, Perlen und Edelsteine von unschätzbarem Wert hängen dort oben, die Stupa selbst ist mit sechzig Tonnen Gold verkleidet. Viele Goldspenden werden eingeschmolzen und als Goldplättchen an Pilger verkauft, die damit Figuren und Säulen bekleben. Unzählige Buddhafiguren, irgendwo ein versteckter Schrein mit einem Buddha-Haar, Überwachungskameras, noch mehr Reliquien diverser Reinkarnationen.
Einen Guide haben wir in weiser Voraussicht gleich zu Beginn der Besichtigung angeheuert, der deckt uns ein mit Zahlen und Geschichten. Obwohl er einst Englischlehrer war und recht gebildet wirkt, glaubt er doch an Alchimisten, die Gold herstellen können, an Mönche, die durch Meditation übernatürliche Kräfte und biblische Lebensalter erlangt haben, an Horoskope und an Krafttiere.
Goldene Glocken läuten im Wind und erinnern die Gläubigen daran, gute Taten zu tun. Auch wir gießen beseelt unser astrologisches Krafttier symbolisch aus Metallbechern, Enas Meerschweinchen stinkt dabei etwas gegen meinen Löwen ab. Dann schlagen wir mit Holzpflöcken gegen große Glocken, um unser soeben erhaltenes Glück mit allen anderen zu teilen, den Lebenden und den Toten. So viel Symbolik, so viele Mythen und Legenden. Mosaike aus Jade und Elfenbein, aufwendige und filigrane Holzschnitzereien. Und heiss isses.
Später, in der Down Town der Fünfmillionenstadt, beeindrucken Straßen mit monumental hässlichen, teilweise verfallenen Häusern. Der Verkehr ist nahe am Kollaps, Ampeln werden von allen Teilnehmern ignoriert. Verschimmelte Fußgängerbrücken über verstopften Kreuzungen sollen die Situation verbessern, werden aber kaum genutzt. Jeder, der Geld besitzt, hält es in Händen, die Banknoten werden dabei scheinbar immer wieder meditativ durchgezählt. Zerbeulte Notstromagregate vor vielen
Shops, koloniale Regierungsgebäude der Briten und Straßen im Schachbrettmuster, angelegt in der Zeit vor 1948, bevor Myanmar unabhängig wurde.
Der Yangon River fließt hinter Mauern und Stacheldraht, und in seinem Hinterland, rund um die 19th Street, liegt Chinatown, wo die Wirten wie gewohnt die abstrusesten Gerichte anpreisen. Schon in Bangkok hingen die Haifischflossen in den Läden.
Ein gesamter Straßenzug wird zum Markt mit allem Erdenklichem umfunktioniert. Die Pfade durch die Körbe, Töpfe und Säcke der Verkäufer sind dabei so eng, daß man aufpassen muß, nichts umzuschmeissen. Feilgeboten werden Rattenfallen, mit Betelnüssen gefüllte und penibel zurechtgestutzte Blätter, Hühnerkrallen, aalartige Fische, gegrillte Zikaden, ungekühltes Fleisch und schon eingetrocknetes Sushi. Wir essen scharfes Zeug in knusprig dünnem Palatschinkenteig,
trinken Zuckerrohr.- Limetten,- und Wassermelonensaft, teilweise aus Plastiksackerln. Dann entdeckt uns ein erledigter Westler im Yogi-Outfit, schwafelt uns voll mit spirituellem Mumpitz, er ist auf Ausgang von seinem Kloster, in dem er seit einigen Jahren zu wohnen scheint. Getschechert hat er auf alle Fälle und drauf ist er vielleicht auch auf irgendetwas oder blöd geboren, jedenfalls bedarf es einer gewissen Unhöflichkeit, ihn wieder loszuwerden. Am Hauptplatz rund um eine weitere gigantische Pagode, der Sule Paya, feiern Heerscharen noch immer Weihnachten. Es wird von Bühnen gesungen, gepicknickt, gedrängt. Religiöse Bauwerke aller anderen wichtigen Religionen stehen in stiller Eintracht rundum.
Wir hüpfen irgendwann ins Taxi. Die nächsten Tage wollen geplant, Transport und Unterkunft muß organisiert werden. Daheim genießen wir die Stille und das Wummern der Klimaanlage, Ena dreht sich um und wird wohl bis morgen durchrüsseln.

Dienstag, 24. Dezember 2019

24.12., Bangkok, Yangon

In Australien brennt´s, deswegen verkürzt der Travelex seinen Urlaub kurzerhand um drei Monate und fliegt heim. Somit kann auch ich mir meine schon gebuchten Tickets dorthin auf den Bauch picken, für mich alleine ist dieses Land nicht leistbar und auch nicht spannend genug . Das ist nicht nett. Mit dem Boot fahren wir den Chao Phraya-Fluß entlang und hüpfen dort noch bis nach Siam in den Sky Train, eine U-Bahn, deren Trasse in luftigen Höhen verläuft. Ein spezieller Plan steckt nicht hinter
dem Ausflug, einfach herumeiern und schauen. Dann setzen sich die Gefährtin und ich ab nach Yangon in Myanmar. Bus, Flieger, Taxi, zwei fette Geldbündel gegen vier Scheinchen tauschen. Schnell im Hotel einchecken und kurz vor Mitternacht noch ab nach Chinatown zum Weihnachts-Halligalli. Jaulende Musikanten performen auf einer nicht wirklich für den Verkehr gesperrten Hauptstraße, das dankbare Publikum läuft Gefahr, bei einem falschen Schritt überfahren zu werden. Das Festessen nehmen wir auf winzigen Kindersesseln einer moskitoverseuchten Garküche ein. Fisch, Reis, Bohnen und Wasserspinat, dazu Tee und Wasser schlagen sich mit knapp zwei Juros zu Buche, aber heute ward immerhin das Gottessöhnchen geboren und wir lassen es krachen.

23.12., Bangkok

Am Nachmittag schlagen wir erledigt in Bangkok auf. Alle Pissoirs auf Kinderhöhe montiert, die quakenden Stimmen der Einheimischen, überlebensgroße Fotos vom neuen Monarchen. Im Keller wechseln wir Teile unserer beachtlichen Bargeldbestände zum Vorteilskurs, außerhalb des Terminals dann die Klima-Watsche bei dreißig Seidln im Schatten und hundert Prozent Luftfeuchtigkeit. Travelex wartet schon in der Lobby unserer Bude in der berühmten Khao San Road, der hat
bereits ein paar Wochen in Thailand heruntergebogen. Draußen auf der Straße dreht sich ein Krokodil am Grill, Bullen absolvieren gemeinsam mit Reinigungspersonal einen Fototermin mit beschrifteten Säcken, die den Mob zur Mülltrennung ermuntern sollen. Massenmassage allerorts, schon das Personal nur zum Ankeilen der Laufkundschaft ist vor manchem Etablissement zweistellig. Gar nicht mehr so einfach, einen "Bucket" zu finden, die Verkäufer der kleinen Kübel mit Billig-Alk sind genauso wie die mobilen Garküchen größtenteils aus dem Straßenbild verschwunden. Auch der Verschlag, der einst mit übertragenen Gütern von anderen Reisenden gehandelt hat, musste einem Souvenirshop weichen. Na ja, alles hat seine Zeit. Dafür wird´s irgendwo anders spannender sein als vorher.
22.12., von Wien nach Bangkok

Endlich wieder auf der Piste, Zeit wird´s. Auch die Süsse konnte sich zumindest für die ersten zwei Wochen der diesjährigen Mission frei machen, immerhin.
Nix wird´s mit Filme schauen bis zum Abwinken während des ersten Fluges nach Amman, im Flugzeug der Royal Air Jordania gibt es absolut kein Onboard-Entertainment. Auch die Verpflegung lädt nicht gerade zum Jubel ein. König Hussein empfiehlt sich den Fluggästen mit einem Käsebrot und einer Handvoll Linsen.
Fünf Stunden absitzen in Amman bis zum Anschlussflug nach Bangkok. Neben Menschen in gängigem Wüstenoutfit überrascht eine Fraktion gewandet in dicke weiße Badetücher und Schlapfen, wie frisch der Sauna entstiegen. Über einen Wellnessbereich verfügt der Flughafen aber sicher nicht, es dürfte sich wohl um
 Vertreter eines bestimmten Stammes oder Sektierer handeln.

Donnerstag, 7. März 2019

6.3., von Bogota nach Wien

Jüngst erstandene Schuhe, Tücher, Kapperl, Sonnenbrillen, Rum im Tetrapak und Kokakekse haben den Platz von Sonnencreme, Zahnpasta, Fenistil, zerrissenen T-Shirts und Hosen, löchrig gewordenen Socken, entsorgten Turnböcken, einer vergessenen Badehose und sonstigen verschwundenen Gebrauchsartikeln eingenommen.
Trotzdem habe ich weniger Gepäck als noch vor drei Monaten. Der abschließende Einkaufsstreifzug durch die Einkaufszentren, Handwerks- und Fetzenmärkte Bogotas war dennoch von Erfolg gekrönt. Die Stadt erinnert an Berlin mit seinen breiten Straßenschluchten und frei stehenden, mit Graffiti beschmierten Hochhäusern. Überlange Gelenksbusse fahren ungehindert auf eigenen Spuren. Fußgängerzonen und Parks, ein Universitätsviertel, alle Branchenvertreter gebündelt in einer Straße.
Wir beobachten Segnungen der Massen auch außerhalb der Kirchen, fast jeder trägt heute ein schwarzes Kreuz auf der Birne spazieren. Irgendein Feiertag wohl. Der letzte Tag verrinnt mit den üblichen Notwendigkeiten. Aus Esteban aka Stefsechef wird wieder Stef, der Chef. Die gebackene Leber bei Muttern ist bestellt und Marillenknödel für die Gefährtin, weil sie so brav war. Meistens. Mit dem ersten Flug geht´s noch einmal zurück nach Panama, dann weiter nach Frankfurt, wo
mich noch immer niemand versteht. Nach Wien ist´s nicht mehr weit, das sorgt durchaus für Heiterkeit. Hasta pronto!
5.3., Bogota

Das Goldmuseum dürfe man sich als Freund der gehobenen Kultur keinesfalls entgehen lassen, wurde uns von mehreren Stellen her nahegelegt, und so kämpfen wir uns heute durch mehr als fünfzigtausend Exponate auf vier Geschossen. Gewaltige Gesichtsblenden, die auf Herrschernasen montiert waren, unfreiwillig komische Totenmasken, Rollen von Blattgold, vielleicht das damalige Klopapier der oberen Zehntausend, winzige und filigrane Kunstwerke aus jeder Ecke des Landes und
allen Jahren seiner Geschichte. Mir reicht´s schon im zweiten Stock und würde ich irgendwo über einen verlorenen Goldbarren stolpern, ich würde ihn nicht mehr aufheben.
Bei einem Cafe Tinto erholen wir uns später auf einem kleinen, runden Platz, wo der Legende nach Bogota gegründet wurde, als vor uns ein Polizeibus hält und eine Ladung adretter Polizistinnen ausspuckt. Adrett, was sage ich! Die in unterschiedlichsten Uniformen gewandeten Girls sind
rattenscharf und obendrein sehr zutraulich. Eine von der Propagandaabteilung angeordnete Charmeoffensive hat sie in die Öffentlichkeit getrieben, wo sie sich jetzt genötigt sehen, ein freundliches Gespräch mit den zufällig anwesenden Passanten zu führen, während ein Kollege von der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit alles mit einer Kamera mitfilmt. Während ich meinen Geifer im leeren Kaffeehäferl sammle, beklagt sich die uns Zugeteilte, dass ihre Einheit, die Riotpolice, aufgrund irgendwelcher Menschenrechte keine Schusswaffen tragen dürfe, aber schon etliche ihrer Kollegen von Demonstranten erschossen worden wären. Was wir generell so von Bullen halten würden? Meine Schilderungen, wonach die heimische Exekutive, nach vorheriger
Schürung diffuser Ängste inflationär aufgestockt und danach obdachlos geworden durch Schließung ihrer Wach- und Schlafstuben, Tag und Nacht planlos in der Gegend herumeiert und in Ermangelung echter Verbrechen Strafzettel für durchgebrannte Abblendlichter oder offener Hosentürln ausstellt, entlocken ihr einen sphinxischen Schmollmund, bevor sie sich absetzt und nach neuen Adressaten ihrer gelebten Bürgernähe Ausschau hält.
Nach so viel Klimbim und heißer Luft muss wieder etwas Handfestes her. Wir nehmen an einer Foodtour teil, streifen durchs Candelariaviertel unterhalb des angrenzenden Barrio Egypto, eines großen Slums auf einem Berghang, und laben uns an landestypischen Speisen. Auf mit Reis und Erdäpfeln gefüllte Empanadas folgt eine Ajiacoosuppe mit Kapern, und als Draufgabe Chigüiro y Mamona, eine gegrillte Variation eines beutelrattenartigen Viechs und eines Milchkalbes.
Dann folgen süße Häppchen, alkoholische Getränke und Kaffee, ehe wir nach Hause gehen. Taxis sollte man nämlich tunlichst nicht einfach so herbeiwacheln, möchte man nicht beraubt oder gar entführt werden, und Uber kämpft mit rigorosen Strafandrohungen. Wird ein Fahrer erwischt, hat das den Führerscheinentzug für sagenhafte fünfundzwanzig Jahre zur Folge.
Ums Eck vom Hotel steht einschlägiges Publikum für das abendliche Saxon-Konzert an und Ena, Hassan und ich spazieren in den Hochhausbezirk Bogotas, weil die zwei nicht für Schwermetall zu begeistern sind. Bei ein paar Club Colombia erzählen wir uns fantastische Abenteuer, während sich auf den Straßen zwielichtige Gestalten einfinden, die unsere Freunde werden wollen.
4.3., von San Andres nach Bogota

In tiefster Nacht marschieren wir zum kleinen Inselflughafen und zeitig in der Früh setzen wir schon in der Hauptstadt auf. Dass ein vielleicht nur selbsternannter Priester in Zivil den Flug noch vor dem Start lautstark segnet, wird von den Passagieren noch wohlwollend mit einem kollektiv gemurmelten Amen quittiert, für die schreiende Danksagung kurz vor der Landung erntet er nur mehr wütende Zisch- und Pssst-Laute der verschlafenen Glaubensgemeinde. Es ist empfindlich kalt. Das auf 2600 Metern gelegene Bogota wird im Rest des Landes nicht umsonst The Fridge genannt.
 Im Bus hilft wieder ein freundlicher Mensch aus und weist uns den richtigen Weg zum Hotel der Wahl, das den frühen Gast schon ab Sieben aufs Zimmer lässt. Der hündische Rezeptionist trägt sogar ein rotes Jacket mit goldenen Knöpfen und ein Roomboy schleppt unsere speckigen Rucksäcke die zwei Stockwerke hoch. Dieses gehobene Etablissement zum kleinen Preis war ein Tip von Hassan, der morgen von San Andres nachkommen wird.
Ein zweiter Hahn in der Dusche verheisst Warmwasser und ein Schläfchen wäre jetzt schön, aber die Walking Tour durch das Zentrum Bogotas beginnt in Kürze.
Noch schnell einkaufen im Supermarkt, wo uns zuerst der Türsteher und später ein versandelter Typ herzlich in Bogota willkommen heißen, letztererstellt sich als Maler vor. Unser Guide Jeff zeigt uns dann den Schwarzmarkt für Smaragde, wo ältere, gut gekleidete Herren Steinchen ohne
Herkunftsnachweis verkaufen, trinkt mit uns Chicha, ein selbstgebranntes Gebräu aus Fallobst und sonstigen Küchenabfällen, und erzählt uns vor dem Justizpalast, was sich hier in den 80er Jahren abgespielt hat. Linke Guerillas nahmen in ihm rund dreihundert Zivilisten und einige Höchstrichter in
Geiselhaft, ehe das Militär das Gebäude in einer achtundzwanzig Stunden dauernden Schlacht zurückerobern konnte. Mehr als hundert Geiseln wurden dabei getötet, darunter auch elf ursprünglich schon Befreite. Die wurden nachweislich noch gefoltert, ehe sie gekillt und von Soldaten zurück in den Justizpalast gebracht wurden. Nur eine von vielen unglaublichen Geschichten, die Jeff über die Staatsgewalt auf Lager hat.
Wir besichtigen alte Kirchen aus dem sechzehnten Jahrhundert, besuchen sogar kurz das Boteromuseum, dem der namensgebende Künstler einst unzählige in zwei oder drei Dimensionen erschaffene dicke Menschen mit kleinen Köpfen, Händen oder Spatzis gestiftet hat, und stolpern über die engen und gebogenen Kopfsteinpflastergassen des Barrio Candelaria, der kleinen Altstadt. Dominant im Hintergrund ragt der Berg Monserrate mit einer weissen Kirche auf dessen Gipfel empor, der mit 3150 Metern höchste Hausberg Bogotas.

Dienstag, 5. März 2019

3.3., San Andres

Dreißig Leute nehmen insgesamt an der Tour teil, außer uns noch drei andere ausländische Touristen. Die Partie wird gleich ordentlich eingestimmt, eine dicke Lady erklärt minutenlang das Programm des Tages. Außerdem müsse man sich unbedingt noch Wasserschuhe kaufen, man könne sich sonst verletzen. Ein Typ, wahrscheinlich ihr nicht gänzlich unbekannt, der sich mit einschlägigem Sortiment neben der Anheizerin positioniert hat, wird umgehend gestürmt. Vorher fordert die Dicke Applaus für die Familia, das sind wir Teilnehmer, den Veranstalter und schließlich für sich selbst ein, was frenetischen Jubel zur Folge hat. Alle sind ziemlich aus dem Häuschen und mein Einwand, wir Gringos würden rein gar nichts verstehen, tut nicht viel zur Sache. Nach dem ersten Halt auf einer
kleinen Trauminsel wie aus dem Bilderbuch folgen wieder minutenlange Erläuterungen, nach denen ich abermals mein No entiendo espanol einwerfe, dann lassen wir´s bleiben. Ist ja auch wurst, wo die Häusln sind und wieviel ein Cocktail kostet, wir setzen uns eh ab. Auf diesem kleinen Eiland schieben sich soo viele Menschen den Strand entlang und fahren sich gegenseitig die Selfiesticks ins Auge. Sonntag isses und das Wetter ist schön.
Wir finden zwei Palmen, wo wir unter den neidischen Blicken der Heimatlosen unsere Hängematten montieren, unsere wichtigsten Reiseaccessoires. Dort latschen Iguanas, die schönen grünen Echsen, im Minutentakt vorbei und schauen, ob etwas für sie abfällt, immer ein großer und ein kleiner. Vielleicht handelt es sich um Pärchen oder es geht ein Lehrling mit, was weiß man.
Hassan, ein dänischer Altenpfleger mit iranischen Wurzeln, gesellt sich zu uns, und erzählt von jahrelanger Nachtschicht. Nach zwei Stunden treffen wir uns wieder mit der restlichen Reisegruppe, während am Strand und auf dem Wasser an die zwanzig Boote unterschiedlicher Größe auf ihre menschliche Ladung warten. Ein apokalyptisches Szenario tut sich auf und erinnert an eine Evakuierung. Männer schreien in Megaphone und teilen Menschen ein. Es gibt keine Stege, weswegen die Boote mit dem Bug in den Sand schneiden, während sie mit den Außenbordmotoren in Position gehalten werden. Teilweise monströs ausgefressene Kolumbianerinnen müssen von armen Helfern händisch an Bord gehoben werden, die können nach ein paar Jährchen getrost Versehrtenrente beantragen. Während der Beladung kippen die Boote nicht selten auf die Seite und
kreischen die Leute, die sich bereits darauf befinden. Nächste Station: Eine längliche Sandbank. Rund um den kahlen Fleck wächst Seegras und liegen ein paar Felsen, unter denen sich erstaunlich viele Fische verstecken, darunter auch zwei von den Horden unentdeckt gebliebene Ammenhaie. Dann klettern wir wieder in unsere Gefährte und fetzen weiter. Als nächster muss ein Rochen dran glauben. Unser zuständiger Guide springt an einer seichten Stelle ins Wasser und hebt ein
riesiges Exemplar hoch. Keine Ahnung, wie er den so schnell zu fassen bekommen hat, vielleicht war der Rochen irgendwo angebunden. Zunächst greift der Schoitl das arme Viech aus, als bräuchte er dringend eine Freundin, dann lassen sich ein paar Mutige hinab ins Wasser und streicheln und küssen den geflashten Rochen, der wohl schon schwer geschädigt sein muss. Das gleiche Schicksal widerfährt später einem Seestern. Auch er wird aus seinem Element entführt, herumgereicht und
betatscht. Es folgt ein Abstecher zu einem grandiosen griechischen Geisterschiff, das vor rund dreißig Jahren am sich ein paar hundert Meter vor San Andres befindlichen Riff gestrandet ist. Der Kahn steht perfekt waagrecht und man könnte glauben, er läge nur vor Anker, währe er nicht vollständig verrostet. An Bord befindet sich auch ein Kran, der fügt sich wunderbar in das desaströse Ambiente. Den letzten Programmpunkt der ausgedehnten Tour bildet eine vor einer Mangrovenlandschaft halb versunkene Segeljacht mit der Takelage und allem noch montiert, daneben rottet ein großes Schnellboot vor sich hin. Unser Mann erzählt etwas von Narco-Trafficer, einem Drogenschmuggler. Ein paar Brocken können wir uns zusammenreimen, ansonsten sind wir vom Informationsfluss
abgeschnitten. Am Abend kehren die Süße und ich zurück und sind uns einig, dass dieser seltsame Trip das beste war, das wir mit diesem letzten Tag auf San Andres hätten anfangen können. Ein achtzigjähriger Grazer erzählt an der Uferpromenade von Hitler, der damals immerhin jedem seinen täglichen Liter Milch hat zukommen hat lassen, wenigstens versteht ihn sonst keiner.

2.3., von Providencia nach San Andres

Kein Taxi weit und breit und der Wirt, der es hätte bestellen sollen, ist auch verschollen. Shit, die Zeit läuft. Die Fähren konnten die letzten Tage wegen des schlechten Wetters nicht auslaufen und die paar Flugtickets sind heiß begehrt, da würde ein verspätetes Erscheinen am Flughafen Begehrlichkeiten wecken. Kommt man von hier nicht weg, versäumt man womöglich den Flug von der Hauptinsel zurück in die Zivilisation, und ab dann wird´s teuer.
Die Betreiberin einer anderen Unterkunft hilft freundlicherweise aus und ruft auf Kreolisch alle Bekannten in der Nähe durch. Paulino, are ye derhome? Twe customas needet de Taxi!,
so ungefähr klingt das dann. Irgendwann sitzen wir auf den Gasrädern zweier Typen, die sich schnell ein paar Scheinchen dazu verdienen möchten, und alles klappt. Am Flughafen holt der Insulaner Nick gerade Frau und Kind ab, seine norwegische Gespielin hat Providencia zeitlich gut abgestimmt schon gestern verlassen. Auch ich bin ganz Stratege und platziere mich in der zweiten Reihe des winzigen Flugzeuges, so kann ich abwechselnd aus dem Fenster und ins offene Cockpit spechteln, wo die zwei Piloten tatsächlich die ganzen fünfzehn Flugminuten gut damit zu tun haben, in irgendwelche Listen und Aufzeichnungen zu schauen und mindestens hundert Knöpfchen zu drücken und Schalter umzulegen. Der Anflug auf die Piste und dann die Landung aus deren Perspektive ist
spektakulär.
Babylonische Sprachverwirrung später auf San Andres in der schon erprobten Unterkunft. Die Frau erwartet für übermorgen zeitig in der Früh Gäste und checkt nicht, dass wir ohnehin schon um zwei Uhr morgens auschecken werden. Ihr Mann, den sie irgendwann zu Hilfe holt, kann auch nicht viel mehr, als den gleichen Kauderwelsch um vieles lauter zu wiederholen, und es dauert sicher zehn Minuten, bis sich die Sachlage geklärt hat und wir das Zimmer beziehen können. Das nächste mal ein bisschen Spanisch lernen tut not, oder zumindest die Installation einer Übersetzungs- App. Das hätten wir auch hier noch machen können, wird man sich jetzt denken, aber seid versichert- nicht auf die besseren Münztelefone, mit denen wir hier sicherheitshalber unterwegs sind.
Nach so viel Fisch mit Reis inhalieren wir schon sehnlich erwartete Sandwiches beim Subway und einen Trip für morgen organisieren wir auch.
1.3., Providencia

Bis zum letzten Tag auf Providencia haben wir gewartet, um endlich tauchen zu gehen, und können froh sein, dass noch ein versprengter Franzose auftaucht und der Ausflug für die Tauchbasis somit lukrativ wird. Wegen des hohen Wellengangs tauchen wir umgehend ab und schon nach zwei, drei Metern lassen wir das wilde Herumgeschaukel hinter uns und betreten einen Hort der Stille und Beschaulichkeit. Neugierige Grauhaie umkreisen uns in geringem Abstand und eine gigantische und völlig furchtlose Languste steht einfach so und ohne jede Deckung im Gelände herum. Ansonsten ist das Szenario ganz nett, aber auch nicht überwältigend.
Während wir uns am Nachmittag am Zimmer von den Anstrengungen erholen, findet am Hausstrand von uns unbemerkt ein Pferderennen statt. Kein Wort davon irgendwo, auch das Personal wusste nichts. Pech gehabt.
Ich trinke noch den Kühlschrank aus, morgen fliegen wir zurück nach San Andres.
28.2., Providencia

Ein Schnorchelausflug im Collectivo mit zwölf anderen. Der Nationalpark auf Crab Island stellt sich als ein kostenpflichtiger, mit Seilen abgesperrter Bereich von vielleicht vierzig mal vierzig Metern dar, innerhalb dessen sich die Gäste gefahrlos bewegen können. Außerhalb wird die Lage vom Personal als potentiell zu gefährlich eingestuft, aha.
Tatsächlich hält sich eine Schildkröte in diesem schützenswerten Areal auf und grast den sandigen Untergrund ab. Sobald ihr die zahlreichen Besucher jedoch zu nahe kommen, schwimmt sie ein paar Meter weiter und sucht knapp außerhalb, in der Todeszone quasi, weiter. Und tatsächlich wagt es so gut wie keiner, den abgesperrten Bereich zu verlassen. Wir alte Anarchisten setzen uns elegant über die Sicherheitsbestimmungen hinweg und umschwimmen die Insel, das dauert keine zehn Minuten. Auch hier ist eine Schildkröte unterwegs, ein großer Barracuda und reichlich weitere Passanten, sehr schön. Den Inselberg kann man in zirka drei Minuten erklimmen und wird mit fantastischem Rundumblick belohnt, den großen Rochen sehen wir leider erst, als wir uns schon wieder an Bord unseres Bootes befinden. Später am Lagerfeuer wird er sogar noch größer, je mehr Biere und Mojitos wir uns gegen den durch die gefürchtete maritimaquatische Spontanosmose entstandenen Salzverlust verabreichen.

Freitag, 1. März 2019

27.2., Providencia

Erster Tagespunkt: Mit dem Mototaxi zur einzigen Tankstelle der Insel fahren und Benzin für die Mofette holen.
Zweiter Tagespunkt: Bis Mittag vom ersten Tagespunkt erholen.
Dritter Tagespunkt: Die Besteigung des namenlosen Berges. Der höchste Punkt der Insel wird schlicht The Peak genannt. Hunderte kleine Echsen wuseln am Weg herum, darunter auch blau schillernde Exemplare, aber keine Iguanas. Wahrscheinlich sind die auch schon ordentlich dezimiert, weil die Einheimischen sie mit Steinen von den Bäumen schiessen und ihnen dann wie Gefangenen die Vorderbeine am Rücken zusammenbinden, um sie anschließend in Richtung Kochtopf abzuführen.
Nach eineinhalb Stunden belohnt herrlicher Rundumblick unsere Mühen. Wellen brechen sich ein paar hundert Meter vor der Küste am mit dreihundert Kilometern Länge angeblich drittlängsten Riff der Welt, das Wasser innerhalb der Barriere leuchtet türkis.
Später auf der Ringstraße kommt uns Nick entgegen, der Typ, der uns gestern mit leerem Tank bis heim geschoben hat. Das trifft sich gut, für seine Heldentat revanchieren wir uns sogleich mit einem Bierchen am Strand.
Nick´s norwegische Freundin arbeitet den Sommer über in einem Supermarkt in Spitzbergen. Ihre Fenster verdunkelt sie so wie alle anderen auch während der nachtlosen Monate mit Alufolie, um in Dunkelheit schlafen zu können. Ein halbes Jahr Regale einschlichten reicht locker, um die restliche Zeit auf Reisen zu gehen. Nick weiß zu berichten, daß der jetzige Inselvorstand in den Neunziger Jahren mit 1,2 Tonnen Kokain erwischt wurde und dafür auch zwei Monate ins Gefängnis musste, ehe er sich freikaufen konnte.
Im Dorf kaufen wir noch Zeug ein, um zum letzten Mal den heimischen Kühlschrank damit aufzufüllen, am Weg heim geraten wir in einen nicht überholbaren Konvoi. Verteilt über beide Fahrstreifen begleiten hunderte Trauergäste auf Mopeds den auf einem Pickup aufgebahrten Sarg eines Verstorbenen zum Friedhof. Wir cruisen notgedrungen eine halbe Stunde lang mit, bis wir dem Pulk vor dem Friedhof endlich entkommen können. Aus dem ummauerten Gottesacker dringt der Klang von wuchtigen Trommeln und Xylophonen.
Dann noch schnell gebratenen Fisch und ein bißchen ins Lagerfeuer schauen am Hausstrand, bis pünktlich um Acht die Bullen aufkreuzen und das Gelände räumen.

Donnerstag, 28. Februar 2019

26.2., Providencia

Wir schnorcheln am Morgan`s Head, einem frei stehenden, runden Felsen, dem man in Ermangelung anderer Sehenswürdigkeiten eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Antlitz des gleichnamigen Piraten zuspricht, was natürlich blanker Unsinn ist. Aber das Wasser hier ist ruhig und die Sicht ist gut. Sogar eine unbekannte Seeschlange schaut vorbei. Am Weg zurück beobachten wir zwei Fischer, wie sie gerade an die vierzig große Caracols von ihren Schalen trennen. Von acht bis
neun Faden hätten sie die Schneckenmuscheln in zweistündiger Arbeit hochgetaucht, ohne Ausrüstung natürlich, der Fang wäre durchschnittlich. Der eine hackt am oberen Ende des Gehäuses mit einer kleinen Axt einen schlitzförmigen Zugang ins Innere, in den der andere mit seinem Messer fährt, um mit einem Schnitt die Muschel von ihrem Haus zu trennen. Dann zieht er das Viech mit einem routinierten Griff am eigentlichen Ausgang aus dem Gehäuse. Faustgroß ist das noch lebende Tier mit zwei um sich blickenden Stielaugen ähnlich einer Schnecke, das der Insulaner auf einen Haufen zu den anderen delogierten Muscheln wirft.
Im kleinen Kino oben auf den Klippen sehen wir abends Kurzfilme über die Entstehung der kreolischen Sprache, wobei ich das Inselenglisch des Sprechers selbst schon kaum verstehe, und über landestypische Musikinstrumente, wobei das Jawbone, der Unterkiefer eines Pferdes, sicher das seltsamste ist. Mit einem Rundholz ratscht der Perkussionist über die Zähne und erzeugt so einen Rhythmus gebenden Sound. Das Highlight des Filmabends ist aber die Doku über die
jährliche Krabbenwanderung, wenn die Straßen von ihnen voll sind und von Menschen, die die Krabben mit Schaufeln in Säcke füllen, um sie anschließend zu verkochen. Die Tiere, die die Odyssee überleben, legen ihre Eier am Strand ab, welche ein paar Tage später als Nachwuchs in Form eines flächendeckenden roten Teppichs ins Inselinnere zurückkehren.
In Aqua Dulce oder der Freshwater Bay, wie die Bucht auch ausgeschildert ist, probiere ich ein Ceviche mit den Muscheln, es schmeckt wunderbar. Dann verabschieden wir uns endgültig von den Franzosen, deren heutige Überfahrt mit dem Katamaran wegen Schlechtwetters abgesagt wurde und die auf einen morgigen Flug umbuchen mussten. Unser Drecksmoped springt nur schlecht an und nach ein paar hundert Metern rollen Ena und ich am Weg heim im finsteren Nirgendwo aus. Ein vorbeifahrender Einheimischer mit seinem Mädchen am Sozius bestätigt nach einem Blick in den Tank unsere Vermutung: Die Anzeige ist defekt und die Mopette ist leer.
Der junge Bursche bietet an, uns bis nach Hause zu schieben, und das macht er so: Mit seinem rechten, gestreckten Auslegerfuß drückt er von links hinten seitlich auf einen Punkt irgendwo unterhalb von Ena und gibt ordentlich Gas. Mitten während der Aktion beginnt es auch noch zu schütten, wodurch wir besonders auf den Steigungen an Grip verlieren und er mit seinem Moped bei insgesamt vier Mitfahrenden hart an die Leistungsgrenze kommt. Bergab lasse ich das Gerät dann bei Höchstgeschwindigkeit im Blindflug rollen, weil ich zu Beginn der ganzen Aktion vergessen habe, den Zündschlüssel anzustecken.
Der Typ ist jedenfalls ein Genie und der Retter in der Not, wir erreichen nach ein paar Minuten durchnässt, aber glücklich unser Quartier. 
25.2., Providencia

Ein Roller muss her, und zwar schleunigst und für den Rest der Inseltage. An den Lagerfeuern ranken sich zwar verworrene Legenden um einen Inselbus und sogar Sichtungen werden beschworen, der Wahrheitsgehalt dieser Behauptungen darf aber Anbetracht der flimmernden Hitze und der breiten Beeinträchtigung der Erzählenden bezweifelt werden. So sehen wir dann auch am Weg zum Pier hoffnungsfroh und kafkaesk bis in alle Ewigkeiten Wartende in bunten Buswartehäuschen,
während wir mit der Mopette cruisend den Fahrtwind genießen. Eltern auf Zweirädern holen gerade ihre Kinder ab, deren blauweiße Uniformen perfekt zu ihrer neu gestrichenen Schule passen. Eine Warteschlange vor dem Bäcker und am Hafen wird gerade ein großes Frachtschiff mit Hilfe eines einzigen Kranlastwagens, der sich auf dem Deck ausnimmt wie ein Spielzeugauto, entladen. Der hievt große Säcke mit Sand und Zement direkt auf am Steg darunter wartende Pritschenlaster,
feinstes Insel-TV. Obst und Gemüse kommen übrigens über die nicaraguanischen Corn-Inseln von Costa Rica her, das macht scheinbar mehr Sinn als eine Versorgung vom kolumbianischen Festland. Für diese Frachter gäbe es auch Passagiertickets zu kaufen, vielleicht ein andermal.
Hinter der Roots Bar liegt der Getränkeverantwortliche doch tatsächlich in seiner Hängematte und schläft, noch weniger Service geht nicht mehr.
Am Almond Beach schwätzen, jonglieren, trinken und spielen heute Fußball: Ein kanadischer Bauer, eine kolumbianische Töpferin, ein belgischer Divemaster, schon bekannte Figuren und ein paar Insulaner. Und als die Flut und der Wind kommen, ziehen die meisten von uns auf Nahrungssuche weiter. Eine Frau im Hinterland bereitet schmackhafte Iguana-Eintöpfe zu, hat für heute aber nur mehr banale Burger im Angebot. Bleibt nur mehr unser Stammwirt am Strand. Den räumt die Bullizei auch heute wieder pünktlich um 20.00. Auch dem Nino Divino nützen die auf Podesten aufgestellten Statuen vom göttlichen Kind nichts. Der Koberer wird genötigt, das Lagerfeuer mit Wasserkübeln zu löschen und die anderen Gäste und wir müssen uns ebenfalls hurtigst vom Acker machen. Volltrotteln!
An der Straße gilt das nächtliche Ausgehverbot nicht. Dort trällert eine Kreolin Lieder zu Gitarre und Akkordeon, während unter der Terrasse Muscheln angespült werden und Krebse im seitlichen Moonwalk vorbeiwandern. 
24.2., Providencia

Mein jugendlicher Elan wird von der Holden schroff in die Schranken gewiesen. Kein Schnorchel- oder Tauchausflug heute, kein Besuch des kleinen Nationalparks und schon gar nicht die Besteigung des Inselberges mit seinem angeblich grandiosen Rundumblick kommen infrage. Ganztägig verordnete Untätigkeit zur Erlangung tiefgreifender Erholung zwingt mich zum Konsum spanischsprachiger Cartoons im Bett, während sich am Gelände ein Hackler mit seiner Motorsense austobt. Dann legt sich die Gattin auch noch hin und verfällt umgehend in Tiefschlaf, während ich in meiner Fadesse meinen wuchernden Walross-Schnauzer in Ermangelung einer Schere oder anderem Schneidegerät mit meinem Nagelzwicker trimme und zum letztenmal im Plastiksackerl meine Wäsche wasche.
Die Schlüsselwörter für den restlichen Tag in chronologischer Abfolge: Strand, Hängematte, Musik, Fisch, Bier, Sonnenuntergang, Smalltalk, Moskitos, Buch, Klimaanlage.
Etwaig mitlesenden Pedanten oder Germanisten steht es frei, mit ihnen ganze und womöglich  ausgefeilte Sätze zu bilden und einzusenden. Dem Besten winkt ein Hubschrauber oder ein kaputter Kühlschrank, das überlege ich mir noch.

Sonntag, 24. Februar 2019

23.2., Providencia

Wir folgen dem bewährten Ritual, mieten uns ein für örtliche Begriffe eigentlich fahruntüchtiges Moped- die Hupe funktioniert nicht- und fahren die Insel ab. Die ist noch ein Stück kleiner als das neunzig Kilometer weiter südlich gelegene San Andres, eine überschaubare Expedition also. Fünftausend Kreolen leben auf Providencia und auf den Straßenschildern werden englische Namen verwendet. Gun Point, Bluff Point, Alligator Point, Lazy Hill. Letzterer ist bezeichnend für das vorherrschende Feeling. Dadurch, dass es keine direkte Verbindung zum kolumbianischen Festland gibt, ist es ganz ruhig und es herrscht entspanntestes Inselflair.
Die paar anwesenden Touristen müssen mit traditionellen Veranstaltungen und Zerstreuungen vorlieb nehmen, wird ihnen der Aufenthalt im Meer oder in der Hängematte zu langweilig. Das für heute anberaumte, wöchentliche Pferderennen bei uns am Strand, ohne Sattel natürlich, findet
leider nicht statt. Im Leuchtturm kann man sich dafür einen Film  über die zweimal pro Jahr stattfindende Krabbenwanderung ansehen.
Für eine Woche begeben sich dann alle schwarzen Krabben der Insel zu den Stränden und legen dort ihre Eier, bevor sie wieder ins Hinterland zurückkehren, und ein paar Wochen später folgt ihnen dann der Nachwuchs. Die Straßen bleiben für Tage gesperrt und Providencia ist noch paralysierter, als es ohnehin schon ist. Einmal jährlich findet auch ein Iguana- Schönheitswettbewerb auf Providencia statt, vielleicht das Highlight des Kulturjahres.
Tatsächlich wimmelt es hier vor Reptilien. Ständig raschelt es im Unterholz, wenn die großen oder kleinen Echsen das Weite suchen.
Unterwegs lassen wir keine Gasse aus und landen mitunter unbeabichtigt auf Firmenarealen, wenn man sie so nennen möchte, wilden Deponien oder privaten Höfen. Jugendliche mit ihren gut gepflegten Kampfhähnen mit glänzendem Gefieder in verlotterten Siedlungen, bellende Hunde, die von phlegmatischen Insulanern zur Ordnung gerufen werden. Alle jemals seit Entdeckung des Rades hierher gelieferten Autos, Kühlschränke, Toaster, et cetera sind noch immer auf der Insel und
rosten am Fahrbahnrand oder im Unterholz vor sich hin. Auf ein fahrbares Auto kommen mindestens fünf oft total zerstörte Wracks und manche ausgetrockneten Flussläufe haben sich zu Friedhöfen für elektronische Kleingeräte und Gefriertruhen gewandelt. Ein ominöses Versorgungsschiff versorgt die Insel zu allen heiligen Zeiten, eine Abholung von kaputt gewordenen Gerätschaften findet aber offensichtlich nicht statt.
Das Meer präsentiert sich wieder in allen Varianten von Blau, während wir der Küste folgen. Wir erreichen den schaukelnden Übergang zur noch kleineren Insel Santa Catalina, die durch eine halb kaputte, schwimmende Brücke irgendwie mit Providencia verbunden ist. Die Sehenswürdigkeiten hier, eine angebliche Kanone Captain Morgans und die Überreste einer alten Verteidigungsanlage, sind zu vernachlässigen, aber nicht der Steg, der durch die Mangroven führt, oder die
windschiefen, bunten Holzhäuser. Ein Ceviche zwischendurch zur Stärkung, später ein übertrieben starker Coco Loco am Almond Beach. Nach Sonnenuntergang noch ein Bier in Rolands Roots Bar, der berühmtesten Reggaehütte Providencias am Nachbarstrand, bevor die Bullizei kommt. Nach einer Schiesserei mit einem Toten letztes Jahr werden alle Strände offiziell um 20.00 geschlossen. Dann fahren die Motorräder mit Blaulicht durch den Sand und Touristen müssen einen Wisch unterschreiben, wonach sie entsprechend belehrt wurden und sie geloben, die Sperrstunde zukünftig einzuhalten. Die Bar liegt im Schatten von Palmen mit einem mittigen Feuerplatz und verfügt unglücklicherweise über eine respektable Musikanlage mit überdimensionalen Lautsprechern. Da jedes verfügbare Dezibel genutzt wird, verkommt die eigentlich chillige Beschallung in viel zu großem Wirkungskreis zu einem lärmendes Inferno, in dem man dem Kellner die Bestellung am besten schriftlich zukommen lassen sollte, um sich ihm irgendwie verständlich machen zu können.
Am Weg heim gilt es, den großen, nicht wirklich schreckhaften Krabben auszuweichen, dann ist die Expedition beendet.
Die Franzosen nebenan berichten von beim Tauchen gesichteten Ammenhaien, auch Bullenhaie sollen hier nicht selten sein.

Samstag, 23. Februar 2019

22.2., von San Andres nach Providencia

Die Mitführung der persönlichen Habe anlässlich des heutigen Fluges nach Providencia ist auf zehn Kilo Aufgabegepäck und fünf Kilo Bordgepäck limitiert. Außerdem wird jeder Fluggast abgewogen und dessen Gewicht penibel notiert. Auf dem Rollfeld werden wir und siebzehn andere Passagiere zu einer kleinen Propellermaschine geführt, die uns in kürzester Flugzeit von nur fünfzehn Minuten übersetzt. Die Flughöhe ist dabei recht niedrig, die Aussicht großartig und der Ritt vor allem bei Durchquerung von tief hängenden Wolken etwas wackelig. In Providencia entlädt ein kleines Quad mit hölzernem Anhänger die wenigen Taschen und wirft sie durch eine Luke in die Ankunftshalle, noch weniger geht nicht. Einer mitfliegenden Schweizerin wurde trotzdem am Weg hierher Bargeld, das sie blöderweise im Hauptgepäck deponiert hatte, aus eben dem gefladert.
Vor dem Flughafen wartet ein verbeulter Wagen, der alte Fahrer spricht eine wunderliche Mischung aus Englisch und Kreolisch. Raizal nennt sich die vorherrschende Inselkultur und wirkt sehr afrikanisch. Das Inselfeeling ist gleich spürbar und ist ganz anders als das am Festland oder auf San Andres. Iguanas huschen im Unterholz herum, eine faule Katze gähnt vor dem Haupteingang zum Rollfeld. Auf gut Glück lassen wir uns zu einem beliebigen Strand führen und finden auch gleich eine nette Unterkunft. Eine schöne Echse verkriecht sich am Gelände und vor uns schaukeln kleine Fischerboote in der Dünung, hurra. Drei Minuten entfernt hat ein kleiner Laden das Notwendigste für uns, wir besitzen sogar einen Kühlschrank, dann inspizieren wir die Umgebung. Die Hängematten sind schnell aufgespannt und später dinieren wir super einfachen, gebratenen Fisch am Strand mit zwei Franzosen. Den Digestiv in Form eines traditionellen Mojitos nehmen wir am Lagerfeuer ein, schön kitschig.
21.2., San Andres

Mit einem Leihmoped fahren wir die dreißig Kilometer lange Küstenstraße von San Andres ab. Unterwegs machen hunderte Golfwagerl voll mit anderen Urlaubern genau das gleiche. Auf der westlichen Seite gibt es hauptsächlich porösen Felsstrand mit glasklarem Wasser, im Osten Sandstrände mit starkem Wind, der Wasser und Seegras auf die Fahrbahn wirft. Sieben Farben spricht man dem Meer vor der Inselgruppe zu und das ist nicht übertrieben. Die Palette erstreckt sich von tiefem Blau bis zu traumhaftem Türkis, je nach Tiefe und Untergrund. Vor der Küste liegen drei Schiffswracks, wobei der rostige Rumpf von einem noch halb aus dem Wasser ragt. Im Inselinneren
erstreckt sich noch eine kleine Lagune, an deren Ufer sich Kaimane so reglos sonnen, dass wir erst von Plastikimitaten ausgehen. Erst als wir uns ihnen auf einen Meter angenähert haben, schrecken sie auf und verschwinden im trüben Teich.
Das Schnorcheln später im Meer ist nicht schlecht. Auf sandigem Terrain wachsen nur spärlich Korallen und die Sicht auf die nicht wenigen Fische ist trotzdem hervorragend. Abends an der Strandpromenade bietet mir ein Keiler eine Tour an, im Laufe derer man Rochen streicheln kann. Ich gebe mich ahnungslos und bestelle mir bei ihm ein Rochensandwich, was für erhoffte Bestürzung und Verwirrung sorgt. So ist mein Tagwerk getan und ich begebe mich zu Bett. Das ist noch immer viel zu kurz und eine abschließende Fußleiste vereitelt eine entspannte Nachtruhe. Während sich Zwerg Nase nebenan in den Schlaf räkelt, gehe ich daran, das Kinder- Beistellbett zu beziehen. Unter der zurückgeschlagenen Tagesdecke kommt allerdings eine monströse Ameisenstraße zum Vorschein, die von wo auch immer auf der Reise wohin auch immer die Matratze quert. Sollen sie das auch weiterhin tun und schön in ihrer Ecke bleiben, ich krieche zurück ins Doppelbett und mache mich klein.
20.2., San Andres

Flugzeuge starten und landen während der Nacht rund um die Uhr. Die Rollbahn liegt so nahe, dass die ewig laufenden Motoren der Maschinen das eigentliche Ärgernis sind. Dazu bellt ein junger Hund ohne Unterlass und ab Vier übernehmen die Hähne die Ruhestörung. Der Wind heult und lässt die Fenster zittern, in der Früh setzt Regen ein.
Nach Eiern mit Knoblauchreis, wir sehnen uns schon nach anständiger Nahrung, kümmern wir uns um die Weiterfahrt auf die Nachbarinsel Providencia. Die liegt noch einmal neunzig Kilometer weiter nördlich und stellt wie alles, das abgeschieden und nur umständlich zu erreichen ist, das Traumziel schlechthin dar.
Am Flughafen kostet der billigste Flug nur fünfzehn Euro weniger als die vierstündige Überfahrt mit dem Katamaran, die man bei hoher See dem Vernehmen nach durchaus auch kotzend verbringen kann, da fällt die Entscheidung nicht schwer. Die Sammlung der zusammengefassten Informationen nimmt allerdings einen halben Tag Fußmarsch zwischen den einzelnen Büros in Anspruch, die nicht immer besetzt sind. Die Mitarbeiter sind vielleicht gerade essen oder machen daheim ein Päuschen, man weiß es nicht.
Die Stadt fernab der touristischen Ecke ist ausnehmend hässlich. Weiter zum Meer hin wartet ein aufgeputzter Duty Free- Shop nach dem anderen auf  Kundschaft. Vor ein paar Jahren wurde hier eine Freihandelszone eingerichtet. Nach einer Altstadt oder einer netten Bar suchen wir vergeblich. Zurück an der Strandpromenade treffe ich eine Bekannte aus Wien, die mir wiederum von einem anderen Arbeitskollegen erzählt, der ihr letzte Woche in Minca über den Weg gelaufen ist. Ja gibt´s was Ärgeres? Da wähnt man sich als Reisepionier am Ende der Welt und dann läuft einem hier der Plebs der Heimat vor die Füße.
19.2., von Santa Marta nach San Andres

Abgesehen davon, dass wir nach achtfacher Geldbehebung Peso-Millionäre sind, habe ich auch noch mehrere druckfrische Geldbündel mit Originalbanderole und fortlaufenden Nummern im Gepäck. Natürlich handelt es sich dabei um Bolivares aus Venezuela, die noch vor ihrer Verbreitung zu hundertlagigem Klopapier entwertet wurden, aber kaufen musste ich sie trotzdem. Ena macht sich in die Hose und beschuldigt mich, ich würde mir jeden Dreck andrehen lassen, wobei sie
die zur Beschwichtigung eingestreuten Kaufgewohnheiten der Kolumbianer auch nicht gelten lässt. Gegen die bin ich nämlich harmlos, das sind die echten Konsumopfer.
Heute zum Beispiel hüpfen wieder drei Figuren hintereinander in den Bus zum Flughafen und rücken jedem Fahrgast etwas in die Hand. Über diese Kekse, Salben, Zahnbürsten oder Törtchen erzählt der fliegende Händler dann Fantastisches, außerdem gäbe es nur heute zwei Stück zum Preis von einem oder etwas in der Richtung. Also zückt mindestens ein Drittel der Anwesenden das Börserl und nützt die einmalige Gelegenheit, so einfach geht das.
Anyway, ich bin jedenfalls happy über mein Schnäppchen und der Venezolaner hat sich auch gefreut, so viel dazu.
Mit unserer nächsten Destination San Andres verhält es sich folgendermaßen: Unsere winterliche Auszeit neigt sich schon bald dem Ende zu und die Inselgruppe im Norden Kolumbiens muss als Höhepunkt der Reise herhalten, den man sich ja bekannterweise für den Schluss aufhebt, damit die Rückkehr nach Wien auch ja fundamental ernüchternd wird. Die Inselchens liegen achthundert Kilometer nördlich vom kolumbianischen Festland und geografisch eigentlich näher zu
Nicaragua, das deswegen auch nicht müde wird, territoriale Ansprüche zu stellen. Um die Verhältnisse noch komplizierter zu machen, fühlen sich die Insulaner historisch an England gebunden, weil sich dessen Siedler hier im sechzehnten Jahrhundert gemeinsam mit schwarzen Sklaven aus Jamaika niedergelassen haben und aus deren gemeinsamem Nachwuchs die heutigen Bewohner abstammen. Neben dem Anbau von Tabak wurde damals auch fleißig der Piraterie nachgegangen, da die mit Raubgut vollbepackten spanischen Galeeren am Weg heim bei San Andres vorbei mussten. Auch Henry Morgan hatte hier sein Lager, nach dem wurde sogar ein Rum
benannt.
Der Flughafen Santa Martas ist vielleicht der am schönsten gelegene weltweit. Die Gebäude und die Rollbahn liegen direkt neben einem makellosen Strand und es gibt sogar einen direkten Zugang dorthin von der Abfertigungshalle. Sollte der Flug Verspätung haben, könnte man problemlos noch einmal kurz baden gehen oder es sich zumindest unter einem Sonnenschirm gemütlich machen. Die Mitarbeiter allerdings sind so korrupt wie im Rest Kolumbiens auch. Für die vorab zu entrichtende Inselgebühr werden wie selbstverständlich ein paar tausend Pesos mehr eingehoben. Wer nicht bezahlt, kann ja da bleiben und die Frage nach einer Quittung erübrigt sich sowieso. Nach der eigentlichen Handgepäcks- und Körperkontrolle folgt noch eine absurde Perlustrierung im Schlauch zum Flugzeug. Dabei immer schön das Geldbörserl im Auge behalten, hier ist niemandem zu trauen.
In San Andres latschen wir vom Flughafen in die gleich daneben liegende Siedlung und checken in einem Zimmer in einer Wohnung eines schimmeligen Zinshauses ein, dann schauen wir zur Küstenpromenade. Kleine Fischerboote schaukeln im vom vollen Mond beschienenen Meer. Burschen spielen Handball im weißen, pudrigen Sand. Ein Volleyballnetz ist zwischen zwei Palmen gespannt.
Schon hier, im touristischen Zentrum der Insel, ist es wunderschön, obwohl die große Menge der flanierenden Menschen verblüfft. Am späten Weg heim
patrouillieren Soldaten im losen Verbund durch unsere Gegend. Glaubt man dem Internetz, ist auch hier schon so mancher um seine Habseligkeiten erleichtert worden.
18.2., Santa Marta

Sich irgendwo in einer der Fußgängerzonen auf einen Saft hinzusetzen, ist eine soziale Herausforderung. Keine Minute vergeht zwischen den zahlreichen sich einfindenden Händlern und Bittstellern. Tinto Tinto Tinto, schreien die Kaffeeverkäufer mit ihren Thermoskannen, Aqua, Aqua, Aqua, Cerveza fria, die Typen mit den umgehängten Styroporboxen. Vertreiber von handgeschnitzten Pfeifen flöten einem damit ins Ohr, Schnorrer wollen Hände schütteln oder legen dir ihre Zuckerl auf den Tisch. Gehörlose verteilen Zettel, Rapper fuchteln einem mit ihren Fingern geheime Botschaften zu, während sie sich die Zunge verknoten, und wenn es keine Kohle gibt, dann vielleicht eine Zigarette oder den Rest vom Cola, das man vor sich stehen hat. Hutverkäufer jonglieren bis zu einem Meter hohe Stapel davon auf ihren Köpfen und manche Bauchläden sind so überladen, daß deren Träger wie menschgewordene Bananen durch die Gassen ziehen.
Zusätzlich zum schon gewohnten Fußvolk habe ich jetzt auch noch die Schuhputzergilde Santa Martas am Hals, seit ich meine von satanischem Ungeziefer befallenen Turnschuhe gekübelt und gegen brandneue, in Salento erworbene Lederböcke getauscht habe. Drei,- viermal am Tag werde ich von den gleichen Putzern gefragt, ob ich sie nicht doch endlich putzen lassen will, obwohl die Treter wie gesagt noch absolut makellos sind.
Fernab der Altstadt und der kurzen Küstenpromenade, die im Süden von einer neuen Marina und im Norden von Kokaindealern und einem Industriehafen begrenzt wird, spielt es sich ganz schön ab in Santa Marta. Zäher Verkehr und Lärm, drückende Hitze. Erledigte in Plastiksäcken statt herkömmlicher Kleidung. Etwas angenehmer ist es in den zwei schattigen Parks der Stadt. Brechtänzer üben die Beugung physikalischer und anatomischer Gesetze im erhöhten Pavillon,
Musikanten spielen für niemand bestimmten auf. Für Abkühlung sorgt der Wind am Meer und gelegentlich ein Eis oder ein Bier.
Bevor wir morgen auf die Insel San Andres fliegen, wollen auch noch die kulinarischen Annehmlichkeiten der Großstadt genützt werden, namentlich Käsebrote mit Mais aus der Dose in der
klimatisierten Bude. Im Supermarkt gab´s auch Schweinehufe und Rum im Einlitertetrapak, das ist aber mehr etwas für die Einheimischen.

Sonntag, 17. Februar 2019

17.2., Palomino, Camarones, Santa Marta

Früh am Morgen nehmen wir den Bus nach Camarones, in Palomino hält uns nichts. Natürlich fährt der Mongo an den Garnelen, so der höchst eigenartige Name des Dorfes ins Deutsche übersetzt, vorbei und man lässt uns schließlich ein paar hundert Meter später inmitten von vertrockneten Dornen aussteigen, die durch die Sohlen unserer Sandalen stechen, als wären sie aus Tofu. Wir sind
noch dabei, uns die abgebrochenen Stacheln aus unseren blutigen Füßen zu zupfen, knattern uns schon Michael und sein Vater auf ihren Mopeds entgegen. Die zwei wurden uns von Alfonso empfohlen, sprechen kein Wort Englisch und sollen uns zu den Flamingos bringen, für die die Gegend hier bekannt ist. Durch eine seltsame Landschaft cruisen wir ewig lange, eine Mischung aus sandiger Wüste mit Kakteen aller Art und verkrüppelten, dürren Bäumchen, die nahtlos übergeht in einen Mangrovensumpf oder Grasland. Jedenfalls folgen wir dem Ufer weitläufiger und jetzt durch die Ebbe größtenteils trockener, flacher Senken. Bis zum eigentlichen Meer kommen wir dabei nie.
Riesige Haufen mit ausgebleichten Austernschalen, Schwärme von Ibissen, gestrandete Einbäume, Menschen mit Ziegen in der Hitze der schier endlosen, schattenlosen und flachen Weite.
Kleine Dörfer oder vereinzelte Höfe am Weg, die primitiven Lehmhütten sind mit Bambusstecken verstärkt. In einem abfließenden Rinnsal versuchen Wayuu, mit geworfenen Netzen kleine Fische zu fangen.
Irgendwann lassen wir die Mopeds stehen und gehen zu Fuß weiter, bis wir endlich die Flamingos rosa in der Ferne schimmern sehen, ein paar hundert Vögel vielleicht. Richtig seltsam sehen die Viecher aus, wenn sie fliegen. Sie wirken dabei viel zu dünn und viel zu lang.
Ena macht einen Buben sehr glücklich, der mit einem Stecken einen Reifen durch das weite Land rollt, er bekommt eine ganze Packung Zuckerl von ihr. Gerne hätte ich sein Gesicht gesehen, wenn er sich das erste davon in den Mund schiebt, die Geschmacksrichtung Hollunderblüte hatte er sicher noch nicht. Aber er macht sich umgehend aus dem Staub und das im wahrsten Sinne des Wortes. Später setzen wir vier uns noch zum Meer, trinken etwas und unterhalten uns, so gut es halt geht. Der Ältere erzählt uns zum Beispiel, wie wir das seifenförmige Insektenschutzmittel, das wir uns gestern gekauft haben, anzuwenden haben. Einfach die Haut vorher nass machen, den Stein darüber ziehen, fertig. Auch er hat so ein Stück zuhause und es funktioniert prächtig. Mindestens zehnmal erzählt er uns das, ich übertreibe nicht, als wäre eine Schallplatte hängengeblieben. Vielleicht vertreiben sich die Menschen hier so ihre Zeit, wahnsinnig viel dürfte hier ja nicht passieren, oder der Hammer leidet schlicht an Altersschwachsinn. Sein Sohn nickt jedenfalls unverzagt vor sich hin und das tun wir auch, bis uns die zwei wieder zurück zur Hauptstraße bringen. Auf den Bus warten wir diesmal nicht.
Die erste Etappe legen wir auf der Ladefläche eines Pickup zurück, die dauerprovisorisch mit Sitzbänken bestückt ist. Im Zuge einer Polizeikontrolle klopft ein Bulle auf der Pseudosuche nach Drogen oder Sonstigem so lange gegen die Karosserie des Wagens, bis ihm der Fahrer endlich entnervt sein Schmiergeld zusteckt, sich der Asoziale in den Schatten am Straßenrand zurück schleicht und die Fahrt weitergehen kann. Den zweiten Teil der Strecke bedient ein anderes
Collectivo, ein schwer zusammengerittener Daihatsu, den wir uns mit einem Alten auf Krücken und einem mit Elektrokleinwaren behängten fliegenden Händler teilen.
In Palomino verabschieden wir uns noch von Alfonso, schultern unser Zeug und fahren gleich die zwei Stunden weiter nach Santa Marta, hier hält uns nichts mehr.
Dort fassen wir um kein Geld ein Zimmer mit Klimaanlage aus und nur widerwillig lasse ich mich zu einer ersten abendlichen Erkundung der Stadt überreden. Mehrere kleine Fußgängerzonen mit Livemusik und Taschenspielern, am Meer ein Mann mit einem Teleskop, durch das man die Krateroberfläche des vollen Mondes bestaunen kann, renovierte, weiß getünchte Kirchen mit übergroßen Holzportalen auf leeren Plätzen, ein herausgeputzter Park mit einem Reiterstandbild Simon Bolivars, der hier einst das Zeitliche gesegnet hat, und vieles mehr. Doch dazu ein andermal, jetzt lasse ich mich ausgiebig klimatisieren.
16.2., Palomino

Ab 7.30 treibt uns schon nachbarliche Mehrfachbeschallung aus dem Schlaf. Wer da etwas davon haben soll, bleibt mir ein Rätsel, man könnte sich ja wenigstens abwechseln. Zum Trost serviert uns Alfonsos Frau das fluffigste jemals verkostete Omelett, bevor wir ein paar Stunden am Idiotenstrand herumkugeln. Illegal breiten wir unser Tuch am Areal eines verwaisten Resorts auf, reiner Selbstschutz. Für Verpflegung ist jedenfalls gesorgt. Bierverkäufer im Minutentakt und geröstete Cashews von fliegenden Wayuu-Händlern. In Palomino ist es insgesamt nicht so prickelnd, falls ich es noch nicht erwähnt habe. Beim venezolanischen Wirten später singt eine Frau und imitiert nicht vorhandene Bläserbegleitung, indem sie sich die Nase zuhält und instrumentenlos vor
sich hin trompetet, das ist wenigstens lustig.
15.2., von Minca nach Palomino

An jeder Kreuzung Santa Martas bemühen sich mindestens fünf Leute darum, den Wartenden auf welche Art und Weise auch immer ein paar Pesos abzunehmen. Auch unseren Bus entert ein Entertainer -ich weise hiermit für alle Schnarchnasen auf das großartige Wortspiel hin- und verfasst im Stegreifsprechgesang passende Reime für jeden Fahrgast, wofür er auch angemessen entlohnt wird. Die übliche Vorgehensweise beim Anschnorren funktioniert in Kolumbien übrigens mit Hilfe von Zuckerln oder Lollies. Die hält einem der Schnorrer hin und möchte dafür etwas Kleingeld. 
Je höher wir nach Norden fahren, desto mehr Soldaten und Wayuu sieht man. Die ersteren haben in der Nähe eine Basis, die anderen leben schon seit Jahrhunderten autonom in kleinen Bergdörfern ringsum. Sie sind immer in weißes Leinen gewandet und tauschen hier oft Fische gegen von ihnen angebautes Obst und Gemüse, wie uns Alfonso erzählen wird. Er ist unser sympathischer Quartiergeber für die nächsten zwei Tage, sieht aus wie John Malkovich und spricht leidlich englisch. Palomino selbst ist ein Saukaff mit viertausend Einwohnern. Bis auf die Hauptstraße ist nichts asphaltiert und entsprechend staubig präsentiert es sich. Kaputte Autos und Unrat in den absurd unebenen Gassen. Einen der schönsten Strände Kolumbiens soll es hier allerdings geben und deswegen sind wir auch da. Ein einziger Weg führt zur Küste, da folgt ein Restaurant, Tourveranstalter oder Schmuckverkäufer dem nächsten und Berge von stinkenden Müllsäcken türmen sich. Normalerweise würde laut Alfonso die Müllabfuhr zweimal die Woche kommen, aber momentan gäbe es Probleme mit der Deponie, was auch immer das heißen soll. Eher grauslich also, aber so richtig enttäuschend ist der hoch gepriesene Strand. Der zieht sich nämlich fad und schnurgerade über ein paar Kilometer. Haufen von riesigen Reifen fungieren als Wellenbrecher, der Sand ist teilweise schwarz und das Ärgste: Das Hinterland ist über die gesamte Länge mit Stacheldraht eingezäunt und somit vollständig vom Sandstreifen des Strandes getrennt. Das bedeutet, dass es kein Fleckchen Schatten und keinen einzigen verfügbaren Baum für die Hängematten gibt, ein schlechter Scherz. Noch dazu sind alle paar Meter rote Flaggen auf Dauer montiert. Die sollten eigentlich nur im Anlassfall vor gefährlichen Brandungsrückströmungen warnen und sind als Dauerinstallation  so aussagekräftig wie rosa Luftballons. Der Gast kann sich also zwischen Hautkrebs und Ertrinkungstod entscheiden am vielleicht schönsten Strand Kolumbiens in Palmino, was für ein skandalöser Bullshit.
Oben an der Hauptstraße wummert ohrenbetäubende Musik aus den Bars und Billardsalons und die Einheimischen hacken sich pünktlich zum Beginn des Wochenendes um.

Samstag, 16. Februar 2019

14.2., Minca

Das Kratzen nimmt kein Ende. Unsere Haxen schauen aus, als hätte man mit Schrotflinten auf uns geschossen, und wir schmieren uns in Ermangelung anständiger Medizin schon mit Sojabohnenöl und ähnlichem Unsinn ein. Immer neue Bisse und Stiche tauchen wie aus dem Nichts auf, unter der langen Hose, innerhalb der Schuhe, dunkle Mächte. Das Insektenschutzmittel ist weitgehend wirkungslos und der Feind unsichtbar.
Auch dreister Diebstahl trübt das Glück. Bei der Abholung der Panier von der Wäscherei fehlt eine von Enas Hosen. Selbstredend ist das so nicht hinzunehmen, wo ihre bescheidene Reisegarderobe ohnehin nur ein Minimum an modischen Entfaltungsmöglichkeiten und anlassbezogener Adjustierung gewährleisten kann. Ena stellt die Bude kurzerhand auf den Kopf, das ist jetzt nicht mehr lustig. Alle Anwesenden müssen auch die privaten Räumlichkeiten während der Durchsuchung
verlassen, als wäre die Geheimpolizei bei der Arbeit. Kalmierende Worte meinerseits bringen auch mich ins Schussfeld des bösen Blickes. Stefsechef in Gefahr!
Die Waschfrau gibt sich baff und ahnungslos, möchte uns sogar das bezahlte Geld zurückgeben, denn die Hose bleibt verschwunden. Ohnmächtige Wut, rotierende Zeiger im Stimmungsbarometer. Ich habe hier ja leicht reden. Würde aber meine einzige mitgeführte lange Hose abhanden kommen, ich würde nicht zögern und die kleptomanische Putze umgehend in ihrer prähistorischen Waschmaschine ersäufen.
Louis, der Redneck aus Florida, stößt zu uns, das vierte mal in der vierten Stadt. Er war die letzten Tage ganz oben unterwegs, am nördlichsten Zipfel Lateinamerikas. Eine einfache Bundesstraße, die durch das dünn besiedelte Gebiet führt, genügt dort vollauf, um das überschaubare Verkehrsaufkommen zu bewältigen. Umso erstaunter war Louis, als diese plötzlich für zwei, drei Kilometer in eine Autobahn mit jeweils zwei Richtungsfahrbahnen ohne bauliche Trennung in deren Mitte übergegangen ist. Ein Örtlicher hat ihn später diesbezüglich aufgeklärt. Bei Bedarf wird dieser Abschnitt nachts von der Polizei gesperrt um per Flugzeug Drogen abzutransportieren. Irgendwie muß das Zeug ja außer Landes geschafft werden. Seit dem damals von den USA und der kolumbianischen Regierung gestarteten War on Drugs hat sich allein die Anbaufläche für Koka versiebenfacht. Außerdem hat Louis von einem der vielen aus ihrem Land geflüchteten Venezoelanern als Souvenir für daheim ein dickes Bündel wertlos gewordene Bolivares erstanden. An vielen Plätzen würden sie außerdem fässerweise Rohöl verkaufen, das einzig greifbar
Wertvolle von daheim.
Wir hatschen aus dem Kaff. An einer Wand hängt ein Käfer so groß wie ein Spatz und zwei Meter tiefer hockt eine Spinne, die ist nicht viel kleiner. Pferde und Esel flanieren scheinbar herrenlos weiter außerhalb durch die Gegend. Unser Interesse heute gilt heute aber mehr dem Kakao, ringsum bieten ein paar Farmen Führungen an. Ich fasse zusammen: Geernteter Kakao muß zuerst fermentiert werden, dann stinkt er. Wird er aber anschließend getrocknet und geröstet, riecht das besser. Reiner Kakao schmeckt stark und gut, aber bitter, weswegen meistens noch Zucker und Milch zugesetzt werden, dann hat man Schokolade. Am meisten davon weltweit naschen mittlerweile deutsche Frauen, was deren Männer bewiesen humorlos macht.

Mittwoch, 13. Februar 2019

13.2., Minca

Neben nächtlichen Klogängen, sich verstärkender Fehlsichtigkeit und Erlangung ungeahnter Weisheit ist ein weiteres untrügliches Zeichen für das Älterwerden die Teilnahme an Vogelbeobachtungstouren. Wir stellen uns sogar den Wecker auf 5.30 und noch vor Sonnenaufgang marschieren Ena und ich gemeinsam mit zwölf anderen Möchtegernornithologen mit unserem Guide mit klingendem Namen Jungle Joe los. Ausgerüstet mit Ferngläsern und durch die Bank schwer zerstochen sehen wir im Ortsbild mindestens genauso seltsam aus wie die zwei Indigenen, die uns gewandet in einem seltsamen weißen Indianeraufzug und dazu eierschalenartigen, weißen Kopfbedeckungen ähnlich der albanischen Kapuq i bardh entgegenkommen. Sechsundachtzig dieser autonomen Stämme gibt es in Kolumbien, alle mit ihrer eigenen Sprache und eigener Kultur.
Nun aber zu den Aves, dem Laien auch als Vögel bekannt. Im Laufe von Jahrmillionen haben deren Vertreter eine geniale Technik entwickelt, Feinde abzuschrecken,
sie haben sich zu der langweiligsten Spezies überhaupt entwickelt. Potentielle Aggressoren verfallen bei ihrem Anblick in lähmende Fadesse und Agonie und verlieren jede Motivation, sie zu behelligen. Sollte dieser Mechanismus nicht greifen, kann der Vogel immer noch wegfliegen. Außer es handelt sich um ein Huhn oder einen Pinguin, doch die Vertiefung in die Kompensationsstrategien dieser faszinierenden Flugprimaten würde jetzt zu weit führen.
Jungle Joe späht angestrengt ins Geäst, trägt einen Laserpointer und einen Lautsprecher mit allerlei abrufbarem Gezwitscher und Gepfeife mit sich herum und zeigt sich freudig erregt, wenn seine Täuschung aufgeht. Entdeckt er einen seiner gefiederten Freunde in weiter Ferne, treibt er die Gruppe sogleich energisch an, eben dorthin zu laufen, was nur bedingt funktioniert. Wir haben echt alte Säcke unter uns und das Gelände ist ungeeignet für Rollatoren. Oh my God!, schreit er dann und rennt davon, als ob er einen Meteoriten oder ein Ufo erblickt hätte, und wir und unsere geriatrischen Freunde geben unser Bestes, ihm nachzukommen. In alle Himmelsrichtungen schwärmen wir aus, Joe verteilt dazwischen Geldscheine an ausgesuchte Bewohner des Umlandes, auf dass sie ihn
auch beim nächsten mal telefonisch verständigen, sollte sich interessantes Federvieh bei ihnen blicken lassen.
Das System funktioniert. Eine alte Frau gibt per Fernmelder den Anflug von zwei großen, gelbblauen Papageien bekannt. Die hocken gegenüber von ihrem Haus nur ein paar Meter weiter oben im Geäst und schälen Rinde von den Zweigen. Ist kein geeigneter Baum greifbar, machen sie gerne Kabel, Antennen und Fassaden kaputt. Außerdem sehen wir Tukane mit leuchtend gelben Schnäbeln, ein Specht mit rotem Schädel klopft sich die Birne weich und andere Vögel bauen eifrig an von Ästen nach unten hängenden, schlauchförmigen Nestern. Die Weibchen organisieren hierzu das Baumaterial und die Männchen sind mit dem Nestbau beauftragt. Missfällt den Weibchen etwas an der Bauweise oder haben sie ihre Tage, rasten sie mitunter aus und zerstören in blinder Raserei das gesamte Nest.
Auch Geier und Greifvögel jeglicher Couleur ziehen ihre Bahnen. Neben erwähnten, sogar der ahnungslosen Allgemeinheit hinlänglich bekannten Vögeln konnte ich noch den äußerst seltenen hodenlosen Hüfthorcher, den doppelschwänzigen Bienengurgler, den schiefstehenden Wurmwobbler und sogar den krummkralligen Wolkengrundler ausmachen, weil ich früher bei den Pfadfindern war
und mein Auge von da her entsprechend geschult ist.
Dann gehen wir schnell heim. Auch scharfe Saucen können schlecht werden, wenn sie beim Wirten zu lange in der Sonne stehen. Spätestens, wenn es beim Aufmachen der Flasche zischt und die Pampe am Teller Blasen wirft, sollte man sie nicht mehr essen, möchte man den Tag unabhängig von sanitären Einrichtungen verbringen.
12.2., Minca

Der Wasserfall am Ende eines einstündigen Marsches entlang einer staubigen Piste ist ja ganz nett und das Bad im kalten Pool auch angenehm erfrischend, aber für den Weg retour bestehe ich trotzdem auf eines der wartenden Motorradtaxis. Tatsächlich sind wir schon nach fünf Minuten wieder zurück im Dorf, aber der Ärger der Gefährtin über die Fahrweise der Zweiradchauffeure klingt erst im Laufe der nächsten Stunden ab. Kindische Überholmanöver, Auffrischung der Langhaarfrisur bei rasanter Fahrt über Stock und Stein, Malträtierung des Pfirsichpopos am schlecht gefederten Sozius. Und ich bin schuld daran, ich Unmensch. Da hilft nur
ein Stanitzel mit süßen Churros und später eine versöhnliche Mojitorallye durch Minca, mehr passiert heute nicht. Das gemäßigte Klima kommt unserem Nichtstun entgegen, die Heerscharen an beißenden und stechenden Viechern weniger.
11.2., von Cartagena nach Minca

Vier Stunden mit dem Bus nach Norden. Erwähnenswert ist eine über viele Kilometer von Menschenhand aufgeschüttete Fahrbahn über eine ausgedehnte Bucht hinweg, eine maritime Abkürzung quasi. Und die ärmlichen, verdreckten Siedlungen. Die fallen mir auch immer ein, wenn das Wort karibisch fällt, nicht die palmengesäumten weißen Strände.
Die letzte halbe Stunde nehmen wir von der Küstenstadt Santa Marta ein Taxi den Berg hoch, das bringt uns ins auf sechshundert Meter gelegene Bergdorf Minca. Eine Hauptstraße, von der zweigen noch vier oder fünf Gassen ab, die schon nach wenigen Metern nicht mehr asphaltiert sind. Ein Zimmer finden wir gegenüber der Kirche, eigentlich einer kleinen Kapelle. Das Bild eines zweijährigen Buben prangt auf jeder Hauswand, er ist seit Oktober abgängig. Im Park ein Schild: Deine Familie und dein Dorf vermissen dich.
Minca ist schwer von Touristen überlaufen, aber warum? Im Dorf selbst gibt es außer inflationär vielen Restaurants und Herbergen gar nichts zu sehen. Einer gemalten Landkarte nach gibt es im Umland noch einen Wasserfall und ein Schwimmloch und Ena möchte eine der Kakaofarmen besuchen. Klingt nach ein paar erholsamen Tagen, wunderbar.
Stiegen führen hinter der Kapelle einen steilen Hang hoch. Über die gelangen wir zu einer Aussichtsplattform, wo wir auf einer Schaukelbank über das Tal unter uns und weiter dahinter Santa Marta schauen, während die Sonne untergeht und wir den schlechtesten jemals gemixten Mojito trinken. Ein Berliner erzählt, er wäre in Cartagena nachts von Bullen ausgeraubt worden. Nach einer ergebnislosen Leibes- und Geldbörsenvisitation hätten sie gemeint, er solle
schleunigst 100.000 Pesos locker machen, wolle er Ungemach vermeiden, was der auch eingeschüchtert und staunend ob der Dreistigkeit der Polizisten gemacht hat. Bei solchen Gesetzeshütern braucht man gar keine Verbrecher mehr.

Dienstag, 12. Februar 2019

10.2., von der Isla Grande nach Cartagena

Gar nicht so einfach, von dieser Insel wieder wegzukommen. Die Chefin des Hauses will einfach nicht wahrhaben, dass wir sie nicht verstehen, und textet uns auf die getanzte Frage nach einer Transportmöglichkeit zurück zum Festland minutenlang zu. Ihr Sohn wird uns später auf ein Schnellboot quetschen, aber vorher suchen wir uns noch ein Stück Strand. Entlang von Stacheldrahtzäunen, vorbei an raumgreifenden Resorts suchen wir nach einer Lücke im System und latschen dabei unabsichtlich auf ein fremdes Grundstück. Die Frau darauf nutzt gleich die Gelegenheit und preist Fische aus einer Styroporbox an, ehe sie uns den Weg zum Meer
weist, und schon eine halbe Stunde später serviert mir ihr Mann mein Mittagessen direkt an den versteckten Strand, den man nur kletternd erreichen kann. Dazu ein kaltes Bier, schön.
Die Heimfahrt später gestaltet sich abenteuerlich bis skandalös. Das Boot ist heillos überladen, weil die Insulaner und die Bootsführer miteinander packeln und noch zusätzlich zu den offiziellen Fahrgästen blinde Passagiere an Bord bringen. Mit Vollstoff fetzen wir in Richtung Cartagena, das Hauptgepäck auf unseren Knien, zuerst über das offene Meer, dann durch ein enges, von Mangroven überwachsenes  Kanalsystem, weil der ursprüngliche Weg zurück wegen niedrigem Wasserstand ausscheidet.
Hier liegen ausrangierte Schiffe entlang der Ufer und warten auf ihre Demontage, die am Land unmittelbar dahinter stattfindet. In diesen engen Wasserwegen starten die Schnellboote im Höllentempo untereinander ein Rennen. Einen unbeteiligten Typen hauts wegen der Heckwellen vom Kanu und auch unser Boot gerät heftig ins Schlingern, wenn es ins Fahrwasser eines Rivalen gerät. Dann geht unseren Deppen der Sprit aus und sie schnorren sich einen Kanister von Kollegen, der natürlich erst umgefüllt werden muss, ehe es weitergehen kann. Mit Vollstoff natürlich, bis die Motoraufhängung eingeht. Mittlerweile wieder auf offener, rauer See, in Sichtweite schon die Containerverladekräne des Hafens, schaukeln wir antriebslos herum. Das Kielwasser der vorbeirasenden Schnellboote schwappt über die Reling, bis das Problem kurzfristig behoben ist. Dann dreht der Behindi sein Gerät wieder in den roten Bereich, der Bug hebt sich weit aus dem Wasser, bis wir nach zwei, drei Minuten wieder herumtreiben, weil er sein Drecksgefährt einfach nicht dauerhaft reparieren kann. Nach ewigen Zeiten erreichen wir endlich durchnässt Cartagena und gewinnen mit nassem Hintern Abstand zu diesen Vollkoffern.
Abends vor der Kirche steigt die Party. Eine Gruppe von Vortänzern am erhöhten Portal gibt zu verstärkter Musik Tanzschritte vor, die von gut hundert Leuten am Platz unterhalb begeistert
nachgetanzt werden. Ein Touri macht sich auch zum Deppen. Wie ein Roboter hampelt er zwischen den geschmeidigen Einheimischen herum, die den karibischen Rhythmus einfach instinktiv drauf haben, von den Kleinkindern bis zu den fitten Senioren, egal ob dick oder dünn, kurz oder lang. Rundum stehen noch ein paar hundert Leute und schauen sich das an, dazu Fressbuden, Sandler mit Einkaufswagen, andere Straßenkünstler, Bullen, Passanten, eine landestypische sonntägliche Zerstreuung.
9.2., Isla Grande

Im Schwimmanzug quer durch die Insel zu Diego. Den paar Einheimischen, denen wir begegnen, bin ich wohl nicht ganz geheuer. Mit uns werden noch vier Kolumbianer im winzigen Boot am Weg zum ersten Korallenriff waschelnass, die Gischt der Wellen ist wie eine lauwarme Dusche, die man nicht abdrehen kann. Die Holde kämpft beim Abstieg noch etwas mit ihren süßen, aber beim Druckausgleich so sturen Ohren, dass man gleich weiß, an wem sie hängen, dann schweben wir entspannt durch die Gegend.
Ganz nett ist´s hier unten, aber auch nicht sonderlich spektakulär. Ein paar Langusten konnten sich noch vor den Fischern in engen Nischen verstecken. Die tauchen bis zu fünfundzwanzig Meter in die Tiefe, natürlich ohne Ausrüstung, sammeln die Tierchen ein und verkaufen ihren Fang anschließend aus Kübeln heraus am Strand.
Am Weg zurück klappern wir ordentlich mit den Zähnen. Zuerst knappe zwei Stunden im Wasser, dann noch der Fahrtwind und die permanente Gischt. In der Hütte waschen wir uns das Salzwasser mit unserer rustikalen Bucket Shower runter, dann gehen wir ins Dorf etwas essen.
Hört man das Wort "Etwas", könnte man den falschen Eindruck unlimitierter Auswahlmöglichkeiten gewinnen, es sind derlei inselweit aber nur drei. Die Grundbeilagen Reis mit Kokosnussraspeln,
frittierte Kochbananen und eine eher symbolische Portion Salat können mit Fisch, Huhn oder noch mehr von den schon erwähnten Beilagen kombiniert werden.
Das staubige und sehr ärmliche Dorf befindet sich im Samstagsmodus. Übersteuerte Musik aus jedem dritten Haus, Bier trinkende Männer. Eine Teig knetende Mama delegiert ihre Arbeit kurzerhand an eine ihrer Töchter und bekocht uns im Rahmen ihrer Möglichkeiten ausgezeichnet. Die bettelnden Hunde verjagt sie ausdauernd, ihr eingezäuntes Grundstück hat nur freie Stellen dort, wo Gartentürchen hin müssten, und das Abwasser kippt sie auf eine benachbarte Grünfläche. Keine
Kanalisation, nur stundenweise Strom vom Generator und kein Fließwasser auch hier.
Die selbstgemachte scharfe Sauce am Tisch kann auch was. Dann umfängt uns bleierne Müdigkeit und wir machen Siesta, nachdem wir uns noch in brütender Hitze heim geschleppt haben, die Gelsen hocken auf dem Moskitonetz und warten auf ihre Gelegenheit. Diese fliegenden Arschlöcher ohne jeden weiteren Anspruch oder gesellschaftlichen Wert, was für ein Dasein.