Montag, 2. Januar 2017



31.12., Sumbawa Besar, Pulau Moyo
Nächtliche Ankunft in unerforschtem Terrain, ab jetzt nur mehr Neuland für den Rest der Reise. Englisch versteht keiner mehr und irgendwo werden wir aus dem Bus gescheucht, während alle anderen sitzen bleiben. In Sumbawa Besar sind wir jedenfalls. Eine Frau erbarmt sich und organisiert uns drei Mopeds und da sich das angesteuerte Hotel als überteuerte Absteige entpuppt, gehen wir auf gut Glück die Straße entlang. Weit weg vom Zentrum dieser kleinen Stadt sind wir wohl nicht, trotzdem ist alles recht weitläufig angelegt. Ein Geschäftsinhaber lotst uns zu einer akzeptableren Alternative. Das macht er der hiesigen Etikette folgend, indem er mit dem ausgestreckten aber angelegten  Daumen in die entsprechende Richtung deutet. Fünf aufgeregte Burschen an der Rezeption, ab ins Bett. Um sieben Uhr klopft es schon an der Tür, „Mr. Stef? Selamat Pagi, Breakfast!“ An die Tür gebracht wird noch warmer, in Papier verpackter Reis mit einem mir bis dato unbekannten Teil vom Huhn, vielleicht dem Hals. Ich bin nicht alleine mit meinen kulinarischen Entdeckungen. Edina meint später, irgendwas in ihrem gestern gekauften Jausenpaket habe recht nussig geschmeckt und ob ich wüsste, was das gewesen sein könnte. Ich hatte das gleiche ohne besagtes Aroma und empfehle, besser nicht weiter darüber nachzudenken. Wir müssen heute zum Hafen und vorab herausfinden, wie weit entfernt der ist, wann die Fähre ablegt und ob es auf der angesteuerten Insel Pulau Moyo ein Quartier für uns gibt. Trotz Internet in der Lobby und Kommunikationsversuchen mit allen verfügbaren Gliedmaßen scheint es unmöglich, das herauszufinden. Aus unerfindlichen Gründen dürfte das Lieblingswort des Hoteleigentümers aus überschaubarem Fundus das Wort „Nine“ sein. Ihm zufolge ist das Pier neun Kilometer entfernt, die Taxifahrt dorthin dauert neun Minuten und das Boot legt um neun Uhr ab. In den Weiten des Internet taucht in einem Blog die Telefonnummer eines gewissen Borit auf, den rufe ich an. Kosmisches Störfeuer, lost in Translation. Als würde ich mit einem Hund auf dem Saturn telefonieren.  Wieder hilft uns eine sehr schüchterne, aber des Englischen mächtige Frau aus dem Schlamassel. Sie übernimmt die Gurke, Borit wird uns einen Typen herschicken. Tatsächlich. Nach einer Stunde kommt ein junger Mann und kümmert sich ums Taxi und am Hafen zeigt er uns den Holzkahn, der in Kürze ablegen wird. Die Unterkunft ist ebenfalls gesichert. Zuvor wird noch die Jam Garet, die sprichwörtliche indonesische Gummizeit, schlagend. Nur langsam füllt sich das Boot mit freundlichen Menschen und Ware. Geladen werden Zementsäcke, die schlauerweise als später sehr nützlicher Ballast durch den Bretterboden in den Rumpf geschlichtet werden, Fenster, Eisenstangen etc. Das Wasser im kleinen Hafen ist abartig dreckig. Auf dünnen Matten sitzen wir später und vollziehen den rituellen Kekstausch mit unseren Sitznachbarn, während wir langsam aufs offene Meer schaukeln. Wir filmen eifrig und werden gefilmt. Auch der Bürgermeister des Inseldorfes ist an Bord und heißt uns in passablem Englisch herzlich willkommen. Der Kapitän sitzt auf einem Sessel ohne Beine quasi mit den Knien zwischen den Ohren und steuert den Kahn über ein lächerlich kleines Steuerrad aus Holz. Es sieht zwar so aus, wie man sich das von einem anständigen Steuerrad erwarten kann, verfügt über die sechs Holzknubbel und Schnitzereien, ist aber nicht größer als eine kleine Pizza. Es folgt eine aufreibende Fahrt mit hohem Wellengang. Während der nächsten zwei Stunden rollen von vorne links, wie man in der Sprache der Seemänner sagt, ganz ordentliche Wellen mit weißen Schaumkronen oben drauf heran. Ganz vorne am Bug sitzt ein Kind und zeigt dem Kapitän per Handzeichen unmittelbar notwendige Lenkmanöver an. Hier kotzt erstaunlicherweise niemand. Im Gegenteil, die rund dreißig Passagiere werfen sich einfach ein Tuch über und legen sich kollektiv schlafen. Ganz schön abgebrüht, hält man sich vor Augen, dass fast alle an Bord Nichtschwimmer sind. Für manche von uns dauert die Fahrt auch eine gefühlte Ewigkeit, weil sie schon seit Stunden aufs Klo müssen. Selbst wenn es auf dem Kutter irgendwo ein Häusl gäbe, wäre das Unterfangen bei diesem Seegang völlig unmöglich. Die Anlegestelle des kleinen Dorfes ist dann entzückend. Ein kleiner Holzsteg ins Meer, zu Beginn ein schattiger Unterstand. Geschätzte fünfzig Häuser, enge Wege dazwischen. Ziegen, Kinder zu dritt auf schrottreifen Mopeds, Hühner mit Nachwuchs, schläfrige Hunde. Tropische Beschaulichkeit. Zudem wirkt alles zwar ärmlich, aber recht sauber. Ein Typ holt uns ab und vermittelt uns zwei einfache Hütten in einem Garten. Strom nur am Abend über den Dorfgenerator, ein kleiner Ventilator im Eck, eine Matratze am Boden, statt einer Dusche Brunnenwasser aus dem Kübel. Als einzige Touristen verursachen wir Gekicher und verhaltene Neugierde, während wir durch die Siedlung schlendern. Mädchen mit Kopftüchern spielen auf der Dorfwiese Volleyball, daneben veranstalten ein paar Insulaner ein Picknick. Vor dem Amtshaus hängt ein Plakat mit dem Konterfei des uns schon bekannten Bürgermeisters, der in Habt Acht-Stellung neben einem Polizisten posiert. Später kommen wir an seinem Wohnhaus vorbei, wo er mit nacktem Oberkörper im Vorgarten sitzt und schon fleißig am Tschechern ist, schließlich ist heute ja Silvester. Am Strand finden wir unter schattigen Bäumen eine Lümmelecke mit Sitzsäcken und kleinen Tischen auf einer aufgeschütteten Terrasse, dekoriert mit kleinem Einbaum und Seeschnecken, ein hölzernes Windspiel klackert in der Brise. Der Franzose Jeff hat hier vor einem halben Jahr mit seiner indonesischen Frau Land gekauft und ein kleines Resort mit ein paar Hütten gebaut. Seitdem leben sie mit ihren zwei kleinen Buben als Zugereiste recht isoliert auf Pulau Moyo. Mit dem älteren Einheimischen Fredy haben sie einen sehr netten Gehilfen gefunden, der gleichzeitig als Sicherheitsmann fungiert. Auf der gesamten Insel ist für 60.000 Bewohner ein Polizist abgestellt, wahrscheinlich der vom Plakat neben dem Leader. Und der hat seinen Posten im einzigen, auch von Soldaten bewachten Nobelresort, wo man für eine Nacht mehr als tausend Euro abdrücken muss. Lady Diana ist da zum Beispiel schon per Hubschrauber abgestiegen. Die Nobelabsteige verschafft immerhin hundertzwanzig Leuten Arbeit. Wahrscheinlich müssen die Betreiber trotzdem, so wie auch der Franzose, dem Bürgermeister hohe Summen an Schmiergeld zustecken, um ihr Geschäft betreiben zu dürfen. Jeffs Kinder lernen zumindest drei Sprachen, neben Englisch und der Landessprache Bahasa Indonesia auch noch den Inseldialekt. Wie es mit Französisch aussieht, haben wir ihn nicht gefragt. Mit ihrer Volljährigkeit können die Buben dann zwischen französischer oder indonesischer Staatsbürgerschaft wählen. Eine von Edina die ganze Zeit herumgetragene Flasche österreichischer Welschriesling später am Balkon läutet für uns das Fest zum Jahreswechsel ein. Warm, aus der Flasche, völlig wurscht. Schmeckt herrlich. Sobald der Strom da ist, kann bei Jeff der Reis gekocht werden und wir finden uns zum Dinner ein. Gegrillter Fisch, ganz simpel und ganz gut, nur die Mädels jammern wegen der vielen Gräten. Auch der Leader kehrt hier ein und mit ihm, der Betreiberfamilie und dem Gehilfen verbringen wir einen lauschigen Abend am Strand. Um Mitternacht stoßen wir an, irgendwer schießt noch ein paar verhungerte Raketen ab und mehr passiert nicht. Ein Wunder, dass wir überhaupt noch wach sind.

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