24.1.,
Waiwerang, Lamalera
In
der Nacht Wolkenbrüche, dass mich der Lärm des Regens am Blechdach kaum
schlafen lässt. Packen, Cash abheben. Sollte auf der Nachbarinsel tatsächlich
noch der Tauschhandel herrschen, gilt das sicher nicht für mich. Pünktlich um
acht Uhr stehe ich am Pier, das Schiff kommt entgegen gestriger Auskunft erst
um Zehn. Als es schließlich einfährt, bricht tumultartige Hektik aus. Über eine
schmale Planke steigen Leute vom schaukelnden Schiff, während andere sich schon
ihren Weg an Bord bahnen. Mopeds werden nebenbei auf- und abgeladen, Säcke mit
Gemüse werden auf Pickups verladen. Reinstes Chaos, aber alles ohne schlechte
Laune. An Bord verkaufen Kinder diverses Zeug, einer sagt „Fuck you, Mister“
und zeigt angestrengt, aber gegen niemand bestimmten den Finger. So eine
Respektlosigkeit ist hier eigentlich undenkbar, scheinbar hat er das irgendwo
aufgeschnappt. Sicherheitshalber schaue ich trotzdem böse, mehr fällt mir dazu
auch nicht ein. Einer bringt mir noch mein in der Wartehalle zurückgelassenes,
weil ausgelesenes Buch nach, das hätte ich wissen müssen. Eine Stunde dauert
die Überfahrt nach Lebolewa. Im dortigen Hafenbüro erkundige ich mich
vorsorglich, wann ich die Insel mit Ziel Alorwieder verlassen kann. Nach
einigem Hin und Her findet sich ein Mitarbeiter, mit dem ich mich verständigen
kann, und nach langwierigem Palaver mit seinen Kollegen sagt er,morgen. Ich sei
aber gerade erst angekommen, wann denn die übernächste Fähre gehe? Nach
erneuter Konsultation der restlichen Angestellten sagt er, nächsten Mittwoch. Ob
es vorher noch eine Möglichkeit gäbe? No. Jeden Mittwoch. Eine Fähre pro Woche.
Für diese Erkenntnis bedurfte es mehrerer Minuten Unterredung mit seinen
Kollegen. Dieser Zeitplan scheint mir eigentlich recht übersichtlich. Nach
intensivem Kitzeln spuckt er noch mehr aus. Im Nordosten gibt es eine kleine
Stadt, von der starten täglich Boote zumindest auf die nächste InselPantar. Von
dort muss man dann weitersehen. So werde ich das machen. Heute möchte ich
jedenfalls nach Süden zum WalfängerdorfLamalera. Bis zum Busbahnhof schaff ich´s
irgendwie selber. Dort gilt es herauszufinden, wanndenn der nächste Bus geht.Frage
in die Runde, ob jemand Englisch spricht.Einer tut so, als ob, an den halte ich
mich. „Bus at eleven.“, sagt er. „But nowit´sallreadytwelve?“„At eleven.“
Vielleicht bringt er irgendwas mit den Zahlen durcheinander. Ich halte ihm
meinen Kalender hin, er möge mir die Zahl aufschreiben. ELEVEN malt er mir ins Buch, hier komme ich nicht weiter. Bei den
Fressläden rund ums Terminal frage ich noch einmal und siehe da, eine Frau
meldet sich. Fast immer sind es die Frauen, die nicht nur den nötigen Mut aufbringen,
mit mir zu sprechen, sondern auch die entsprechende Intelligenz und Bildung
besitzen, mir tatsächlich weiterhelfen zu können. Diese hier hat in Bali
studiert und jahrelang mit Touristen gearbeitet, ist dann aber freiwillig in
dieses Kaff zurückgekehrt, wo sie mit ihrer Familie eine Snackbude betreibt. Hier
sind alle gut drauf und der Schmäh rennt,wahrscheinlich eine gute Entscheidung.
Sie bringt mich zur Nachbarin, wo ich mir einen Teller mit Fisch, Reis und
Gemüse aufladen darf, und setzt mich später in den richtigen Kleinbus. Der
transportiert mehr Waren als Fahrgäste, wenigstens habe ich zwei Sitzplätze für
mich. Hühner flattern in Bierkartons mit Luftschlitzen, daneben undichte, weil
schlecht verschlossene Plastikkanister mit Benzin, viele davon. Die Dämpfe im
heißen Bus sind übel. Der schaukelt sich einen schmalen Pfad durch den
Dschungel hoch, der oft mehr einem trockenen Flussbett denn einer Straße
gleicht. Oft muss sich auch der Fahrer mit einer Hand anhalten, während er mit
der anderen Hand lenkt, und ich hau mir den Schädel abwechselndam Fenster oder
an der Haltestange im Mittelgang an. Auf meinem Schoß sammeln sich Blätter und
kleine Äste, die vom Bus abgerissen und durch die offenen Fenster hereingeweht
werden. Auf halbem Weg werden ein paar Hühner entladen, ihre Köpfe hängen
schlaff aus den Kartons. Entweder voll drauf vom Sprit schnüffeln oder schon im
Hühnerwalhalla. BeimAbel Beding Homestay
steige ich aus, geführt von einemPensionistenpärchen. Sie spricht kein
Englisch, er ist mürrisch und einsilbig. „Name?“ lautet seine charmante Begrüßung.
Die Zimmer im Obergeschoss sind so einfach, wie man sie sich nur vorstellen
kann. Ein paar Bienen beginnen gerade damit, an der Wand ein Nest zu bauen. Das
Mandi, ein einfacher Waschplatz mit Hockklo und Schöpfkelle, befindet sich im
Zwischengeschoss. Außerdem verfüge ich über ein Moskitonetz und einen
Ventilator. Die Nacht kostet inklusive dreier Mahlzeiten umgerechnet sieben
Euro, das ist in Ordnung. Nebenbei betreibt das Pärchen noch einen kleinen Shop
mit allen notwendigen Grundnahrungsmitteln, zum Beispiel gekühltemBier. Dann
schau ich mich mal um. Die Alte hat mir ein Päckchen Moskitokohle angeboten,
als ich ihr zuvor im Ohne Wörter-Buch ein Bild von einem Strand mit
Sonnenschirmen und Badetüchern gezeigt habe. Sie hatte keine Ahnung, was das
sein soll. Vom Homestay etwas oberhalb der Bucht suche ich mir zwischen Hütten
und engen Verschlägen für Schweine einen Weg nach unten zum Meer. Hier gibt´s
zwar etwas Sand, aber ob sich hier schon jemals wer hergelegt hat, wage ich zu
bezweifeln. In erster Reihe stehen im leichten Halbkreis mehr als zwanzig
längliche Verschläge mit Bastdächern, in denen die Holzboote der Fischer
lagern. Von manchen weg liegen Rundhölzer im Sand, mit deren Hilfe die Boote leichter
zu Wasser gelassen werden können. Am Gelände verteilt liegen Knochen aller Art
und Größe. Wirbel mit einem halben Meter Durchmesser, Rippenbögen, riesige
Schädel, ovale Knochenblätter. Manche Teile liegen sicher schon seit vielen
Jahren herum, andere nicht länger als ein paar Tage. Eine komplette Wirbelsäule
mit einer Länge von eineinhalb Metern schaut noch ganz frisch aus. Ein paar Schildkrötenpanzer
mitten drin. Die Fischer jagen scheinbar alles, was groß ist, neben Pott-und
Grindwalen auchDelfine und Haie.Auf Stangen hängen dünn geschnittene Fettschwarten
mit schwarzer Haut und vielleicht Innereien zum Trocknen. Eine Frau kommt aus
einem der Häuser oberhalb der Bootshäuser und bietet mir einen Ikat-Schal zum
Kauf an, in einem kleinen Körbchen hat sie noch Zähne liegen und einen massiven
Stoßzahn. Der ist zirka doppelt so lang und etwas dicker als mein Daumen und
ist vielleicht für eine Strafe gut, sollten sie mich an der Grenze damit
erwischen. Andererseits ist´s ja nur ein Walzahn. Ich habe hier keinen
Internetzugang, vielleicht lasse ich es darauf ankommen. Eine andere Frau sagt
„Orca, Orca“, und zeigt aufs Meer, vielleicht ist das ja das passende Viech zum
Beisser. Im Schatten eines Baumes arbeiten ein paar Männer an einem kleinen
Boot. In die Rumpfplanken stemmen sie Nut und Feder und mit selbst geschnitzten
Stiften verbinden sie die einzelnen Bretter auf der Breitseite. Die Metallteile
ihrer Hämmer sind mit Hilfe einer Blechummantelung mit dem Stiel verbunden,
Nägel werden keine verwendet. Natürlich schauen mich alle an, als wäre ich der leibhaftige
Klabautermann, aber daran habe ich mich schon fast gewöhnt. Die in Indonesien
bevorzugte nonverbale Kontaktaufnahme, das gemeinsame Rauchen einer Zigarette,
muss ich leider auch ablehnen. So streife ich als Spaceinvaderdurch das kleine
Dorf. Schulmädchen kreischen, kleine Kinder beginnen zu weinen oder verstecken
sich in den Häusern. Überall hängt Fleisch oder Fett. Der Geruch ist ungewohnt
und intensiv, aberauf Dauer ähnlich schlecht auszuhalten wie der von
getrocknetem Fisch. Im Nachbarort komme ich noch rechtzeitig zu den Ausklängen
eines Wahlkampfauftrittes. Ein Alleinunterhalter singt und bespielt übersteuert
auf einerverstärkten Heimorgel unter einem ausladenden Baum sitzendes Publikum.
Ich komme mit einem Typen im neonfarbenen Frotteepullover ins Gespräch. Der müssteeigentlich
unglaublich schwitzen, tut er aber nicht.Für eine Kreditkooperative arbeitet er
und als ich anfrage, ob ich auch einen haben kann, hat er was zu lachen. Nach
einem Bier und der üblichen Fisch-Reis-Gemüse-Kombi zum Abendessen ziehe ich
mich zurück. Am Zimmer stinkt´s nach Benzin, mein Rucksack hat was abbekommen.
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