Donnerstag, 10. Dezember 2015



10.12., Havanna

Soviel ich mitbekommen habe, hat so gut wie jeder Kubaner noch eine zusätzliche Einkommensquelle neben seinem staatlichen Job. In den Gassen blüht das Kleingewerbe. Ein Geschäftsmann verkauft Plastiksackerl einzeln, eine im Casual Friday- Outfit gekleidete Unternehmerin bietet eine Hand voll Zuckerstangen feil. Ein anderer hat auf seinem Klapptisch Rum im Tetrapack. Vertreter einer anderen Branche reparieren und befüllen Einwegfeuerzeuge. Ich erstehe süße Blätterteigtascherl mit Marmeladefüllung direkt aus dem Kübel und eine vollreife Mango um fünfzehn Cent. Ob in Österreich Bananen wachsen, möchte der Obsthändler wissen. Noch nicht. Ein Betrieb hat sich darauf spezialisiert, aus dem Innenleben mehrerer durchgelegener, alter Matratzen eine neue herzustellen. Eine Preisliste für kiloweise erhältliche Memorias hängt aus, ob das wirklich Erinnerungen sind? Der Frisör möchte mehr über die Preisstrukturen meiner Heimat in Erfahrung bringen. Wieviel Haare schneiden kostet? Zehn Euro, das weiß ich. Wieviel ein I-Phone 5 kostet? Ich rate siebenhundert Euro. Wieviel ein Lamborghini kostet? Ich passe. Habe ich schon länger keinen gekauft. Neben den Kleinunternehmern sitzen hin und wieder auch zerrissene Gestalten, Santeros, hinter kitschigen Plastikfiguren von Göttern des Santeria-Kultes am Boden und bekommen gar nicht so wenig Geld zugeworfen. Ein wilder Mix aus Christentum und afrikanischem Naturglauben mit Meeresgöttern und ähnlichem Klimbim.
Hundescheiße überall. Meine Schuhe sind voll damit, Havanna ist ein einziges Hundeklo. Nicht wenige Hunde sind bis auf ein letztes verbliebenes Büschel von Haaren auf ihrem Schädel komplett kahl, auch die Haustiere. Die können nicht schon so auf die Welt gekommen sein, das muss eine Krankheit sein. Allerorts werden Autos repariert. Viel ist da nicht verbaut unter den Motorhauben der Oldtimer. Ein wuchtiger Motorblock in der Mitte, eine Batterie noch und nicht viel mehr. Ich komme an einer Menschenansammlung in einer Gasse vorbei. Grund dafür ist ein Typ, der sich mit einem neuen, mannshohen Spiegel feiern lässt. Der Rahmen ist natürlich alt und abgewetzt, aber der Spiegel selbst ist noch makellos. Was ich darin sehe, gefällt mir. In den Regalen der Apotheken stehen vielleicht zwanzig verschiedene Präparate zur Auswahl, selbst zusammengerührte Arzneien in von Hand beschrifteten Fläschchen runden das Sortiment ab.
Sobald es finster wird, drehen die Fahrradtaxis ihre überraschend guten Musikanlagen lauter auf, während sie durch die Gassen cruisen, werden die Keiler aufdringlicher, beginnt der Alk zu fließen. Schon seit Tagen gehe ich die rasterförmig angelegten Straßen der Stadt systematisch ab. Kein Platz oder Bauwerk von Interesse, das ich noch nicht gesehen hätte. Ich wage zu behaupten, dass ich Havanna mittlerweile so gut kenne wie meine Westentasche. Obschon der Vergleich hinkt, da ich keine Westen trage. Sogar die Haltestelle des Busses, der mich morgen zumindest in die Nähe des fünfundzwanzig Kilometer entfernten Flughafens fahren wird, habe ich schon ausgekundschaftet, das wird ein Spaß.

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