Samstag, 28. Januar 2017



24.1., Waiwerang, Lamalera
In der Nacht Wolkenbrüche, dass mich der Lärm des Regens am Blechdach kaum schlafen lässt. Packen, Cash abheben. Sollte auf der Nachbarinsel tatsächlich noch der Tauschhandel herrschen, gilt das sicher nicht für mich. Pünktlich um acht Uhr stehe ich am Pier, das Schiff kommt entgegen gestriger Auskunft erst um Zehn. Als es schließlich einfährt, bricht tumultartige Hektik aus. Über eine schmale Planke steigen Leute vom schaukelnden Schiff, während andere sich schon ihren Weg an Bord bahnen. Mopeds werden nebenbei auf- und abgeladen, Säcke mit Gemüse werden auf Pickups verladen. Reinstes Chaos, aber alles ohne schlechte Laune. An Bord verkaufen Kinder diverses Zeug, einer sagt „Fuck you, Mister“ und zeigt angestrengt, aber gegen niemand bestimmten den Finger. So eine Respektlosigkeit ist hier eigentlich undenkbar, scheinbar hat er das irgendwo aufgeschnappt. Sicherheitshalber schaue ich trotzdem böse, mehr fällt mir dazu auch nicht ein. Einer bringt mir noch mein in der Wartehalle zurückgelassenes, weil ausgelesenes Buch nach, das hätte ich wissen müssen. Eine Stunde dauert die Überfahrt nach Lebolewa. Im dortigen Hafenbüro erkundige ich mich vorsorglich, wann ich die Insel mit Ziel Alorwieder verlassen kann. Nach einigem Hin und Her findet sich ein Mitarbeiter, mit dem ich mich verständigen kann, und nach langwierigem Palaver mit seinen Kollegen sagt er,morgen. Ich sei aber gerade erst angekommen, wann denn die übernächste Fähre gehe? Nach erneuter Konsultation der restlichen Angestellten sagt er, nächsten Mittwoch. Ob es vorher noch eine Möglichkeit gäbe? No. Jeden Mittwoch. Eine Fähre pro Woche. Für diese Erkenntnis bedurfte es mehrerer Minuten Unterredung mit seinen Kollegen. Dieser Zeitplan scheint mir eigentlich recht übersichtlich. Nach intensivem Kitzeln spuckt er noch mehr aus. Im Nordosten gibt es eine kleine Stadt, von der starten täglich Boote zumindest auf die nächste InselPantar. Von dort muss man dann weitersehen. So werde ich das machen. Heute möchte ich jedenfalls nach Süden zum WalfängerdorfLamalera. Bis zum Busbahnhof schaff ich´s irgendwie selber. Dort gilt es herauszufinden, wanndenn der nächste Bus geht.Frage in die Runde, ob jemand Englisch spricht.Einer tut so, als ob, an den halte ich mich. „Bus at eleven.“, sagt er. „But nowit´sallreadytwelve?“„At eleven.“ Vielleicht bringt er irgendwas mit den Zahlen durcheinander. Ich halte ihm meinen Kalender hin, er möge mir die Zahl aufschreiben. ELEVEN malt er mir ins Buch, hier komme ich nicht weiter. Bei den Fressläden rund ums Terminal frage ich noch einmal und siehe da, eine Frau meldet sich. Fast immer sind es die Frauen, die nicht nur den nötigen Mut aufbringen, mit mir zu sprechen, sondern auch die entsprechende Intelligenz und Bildung besitzen, mir tatsächlich weiterhelfen zu können. Diese hier hat in Bali studiert und jahrelang mit Touristen gearbeitet, ist dann aber freiwillig in dieses Kaff zurückgekehrt, wo sie mit ihrer Familie eine Snackbude betreibt. Hier sind alle gut drauf und der Schmäh rennt,wahrscheinlich eine gute Entscheidung. Sie bringt mich zur Nachbarin, wo ich mir einen Teller mit Fisch, Reis und Gemüse aufladen darf, und setzt mich später in den richtigen Kleinbus. Der transportiert mehr Waren als Fahrgäste, wenigstens habe ich zwei Sitzplätze für mich. Hühner flattern in Bierkartons mit Luftschlitzen, daneben undichte, weil schlecht verschlossene Plastikkanister mit Benzin, viele davon. Die Dämpfe im heißen Bus sind übel. Der schaukelt sich einen schmalen Pfad durch den Dschungel hoch, der oft mehr einem trockenen Flussbett denn einer Straße gleicht. Oft muss sich auch der Fahrer mit einer Hand anhalten, während er mit der anderen Hand lenkt, und ich hau mir den Schädel abwechselndam Fenster oder an der Haltestange im Mittelgang an. Auf meinem Schoß sammeln sich Blätter und kleine Äste, die vom Bus abgerissen und durch die offenen Fenster hereingeweht werden. Auf halbem Weg werden ein paar Hühner entladen, ihre Köpfe hängen schlaff aus den Kartons. Entweder voll drauf vom Sprit schnüffeln oder schon im Hühnerwalhalla. BeimAbel Beding Homestay steige ich aus, geführt von einemPensionistenpärchen. Sie spricht kein Englisch, er ist mürrisch und einsilbig. „Name?“ lautet seine charmante Begrüßung. Die Zimmer im Obergeschoss sind so einfach, wie man sie sich nur vorstellen kann. Ein paar Bienen beginnen gerade damit, an der Wand ein Nest zu bauen. Das Mandi, ein einfacher Waschplatz mit Hockklo und Schöpfkelle, befindet sich im Zwischengeschoss. Außerdem verfüge ich über ein Moskitonetz und einen Ventilator. Die Nacht kostet inklusive dreier Mahlzeiten umgerechnet sieben Euro, das ist in Ordnung. Nebenbei betreibt das Pärchen noch einen kleinen Shop mit allen notwendigen Grundnahrungsmitteln, zum Beispiel gekühltemBier. Dann schau ich mich mal um. Die Alte hat mir ein Päckchen Moskitokohle angeboten, als ich ihr zuvor im Ohne Wörter-Buch ein Bild von einem Strand mit Sonnenschirmen und Badetüchern gezeigt habe. Sie hatte keine Ahnung, was das sein soll. Vom Homestay etwas oberhalb der Bucht suche ich mir zwischen Hütten und engen Verschlägen für Schweine einen Weg nach unten zum Meer. Hier gibt´s zwar etwas Sand, aber ob sich hier schon jemals wer hergelegt hat, wage ich zu bezweifeln. In erster Reihe stehen im leichten Halbkreis mehr als zwanzig längliche Verschläge mit Bastdächern, in denen die Holzboote der Fischer lagern. Von manchen weg liegen Rundhölzer im Sand, mit deren Hilfe die Boote leichter zu Wasser gelassen werden können. Am Gelände verteilt liegen Knochen aller Art und Größe. Wirbel mit einem halben Meter Durchmesser, Rippenbögen, riesige Schädel, ovale Knochenblätter. Manche Teile liegen sicher schon seit vielen Jahren herum, andere nicht länger als ein paar Tage. Eine komplette Wirbelsäule mit einer Länge von eineinhalb Metern schaut noch ganz frisch aus. Ein paar Schildkrötenpanzer mitten drin. Die Fischer jagen scheinbar alles, was groß ist, neben Pott-und Grindwalen auchDelfine und Haie.Auf Stangen hängen dünn geschnittene Fettschwarten mit schwarzer Haut und vielleicht Innereien zum Trocknen. Eine Frau kommt aus einem der Häuser oberhalb der Bootshäuser und bietet mir einen Ikat-Schal zum Kauf an, in einem kleinen Körbchen hat sie noch Zähne liegen und einen massiven Stoßzahn. Der ist zirka doppelt so lang und etwas dicker als mein Daumen und ist vielleicht für eine Strafe gut, sollten sie mich an der Grenze damit erwischen. Andererseits ist´s ja nur ein Walzahn. Ich habe hier keinen Internetzugang, vielleicht lasse ich es darauf ankommen. Eine andere Frau sagt „Orca, Orca“, und zeigt aufs Meer, vielleicht ist das ja das passende Viech zum Beisser. Im Schatten eines Baumes arbeiten ein paar Männer an einem kleinen Boot. In die Rumpfplanken stemmen sie Nut und Feder und mit selbst geschnitzten Stiften verbinden sie die einzelnen Bretter auf der Breitseite. Die Metallteile ihrer Hämmer sind mit Hilfe einer Blechummantelung mit dem Stiel verbunden, Nägel werden keine verwendet. Natürlich schauen mich alle an, als wäre ich der leibhaftige Klabautermann, aber daran habe ich mich schon fast gewöhnt. Die in Indonesien bevorzugte nonverbale Kontaktaufnahme, das gemeinsame Rauchen einer Zigarette, muss ich leider auch ablehnen. So streife ich als Spaceinvaderdurch das kleine Dorf. Schulmädchen kreischen, kleine Kinder beginnen zu weinen oder verstecken sich in den Häusern. Überall hängt Fleisch oder Fett. Der Geruch ist ungewohnt und intensiv, aberauf Dauer ähnlich schlecht auszuhalten wie der von getrocknetem Fisch. Im Nachbarort komme ich noch rechtzeitig zu den Ausklängen eines Wahlkampfauftrittes. Ein Alleinunterhalter singt und bespielt übersteuert auf einerverstärkten Heimorgel unter einem ausladenden Baum sitzendes Publikum. Ich komme mit einem Typen im neonfarbenen Frotteepullover ins Gespräch. Der müssteeigentlich unglaublich schwitzen, tut er aber nicht.Für eine Kreditkooperative arbeitet er und als ich anfrage, ob ich auch einen haben kann, hat er was zu lachen. Nach einem Bier und der üblichen Fisch-Reis-Gemüse-Kombi zum Abendessen ziehe ich mich zurück. Am Zimmer stinkt´s nach Benzin, mein Rucksack hat was abbekommen.

Keine Kommentare: