31.12., Sumbawa Besar, Pulau Moyo
Nächtliche Ankunft
in unerforschtem Terrain, ab jetzt nur mehr Neuland für den Rest der Reise.
Englisch versteht keiner mehr und irgendwo werden wir aus dem Bus gescheucht,
während alle anderen sitzen bleiben. In Sumbawa Besar sind wir jedenfalls. Eine
Frau erbarmt sich und organisiert uns drei Mopeds und da sich das angesteuerte
Hotel als überteuerte Absteige entpuppt, gehen wir auf gut Glück die Straße
entlang. Weit weg vom Zentrum dieser kleinen Stadt sind wir wohl nicht, trotzdem
ist alles recht weitläufig angelegt. Ein Geschäftsinhaber lotst uns zu einer
akzeptableren Alternative. Das macht er der hiesigen Etikette folgend, indem er
mit dem ausgestreckten aber angelegten Daumen in die entsprechende Richtung deutet. Fünf
aufgeregte Burschen an der Rezeption, ab ins Bett. Um sieben Uhr klopft es
schon an der Tür, „Mr. Stef? Selamat Pagi, Breakfast!“ An die Tür gebracht wird
noch warmer, in Papier verpackter Reis mit einem mir bis dato unbekannten Teil
vom Huhn, vielleicht dem Hals. Ich bin nicht alleine mit meinen kulinarischen
Entdeckungen. Edina meint später, irgendwas in ihrem gestern gekauften
Jausenpaket habe recht nussig geschmeckt und ob ich wüsste, was das gewesen
sein könnte. Ich hatte das gleiche ohne besagtes Aroma und empfehle, besser
nicht weiter darüber nachzudenken. Wir müssen heute zum Hafen und vorab
herausfinden, wie weit entfernt der ist, wann die Fähre ablegt und ob es auf
der angesteuerten Insel Pulau Moyo ein Quartier für uns gibt. Trotz Internet in
der Lobby und Kommunikationsversuchen mit allen verfügbaren Gliedmaßen scheint
es unmöglich, das herauszufinden. Aus unerfindlichen Gründen dürfte das
Lieblingswort des Hoteleigentümers aus überschaubarem Fundus das Wort „Nine“
sein. Ihm zufolge ist das Pier neun Kilometer entfernt, die Taxifahrt dorthin
dauert neun Minuten und das Boot legt um neun Uhr ab. In den Weiten des
Internet taucht in einem Blog die Telefonnummer eines gewissen Borit auf, den
rufe ich an. Kosmisches Störfeuer, lost in Translation. Als würde ich mit einem
Hund auf dem Saturn telefonieren. Wieder
hilft uns eine sehr schüchterne, aber des Englischen mächtige Frau aus dem
Schlamassel. Sie übernimmt die Gurke, Borit wird uns einen Typen herschicken.
Tatsächlich. Nach einer Stunde kommt ein junger Mann und kümmert sich ums Taxi und
am Hafen zeigt er uns den Holzkahn, der in Kürze ablegen wird. Die Unterkunft
ist ebenfalls gesichert. Zuvor wird noch die Jam Garet, die sprichwörtliche indonesische Gummizeit, schlagend. Nur
langsam füllt sich das Boot mit freundlichen Menschen und Ware. Geladen werden
Zementsäcke, die schlauerweise als später sehr nützlicher Ballast durch den
Bretterboden in den Rumpf geschlichtet werden, Fenster, Eisenstangen etc. Das
Wasser im kleinen Hafen ist abartig dreckig. Auf dünnen Matten sitzen wir
später und vollziehen den rituellen Kekstausch mit unseren Sitznachbarn,
während wir langsam aufs offene Meer schaukeln. Wir filmen eifrig und werden
gefilmt. Auch der Bürgermeister des Inseldorfes ist an Bord und heißt uns in passablem
Englisch herzlich willkommen. Der Kapitän sitzt auf einem Sessel ohne Beine
quasi mit den Knien zwischen den Ohren und steuert den Kahn über ein lächerlich
kleines Steuerrad aus Holz. Es sieht zwar so aus, wie man sich das von einem anständigen
Steuerrad erwarten kann, verfügt über die sechs Holzknubbel und Schnitzereien,
ist aber nicht größer als eine kleine Pizza. Es folgt eine aufreibende Fahrt
mit hohem Wellengang. Während der nächsten zwei Stunden rollen von vorne links,
wie man in der Sprache der Seemänner sagt, ganz ordentliche Wellen mit weißen
Schaumkronen oben drauf heran. Ganz vorne am Bug sitzt ein Kind und zeigt dem
Kapitän per Handzeichen unmittelbar notwendige Lenkmanöver an. Hier kotzt erstaunlicherweise
niemand. Im Gegenteil, die rund dreißig Passagiere werfen sich einfach ein Tuch
über und legen sich kollektiv schlafen. Ganz schön abgebrüht, hält man sich vor
Augen, dass fast alle an Bord Nichtschwimmer sind. Für manche von uns dauert
die Fahrt auch eine gefühlte Ewigkeit, weil sie schon seit Stunden aufs Klo
müssen. Selbst wenn es auf dem Kutter irgendwo ein Häusl gäbe, wäre das
Unterfangen bei diesem Seegang völlig unmöglich. Die Anlegestelle des kleinen
Dorfes ist dann entzückend. Ein kleiner Holzsteg ins Meer, zu Beginn ein
schattiger Unterstand. Geschätzte fünfzig Häuser, enge Wege dazwischen. Ziegen,
Kinder zu dritt auf schrottreifen Mopeds, Hühner mit Nachwuchs, schläfrige Hunde.
Tropische Beschaulichkeit. Zudem wirkt alles zwar ärmlich, aber recht sauber. Ein
Typ holt uns ab und vermittelt uns zwei einfache Hütten in einem Garten. Strom nur
am Abend über den Dorfgenerator, ein kleiner Ventilator im Eck, eine Matratze
am Boden, statt einer Dusche Brunnenwasser aus dem Kübel. Als einzige Touristen
verursachen wir Gekicher und verhaltene Neugierde, während wir durch die
Siedlung schlendern. Mädchen mit Kopftüchern spielen auf der Dorfwiese
Volleyball, daneben veranstalten ein paar Insulaner ein Picknick. Vor dem
Amtshaus hängt ein Plakat mit dem Konterfei des uns schon bekannten Bürgermeisters,
der in Habt Acht-Stellung neben einem Polizisten posiert. Später kommen wir an
seinem Wohnhaus vorbei, wo er mit nacktem Oberkörper im Vorgarten sitzt und
schon fleißig am Tschechern ist, schließlich ist heute ja Silvester. Am Strand finden
wir unter schattigen Bäumen eine Lümmelecke mit Sitzsäcken und kleinen Tischen
auf einer aufgeschütteten Terrasse, dekoriert mit kleinem Einbaum und
Seeschnecken, ein hölzernes Windspiel klackert in der Brise. Der Franzose Jeff hat
hier vor einem halben Jahr mit seiner indonesischen Frau Land gekauft und ein
kleines Resort mit ein paar Hütten gebaut. Seitdem leben sie mit ihren zwei
kleinen Buben als Zugereiste recht isoliert auf Pulau Moyo. Mit dem älteren Einheimischen
Fredy haben sie einen sehr netten Gehilfen gefunden, der gleichzeitig als Sicherheitsmann
fungiert. Auf der gesamten Insel ist für 60.000 Bewohner ein Polizist
abgestellt, wahrscheinlich der vom Plakat neben dem Leader. Und der hat seinen Posten im einzigen, auch von Soldaten
bewachten Nobelresort, wo man für eine Nacht mehr als tausend Euro abdrücken
muss. Lady Diana ist da zum Beispiel schon per Hubschrauber abgestiegen. Die
Nobelabsteige verschafft immerhin hundertzwanzig Leuten Arbeit. Wahrscheinlich
müssen die Betreiber trotzdem, so wie auch der Franzose, dem Bürgermeister hohe
Summen an Schmiergeld zustecken, um ihr Geschäft betreiben zu dürfen. Jeffs
Kinder lernen zumindest drei Sprachen, neben Englisch und der Landessprache Bahasa Indonesia auch noch den
Inseldialekt. Wie es mit Französisch aussieht, haben wir ihn nicht gefragt. Mit
ihrer Volljährigkeit können die Buben dann zwischen französischer oder
indonesischer Staatsbürgerschaft wählen. Eine von Edina die ganze Zeit
herumgetragene Flasche österreichischer Welschriesling später am Balkon läutet für
uns das Fest zum Jahreswechsel ein. Warm, aus der Flasche, völlig wurscht.
Schmeckt herrlich. Sobald der Strom da ist, kann bei Jeff der Reis gekocht
werden und wir finden uns zum Dinner ein. Gegrillter Fisch, ganz simpel und
ganz gut, nur die Mädels jammern wegen der vielen Gräten. Auch der Leader kehrt hier ein und mit ihm, der
Betreiberfamilie und dem Gehilfen verbringen wir einen lauschigen Abend am
Strand. Um Mitternacht stoßen wir an, irgendwer schießt noch ein paar
verhungerte Raketen ab und mehr passiert nicht. Ein Wunder, dass wir überhaupt
noch wach sind.
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