5.12., am Weg
nach Westen
Auf zu neuen
Abenteuern, bevor ich noch mehr Speck ansetze. Auf den Straßen sind mehr
Pferdefuhrwerke als motorisierte Fahrzeuge unterwegs. Über vielen Motorhauben lehnen Kubaner, ein paar
Autos stehen aufgebockt am Wegesrand. Ich selbst habe jetzt fünf Liter
Spritreserve unterm Sattel, ich möchte nicht noch einmal irgendwo bei Fuchs und
Hase ausrollen. Wäre aber gar nicht notwendig gewesen, nach siebzig Kilometern
reißt zum dritten Mal der Antriebsriemen. Ja, jetzt wird´s schon fad, deswegen
nur in aller Kürze. Fünf Bullen, die ich auf der schnurgeraden Straße im Nichts
in ihrem Jeep aufhalte, rufen irgendwen an und beteuern, mir werde in Kürze
geholfen, dann bin ich allein. Nein, das kann man so nicht sagen. Es wimmelt
vor kleinen Gelsen, die sehr, sehr hungrig sein müssen. Während ich mit einer
Hand versuche, den kollektiven Überfall irgendwie abzuwehren, dusche ich mich
mit der anderen mit Moskitospray. Viel davon, auch reichlich auf die Kleidung,
damit das Zeug hier irgendeine Wirkung entfaltet. Ich müsste fortan eigentlich
wie ein Obelix der Neuzeit immun gegen die Blutsauger sein, so exzessiv mache
ich davon Gebrauch. Zur weiteren Deeskalation der Lage setze ich mich noch mitten
auf die Straße, möglichst weit weg von der mich umgebenden Botanik und ihrer
Bewohner. Kein Problem, der Verkehr ist überschaubar. Alle zwanzig Minuten oder
so kommt ein Fahrzeug, das ich schon Minuten, bevor es hier eintrifft, sehen
und hören kann. Mal Regen, mal Sonne, ich bin den Launen der Natur ausgeliefert.
Zum Unterstellen gäbe es zwar Buschwerk, das scheidet aber wegen der Gelsen
aus. Sonst ist hier nichts, gar nichts. Aus diesem Nichts erscheint irgendwann ein
Zahnloser und fragt nach Feuer, außerdem zeigt er mir seine zahlreichen
Gelsendippel, dann ist er wieder weg. Sowieso muss ich jedem der vorbeifährt erklären, was passiert ist. Einer bietet mir
an, ich könne bei ihm übernachten, wenn bis zum Einbruch der Nacht niemand
gekommen sei, sein Haus stünde nicht weit entfernt. Solange werde ich nicht
warten, das würde mein Problem auch nicht lösen. Nach vier Stunden beginne ich,
Strache mitsamt meinem Gepäck dorthin zurückzuschieben, von wo ich gekommen
bin, ungefähr zehn Kilometer von hier habe ich einen Kontrollpunkt der Polizei
passiert. Wie ich so schiebe, bleibt ein Tanklastwagen stehen, aus dem neben anderen
Insassen schon wieder ein Bulle steigt. Der telefoniert herum und nötigt gleich
einen vorbeifahrenden Pickup, mich zu verladen und zu ebendieser Station zu
bringen, übrigens das erste geeignete Fahrzeug für den Transport seit der
Panne. Von dort führt mich ein Bulle auf einem Pickup der Polizei in die fünfzehn
Kilometer entfernte Stadt Nuevitas, einfach so. Weil die Ladefläche ziemlich
klein ist, sitze ich auf dem diagonal verladenen Moped und halte mich mit
verdrehtem Oberkörper verzweifelt an der Reling mit den Blaulichtern an,
während der Wahnsinnige mit weit über hundert Stundenkilometern über die
kaputte Straße brettert. Die Tropfen des Nieselregens fühlen sich im Gesicht an
wie Nadelstiche. Ich schließe die tränenden Augen und möchte nur, dass ich
diesen Trip irgendwie überlebe. Sogar im Ortsgebiet fetzt der Volltrottel noch
wie ein Irrer durch die Gegend, ohne jede Not. Vor der Polizeiwache werde ich endlich
entladen und beantworte dort der versammelten Mannschaft die üblichen Fragen.
Wer, wo, wie, warum. Nach einer Weile übernehmen mich zwei Gestalten von der
hiesigen Zweigstelle der allgegenwärtigen Verleihfirma, überstellen mich in
einen Hinterhof und zerlegen augenblicklich Strache. Die Noppen des Riemens
purzeln schon aus dem Gehäuse, als der Zangler den Deckel abnimmt. Ersatzriemen
haben sie keinen lagernd, ich könne aber gegen Verfall meiner stattlichen Kaution
hier und jetzt den Vertrag auflösen und schauen, wie ich weiterkomme. Ja, das
will ich. Unbedingt. Mir ist die Lust schon lange vergangen. Ich lasse Strache
aufgebrochen und ausgeweidet zurück und besteige eine halbe Stunde später den eigentlich
nur für Kubaner erlaubten Bus nach Havanna, für den mir die zwei Typen kurzfristig
einen Sitzplatz organisiert haben. Nächste Woche kommt dort die Gefährtin an
und in diesem Kaff möchte ich ohnehin nicht bleiben. Natürlich zahle ich das
Sechsfache des gängigen Preises. Ob diese Busse eh einigermaßen komfortabel
seien, wollte ich noch wissen, jaja, total. Ein schrecklicher Tag geht nahtlos
über in eine schreckliche Nacht. Der Bus ist ein speckiges und durchgesessenes chinesisches
Zwischenkriegsmodell mit Krixikraxi-Schriftzeichen überall und somit ausgelegt
für verkümmerte Asiaten. Der schwarze Mann neben mir riecht extrem nach Essig
und erzählt mir, er hätte gerne eine hellhäutige Chicka. Da kann ich ihm jetzt
auch nicht helfen, ich bin voll und ganz damit beschäftigt, die elf Stunden dauernde
Fahrt zu überstehen. Später werde ich noch in die letzte Reihe umgesetzt, da
geht’s überhaupt zu wie auf der Hochschaubahn. Und so wahnsinnig eng isses,
Stefsechef is not amused. Noch vor Tagesanbruch werde ich irgendwo aus dem Bus
delogiert, mich dürfe am Busbahnhof keiner aussteigen sehen. Also latsche ich im
Regen los bis ins Zentrum. Das dauert. Es dauert schon ewig, bis ich mich
überhaupt einmal orientiert habe. Dazwischen trinke ich gesüßten, schwarzen
Kaffee, den Frauen hinter kleinen Klapptischen aus Thermoskannen verkaufen und
langsam beginnt der neue Tag. Irgendwo nahe am Meer stelle mir ein Zimmer eines
Frühaufstehers auf, besser gesagt, eine ganze Wohnung. Dann gehe ich schlafen. Gegessen
habe ich schon seit längerer Zeit nichts mehr, aber mir ist der Appetit ohnehin
vergangen.
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