10.12.,
Havanna
Soviel ich
mitbekommen habe, hat so gut wie jeder Kubaner noch eine zusätzliche
Einkommensquelle neben seinem staatlichen Job. In den Gassen blüht das
Kleingewerbe. Ein Geschäftsmann verkauft Plastiksackerl einzeln, eine
im Casual Friday- Outfit gekleidete Unternehmerin bietet eine Hand voll Zuckerstangen feil. Ein anderer hat auf seinem
Klapptisch Rum im Tetrapack. Vertreter einer anderen Branche reparieren und
befüllen Einwegfeuerzeuge. Ich erstehe süße Blätterteigtascherl mit
Marmeladefüllung direkt aus dem Kübel und eine vollreife Mango um fünfzehn Cent. Ob in
Österreich Bananen wachsen, möchte der Obsthändler wissen. Noch nicht. Ein
Betrieb hat sich darauf spezialisiert, aus dem Innenleben mehrerer durchgelegener,
alter Matratzen eine neue herzustellen. Eine Preisliste für kiloweise erhältliche
Memorias hängt aus, ob das wirklich Erinnerungen
sind? Der Frisör möchte mehr über die Preisstrukturen meiner Heimat in
Erfahrung bringen. Wieviel Haare schneiden kostet? Zehn Euro, das weiß ich.
Wieviel ein I-Phone 5 kostet? Ich rate siebenhundert Euro. Wieviel ein
Lamborghini kostet? Ich passe. Habe ich schon länger keinen gekauft. Neben den
Kleinunternehmern sitzen hin und wieder auch zerrissene Gestalten, Santeros, hinter
kitschigen Plastikfiguren von Göttern des Santeria-Kultes am Boden und bekommen
gar nicht so wenig Geld zugeworfen. Ein wilder Mix aus Christentum und
afrikanischem Naturglauben mit Meeresgöttern und ähnlichem Klimbim.
Hundescheiße
überall. Meine Schuhe sind voll damit, Havanna ist ein einziges Hundeklo. Nicht wenige Hunde sind bis auf ein
letztes verbliebenes Büschel von Haaren auf ihrem Schädel komplett kahl, auch
die Haustiere. Die können nicht schon so auf die Welt gekommen sein, das muss
eine Krankheit sein. Allerorts werden Autos repariert. Viel ist da nicht
verbaut unter den Motorhauben der Oldtimer. Ein wuchtiger Motorblock in der
Mitte, eine Batterie noch und nicht viel mehr. Ich komme an einer
Menschenansammlung in einer Gasse vorbei. Grund dafür ist ein Typ, der sich mit
einem neuen, mannshohen Spiegel feiern lässt. Der Rahmen ist natürlich alt und
abgewetzt, aber der Spiegel selbst ist noch makellos. Was ich darin sehe,
gefällt mir. In den Regalen der Apotheken stehen vielleicht zwanzig verschiedene
Präparate zur Auswahl, selbst zusammengerührte Arzneien in von Hand
beschrifteten Fläschchen runden das Sortiment ab.
Sobald es
finster wird, drehen die Fahrradtaxis ihre überraschend guten Musikanlagen lauter
auf, während sie durch die Gassen cruisen, werden die Keiler aufdringlicher, beginnt
der Alk zu fließen. Schon seit Tagen gehe ich die rasterförmig angelegten Straßen der
Stadt systematisch ab. Kein Platz oder Bauwerk von Interesse, das ich noch
nicht gesehen hätte. Ich wage zu behaupten, dass ich Havanna mittlerweile so
gut kenne wie meine Westentasche. Obschon der Vergleich hinkt, da ich keine
Westen trage. Sogar die Haltestelle des Busses, der mich morgen zumindest in
die Nähe des fünfundzwanzig Kilometer entfernten Flughafens fahren wird, habe
ich schon ausgekundschaftet, das wird ein Spaß.
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