Montag, 28. Dezember 2015



27.12., Marea del Portillo
Als wir uns vormittags ein Moped leihen wollen, ist der Container vor dem Hotel zugesperrt und das Mobiltelefon des verschollenen Mitarbeiters läutet am Schreibtisch eifrig vor sich hin. Als er schließlich von einem seiner Kumpane irgendwo ausgegraben wird und ihm nichts anderes mehr übrig bleibt, als seine Arbeit zu tun, ist er ehrlich überrascht und angesäuert, weil ich ihm, zunächst noch verhalten, meinen Unmut kundtue. Er teilt uns schließlich eine der üblichen Krücken zu, wir füllen den leeren Tank in Pilon und erreichen die Serpentinen. Das Moped bröckelt ab auf zwanzig Stundenkilometer, dann auf zehn, dann auf fünf. Ein paar Meter watschle ich noch mit, dann stehen wir. Umgedreht, Kabelbrand und böse Worte, Ena geht befremdet Bier holen. Das getauschte Gefährt wieder vollgetankt und mit Müh und Not über den Berg. Den ganzen Aufwand und Ärger hätten wir uns auch sparen können. Sechzig Kilometer auf noch befestigten Straßen durch monotone Zuckerrohrplantagen und gesichtslose Kleinstädte, die baulich einzig durch die Schlote der meist stillgelegten Fabriken bestechen, dann noch dreißig Kilometer über wilde, gelegentlich überflutete Pfade, bis wir den von der Unesco 1999 zum Welterbe ernannten Nationalpark Granma erreichen, wo wir uns mutterseelenalleine auf weiter Flur wiederfinden. Keine Mitarbeiter, keine Gäste, keine Beschilderung, nichts. Unglaublich. Ein Typ, den ich schließlich in einer verwaisten Anlage am Ende des allerletzten, überwachsenen Weges ausmache, versucht zunächst doch allen Ernstes, sich vor uns zu verstecken. Er sei der einzige hier, hebt er enttarntdie Schultern. Inmitten von bestellten Äckern finden wir auf eigene Faust ein Denkmal, errichtet zu Ehren der zweiundachtzig Revolutionäre der ersten Stunde, die 1956 an der nicht weit entfernten Küste an Bord der schon erwähnten und für die Provinz namensgebenden Jacht Granma an Land gegangen sind, nur um sofort von Batistas Armee aufgemischt zu werden. Eine in den dichten Wald getriebene Schneise mit Betonmarkern zeichnet den Fluchtweg der zwölf Überlebenden nach. Tagelang wurde der dezimierte Haufen gejagt und aus der Luft bombardiert, man trank die eigene Lulle und Fidel schlief mit dem entsicherten Gewehr an der Gurgel, um sich gegebenenfalls kurzfristig aus dem Spiel nehmen zu können. Eigentlich wollten wir mit Hilfe von Leitern über spektakuläre Meeresterrassen klettern, aber ohne Ausschilderung können wir uns diese Expedition abschminken. So folgen wir halt ein Weilchen lang dieser Schneise, bis uns die fortgeschrittene Stunde zur Heimfahrt zwingt. Erhoffte Kolibris lassen sich nicht blicken, aber immerhin ein paar schöne Schmetterlinge und eine grüne Echse am Baum. Die Sterne funkeln schon über uns, als wir unser Resort erreichen. Meine einzige lange Hose und ein Shirt, die ich über den Tag zum Trocknen am Balkon aufgehängt hatte, wurden unterdes gestohlen. Jetzt besitze ich nur noch meine Batik-Allzweck-Clownhose, die ich auf strikte Weisung der Gefährtin hin nicht außerhalb von mindestens vier blickdichten Wänden tragen darf. Der abendliche Stromausfall hätte auch noch Gelegenheit geboten. Das Hotel verfügt über keine Notbeleuchtung, alle Anwesenden müssen minutenlang im Stockfinsteren ausharren, bis das Licht zurückkommt.


26.12., Bayamo
Auch wir ernähren uns der Weihnachtszeit entsprechend üppig. Der morgendliche Rundgang bringt kleine Langos mit einer Idee von gefülltem Fleisch mit sich, das Stück zu einem Peso oder fünf Cent. Ein labbriges Pizzastück geht auch noch. Dafür stehen die Leute wie überall sonst auch geduldig an, obwohl das gar nicht notwendig wäre. Ich gewahre folgenden Ablauf: Der Erste in der Reihe gibt seine Bestellung auf, er wählt also eine der zwei verfügbaren Sorten. Die Imbissqualle schiebt das Pizzastück widerwillig in den Ofen, dann warten alle drei Minuten. Weit bevor die Pizza die Chance bekäme, knusprig zu werden, wird sie schon dem Kunden ausgehändigt, dann erst darf der nächste seine Bestellung aufgeben. Der Ofen ist durchaus geräumig, da wäre noch Platz für mehrals ein Stück, aber so ist in Kuba aus unerfindlichen Gründen der Lauf der Dinge. Dazu trinkt man Limonade aus in der Mitte abgeschnittenen, an der Schnittstelle rundgelutschten Bierflaschen, an denen noch Teile des Etiketts kleben. Zurück im Casa gibt Raffael, der Besitzer des Hauses, einen Kaffee aus und bemüht sich geduldig um Konversation mit uns Sprachamputierten. Als Geographiedozent an der Universität und in seiner Funktion als Experte bei großen, landesweiten Bauvorhaben hat er monatlich um die sechzig Euro eingefahren, bis sich seine Verlobte mit einem anderen Typen nach Miami abgesetzt hat. Dann hat er es gut sein lassen mit dem Herumreisen und beschränkt sich seither auf die Vermietung eines einzigen Zimmers, was ihm durchschnittlich zweihundert Euro monatlich einbringt. Er schildert uns an über Investitionen, Steuern und fixe, vom Umsatz unabhängige Abgaben an den Staat, die er entrichten muss, und ist trotz der großen Diskrepanz im Vergleich zu seinem vorherigen Einkommen ein großer Anhänger des sozialistischen Systems. Er und alle anderen würden hier glücklich in Freiheit, Selbstbestimmung und Frieden leben, er sei letztendlich der Staat und somit persönlich verantwortlich für dessen Wohlergehen. Unterschlagung von Einkünften käme nicht in Frage.

Wir brechen auf und ab jetzt wird’s richtig russisch, von hier fahren keine Busse mehr nach Süden. Den Weg zur Küste versperrt ein langgezogenes Bergmassiv und die Straßen rundherum sind nicht die besten. Ein Hurrican 2005 hat kräftig umgerührt. Wir beginnen den Reigen mit der Suche nach einem Taxi Collectivo. Der zuständige Fuhrparkzampano startet die Lohnverhandlungen mit stolzen fünfundzwanzig CUC pro Nase für die Fahrt nach Manzanillo und schleift sich unmittelbar nach dem freundlichen Hinweis, wir wüssten in etwa um das hiesige Lohnniveau Bescheid, bei akzeptablen sechs CUC ein. Kurz folgen wir dem Bayamo-Fluss, wo die Städter in einer schönen Grünanlage chillen und ihre Pferde zum Tränken bringen, dann verlassen wir die Stadt.Unser Lada beruhigt mit Dämpfen aus seinem lecken Tank und verfügt über nicht zu glaubendes Spiel in der Lenkung. Wie ein Kapitän auf hoher See kurbelt der Fahrer an seinem Lenkrad und lässt es sich doch nicht nehmen, wie die gesengte Sau durch die Gegend zu fetzen. Maiskolben liegen auf den Dächern der Häuser zum Trocknen aus, Bananenstauden jeder Größe in Reih und Glied. In Manzanillo bringt uns nach langer Fragerei eine alte Jawa-Beiwagenmaschine zum Stadtrand, wo man sich an einer bestimmten Kreuzung trifft und auf Anschluss hofft. Ena im Kobel rechts von mir hat drei Rucksäcke bei sich und den vierten habe ich umgeschnallt, wir tragen Bauhelme. Gerade rechtzeitig kommt ein Lastwagen mit dauerprovisorisch für den Personenverkehr umgebauter, überdachter Ladefläche, in den wir über eine senkrechte Leiter hochklettern und mit rund hundert weiteren Fahrgästen unseren Weg fortsetzen. Durch schmale Schlitze sehen wir die Landschaft vorbeiziehen, es ist sehr eng und stickig. Jeweils zwei Stahl-U-Träger sind links und rechts in Fahrtrichtung als Sitzgelegenheiten angebracht, der Rest der Passagiere hält sich während der holprigen Fahrt an angeschweißten Stahlrohren fest. Die Leute sind gut drauf und grinsen uns an, wir werden exotisch. Eine Frau mit Torte steigt zu und einer der Sitzenden übernimmt wie selbstverständlich das wackelige Teil, das wie üblich nur auf einem Stück Karton transportiert wird. Auf der Landstraße kommen uns viele Traktoren und Lkw´s vollbeladen mit Zuckerrohr entgegen, vor den Toren der Anlagen mit ihren rauchenden Schloten stehen sie geparkt und warten auf die Löschung der Ware. Kilometerlange Plantagen, soweit das Auge reicht. Durch weiße Fahnen markierte Ortseinfahrten wegen unter freiem Himmel stattfindender Schachturniere. In Media Luna wechseln wir abermals den Lastwagen, dessen Bremsen über die zwei Kilometer lang abfallenden Serpentinen entlang der Gebirgsausläufer hart an die Belastungsgrenze gekommen sind. Es stinkt gewaltig nach verschmortem Gummi, als der Lastwagen in Pilon, einer kleinen Hafenstadt, ächzend zum Stillstand kommt. Ein Bulle gurkt auf einem kaputten Kinderfahrrad herum. Die Cowboys verwenden anstatt von Sätteln nur mehr Decken oder Jutesäcke. Die letzten fünfzehn Kilometer zum  All Inklusive- Traum bei Marea del Portillo im südöstlichsten Zipfel Kubas legen wir wieder im Taxi zurück. Die Hütte ist restlos ausgebucht, wir haben unser Quartier für die nächsten Tage schlauerweise schon in Bayamo gebucht. Obschon in Sachen Cluburlaub noch unbefleckt und somit dem kubanischen Leistungsniveau gegenüber unvoreingenommen eingestellt, muss ich die Gefährtin doch fast in unser Zimmer treten, hält sie sich doch entgeistert ob des ihr Zugemuteten widerspenstig am Türstock fest. Im Reiseführer ist dieses Dreisterne-Resort als großer und edler Bruder der restlichen Unterkünfte im Umkreis beschrieben aber lässt man das schöngefärbte Gefasel beiseite, muss man doch den einen oder anderen Abstrich vornehmen. Das Zimmer ist schäbig, der Strand ist naturbelassen, sprich vollkommen verdreckt, sogar im Pool schwimmt der Abfall. Erst nach mehreren Pina Coladas erwacht Enas eingebauter Weichzeichner zum Leben, dann geht’s schon wieder. Hungrig von der beschwerlichen Anreise stürmen wir mit den anderen pauschalierten Fressmaschinen das Buffet.


25.12., Trinidad, Bayamo
Die vor Herzlichkeit und Sprechbedürfnis förmlich überquellende Herbergsoma lässt es sich nicht nehmen, uns noch vor Sonnenaufgang ein Frühstück hinzustellen, dann machen wir uns auf zum Bahnhnof und warten auf unsere Chance. Immerhin, nach eineinhalb Stunden finden sich noch zwei freie Plätze nach Camaguey, einer von mir schon hinreichend erforschten Stadt auf halbem Weg nach Bayamo. Dort schmieren wir in Ermangelung anderer Optionen den Schaffner eines einheimischen Tourbusses und kommen so an unser Ziel, der Provinz Granma. Hohe Berge, tropische Wälder, nur wenige Straßen, diese Provinz ist die abgelegenste Kubas. Rechts vom Bus geht schon der Mond voll und größer als sonst auf, während links noch die Sonne verschwindet. Gleich über die Straße vom Bahnhof checken wir ein und stellen während des Spazierganges ins Zentrum Bayamosüberrascht fest, dass diese Kleinstadt die bisher mit Abstand schönste und ruhigste des Landes ist. Mosaike und geschwungene Marmorbänke in der weitläufigen Fußgängerzone, ein Konzert am herausgeputzten Hauptplatz. In Bayamo nutzt noch rund die Hälfte der Bevölkerung Pferdekutschen als tägliches Fortbewegungsmittel, nur damit man sich die Atmosphäre vorstellen kann. Jetzt ziehen Ziegenböcke Kutschen in Kleinformat mit Kindern darauf um den schönen und schattigen Platz. Viel Geschichte obendrein. Hier nahm die Abschaffung der Sklaverei auf Kuba ihren Anfang, hier hielt Fidel seine letzte öffentliche Rede, bevor er sein Amt an Bruder Raul abgab. Die Gefährtin wird mit Pizza abgefüttert, unterwegs mit den Kubanern gab´s nur einheimische Kost. Noch ein schokogefülltes, vom fliegenden Händler in Fett herausgebackenes Teigteil, bevor der gesamte städtische Betrieb um exakt 21.40 zum Erliegen kommt.


24.12., Trinidad
Wir übersiedeln für eine Nacht zur Nachbarin, die trotz Weihnachten noch nicht ausgebucht ist, dann bemühen wir uns am Busbahnhof um Tickets für morgen nach Bayamo, einer strategisch günstig gelegenen Stadt um die vierhundert Kilometer weiter südöstlich. Nichts, absolut gar nichts sei mehr verfügbar, versichert uns ein Mitarbeiter, zu keiner Zeit, unter keinen Umständen, in keine Himmelsrichtung. Skandal! Das grenzt an staatliche Nötigung. Wir werden uns hier trotzdem morgen so früh wie möglich einfinden und auf Unzulänglichkeiten im Buchungssystem hoffen, die Sammeltaxis nach Osten sind aus unerfindlichen Gründen schweineteuer. Trinidad haben wir jedenfalls ausgereizt, Zeit zum Aufbruch. Für heute bleibt nicht mehr zu tun, als den Weihnachtstag in unseren Hängematten am Strand zu verchillen und mit Schirmchendrinks auf das Wohl Gottes anzustoßen, bis uns die vielen, wie aus dem Nichts auftauchenden Sandfliegen bei Einbruch der Dunkelheit zu einem überhasteten Aufbruch zwingen. Die winzigen Viecher beißen so herzhaft zu, dass man sich fragt, wo sie überhaupt die Kraft dafür hernehmen. Wir balancieren noch unsere fast vollen Drinks in Händen, als uns schon ein Amischlitten gemeinsam mit ein paar Ossis über holprige Küstenstraßen zurück in die Stadt befördert.
Das Weihnachtsessen ist archaisch. Da unser Stammwirt zu hat, müssen wir kurzfristig mit einer anderen Hütte Vorlieb nehmen. Mein köstliches Lammfleisch mit Minze besteht aus grob zusammengehackten Teilen mit Knochensplittern, Sehnen und dicken Arterien. Wie ein Eingeborener wühle ich mich mit fetttriefenden Fingern durch den formlosen Haufen, während Enamehr oder weniger neugierig in bislang unbekannten Körperregionen eines Huhnes herumstochert.
Auf den Stufen des Hauptplatzes mit seiner alten Kathedrale sitzen wie jeden Tag die Menschen und warten auf die täglich angekündigte, aber niemals stattfindende Performance mit Feuerschluckern und Musikanten, während sie Mojitos trinken und Zigarren rauchen, die Hunde liegen tiefenentspannt unter den Wartenden und wärmen sich an den noch von der schon vor einigen Stunden untergegangenen Sonne warmen Steinen.Wir schauen Leute und lauschen der Musik einer in der Nähe aufspielenden Combo. Vor der Disco in einer Tropfsteinhöhle am Rande der Stadt stellen sich schon die aufgebretzelten Einheimischen an und warten darauf, dass sie aufsperrt, aber uns umfängt schon zufriedene Müdigkeit. Die schaffen wir heute nicht mehr. FelizNavidad!


23.12., Trinidad
Seit sechs Wochen das erste Mal keine Eier zum Frühstück, der Typ mit dem Kettenhund wartet revolutionär Palatschinken mit Kokosnussgelee auf, bevor wir uns mit ein paar allgegenwärtigen Deutschen ein Taxi zum südlich gelegenen Strand teilen. Die Hängematten unter zwei geduckte, Schatten spendende Bäume und stundenlang leicht brandig der Brandung zusehen, wie sie gegen die Küste brandet. Abends begehen wir die ausgefransten Ränder der Kleinstadt, die in den oberen Hängen nach dem Zufallsprinzip ausläuft. In Pinar del Rio wurden die Hunde in den Außenbezirken dicker und die Zäune höher, hier herrscht dörfliche Beschaulichkeit in ärmlichen Verhältnissen. Total kaputte Straßen, Cowboys, die von ihren Pferden herunter ein Schwätzchen halten, überall Kinder in den Gassen, die mit Fetzenlaberln Fußball spielen. Mit Zwiebel- und Knoblauchkränzen behängte Männerziehen schreiend vorbei, einer schiebt eine Scheibtruhe voll mit Avocados durch die Gegend.