Montag, 7. Dezember 2015



6.12., Havanna
Meine Bude ist zwar reichlich abgewohnt, aber sie hat was. Ein sehr schmales, dunkles Stiegenhaus, hinter zwei Eisengittern dann hohe Fenster, Luster, Goldstuckatur an der Decke. Eigentlich wollte ich im Hotel nebenan einchecken, im Lincoln. Hier wurde 1958 einen Tag vor dem Grand Prix der damalige Weltmeister, Carlos Fangio, von Castros Partie aus der Lobby entführt, warum auch immer. Da sich die Zimmerpreise innerhalb der letzten zwei Jahre verdoppelt haben, nehme ich halt mit dieser Residenz Vorlieb. Der Typ, der sie vermietet, ist ein netter Musiker und bis zum Malecon, der acht Kilometer langen Küstenpromenade inklusive fünfspuriger Straße, sind´s drei Minuten. Am Nachmittag fühle ich mich für den ersten echten Erkundungsgang ohne Gepäck soweit wieder hergestellt und gehe mal runter zum Malecon. Da donnern die Wellen gegen und über die Kaimauer, während Fischer ihre Leinen auswerfen und die Leute flanieren. Dunkle Wolken hängen tief. Links von mir in weiter Entfernung ein paar moderne Hochhäuser, rechts von mir Festungen und ein Leuchtturm. Auf der ersten Spur weichen die Jogger und die Fuhrwerke den großen Pfützen aus, den Rest teilen sich die anderen Fahrzeuge. Bei noch schlechterem Wetter als heute wird die ganze Straße für den Verkehr geschlossen. An den Gebäuden gegenüber hat der Zahn der Zeit mehr als nur genagt, besonders die Häuser aus Sandstein mit ihren Säulengängen sind zerfressen und durchlöchert wie ein Block Tilsiterkäse. Havanna wirkt generell, als hätte es irgendwann einmal ordentlich gebrannt, nachdem jemand, sagen wir die Vereinigten Staaten, ein paar Bomben darüber abgeworfen hat. Dann kann man sich noch einen riesigen Schleier aus Schimmel und Dreck vorstellen, der über ganz Havanna geworfen wurde, dann hat man ein ganz gutes Bild davon. Und zwischen den verlassenen oder auch bewohnten Ruinen alte Hotels, Stadtpaläste, Kirchen oder renovierte Herrenhäuser. Ein bunter Mischmasch aus architektonischen Stilen mehrerer Jahrhunderte. Diese Stadt ist ein einziger großer Widerspruch. Nach Sonnenuntergang erwacht die Stadt zum Leben. Die Straßen und die Parks füllen sich, Männer decken sich von vergitterten Shops mit Rumflaschen ein. Vor den Casas de la Musica bilden sich Schlangen. In den dunklen Seitengassen streiten sich welche lautstark, alle anderen dürfen daran teilhaben, woanders spielt einer auf seiner Gitarre. Alte Menschen verkaufen winzige Tüten mit Erdnüssen, Sandler zerstampfen ihre gesammelten Aludosen, Kinder spielen Fußball mit einem kaputten Fetzenlaberl. Der Duft von Zigarren und Essen liegt in der Luft. Ich wohne in Chinatown. In das Viertel gelangt man durch ein großes, pagodenförmiges Eingangstor und die Straßenschilder sind zweisprachig beschriftet. Chinesen gibt’s hier aber gar keine mehr, die haben sich nach Castros Revolution alle in die Staaten verabschiedet. Ein paar Blocks weiter schaue ich mir noch das Capitol an, das vor knapp neunzig Jahren gebaut wurde, weil die damalige Regierung wegen des Zuckerbooms zu viel Kohle hatte. Es sieht genauso aus wie das in Washington, nur größer.

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