6.12.,
Havanna
Meine Bude
ist zwar reichlich abgewohnt, aber sie hat was. Ein sehr schmales, dunkles
Stiegenhaus, hinter zwei Eisengittern dann hohe Fenster, Luster, Goldstuckatur
an der Decke. Eigentlich wollte ich im Hotel nebenan einchecken, im Lincoln.
Hier wurde 1958 einen Tag vor dem Grand Prix der damalige Weltmeister, Carlos
Fangio, von Castros Partie aus der Lobby entführt, warum auch immer. Da sich
die Zimmerpreise innerhalb der letzten zwei Jahre verdoppelt haben, nehme ich
halt mit dieser Residenz Vorlieb. Der Typ, der sie vermietet, ist ein netter
Musiker und bis zum Malecon, der acht Kilometer langen Küstenpromenade
inklusive fünfspuriger Straße, sind´s drei Minuten. Am Nachmittag fühle ich
mich für den ersten echten Erkundungsgang ohne Gepäck soweit wieder hergestellt
und gehe mal runter zum Malecon. Da donnern die Wellen gegen und über die
Kaimauer, während Fischer ihre Leinen auswerfen und die Leute flanieren. Dunkle
Wolken hängen tief. Links von mir in weiter Entfernung ein paar moderne
Hochhäuser, rechts von mir Festungen und ein Leuchtturm. Auf der ersten Spur
weichen die Jogger und die Fuhrwerke den großen Pfützen aus, den Rest teilen
sich die anderen Fahrzeuge. Bei noch schlechterem Wetter als heute wird die
ganze Straße für den Verkehr geschlossen. An den Gebäuden gegenüber hat der
Zahn der Zeit mehr als nur genagt, besonders die Häuser aus Sandstein mit ihren
Säulengängen sind zerfressen und durchlöchert wie ein Block Tilsiterkäse.
Havanna wirkt generell, als hätte es irgendwann einmal ordentlich gebrannt,
nachdem jemand, sagen wir die Vereinigten Staaten, ein paar Bomben darüber
abgeworfen hat. Dann kann man sich noch einen riesigen Schleier aus Schimmel
und Dreck vorstellen, der über ganz Havanna geworfen wurde, dann hat man ein
ganz gutes Bild davon. Und zwischen den verlassenen oder auch bewohnten Ruinen
alte Hotels, Stadtpaläste, Kirchen oder renovierte Herrenhäuser. Ein bunter
Mischmasch aus architektonischen Stilen mehrerer Jahrhunderte. Diese Stadt ist
ein einziger großer Widerspruch. Nach Sonnenuntergang erwacht die Stadt zum
Leben. Die Straßen und die Parks füllen sich, Männer decken sich von vergitterten
Shops mit Rumflaschen ein. Vor den Casas de la Musica bilden sich Schlangen. In
den dunklen Seitengassen streiten sich welche lautstark, alle anderen dürfen daran
teilhaben, woanders spielt einer auf seiner Gitarre. Alte Menschen verkaufen
winzige Tüten mit Erdnüssen, Sandler zerstampfen ihre gesammelten Aludosen,
Kinder spielen Fußball mit einem kaputten Fetzenlaberl. Der Duft von Zigarren
und Essen liegt in der Luft. Ich wohne in Chinatown. In das Viertel gelangt man
durch ein großes, pagodenförmiges Eingangstor und die Straßenschilder sind
zweisprachig beschriftet. Chinesen gibt’s hier aber gar keine mehr, die haben
sich nach Castros Revolution alle in die Staaten verabschiedet. Ein paar Blocks
weiter schaue ich mir noch das Capitol an, das vor knapp neunzig Jahren gebaut
wurde, weil die damalige Regierung wegen des Zuckerbooms zu viel Kohle hatte. Es
sieht genauso aus wie das in Washington, nur größer.
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