Montag, 7. Dezember 2015



5.12., am Weg nach Westen
Auf zu neuen Abenteuern, bevor ich noch mehr Speck ansetze. Auf den Straßen sind mehr Pferdefuhrwerke als motorisierte Fahrzeuge unterwegs. Über vielen Motorhauben lehnen Kubaner, ein paar Autos stehen aufgebockt am Wegesrand. Ich selbst habe jetzt fünf Liter Spritreserve unterm Sattel, ich möchte nicht noch einmal irgendwo bei Fuchs und Hase ausrollen. Wäre aber gar nicht notwendig gewesen, nach siebzig Kilometern reißt zum dritten Mal der Antriebsriemen. Ja, jetzt wird´s schon fad, deswegen nur in aller Kürze. Fünf Bullen, die ich auf der schnurgeraden Straße im Nichts in ihrem Jeep aufhalte, rufen irgendwen an und beteuern, mir werde in Kürze geholfen, dann bin ich allein. Nein, das kann man so nicht sagen. Es wimmelt vor kleinen Gelsen, die sehr, sehr hungrig sein müssen. Während ich mit einer Hand versuche, den kollektiven Überfall irgendwie abzuwehren, dusche ich mich mit der anderen mit Moskitospray. Viel davon, auch reichlich auf die Kleidung, damit das Zeug hier irgendeine Wirkung entfaltet. Ich müsste fortan eigentlich wie ein Obelix der Neuzeit immun gegen die Blutsauger sein, so exzessiv mache ich davon Gebrauch. Zur weiteren Deeskalation der Lage setze ich mich noch mitten auf die Straße, möglichst weit weg von der mich umgebenden Botanik und ihrer Bewohner. Kein Problem, der Verkehr ist überschaubar. Alle zwanzig Minuten oder so kommt ein Fahrzeug, das ich schon Minuten, bevor es hier eintrifft, sehen und hören kann. Mal Regen, mal Sonne, ich bin den Launen der Natur ausgeliefert. Zum Unterstellen gäbe es zwar Buschwerk, das scheidet aber wegen der Gelsen aus. Sonst ist hier nichts, gar nichts. Aus diesem Nichts erscheint irgendwann ein Zahnloser und fragt nach Feuer, außerdem zeigt er mir seine zahlreichen Gelsendippel, dann ist er wieder weg. Sowieso muss ich jedem der vorbeifährt  erklären, was passiert ist. Einer bietet mir an, ich könne bei ihm übernachten, wenn bis zum Einbruch der Nacht niemand gekommen sei, sein Haus stünde nicht weit entfernt. Solange werde ich nicht warten, das würde mein Problem auch nicht lösen. Nach vier Stunden beginne ich, Strache mitsamt meinem Gepäck dorthin zurückzuschieben, von wo ich gekommen bin, ungefähr zehn Kilometer von hier habe ich einen Kontrollpunkt der Polizei passiert. Wie ich so schiebe, bleibt ein Tanklastwagen stehen, aus dem neben anderen Insassen schon wieder ein Bulle steigt. Der telefoniert herum und nötigt gleich einen vorbeifahrenden Pickup, mich zu verladen und zu ebendieser Station zu bringen, übrigens das erste geeignete Fahrzeug für den Transport seit der Panne. Von dort führt mich ein Bulle auf einem Pickup der Polizei in die fünfzehn Kilometer entfernte Stadt Nuevitas, einfach so. Weil die Ladefläche ziemlich klein ist, sitze ich auf dem diagonal verladenen Moped und halte mich mit verdrehtem Oberkörper verzweifelt an der Reling mit den Blaulichtern an, während der Wahnsinnige mit weit über hundert Stundenkilometern über die kaputte Straße brettert. Die Tropfen des Nieselregens fühlen sich im Gesicht an wie Nadelstiche. Ich schließe die tränenden Augen und möchte nur, dass ich diesen Trip irgendwie überlebe. Sogar im Ortsgebiet fetzt der Volltrottel noch wie ein Irrer durch die Gegend, ohne jede Not. Vor der Polizeiwache werde ich endlich entladen und beantworte dort der versammelten Mannschaft die üblichen Fragen. Wer, wo, wie, warum. Nach einer Weile übernehmen mich zwei Gestalten von der hiesigen Zweigstelle der allgegenwärtigen Verleihfirma, überstellen mich in einen Hinterhof und zerlegen augenblicklich Strache. Die Noppen des Riemens purzeln schon aus dem Gehäuse, als der Zangler den Deckel abnimmt. Ersatzriemen haben sie keinen lagernd, ich könne aber gegen Verfall meiner stattlichen Kaution hier und jetzt den Vertrag auflösen und schauen, wie ich weiterkomme. Ja, das will ich. Unbedingt. Mir ist die Lust schon lange vergangen. Ich lasse Strache aufgebrochen und ausgeweidet zurück und besteige eine halbe Stunde später den eigentlich nur für Kubaner erlaubten Bus nach Havanna, für den mir die zwei Typen kurzfristig einen Sitzplatz organisiert haben. Nächste Woche kommt dort die Gefährtin an und in diesem Kaff möchte ich ohnehin nicht bleiben. Natürlich zahle ich das Sechsfache des gängigen Preises. Ob diese Busse eh einigermaßen komfortabel seien, wollte ich noch wissen, jaja, total. Ein schrecklicher Tag geht nahtlos über in eine schreckliche Nacht. Der Bus ist ein speckiges und durchgesessenes chinesisches Zwischenkriegsmodell mit Krixikraxi-Schriftzeichen überall und somit ausgelegt für verkümmerte Asiaten. Der schwarze Mann neben mir riecht extrem nach Essig und erzählt mir, er hätte gerne eine hellhäutige Chicka. Da kann ich ihm jetzt auch nicht helfen, ich bin voll und ganz damit beschäftigt, die elf Stunden dauernde Fahrt zu überstehen. Später werde ich noch in die letzte Reihe umgesetzt, da geht’s überhaupt zu wie auf der Hochschaubahn. Und so wahnsinnig eng isses, Stefsechef is not amused. Noch vor Tagesanbruch werde ich irgendwo aus dem Bus delogiert, mich dürfe am Busbahnhof keiner aussteigen sehen. Also latsche ich im Regen los bis ins Zentrum. Das dauert. Es dauert schon ewig, bis ich mich überhaupt einmal orientiert habe. Dazwischen trinke ich gesüßten, schwarzen Kaffee, den Frauen hinter kleinen Klapptischen aus Thermoskannen verkaufen und langsam beginnt der neue Tag. Irgendwo nahe am Meer stelle mir ein Zimmer eines Frühaufstehers auf, besser gesagt, eine ganze Wohnung. Dann gehe ich schlafen. Gegessen habe ich schon seit längerer Zeit nichts mehr, aber mir ist der Appetit ohnehin vergangen.

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