Mittwoch, 30. Januar 2019

30.1., Solento

Das 1850 gegründete Salento ist eine Kleinstadt ganz nach unserem Geschmack. Zwar durchaus touristisch belastet, aber noch immer ausreichend authentisch und gleichzeitig übersichtlich und angenehm entschleunigt. Am Hauptplatz sind rund um eine Kirche alte Häuser mit bunt gestrichenen Türen und Fensterflügeln angeordnet, im kleinen Park in der Mitte steht eine Statue Simon Bolivars, des kolumbianischen Freiheitskämpfers und wichtigsten Nationalhelden. Durch die Gassen fahren klapprige Willys Jeeps, die ursprünglich in den 50er Jahren von der US Army an hiesige Bauern und Plantagenbesitzer verkauft wurden. Von den alten Modellen sind nicht mehr viele unterwegs, aber der Marke ist man treu geblieben und das Yipao, ein Jeep voll, dient noch immer als gängige Maßeinheit und entspricht zirka fünfundzwanzig Säcken einer bestimmten Größe. In den Jeeps wird alles transportiert, je nach Anlass zum Beispiel Schweine, Kaffee oder Menschen, wobei sechzehn oder mehr Passagiere unter Zuhilfenahme der Trittbretter durchaus möglich sind. Auch Cowboys auf Pferden gehören zum Stadtbild, Bauern in Ponchos und Gummistiefeln, Buden mit Früchten und kleine Lokale, in denen guter Kaffee ausgeschenkt wird. Kolumbien ist immerhin drittgrößter Exporteur der Welt.
Die mittägliche Fiesta halten wir zuhause ab und erfreuen uns an der spektakulären Schönheit der Umgebung, während sich am Hang unter uns  Kinder Autoreifen zurollen, wobei die Temperaturen ohnehin voll in der Ordnung sind und keine wirkliche Ausrede für unseren heutigen Müßiggang liefern. Später üben wir uns wieder im Stockball und fallen unter den Einheimischen nicht weiter auf. Nur der dicke Wirt ist total perplex, weil ich, offenbar wider die guten Sitten, meinen Aguardiente mit Eis trinken möchte. Am Weg heim bellt kein einziger der zahlreichen wohlgenährten und gutmütigen Hunde. In einer Gasse stehen Pferde im Kreis, deren Reiter ein Schwätzchen halten. Die sind mindestens so entspannt wie wir, hier bleiben wir noch ein Weilchen.
29.1., von Medellin nach Salento

Noch schnell zwei Spiegeleier mit einem süßen Germweckerl, das hier als Brot durchgeht, im Terminal Sur, bevor wir in den hochmodernen Gringobus nach Salento steigen. Die nächsten sieben Stunden fahren wir durch herrlichste Berglandschaft, wobei sich überladener und untermotorisierter Schwerverkehr, masochistische Radfahrer und Menschen auf Pferden die steilen Serpentinen teilen. Überholen ist über weite Strecken unmöglich oder nur mit Hilfe waghalsiger Manöver zu bewerkstelligen, derer sich unser Fahrer mitunter bedient. Seine aktuelle Geschwindigkeit können wir über ein großes, gut sichtbar im Fahrgastbereich angebrachtes Display mitverfolgen, ein kurzweiliges, wenn auch fragwürdiges Vergnügen. Verkehrsschilder, die Reifen mit Profil einfordern, wurden nicht ohne Grund aufgestellt. Unter uns erstreckt sich ein bis auf ein paar Fincas fast nicht besiedeltes, tiefes Tal mit angelegten Terassenfeldern, ein gigantischer Einschnitt in das
spektakuläre Hochland. So weit das Auge reicht bis zu fünftausend Meter hohe Gipfel und weitläufige Kaffeeplantagen. Dicht an die Hauptstraße gedrängt stehen die Häuser der verschlafenen Bergdörfer, die aus nicht viel mehr zu bestehen scheinen, als das, was wir auf der Durchfahrt von ihnen zu sehen bekommen.
Noch ein kurzer Halt in der trostlosen Stadt Pereira, dann erreichen wir die auf tausendneunhundert Metern gelegene Kleinstadt Solento mit rund viertausend Einwohnern. Der erste Eindruck ist nicht der beste, ein kolumbianischer Alki torkelt aus einer Bar und bröckelt sich an, aber der täuscht erfreulicherweise. Nach langer Suche finden wir endlich das perfekte Zimmer mit geilstem Fernblick vom kleinen Balkon und einer Wirtin, die kein einziges Wort Englisch spricht.
Rechtzeitig zum Sonnenuntergang steigen wir die Stiegen hoch zum Alto de la Cruz, einem Hügel oberhalb der Stadt, dann spielen wir eine Runde Pool in der Billar Danubio Hall. Hauptsächlich wettergegerbte Pensis in Ponchos und mit Cowboyhüten spielen Carambol, Domino oder Karten zu kolumbianischer Volksmusik, während sie an ihren Gläsern voll mit Aguardiente nippen. Ein paar sitzen oder stehen nur herum und schauen zu, eine echt lässige Bude.

Montag, 28. Januar 2019

28.1., Medellin

Morgens holt Ena und mich ein älterer Herr mit einem nagelneuen Auto vom Hostel ab und führt uns die nächsten Stunden exklusiv in der Gegend herum, um uns anhand von Häusern und anderen Gebäuden einen Eindruck der blutigen Herrschaft des Drogenkönigs Escobar über die Stadt zu vermitteln, ehe dieser 1993 von einer Polizeieinheit auf der Flucht gekillt wurde.
Nicht, daß wir diese Vip-Tour absichtlich gebucht hätten, aber unser Fahrer wurde uns von der Rezeptionistin empfohlen und nimmt für seine Dienste auch nicht mehr als die Anbieter, die große Gruppen in Kleinbussen durch die Stadt karren.
Wir cruisen sehr zum Mißfallen der anderen Verkehrsteilnehmer in Schrittgeschwindigkeit an einem Einkaufszentrum vorbei, über das Escobar anfangs seine Drogengelder waschen konnte, bleiben vor
einem Luxushotel stehen, das ihm als Büro diente und vor dem ein verfeindetes Kartell eine Bombe hochgehen ließ, als sich die Lage für Don Pablo schon zuspitzte. Nach der Tötung eines Präsidentschaftskandidaten und der Kriegserklärung an die Regierung wurde Medellin von ihm über Jahre hindurch mit Anschlägen aller Art terrorisiert, ehe sich Escobar nach zuvoriger Verhandlung mit der Obrigkeit in ein von ihm selbst für diesen Zweck gebautes Luxusgefängnis, La Catedral,
einsperren ließ. Bewacht wurde er von seinen Leibwächtern, ein Scherz. Nach elf Monaten von vereinbarten sechs Jahren hatte er schon genug und setzte sich wieder ab.
Die Polizeistation, vor der eine Bombe gezündet wurde, ist noch immer in Betrieb, ebenso der Sportplatz, den er dort bauen ließ, wo er aufgewachsen war. Seine Villa mit Hubschrauberlandeplatz wird soeben abgerissen und im Haus, wo er letztendlich getötet wurde, befindet sich heute ein Immobilienmakler.
Vor Escobars Grab auf einer weitläufigen Wiese über der Stadt liegen frische Blumen, an seiner Beerdigung damals nahmen über zwanzigtausend Menschen teil. Manche sahen in ihm einen modernen Robin Hood, aber die meisten waren erleichtert und glücklich, als er das Zeitliche segnete.
Mitunter mutet die Geschichte Escobars so unglaublich an, daß man sich wirklich nur mehr wundern kann.
Dem Vernehmen nach wurde kürzlich eine Serie über den Narco-König gedreht, aber über Qualität und Wahrheitsgehalt müssen die entscheiden, die über ein für die Sendungsübertragung notweniges Rundfunkempfangsgerät verfügen.
Während wir abends durch die Straßen schlendern, vergeht selten mehr als eine Minute, bis wir wieder angeschnorrt werden. Zusätzlich zu den zu erwartenden Sandlern und Lemuren der Nacht hauen uns noch Geflüchtete aus Venezuela an. Mehr als eine Million von ihnen sind mittlerweile in Kolumbien angekommen, meistens illegal über die tausendsechshundert Kilometer lange grüne Grenze.

Sonntag, 27. Januar 2019

27.1., Medellin

Die Stadttour heute mit Schwerpunkt auf die Graffitis der Communa 13, eines recht verwahrlosten Hangbezirkes, haben wir uns definitiv anders vorgestellt.
Fast alle Wandbilder beziehen sich symbolisch auf zwei brachiale militärische Interventionen zur Rückerlangung der staatlichen Kontrolle im Jahr 2002, während derer zahlreiche Menschen zu Tode kamen. Mit Hubschraubern und Panzern operierte die Staatsgewalt und übergab anschließend den Auftrag zur Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der Ordnung an Paramilitärs, die im Laufe der nächsten Jahre hunderte Menschen töteten und auf der örtlichen Deponie verscharrten. Wir besuchen inoffizielle Friedhöfe und Gedenkstätten und können uns nur wundern, was für schreckliche Dinge hier vor gar nicht so langer Zeit geschehen sind. Viele Stufen, ab und zu völlig unerwartet Rolltreppen, Wassereis und Blick auf das Tal unter uns. Der Guide trifft während der Tour seine Mama und alles wirkt eher dörflich denn großstädtisch.
Nach dem Ende der Führung fahren Ena und ich zurück ins Zentrum und flanieren in der Fußgängerzone. Ein Geflüchteter aus Venezuela bietet selbstgemachte Taschen aus geflochtenen Geldscheinen zum Verkauf an, daneben liegen bündelweise quasi über Nacht wertlos gewordene venezolanische Bolivar.
Auf einem der Plätze tanzen Pärchen altmodische Tänze, daneben werden Wundermittel angepriesen und Schuhputzer dösen im Schatten der Palmen. Ein alter Mann mit einer antiken Sofortbildkamera, mit der er gegen Bezahlung Menschen fotografieren möchte, wirkt ebenso aus der Zeit gefallen wie ein anderer, der vor einer mitgenommenen Reiseschreibmaschine hockt und auf Aufträge wartet.
Wir stärken uns mit einer gigantischen Portion des typischen Mittagstellers. Viele verschiedene
Ansichten gibt es darüber, was alles auf den ovalen Teller muss, aber folgende Bestandteile sind nicht verhandelbar: Schweinebauch, eine Wurst, rote Bohnen, Salat, ein Ei, Avocado und frittierter Käse auf weißem Reis. Den Namen des Gerichtes sollte man als Fremder mit Bedacht aussprechen. Es heißt Bandeja Paisa, bäuerliches Tablett, und nicht Pendejo Paisa, womit man den Kellner als Bauerntrottel beflegeln würde.
Am Abend müssen wir bei einem Glas Erdbeersaft unsere großen Pläne für Kolumbien zurecht stutzen, das wird sich alles nicht ausgehen.
26.1., Medellin
Um zehn vor Acht werfen auf der Straße unter uns Straßenarbeiter die Flex und den Presslufthammer gleichzeitig an, der ganze Gehsteig wird aufgerissen. Unserem einzigen Fenster fehlen einige elementare Teile wie zum Beispiel Glas und der infernale Lärm zwingt uns umgehend aus dem Bett und aus dem Bezirk.
Von Süden nach Norden durchfahren wir über die erhöhte U-Bahn-Trasse die gesamte Stadt, bis wir am nördlichen Ende des Tales in eine Seilbahn steigen, die einen der steilen seitlichen Berghänge hochführt. Sie ist nur eine von vielen und ganz normaler Bestandteil der öffentlichen Verkehrsmittel von Medellin. Vor einigen Jahren wurden mit Hilfe dieser Seilbahnen die vom Zentrum weit entfernten, ärmlichen Siedlungen in den Außenbezirken mit dem Rest der Stadt verbunden. Die hauptsächlich aus unverputzten Ziegeln gebauten Hütten und Häuser den Hang hoch wirken zwar ärmlich und klein, haben aber mit Slums im herkömmlichen Sinn nicht viel gemeinsam. Irgendwann lichten sich die Reihen, bis weiter oben nur mehr vereinzelte Verschläge inmitten unberührter Botanik stehen. Trampelpfade statt Straßen, neue Parzellen werden in der jungfräulichen Schräge quasi ausgestochen. Medellin ist riesig, wenn man es von ganz oben überblickt und es gibt noch Platz zu expandieren.
Die Wanderwege am oberen Grat lassen wir aus und trinken nur eine Tasse mit Zuckerrohr gesüssten Kokatee, bis wir von irgendwelchen unsichtbaren Viechern attackiert werden und so schnell wie möglich zurück ins Tal flüchten. In den Schuhen, unter der Hose und unter dem Leiberl juckt es plötzlich abartig und wenig später zähle ich über sechzig nässende Beulen, die minütlich mehr werden. Was zum Geier, immer ist irgendwas. Das Internetz sollte man diesbezüglich nicht
konsultieren, es gibt schreckliche Dinge da draußen. 

Samstag, 26. Januar 2019

25.1., Medellin

Entlang breiter Straßen mit sehr viel Verkehr gehen wir zum vereinbarten Treffpunkt und unser Guide Pablo nimmt uns bei einer U-Bahn-Station nahe des Zentrums in Empfang.
Mit ihm erkunden wir heute die Stadt im Rahmen einer geführten, kostenlosen Tour, der Rest der einundzwanzigköpfigen Gruppe stammt aus aller Herren Länder.
Pablo ist zufällig mit einer Wienerin verheiratet, die er während seiner achten von bisher insgesamt rund tausendsiebenhundert absolvierten Touren kennengelernt hat, das nur am Rande.. Er startet den knapp vierstündigen Rundgang mit einem Abriss über die Geschichte Kolumbiens und spannt im Schatten einer alten Dampflok einen Bogen von den Conquistadores und dem Aufstieg der Gegend durch die Intensivierung des Kaffeeanbaus bis zu den diversen Kampfansagen und Friedensprogrammen der letzten Präsidenten, adressiert an rechte Paramilitärs oder an die zahlreichen linken Rebellengruppen wie der Farc oder der Eln, die erst letzte Woche in Bogota
einen Anschlag gegen eine Polizeischule verübt haben. Natürlich ist Medellin auch untrennbar mit dem Namen Pablo Escobars verbunden, von dem unser Guide fortan, wenn er sich auf ihn bezieht, nur vom Verbrecher, der meinen Vornamen trägt spricht, um dessen Nachnamen nicht in den Mund nehmen zu müssen. Das aus mehreren Gründen: Über den berüchtigten Drogenbaron muss man einfach sprechen, wenn man die jüngste Geschichte Medellins verstehen möchte. Das Problem dabei ist allerdings, dass fast alle Einheimischen kein Englisch sprechen, aber trotzdem sehr neugierig sind, was unsere Gruppe und Pablo mit seinem Mikrophon betrifft.
Wenn die also den Namen des ärgsten Staatsfeindes aller Zeiten ohne jeden Kontext aus ansonsten nicht zu dechiffrierendem Kauderwelsch heraushören würden, wäre für jede Menge Konfliktpotential gesorgt, da viele Kolumbianer Escobar aus tiefstem Herzen hassen und nicht verstehen können, warum es Touren gibt, die ihm gewidmet sind und warum Touristen das Grab Escobars oder sein Anwesen besuchen, um dort Paintball zu spielen, wo er doch über Jahrzehnte Tod und Terror über die Stadt gebracht hat.
Nicht nur Vertreter der Staatsgewalt waren vom damaligen Drogenkrieg betroffen, im Kampf gegen die kolumbianische Regierung wurde von Escobar zum Beispiel ein Kopfgeld für jeden gekillten Polizisten bezahlt, sondern auch die Zivilbevölkerung. Linienflugzeuge wurden abgeschossen, Bombenanschläge und Morde waren an der Tagesordnung. Aber dazu später sicher noch mehr.
Ein sehr interessanter Überblick jedenfalls, bevor wir durch das Zentrum der Stadt spazieren. Wie die Japaner marschieren wir über Plätze und Fußgängerzonen, wo es sich ganz ordentlich abspielt. Fliegende Händler, die lautstark ihre Waren anpreisen, Pärchen, die zur Musik von Straßenmusikanten tanzen, unzählige Passanten und dazwischen die abgefucktesten Kreaturen, die man sich vorstellen kann. Stolz zeigt Pablo vormals gefürchtete und heute revitalisierte Ecken,
wo in ehemaligen Ruinen Ausbildungsstätten und Notschlafstellen eingerichtet wurden, enthusiastisch berichtet er über die Fortschritte der letzten Jahre.
Und immer wieder gesellen sich Einheimische zu unserer Gruppe und grüßen und freuen sich sichtlich, dass wir da sind, wissend, dass Medellin in der restlichen Welt nur mit Drogen und Kriminalität in Verbindung gebracht wird.
Gegen Ende der Führung verweist Pablo noch auf den Salon Malaga, eines der letzten traditionellen Cafehäuser Medellins. Ein mindestens siebzigjähriger Dj legt dort Schellacks und alte Platten mit kratzigen, rauschenden Aufnahmen uralter Musik auf und ältere Herrschaften nippen an Aqua Diente, lateinamerikanisches Pendant zum griechischen Ouzo. Grammophone und unzählige gerahmte,
schwarzweiße oder in Sepiafarben gehaltene, vergilbte Fotos von Schauspielerinnen und Sängern aus längst vergangenen Zeiten hängen an den Wänden. Das Pissoir befindet sich eigentlich im Hauptraum und die Pinkler sind nur durch Salontüren in Hüfthöhe vom restlichen Publikum getrennt. Zu unseren Getränken stellt uns die Kellnerin unreife, gesalzene Mangoscheiben hin, an denen wir knabbern, während wir uns am gebotenen Panoptikum ergötzen.
Mit dem Taxi fahren wir heim, das kostet für uns beide gemeinsam nur unwesentlich mehr als die U-Bahn-Tickets, dann treffen wir den Ami Louis in einer Cocktailbar. Gabriel, ein einheimischer Freund von ihm, gesellt sich dazu. Der spricht japanisch, weil er ein paar Jahre in Kioto gelebt hat, und ansonsten gibt´s auch noch viel zu erzählen und zu erfahren. Später ziehen wir weiter in einen bombastischen Club. Anhand des unscheinbaren Eingangs würde man nicht vermuten, was sich im Inneren des Etablissements verbirgt. Ineinander verschachtelt und auf mehrere Etagen verteilt warten kleine Innenhöfe, Bars, Durchgänge und Räume und im Keller, obwohl noch immer irgendwie im
Freien, hocken in und rund um einen Pool, der mit tausenden Plastikkugeln gefüllt ist, Gäste. Später wird`s bummvoll, die Bälle fliegen schon in der Gegend herum,  Menschen winden sich zu lautstarker Musik.

Freitag, 25. Januar 2019

24.1., von Panama City nach Medellin

Es ist noch finster, als wir uns zum Flughafen aufmachen. Nur Handgepäck reicht locker für uns, aber ganz ohne Verluste komme ich nicht durch die Kontrolle.
Nichts finden diese Stümper, weder meine viel zu großen Flascherl mit Sonnencreme und Moskitoschutz, noch mein Wasser, ganz zu schweigen vom Feuerzeug und dem Messer. Aber meine im Fluss erbeutete Nummerntafel aus Costa Rica fällt ihnen dann doch beim Durchleuchten auf, ist ja auch nicht so klein. Selbstredend eine potentielle Waffe, die ich zurücklassen muß, was für ein Schwachsinn.
Der Flug über das grüne kolumbianische Hochland mit seinen Kaffee- und höchstwahrscheinlich
auch Kokaplantagen entschädigt wenigstens. Medellin selbst erstreckt sich langgezogen und dicht gedrängt inmitten eines Tales, umzingelt von steilen Berghängen, auf denen sich die Slums der Stadt ausbreiten. Der militärische Teil des Flughafens gleicht einer Festung mit Fliegerabwehrraketen und allem drum und dran, ein harter Schnitt anbetracht der Tatsache, daß Costa Rica schon seit vielen Jahren völlig ohne Armee auskommt.
Manche Städte erzeugen schon durch ihre Namen Bilder im Kopf, zumindest bei mir. Saigon, Kathmandu, Marrakesch oder eben Medellin. Noch nie konnten die erwarteten Klischees mit der Realität mithalten, aber so daneben wie hier bin ich noch selten gelegen. Vier Millionen Einwohner, laut, eine Verkehrshölle. Bäume und Hecken akkurat gestutzt, die Parkanlagen gepflegt, fast kein Müll auf den Straßen.
Mit einem Minibus fahren wir hinab in die zentrale Senke, dort steigen wir in die U-Bahn.
Neben der Hochtrasse verläuft ein zehn oder fünfzehn Meter breiter, offener Kanal mit schwarzem, stinkendem Wasser. An seiner schrägen, betonierten Böschung hausen Obdachlose in ärgsten Verschlägen. Verkäufer von frischem, schon aufgeschnittenen Obst, Sänger und Bettler vor der Station. Obwohl Medellin auf fünfzehnhundert Höhenmetern liegt, isses noch immer ganz schön heiss. Wir wohnen im Stadtteil El Poblado, einfacher zu merken über die Eselsbrücke: Der mit dem dicken Hintern. Den Weg zu unserem Quartier zeigt uns ein äußerst hilfsbereiter Typ aus Florida, der daheim als Lehrer gekündigt wurde und der sich jetzt für Kost und Logis in einer Jugendherberge verdingt. Den besuchen wir später, trinken Bier aus 0,75l-Flaschen und decken uns mit Tipps für die nächsten Tage ein.
Später beobachten Ena und ich bei Tequila mit Erdbeeren die Leute. An den Kreuzungen performen Tänzer, die sich halb die Schultern ausrenken, oder Typen posieren in schäbigen Superheldenkostümen. Einer mit Umhang, Plastikschwert und kleinem Megaphon stoppt waghalsig den Verkehr, um gegen eine Spende die sichere Passage für Fußgänger zu ermöglichen. Menschen mit Tafeln, sie kämen aus Venezuela und hätten nichts. Alkis, Straßenkinder und Giftler sowieso. Viele Verzweifelte und noch mehr Bullen, die sie daran hindern, sich an wohlhabenen Touristen wie uns schadlos zu halten.

Mittwoch, 23. Januar 2019

23.1., Panama City

Ankunft um 3.00 früh am Hauptbahnhof, weiter mit dem ersten verfügbaren Bus zum Flughafen um 5.30. Klingt lähmend, ist lähmend. Der Versuch einer Buchung
vor Ort misslingt. Der Flug nach Medellin geht um 8.50, der Schalter öffnet um 9.00. Zum Auszucken. Für morgen schaut´s besser aus.
Irgendwo in der Stadt ein Zimmer nehmen, was gar nicht so leicht ist Anbetracht der Umstände. Gesperrte Straßen, hunderte Polizisten und Soldaten, tausende Pilger aus aller Welt mit Flaggen, Papst-Devotionalien, Trommeln, etc. Plakate und Souvenirs an jeder Ecke, jetzt spielt es sich richtig ab.
Am Nachmittag soll der unfehlbare irdische Stellvertreter Jesu, eines altertümlichen Zauberers, in Panama City landen und dann auf seinem heiligen Stuhl die Via Espana entlang ins Zentrum schweben. Der Zirkus Roncalli soll schon Interesse an Jorge Mario Bergoglio bekundet haben und auch mein gebenedeites Weib und ich warten beseelt auf ihn an der Hauptstraße, wenn er schon einmal da ist. Dank Live-Übertragung seiner Landung in fast allen Lokalen Panama Citys
können wir uns ganz gut ausrechnen, wann er bei uns vorbei cruisen wird.
Nach einer Weile kreisen zuerst Hubschrauber, dann kommt allerhand Blaulicht, Ninjas auf Motorrädern, Männer mit Anzug und Sonnenbrille auf den Trittbrettern schwarzer Geländeautos und schließlich der Papst, winkend und stehend im weißen Cabrio. Alle sind hin und weg, singen, schreien, klatschen, dann ist der Spuk vorbei.
Unten am Meer sind auch alle Straßen gesperrt, allerdings ohne jede Notwendigkeit. Hier ist nichts und niemand. Kilometerlange Zäune und unzählige Wc´s unnötig aufgestellt, riesige Leinwände mit Beschallung vor leeren Plätzen.
Etwas überorganisiert, aber gute Laune zumindest dort, wo Menschen sind.
22.1., Palmar, Neilly, Paso Canoas, David, Panama City

Der erste Bus hat noch eine knappe Stunde Verspätung, aber ab dann geht´s zügig dahin. Einmal noch umsteigen, an der Grenze zu Panama acht Dollar Ausreisesteuer dafür brennen, daß wir Costa Rica verlassen dürfen, und nach weiteren zwei Minuten Wartezeit vor dem Einreiseschalter hat uns Panama wieder, das im übrigen seinem westlichen Nachbarn zumindest in touristischen Belangen zu bevorzugen ist.
Von wegen, wir werden hier Stunden warten müssen, weil der Papst morgen in der Hauptstadt aufschlägt, um lateinamerikanische Seelen zu fangen, in seinem Windschatten noch zahlreiche Politiker und 200.000 Jugendliche aus aller Welt. Lediglich zwei ausgewiesene Sektierer in neonfarbenen Fanshirts queren vor uns die Grenze.
Vorbei an endlosen, perfekt ausgerichteten Ölpalmen und einem Supermarkt, der sich selbst per Infotafel als Verteidiger der Ökonomie des hiesigen Landkreises feiert, erreichen wir die Stadt David.
Ein Heimspiel, den Bahnhof kennen wir schon als damaliges Sprungbrett nach Boquete. In der Kantine kann man noch immer vorzüglich speisen, heute gibt´s Hendlsuppe mit Mais.
Der nationale Billigflieger Wingo wäre zwar die beste Option, um weiter nach Kolumbien zu kommen, hat aber bei versuchter Buchung übers Netz unser Plastikmoney nicht akzeptiert. Dieser Affront zieht einige zeitraubende Wege nach sich. Zuerst zum Büro der Mutterfirma, die sich für nicht zuständig erklärt und uns an ein Reisebüro verweist. Deren Kreditkarte wird von Wingo ebenfalls abgelehnt und ein Datentransfer per Telefon wird eingeleitet. Junkie, Junkie, Whiskey, X-Ray, die Passnummern dreimal hintereinander. Unsere Namen, Zungenbrecher für die Hiesigen, werden hin und her buchstabiert, die Telefonverbindung scheinbar wie eine versuchte Kontaktaufnahme mit dem Jenseits.
Irgendwann werfen alle Beteiligten das Handtuch und Ena und ich gehen frustriert ins Kino, bis der Nachtbus nach Panama City abfährt. Clint Eastwood ist La Mula, das Maultier, und schmuggelt als hinfälliger Greis Drogen für das Kartell. Dazwischen bespringt er auch noch junge Damen, ein Pensionist außer Rand und Band. Spanische Untertitel, saukalt ist´s im Saal und auch später im Bus. Die Panamesen tragen nicht umsonst Wollmützen und gefütterte Jacken bei Außentemperaturen von rund dreißig Grad.

Montag, 21. Januar 2019

20., 21.1., Quepos, Palmar

Nichts, das gestern für die geneigte Leserschaft von Interesse gewesen wäre. Strandroutine halt, mit einem Frozen Mojito zum Sonnenuntergang und so. Das Wasser in der Stadt war den meisten Tag über komplett abgedreht und es war folglich naheliegend, ihr möglichst fernzubleiben. Ein dichter Geruchsteppich lag über den Straßen, weil die Leute ja trotzdem aufs Häusl müssen. Angeblich geht das fast jeden Sonntag so, da freut man sich vielleicht umso mehr auf die kommende Arbeitswoche.
Anyway, heute ziehen wir weiter. Aus geostrategischen Gründen verlassen wir den Bus, der bereits in Richtung Panama unterwegs ist, in Palmar Norte. Der Plan, erneut mit einem Moped die Halbinsel Osa aufzumischen, bevor wir uns endgültig über Panama nach Kolumbien absetzen, scheitert. Keine Verleihbude weit und breit und die heutige Nächtigung schon gebucht.
Wohin hat es uns verschlagen? In ein vom Tourismus gänzlich unberührtes Saukaff im Nirgendwo, wo ich normalerweise nicht einmal eine kaputte Waschmaschine aus dem Auto treten würde. Aber eigentlich eh ganz nett. Im Stechschritt passieren wir zunächst eine furchterregende lange Brücke, die über den Rio Terraba führt. Der Gehweg ist geschätzte vierzig Zentimeter breit und nicht von den vorbeidonnernden Sattelschleppern abgetrennt, die Brüstung an der Außenseite der Brücke geht mir bis zum Oberschenkel. Und das Ding schaukelt und schwankt! Auf halbem Weg reißt mir auch noch der Riemen von einem Schlapfen und ich hinke trotzdem schnell weiter aus der Gefahrenzone, wie ein Sandler, der zu viel Marschierpulver erwischt hat. Im Stadtpark liegen dann die Gründe unserer Flußquerung für übermütige Besucher unverrückbar auf den Grünflächen, sogenannte präkolumbianische Sphären. Es handelt sich hierbei um perfekt gemeisselte Steinkugeln mit Durchmessern von ein paar Zentimetern bis zu knapp drei Metern mit einem Gewicht von bis zu
fünfundzwanzig Tonnen. In dieser Gegend wurden an die dreihundert Stück dieser mysteriösen Artefakte gefunden, deren Herstellungsweise und Zweck nicht bekannt sind. Vielleicht war dem Schöpfer dieser schönen Kugeln einfach nur extrem fad im Schädel, was hier wie gesagt durchaus nahe liegt.
Eine alte Lok ist die zweite Sehenswürdigkeit Palmars, in dem zusammengepferchte Küken zu Hunderten in Kisten verkauft werden und wo eine Flasche Wasser doppelt soviel kostet wie eine Flasche Coca Cola. Schon am frühen Abend ziehen wir uns ruhigen Gewissens aufs klimatisierte Zimmer zurück, wir haben wirklich jede Seitengasse und jeden Kanaldeckel Palmars besichtigt.

Samstag, 19. Januar 2019

19.1., Quepos

Zum Frühstück gibt´s trockenes Toastbrot mit diversen Fruchtstücken dazu. Das Herbergsmanagement glaubt wahrscheinlich wirklich, dass diese Kombination im Rest der Welt eine gängige ist. Solcherart gestärkt nehmen wir den Bus zum Nationalpark und stellen uns erst einmal um Tickets an.
Manuel Antonio ist der kleinste und gleichzeitig am meisten besuchte Nationalpark des Landes. Heute ist noch dazu Samstag, das verschärft den Andrang. Am Haupteingang wird vor
dem Mancinellenbaum gewarnt, aus dessen Rinde Saft austritt, der brennenden Ausschlag verursacht.
Ein Tucan beobachtet die Gäste aus sicherer Entfernung, wie sie vom Personal gefilzt werden, Kekse und sonstige Knabbereien dürfen nicht mitgenommen werden.
Eine radikale Maßnahme, um es den üblichen Deppen schwerer zu machen, die schon fast handzahmen Affenhorden und Konsorten zu füttern. Trotzdem werden wir schon bald einen Waschbären sehen, der sich mit einem Sackerl Toastbrot auf wohldosierter Flucht vor dem Besitzer des selbigen befindet. Ein paar Faultiere hängen herum und langbeinige, rattenähnliche Nager hüpfen durchs Unterholz, immerhin.
Latschen wir also pflichtschuldigst mit lärmenden Familien und Ausflüglern in Bermudahemden auf eingefassten Schotterwegen diverse Routen ab, bis wir endlich durchgeschwitzt unsere Hängematten aufhängen und den restlichen Tag am Meer verchillen. Auch hier sind die entzückenden Waschbären unverschämt und in Banden auf waghalsigem Beutezug. Den bedrängten Touristen fällt nicht viel mehr ein, als sie mit Sand zu bewerfen.
Eigentlich ist alles die reinste Augenauswischerei. Das gesamte Gelände ist Privatbesitz, der Eintritt gesalzen und rundherum wachsen die Ölpalmen-Monokulturen. Das hier ist kein Nationalpark, es ist vielmehr ein steriler Themenpark mit Restaurants, Sanitäranlagen und Souvenirständen.
Eigentlich eine Frechheit. Am interessantesten ist noch eine halbkreisförmige Steinformation in einer kleinen Bucht, eine Schildkröten- und Fischfalle indigener Völker aus grauer Vorzeit. Aber diese Anlage steht hier schon seit ein paar hundert Jahren, als das Land noch jedem gehörte.
Das war mit Sicherheit mein letzter Nationalpark in Costa Rica. Genug auch von der comida tipica,  den inflationären Patacones, das sind frittierte Kochbananen, den Empanadas, Tortillas, Tacos, Burritos, Enchiladas, Nachos etc., die wir nach so vielen Wochen noch immer durcheinander bringen. Heute gibt´s selbstgemachten Salat, con mucho gusto.
18.1., Quepos

Wir übersiedeln vom gestern nur aufgrund fortgeschrittener Stunde kurzfristig bezogenen Hotel ins Wide Mouth Frog Hostel, einer Jugendherberge am Stadtrand mit Pool und den wahrscheinlich kleinsten Zimmern Lateinamerikas.
Während man sich unserer stinkigen Wäsche annimmt, erstehen wir am Bauernmarkt Ceviche mit
Shrimps und ein paar Mangos. Hier tummeln sich schon fast mehr Touristen als Einheimische. Quepos liegt als letzte Ortschaft vor dem Nationalpark Manuel Antonio strategisch günstig und dient den Heerscharen an Besuchern quasi als Sprungbrett dorthin. Aus einem ehemals verstaubten Fischerdorf wurde so in wenigen Jahren eine Metropole des Tourismus mit der ewiggleichen Angebotspalette Costa Ricas, die da wäre: Baumkronentour, Rafting, Zipline, Faultierexperience
uswusf.
Pünktlich zum Sonnenuntergang schlürfen wir ein Eis am Malecon, einer erhöhten, deichartig angelegten Strandpromenade. Dann kaufe ich mir einen Jugo, die gibt´s hier billig an jeder Ecke. Doch nicht dem Menschenhandel habe ich mich verschrieben, sondern vielmehr dem Guaro, einem farblosen Zuckerrohrschnaps. Der will aber für bessere Bekömmlichkeit mit Saft gemischt werden, heißt auf spanisch halt Jugo.
Viel später sitzen wir schon wieder am Malecon und essen ein Stück Pizza, bis wir das verhaltene Interesse zweier seltsamer Figuren wecken. Dann nämlich plädiere ich für geordneten Rückzug.
Entgegen seiner schmeichelhaften Eigenwerbung ist in Costa Rica nämlich nicht alles eitel Wonne. Zwanzig Prozent seiner Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze und die Verbrechensrate ist hoch. Vor dem halbseidenen Automatencasino der Stadt warten Nutten auf spendable Gewinner und Giftler mit seltsamen Beulen im Gesicht ziehen durch die nächtlichen Straßen.

Donnerstag, 17. Januar 2019

17.1., von Samara nach Manuel Antonio

Stress in aller Frühe. Die Mopedtante kommt nicht wie vereinbart um zehn vor, sondern erst um zehn nach Acht, um das Gefährt zurückzunehmen. Dass wir den Bus um acht Uhr nach Nicoya trotzdem erwischen, liegt allein daran, dass auch der Busfahrer dem gleichen Kulturkreis angehört, in dem, der Relativitätstheorie gehorchend, Zeit nicht als starre, unumstößliche Konstante erachtet wird, sondern bei Bedarf nach eigenen Vorstellungen verbogen werden kann. Meistens übrigens gegen den Uhrzeigersinn, kapiert?
Der nächste Bus spuckt uns in Puntarenas aus, einer verdreckten Küstenstadt, wo wir noch Saft aus einem Plastiksackerl schlürfen, ehe wir weitertingeln nach Quepos.
Die Nacherzählung der heutigen Reise könnte bei oberflächlicher Betrachtung den Eindruck einer geordneten, abgestimmten Abfolge von mehreren Etappen hinterlassen, welcher allerdings grundlegend falsch wäre. Es gibt nur in den seltensten Fällen markierte Haltestellen oder gar Fahrpläne und mitunter vergehen Stunden, bis sich eine neue Mitfahrgelegenheit ergibt. Irgendwo hinter sieben Ecken versteckt sich ein Bus ohne ausgewiesenes Fahrziel und wenn man das Glück hat, ihn entdeckt zu haben, darf man irgendwann sogar mitfahren. Dann freuen wir uns schon über einen wackeligen Stehplatz in einem nicht klimatisierten Chickenbus bei einer Außentemperatur von 34 Grad. Einmal wenigstens sorgt ein lautstarker fliegender Händler für Unterhaltung, der den gesamten Bus inbrünstig von seinem heutigen unschlagbaren Angebot in Kenntnis setzt, und
tatsächlich finden seine Zahnbürsten reißenden Absatz, wedeln ihm schon bald die Fahrgäste mit Scheinen zu, während ihm vom Schreien und Übertreiben der Schweiß den Schädel runter rinnt.
Auch Ena schlägt halb hypnotisiert und mit rollenden Augen vor, wir sollten in ein spottbilliges Familypack, bestehend aus drei Zahnbürsten, drei Reiseetuis und einer Riesentube Zahnpasta investieren, das kleine Werbeopfer. Mehr zur neuen Homebase morgen.
16.1., von Playa Naranja nach Samara

Neuer schwarzer Asphalt unterm Gasrad am Weg nach Nicoya, das fühlt sich gut an. Trotzdem werden wir schon bald in unserem Elan gebremst. Ein obszön dicker Kieberer klärt uns im Rahmen
einer Straßensperre auf, daß Drogen und somit auch Marihuana in Costa Rica verboten seien, wundert sich noch über meinen österreichischen Führerschein und steckt dann seinen Zinken in unseren zu diesem Zweck nur einen kleinen Spalt geöffneten Rucksack. Seine Schweinenase bekommt sicher so einiges zu riechen, aber der Duft von Gras bleibt ihr verwehrt und wir dürfen weiter.
Vor Nosara eine kalte Kokosnuss, Zimmer gibt´s hier schon ab hundertfünfzig Dollar die Nacht. In einem staubigen Fischerdorf wohlgemerkt, aber scheinbar für Surfer aufgrund der richtigen Brandung von gesteigertem Interesse. Noch eine Flussquerung  müssen wir absolvieren, weil wir irgendwo falsch abgebogen sind, aber für alte Zweiradhasen wie uns ist das freilich die reinste Routine. Zurück in Samara noch schnell ein Sprung ins Meer, die Sonne geht schon wieder unter.

Mittwoch, 16. Januar 2019

15.1., von Santa Teresa nach Playa Naranjo

Unser Quartier, das Casa Zen, meint es gut mit seinen Gästen. Wertvolle Ratschläge zieren kleine Täfelchen und die Wände. Breathe! Relax! Call your mom!
Am Traumstrand unten, wir spannen noch für zwei Stunden die Hängematten auf, ehe wir weiterziehen, knattert ein Daniel Düsentrieb mit seinem Leichtbau-Cabriohubschrauber Marke Eigenbau in geringer Höhe über uns hinweg, ein paar Meter weiter verprügelt ein Kung Fu-Psycho die Luft. Zuerst drischt er mit Handkantenschlägen und Fußtritten ins Nichts, dann sticht er mit einem Stück Holz auf imaginäre Feinde ein. Zum Schluß schlägt der Hammer noch ein paar Purzelbäume, das sieht sehr lustig aus.
Hier dürfte generell sehr viel geraucht werden. Mal Pais allerdings, ein als Hochburg der Hippiekultur gehyptes Kaff ein paar Kilometer weiter, enttäuscht. Außer einem Erledigten am Fischereihafen lässt sich niemand aus der Zwischenwelt blicken.
Wir haben die Südspitze Nicoyas beinahe erreicht. Vor uns liegt nur mehr das älteste und für den Verkehr freilich gesperrte Naturschutzgebiet des Landes, ein Reservat für unzählige Schildkröten, die hier Jahr für Jahr ihre Eier verbuddeln. Trotzdem bekommen die Einheimischen noch immer einen Teil der Gelege ab, um die Wilderei auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Abgesehen vom traditionellen Nutzen als Lebensmittel wird den roh geschlürften Eiern auch noch potenzfördernde Wirkung nachgesagt, da freut sich die Hausfrau doppelt.
Wir queren die Halbinsel entlang der Grenze zum Nationalpark und überwinden während der nächsten zehn Kilometer schreckliche Pisten. Ena muss gelegentlich absteigen, wenn ich mich mit abgespreizten Füssen als zusätzlich stabilisierenden Seitenauslegern in Zeitlupe steile, zerfurchte Hänge hinunterzittere, während die Einheimischen grinsend an mir vorbeifetzen.
Noch schöner und einsamer sind die Strände und Buchten entlang der Ostküste, die wir ab jetzt hochfahren, das Attribut dazu kann nicht geringer ausfallen als uneingeschränkt traumhaft. Unterwegs ebenfalls sehenswert ist die größte Würgefeige Costa Ricas mit einer Höhe von vierzig Metern. Vorbei an Montezuma, wegen ansässiger Hippies und Rastafaris auch Montefuma genannt, mit den letzten Tropfen Sprit zur ersten verfügbaren Tankstelle seit Anritt der Reise, die
sind äußerst selten in dieser Ecke der Welt.
Es folgt eine schier endlose Baustelle, wo auf gut fünfzehn Kilometern eine Trasse für eine vierspurige Straße angelegt wird. In ganz Costa Rica gibt es bis auf den Panamerica Highway nichts in dieser Größenordnung. Was wir heute an Dreck und Staub fressen, wir bräuchten kein Abendessen mehr. Die Autos, Baufahrzeuge, Bagger und Lkw´s nebeln uns stundenlang ein, dazwischen warten wir in brütender Hitze in gesperrten Gegenverkehrsbereichen.
In Playa Naranjo, einer kleinen Siedlung, in der die Fähren von Puntarenas anlegen, stoppen wir für heute. Die Isla San Lucas fünf Kilometer weiter draußen trägt den Beinamen  Die Insel der unsagbaren Schrecken. Sie diente schon den spanischen Konquistadores als Gefängnisinsel und bis 1992 war sie politischen Gefangenen des Staates vorbehalten. Etwas südlicher liegt die Isla Gigante aka Isla Muerte mit Begräbnisstätten der Chara, einem hier ansässigen indigenen Volk.
Es wird schon finster, als wir uns mit dem äußerst symphatischen Wirten des kleinen Hotels zusammensetzen, in dem wir heute übernachten. Er unterhält uns die nächsten Stunden mit spannenden Geschichten. Seit zwei Monaten erst lebt er in Costa Rica, er ist als Letzter seiner gesamten Familie aus Venezuela  hierher geflüchtet. Sein Land sei ein Failed State. Neben seinem Brotberuf als Fischer hat er nebenbei eine kleine Pension betrieben, zuletzt hat er für ein
Zimmer einen einzigen Dollar pro Nacht verlangt, um an Devisen für den Schwarzmarkt zu kommen. Zu kaufen gibt es so gut wie nichts mehr. Das monatliche Mindesteinkommen reicht für sieben Eier, die Inflation lag letztes Jahr bei unvorstellbaren einskommadrei Millionen Prozent. Im Restaurant bezahlt man mittlerweile schon bei der Bestellung, nachher könnte die Rechnung teurer ausfallen.
Für heuer wird eine Teuerungsrate von sechs Millionen Prozent erwartet, das muss man sich einmal vorstellen. Total surreal in einem Land mit den reichsten Erdölvorkommen der Welt.
Angelo selbst merkt anhand der Sorglosigkeit der Ticos, wie paranoid er in einem Klima von allgegenwärtiger Kriminalität schon geworden ist. Er kann nicht mehr schlafen, schreckt bei jedem Geräusch auf und möchte sein Hotel hier so schnell wie möglich in eine Festung verwandeln. Alle hatten sie in Venezuela Waffen, er, sein Sohn und die Frau. Trotzdem wurden Angelo und seine Familie vor vier Jahren in ihrem Haus von drei Männern überfallen und gefesselt, der Hund
zuvor vergiftet. Einer von ihnen meinte immer wieder, er werde ihn leider noch umbringen müssen,
bevor er gehe. Angelo weiß, wer die Räuber waren und hat trotzdem nichts gegen sie unternommen. Die Polizei und das Militär sind korrupt und selbst kriminell.
Bald kommt noch seine Schwägerin mit ihren drei Kindern nach und er hat keine Ahnung, wie alle durchgefüttert werden können.
Neben hauptsächlich schrecklichen Geschichten aus seiner Heimat weiß der Wirt aber auch von schönen Dingen zu berichten wie zum Beispiel über seine Leidenschaft, dem Speerfischen. Und wie großartig Venezuela eigentlich sei, das Land hätte von Wüsten über Berge, gigantischen Wasserfällen und Wäldern alles nur erdenklich Schöne.
Als Berufsfischer mit eigenem Fangboot und einer Crew von acht Männern war er immer zwei Wochen auf Fang, mit zwei Kilometer langen Leinen und insgesamt tausend Haken auf der Suche nach großen, hässlichen Mahi Mahi oder Thunfischen. Erbeuteter Kaviar wurde an der Sonne getrocknet und selbst gegessen und der restliche Fang nach Trinidad verkauft, wo er sich gleich mit Reis und sonstigen Lebensmitteln für daheim eindecken konnte.
Jetzt sitzt Angelo in Costa Rica und wartet auf ein Wunder, damit er wieder heim kann, die arme Sau.

Dienstag, 15. Januar 2019

14.1., von Samara nach Santa Teresa

Los geht´s um Neun. Wir tragen bessere Fahrradhelme und zusätzlich in Costa Rica verpflichtend, reflektierende Schlaufen quer über den Oberkörper. Ich komme mir dabei vor wie ein Würdenträger einer Bananenrepublik, Ena zu Recht wie eine Schönheitskönigin.
Zunächst cruisen wir noch auf asphaltierter Straße an schönsten, fast menschenleeren Stränden vorbei, dann auf einer Schotterstraße etwas weiter landeinwärts, aber nie weiter als zwei,- dreihundert  Meter vom Wasser entfernt. Recht wenig Grip hat die Mopette auf dem losen Sand-Schotter-Gemisch und das Reisetempo unserer recht schwammigen Fahrt beträgt zwischen
zwanzig und dreißig km/h. Die Sonne knallt und besonders wenn uns Autos passieren oder entgegenkommen, staubt´s gewaltig.
Brüllaffen sitzen am Wegesrand ganz nahe im Baum, weißhäutige, ausgemergelte Kühe weiden unter Palmen. Wasserfälle, die sich während der Regenzeit buchstäblich über die Straße ergießen
und dann die Passage für mehrere Monate unpassierbar machen, sind gänzlich ausgetrocknet und auch die überbrückten Flüsse führen nur wenig Wasser.
Ein Eis in Jabilla, während Sabaneros, die hiesigen Cowboys, mit Quads Vieh vorbeitreiben. Ein Maracujasmoothie in San Francisco de Coyote, in keinster Weise zu vergleichen mit heimischen Getränken gleicher Geschmacksrichtung. Eine tiefsaure, exotische Geschmacksexplosion zaubert mir ein glückliches Chinesengesicht.
Die Wirtin meint, egal, welche der zwei möglichen Straßen wir fortan auch wählen, zwei Flüsse müssen wir auf alle Fälle durchfahren. Damit haben wir seltsamerweise nicht gerechnet. Vor der ersten Furt beobachten wir gespannt ein Tico-Mädchen, wie es routiniert mit seinem Gatschhupfer einen großen Bogen durch das fast stehende Wasser zieht, ehe es knapp entlang des gegenüberliegenden Ufers wieder zur eigentlichen Auffahrt hochfährt. So werden wir das auch machen. Zuerst aber die Schuhe ausziehen und auf der Suche nach den seichtesten Stellen durch den Fluss waten. Das Gepäck tragen wir vorab hinüber, was weiß man bei den paar Zentimetern Bodenfreiheit unseres Rollers.
Alles haut abgesehen von ein paar Schreckmomenten hin, ein irgendwann von einem Auto bei dem Stunt verlorenes Nummernschild packen wir als Souvenir und Trophäe ein. Bei der zweiten Querung wenig später ist Ena schon auf der anderen Seite, während ich nach gleichen Vorbereitungshandlungen im Wasser neben dem Moped her gehe, um möglichst wenig Tiefgang zu haben, und nur zärtlich Gas gebe, um die Kiste sachte ans andere Ufer zu bekommen. Trotzdem gräbt sich das Moped mit dem Hinterrad in Sand und Schlick ein und steckt fest. Das Wasser strömt unterdessen nur ganz knapp unter dem Auspuff vorbei und Ena muss, während ich
trotzdem am Gas bleibe, damit kein Wasser ins Abgassystem eindringen kann, hurtig zu Hilfe eilen und kräftig mitschieben, bevor uns die Gurke hier für immer absäuft. Knappknappknapp und aufregend alles, aber Glück muss man haben.
Die digitale Karte auf Enas Handy, die großartige Dienste leistet, zeigt ab nun eine gestrichelte Linie entlang der Küste und ein paar Fahrspuren wenig später bestätigen unseren Verdacht, dass hier der Sandstrand für ein Weilchen als dauerprovisorische Straße herhalten muss. Vier, fünf Kilometer lang
schlingern wir durch einmal tiefen, einmal gut komprimierten Untergrund, vorbei an felsigen, sehr holprigen Passagen oder durch knirschende Muschelhaufen.
Fischende Braunpelikane stürzen sich unterdes am Horizont im Sturzflug ins Wasser. Niemand außer uns ist da. Nur an einem bis zum Bodenblech eingegrabenen Pickup kommen wir vorbei, vier Männer schaufeln Sand mit Holzplanken und bloßen Händen. Eine großartige Fahrt fürwahr.
Es wird nur unwesentlich besser. Den nächsten Abschnitt prägt eine tief eingegrabene Piste durch einen Wald nahe am Meer, gespickt mit großen spitzen
Steinen. Ena quiekt jedes mal und schlägt mich, wenn einer von ihnen lautstark gegen den Ständer oder die Bodenplatte schrammt, und ich schrecke mich doppelt.
Als ob ich etwas dafür könnte, echt. Ein Wunder, dass wir keinen Patschen haben. Nach vielen, vielen Stunden erreichen wir endlich knapp vor Sonnenuntergang das Surfernest Santa Teresa. Wer hier etwas auf sich hält, hat ein Surfbrett unterm Arm geklemmt.
Die Quartiersuche gestaltet sich äußerst langwierig. Trotzdem lümmeln wir pünktlich, nachdem wir uns noch schnell mittels einer kalten Dusche vom Staub befreit haben, auf zwei Strandliegen und halten, während der orange Sonnenball im Meer versinkt, einen gar köstlichen Frozen Mojito in Händen. Ein hochverdienter Ausklang eines abenteuerlichen Tages.
13.1., Samara

Ein schöner verfaulenzter Tag am großartigen Strand Samaras, eine sichelförmige Bucht über mehrere Kilometer, zu beiden Seiten begrenzt von schroffen Felszungen.
Dazwischen nur feiner Sand und ein paar Palmen. Unter denen hängen wir frohgemut unsere Matten auf und schauen einem Buben zu, der ein paar Pferde über den Strand führt und ab und an für einen kurzen Ausritt vermietet. Am Sandfußballplatz neben uns spielen die Einheimischen bei Affenhitze und tschechern und schwitzen. Familien halten ihr Sonntagspicknick ab und auch wir löffeln butterweiche Avocados und zischen kalte Kokosnüsse. Würdig und recht für heute, aber
was wird morgen? Der Weg in den Süden der Halbinsel ist scheinbar nur Besitzern eines Allradautos vorbehalten, eigentlich sitzen wir hier fest. Die öffentlichen Busse fahren aus unerfindlichen Gründen gigantische Umwege, nur um nach einer ausgedehnten Umfahrungsspanne über das Landesinnere ein Stückchen weiter unten wieder zur Küste zu gelangen. Der Grazer, der erst unlängst per Fähre vom Süden her kommend Samara erreicht hat, meint, die Straßen seien in der Tat sehr schlecht, soweit überhaupt vorhanden. Das kann man so nicht stehen lassen. Schließlich sind wir mit dem festen Ziel hierher gekommen, die gesamte Halbinsel Nicoya aufzumischen.
Morgen setzen wir uns entgegen besseres Wissen ab. Adäquate Fahrzeuge sind allerdings vergriffen oder in Gold aufzuwiegen. Ein stinknormales 110ccm Automatik-Moped ist als Rustikalalternative für drei Tage reserviert, das Gepäck schon auf ein transportierbares Maß zusammengedampft, der Rest wird im Hostel eingelagert. Alles weitere wird sich unterwegs weisen, wir sind zuversichtlich.
12.1., von La Fortuna nach Samara

Wer hier kein eigenes Auto hat, braucht Zeit und Nerven, wobei es in Sachen Komfort eigentlich nichts zu meckern gibt. Das erste Taxi bringt uns zum zentralen Terminal, wo wir bei Gallo Pinto und Caffee Negro auf den Bus nach San Ramon warten.  Es regnet noch immer, perfektes Reisewetter. Mit heute sollten wir auf unserer Fahrt nach Süden den klimatisch bedingten Dauerregen hinter uns lassen und in der Trockenzeit ankommen.
Hohe und mitunter Furcht einflößende Hängebrücken passieren wir mit gebotener Vorsicht des routinierten Fahrers, dann tauchen wir für zwei Stunden ein in dichtesten Nebel. Keine zehn Meter Sicht, nur undurchdringliches Weiß rund um uns wie im Dampfbad. Entsprechend verspätet kommen wir an, was aber total egal ist. Einen Bahnhof oder gar Anschlussbus gibt´s in engerem Sinn eh keinen. Ein Taxi setzt uns wie angeraten am Panamerika-Highway aus, da sollen wir auf eine geeignete Möglichkeit zum Weitertransport warten. Dort stehen wir eine Zeit lang gemeinsam mit ein paar Ticos, Pläne hängen keine aus. Irgendwann erreichen wir nichtsdestotrotz Nicoya, alles fügt
sich immer irgendwie. Mit dem letzten Taxi des Tages geht´s nach mittlerweile elf Stunden Anfahrt zum letzten Bus nach Samara, einem Dorf an der Küste.
Jedes mal, seit ich in Costa Rica bin, denke ich mir, es kann jetzt nicht mehr touristischer werden und prompt wird´s noch ärger. Wer es gerne ruhig und ursprünglich hat, braucht nicht hierherzukommen. Italienische Eissalons und vegane Restaurants, amerikanische Steakhäuser, deutsche Bäckereien. Und kein Quartier mehr frei weit und breit. Das Preisleistungsverhältnis unserer heutigen Unterkunft treibt uns die Tränen in die Augen, aber es hilft nix. Auch die Ticos genießen gerade ihren Urlaub. Mit einem Grazer, den wir vor einiger Zeit an der Grenze kennengelernt haben, trinken wir noch ein Schlückchen und bedauern uns gegenseitig auf hohem Niveau.
11.1., La Fortuna

Nichts passiert und das ist auch so beabsichtigt. Nach ungerechtfertigten Verbrüderungsszenen mit dem abreisenden deutschen Pärchen gehört das Hostel mitsamt allen seinen Lümmelecken und den Hängematten im Garten allein uns. Ein feudales Frühstück mittels eigens zu diesem Behufe erstandener Kaffeefiltersocke, Eiern und einer prächtigen Ananas, während sich die Kinder des Besitzers neidisch ein paar unreife Bananen kochen, dann aber hurtig in die Waagrechte für den Rest des Tages.
Neue Reisepläne müssen ausgeheckt werden, die wilde Halbinsel Nicoya lockt. Lesen, packen, Analogkäse naschen, dösen. Ab und zu trommelt der Regen beruhigend auf das Blechdach und lässt uns wissen, wir versäumen nichts.

Freitag, 11. Januar 2019

10.1., La Fortuna

Eine Zeit lang konnten wir die Vulkane, von denen wir hier umzingelt sind, ganz gut ignorieren, heute müssen wir doch noch auf einen raufklettern. Auf den größten, den El Arenal, führt kein offizieller Weg hoch, aber sein Nachbar, der Cerro Chato, lockt sogar mit einem klassischen Kratersee.
Auf der Straße zum Berg nimmt uns noch ein finnisch-costaricanisches Pärchen mit dem Auto mit, ab dann wird´s anstrengend. Der erste Abschnitt ist mit einer klassischen Almwanderung vergleichbar, mit schöner Landschaft und Aussicht auf die Stadt unter uns, dann folgt der Einstieg zum Steig, der an die Spitze des tausendeinhundert Meter hohen Vulkans führt.
Jaja, der sei zwar offiziell gesperrt und mit Stacheldraht dicht gemacht worden, das wäre aber eine
übertriebende Reaktion der Gemeinde auf noch akzeptable Zerfallserscheinungen entlang der Route, hat man uns gesagt. Also frohen Mutes am Zaun und an den Warntafeln vorbeigeschlüpft und weiter. Es folgen fünfzig bis hundert hüfthohe Geländekanten, ebenso hoch ausgeschwemmte, ganz schmale Rinnen, durch die wir uns hindurch zwängen, die meisten der ursprünglich als Treppen angebrachten Holzbalken im steilen Gelände sind schon weggespült oder verrottet.
Selbstverständlich musste dieser Weg gesperrt werden, er ist gänzlich verwüstet. Aber Spaß macht es auch, obwohl alles nass und schlammig ist und wir uns teilweise auf allen vieren fortbewegen müssen. Fünf Argentinierinnen sind hinter uns, zwei Amis schon am Weg retour, weil ihnen das Wasser ausgegangen ist und ihnen der Abstieg vom Kraterrand zum See als zu gefährlich erschien. Tatsächlich werden die letzten hundert Meter in unwegbarem Gelände sehr steil, dann
stehen wir am Fuß des Kraters vor dem türkisgrünen See, über den Nebelschwaden ziehen. Die Wände des Kraters sind mit dichtem Dschungel bewachsen, der letzte Ausbruch ist schon treitausendfünfhundert Jahre her. Scheinbar riecht es leicht nach Schwefel (ich rieche gar nichts, meine Nase ist dicht), an den Rändern hat sich Schaum gebildet, im Wasser selbst dürfte nichts leben.
Für den Weg zurück wählen wir eine andere Route über den El Arenal, hängen uns an eine russische Geburtenhelferin und ihre Mutter in der Hoffnung auf leichteres Terrain an. Der Weg ist allerdings doppelt so lange und die zwei Damen aus Sibirien (im Winter minus dreißig, im Sommer vierzig Grad und Mücken. Sehr schön, du kommen!) legen ein wahnwitziges Tempo vor. Wirklich, ich marschiere mit fünfundneunzig Prozent Leistungskapazität-den Rest als Reserve bei
einem Pumaangriff-, aber ich komme kaum nach. Auch ein veritabler Sturz kann das Duo nicht bremsen.
Nach sechs Stunden Marsch im Stechschritt treten wir endlich aus dem Wald und schauen alle aus wie ein Burgenlandler nach einem dreitägigen Weinfest. Verschwitzt und verstunken, dreckig und zerschrammt, aber glücklich.
Bis vor die Haustüre bringen uns die zwei noch mit ihrem Mietwagen und mehr geht heute nicht mehr.

Mittwoch, 9. Januar 2019

9.1., La Fortuna

Seit Tagen schon stehe ich an der Schwelle zum Hades, eine schwere Form der Männergrippe hat mich fest in ihren Klauen. Von der in solchen Belangen völlig empathielosen Holden ist kein Mitleid zu erwarten, ich bin auf mich allein gestellt in der grünen Hölle Costa Rica.
Nächtliche Fieberfantasien von menschlichen Tomaten und latent drohende Denaturierung meiner selbst ließen mich, wenn überhaupt, nur ein trübes Auge schließen. Entsprechend überschaubar
das heutige Tagespensum. Zu Fuß in die Stadt, vorbei an uralten, überwachsenen Gräbern von weiß Gott wem und unsere Euroreserven wechseln. Die hiesigen Automaten spucken für unsere Bankkarten kein Cash aus, deswegen. In auf dem Boden vorgemaltem Zickzackkurs nähern wir uns in Zeitlupe, aber unaufhaltsam einer Ermöglicherin neu gewonnener Liquidität, die uns nach strengster Kontrolle meines Reisepasses endlich wieder mit der neben DKT-Geld wohl buntesten Währung der Welt ausstattet. Und so kitschig! Spielende Hasen und Rehe, Kolibris, Faultiere, Haie zwischen Seesternen, wunderbar.
Zum verspäteten Frühstück gebe ich mir gleich ein Ceviche, das ist roher Fisch in Limettensaft mit Koriander und Zwiebel. Die Fischfrau zwinkert mir zweimal lüstern zu, ich kann es ihr nicht
verübeln. Ena meint, ich fantasiere und nicht einmal eine räudige Fischfrau würde auf mich abfahren, dessen Weg von Schleimbatzen und vollgerotzten Taschentüchern gepflastert ist. Que desgracia!
8.1., von Monte Verde nach La Fortuna

Wenig Straßen in dieser Gegend, wohl wegen der ungünstig platzierten Berge und Vulkane. Um ins keine fünfundzwanzig Kilometer entfernte La Fortuna zu gelangen, ist eine vierstündige Reise inklusive einer Kombination aus zwei Autos und einem Boot erforderlich, das uns noch über den malerischen Arenalsee schippert, ehe wir im Epizentrum des costarikanischen Tourismus, in La Fortuna, ankommen. Gemeinsam mit Chinesen mit riesigen Hartschalenkoffern und amerikanischen
Pensionistenpärchen werden wir im Zentrum der Kleinstadt ausgespuckt. Über allem dominierend der riesige Vulkan, der das letzte mal erst 2010 ein paar Dörfer in der Nähe platt gemacht hat.
Unsere Absteige, das Woodhouse Hostel, ist großartig. Bunte Wandmalereien, Sinnsprüche, Hängematten, Skulpturen, Windspiele, ein hängendes Bett. Pflanzen und bemaltes Treibholz im Garten, hier hat sich jemand viel Mühe gemacht.
Das Internetz bestätigt Gerüchte, wonach die Einheimischen fernab der elitären, vom Vulkan gespeisten Thermalspas ihren eigenen naturbeheizten Fluss hätten, wohin wir gleich einen ausrangierten amerikanischen Schulbus nehmen, der hier noch als Überlandtransportmittel gute Dienste leistet. Unser Spanisch ist nach wie vor nicht vorhanden bis katasrophal, das macht das Unterfangen nicht leichter. El Rio con aqua caliente es donde, por favor? Come? No entiendo, pura vida!
Nach kurzer Suche entdecken wir trotzdem das gar nicht so stille Örtchen. Ein gut besuchter, unregulierter Fluss mit aus schwarzem Lavagestein provisorisch gebauten kleinen Pools, wo es sich formidabel mit den Anrainern herumsulen lässt. Das Wasser hat an die vierzig Grad, das mir von einem kurz zuvor kennengelernten Deutschen gereichte Bier mindestens dreißig weniger, herrlich. Kulinarisch erwähnenswert ist ein Palmensalat am Abend, der besser schmeckt, als sich erwarten hätte lassen.
7.1., Monte Verde

Ok, Chickos, sagt die kleine Tochter des Busfahrers zu uns, während wir zum berühmten Nebelwald Monte Verdes hochfahren, bis 16.00 hätten wir Zeit für unsere Wanderung, bevor sie uns wieder abholen kommen würden. So ein Nebelwald ist mit einem stinknormalen Urwald gar nicht zu vergleichen. Dadurch, daß der Wald ständig in Nebel und tiefhängende Wolken gehüllt ist, sind die Bäume flächendeckend mit Moos und Flechten bewachsen und in ihrer eigentlichen Form fast
nicht mehr zu erkennen. Windschief und knorrig hängen sie herum, es tropft und gluckst allerorts und die Luftfeuchtigkeit liegt bei knapp hundert Prozent.
Etwas Unwirkliches, Verwunschenes hat so ein Cloud Forest, wo sogar auf dem Moos noch Moos wächst. Die ersten paar hundert Meter aller begehbaren Wanderwege sind noch japanersicher mit Kies oder Betonplatten gestaltet, ab dann regiert der Gatsch. Exotische Fauna ist allerdings Mangelware. Ein paar braune Vögel sind in etwa so spannend wie die Spatzen im Außenbereich eines Mäc Donalds, wenn ich großherzig ein paar Fritten ausgebe. Keine taufeuchten Leoparden oder
wenigstens Nasenbären lassen sich blicken, dieser Wald ist eher für Ornithologen oder herzlose Vogelhändler interessant. Doch selbst hier merken die wenigen Bewohner des Waldes meine indianische Verbundenheit mit ihnen und dem Kosmos überhaupt. Ein Kolibri brummt durch seine gewaltige Motorumdrehungsflatterzahl zuerst unbeteiligt herum und bleibt dann keinen halben Meter vor mir für ein Weilchen auf Augenhöhe in der Luft stehen. Was will das Viech? Telepathische
Zwiesprache vielleicht oder möchte mir der Vogel einen weisen Rat fürs Leben mitgeben? Es wird wohl eher meine weiße Sonnenbrille sein, die er für eine Orchideenblüte hält. Immer weiter kämpfen wir uns durch den Dreck, werden dazwischen mit schönem Ausblick auf den Bilderbuchvulkan El Arenal belohnt, während uns langsam Schwimmhäute und Froschzungen auf den mittlerweile mit Flechten übersäten Körpern wachsen.
Giftgrün schimmernde Käfer, ein paar Tausendfüßler, die es auch in diesem schwierigen Terrain schaffen, nicht über ihre eigenen Füße zu stolpern. Tierischer Höhepunkt eine vielleicht vier oder fünf Zentimeter große Gottesanbeterin, perfekt getarnt als ein Büschel Flechte, erspäht wieder von der anmutig durch den Wald pirschenden, unbefleckten Gefährtin. Dreck perlt an ihr ab wie an einem modernen Klo mit Antihaftbeschichtung.
Drei Schweizer im Geländewagen nehmen uns mit retour ins Dorf, das ist standesgemäßer als mit den Öffis.

Montag, 7. Januar 2019

6.1., von Puerto Viejo nach Monte Verde

Kleine schlaue Gelsen im Zimmer, eine Nacht ohne Erholungswert. Da hätten wir tatsächlich gleich den ersten Bus um 4.15 nehmen können, dann wäre sich der Zweite von San Jose´ nach La Fortuna auch noch ausgegangen. So freuen wir uns erst einmal nichts ahnend von unserer bevorstehenden Strandung über Sitzplätze für die nächsten vier Stunden am Weg in die Hauptstadt, keine Selbstverständlichkeit in Costa Rica. Nicht wirklich spektakulär, die Fahrt. Auf einer Rollbahn neben dem Meer kratzt sich nur ein Hund den Hintern und außer endlosen Bananenplantagen gibt´s nix zu sehen. Sogar ein Fluss heißt Rio Banana, man kann´s auch übertreiben. Ein Sattelschlepper hat seine offene Ladefläche voll mit Ananas, scheinbar ein Agrarrebell. In San Jose dämmert es uns dann. Entweder den restlichen Tag und die Nacht in der nicht wirklich prickelnden Stadt verbringen, oder die Enddestination ändern. Es wird Monte Verde, da soll´s auch ganz schön sein.
Weil es sich schon öfter erprobt hat, hängen wir uns an ein dem Spanischen mächtiges australisches Pärchen an, wechseln noch den Busbahnhof und überdauern die zwei Stunden Stehzeit in einer Taco-Bude.  Mein Burrito ist neben Bohnen, Zwiebeln, Guacamole und Reis noch mit überreifen, karamellisierten Kochbananen gefüllt, sehr raffiniert.
Die Zufahrtsstraße zur Quäkersiedlung Monte Verde ist abenteuerlich. Auf Wunsch der Gemeinde wurde sie nicht asphaltiert, um den Zustrom an Gästen überschaubar zu halten, Der Bus schleicht hoch, die Temperatur fällt von dreißig auf zwanzig Grad. Lichtet sich für kurze Zeit der
aufgewirbelte Staub, wird die epische Sicht frei auf eine schon in Abendrot gehüllte Berglandschaft mit Feldern, Palmen und vereinzelten Gehöften. In der Ferne glänzt der Pazifik.
Im Hostel Tranquilo hat ein besoffener, aber scheinbar humorbegabter Schweizer noch ein Zimmer für uns. Die Bude liegt direkt an der Hauptstraße und von Ruhe kann keinesfalls die Rede sein. Wurscht. Es ist durch den starken Wind echt kalt hier oben, da leistet die heiße Dusche, bei der das Wasser mittels eines elektrischen Duschkopfes durchlauferhitzt wird, gute Überzeugungsarbeit. Ein Rundgang durchs Kaff- Touristenalarmstufe Rot. Ena isst Gallo Pinto, die Leibspeise des Ticos, wie sich der Costa Ricaner selbst nennt.
Der gefleckte Hahn erschöpft sich in Reis mit kleinen schwarzen Bohnen, ein paar Gewürze noch.  Die Bohnen färben auf den Reis ab und machen ihn fleckig, daher der Name.
5.1., Puerto Viejo

Empanadas con Frijoles, also Bohnentascherl, und kleine, aber feine Avocados kaufen wir den angereisten Campesinos am wöchentlich stattfindenden Bauernmarkt ab, die eingelegten Palmenherzen hebe ich mir für später auf. Einen Kaffee dazu von der Bäckerei und runter die paar Meter zum Strand, wo genügend Schwemmholz für eine Sitzgelegenheit herumliegt. Dann stellen wir uns zur Hauptstraße und halten den Daumen raus, der nächste Bus nach Punta Uva geht erst in einer Stunde.
Es dauert gar nicht lange, bleibt ein uralter Pritschenwagen für uns stehen. Im Fahrerhaus ein junges Pärchen mit zwei Kindern, einer der Kleinen darf lenken,sobald wir die Ortschaft verlassen haben. Etwas ruckartig fühlen sich die Manöver hinten auf der Ladefläche doch an, aber bei maximal zwanzig oder dreißig Stundenkilometern kein Grund zur Beunruhigung. Mit zwei Kanus paddeln wir daraufhin beginnend von seiner Mündung ins Meer einen ruhigen Fluss hoch und gleiten
möglichst leise vorbei an Schildkröten, die auf aus dem Wasser ragenden Holzstämmen ihre Köpfe der Sonne entgegen recken. Affen tänzeln vor uns über lange Bambusstämme und Lianen ans andere Ufer, während wir dem Lauf vorbei an Holzhaufen und anderen Hindernissen folgen. Von einem reglosen Kaiman in Ufernähe sehen wir nur die Schnauze und die Augen.
Irgendwann wird das Wasser zu seicht und wir müssen umkehren. Kleine Eisvögel fliegen ganz nahe an der Wasseroberfläche, sobald wir ihnen zu nahe kommen. Ein großer Leguan liegt dagegen völlig entspannt hoch oben auf dem Ast einer Palme, da kommt ihm so schnell keiner nach.
Wieder zurück am Strand, wandern wir nach einem kurzen Hängemattenintermezzo der Küste entlang retour nach Puerto Viejo. Es scheint, als ob man den niemals enden wollenden
Strand bis nach Nicaragua hoch folgen könnte, keine Felsen oder sonstige Hindernisse in Sicht. Auch kein angeschwemmter Dreck, alles ist sauber.
Wir sind noch nicht lange zurück in der Stadt, setzt heftiger Regen ein und es kühlt endlich ein wenig ab. Wir retten uns in den Rustic Corner, einem Soda, wo sich die Familie des Betreibers in Mekatelyu unterhält, einer nur in dieser Ecke des Landes gesprochenen Variante des Kreolischen.
Schon länger gesucht, heute bestellt:
Rondon. Der Name der in der Karibik traditionellen Meeresfrüchtesuppe leitet sich vom englischen Rundown ab und bedeutet soviel wie: Hinein kommt alles, was der Koch in der Küche so finden kann. Nichts Extravagantes in der Schüssel diesmal, schmeckt trotzdem gut. Beim Kauf des Dessert-Bieres im Supermercado anschließend herrscht spürbare Anspannung beim Bankomaten, der nach den Kassen steht, ein Wachmann füllt ihn gerade nach. Links und rechts neben ihm hoch
konzentriert, den Halfter offen, die Hand an der Pistole, den Eingang zum Geschäft nicht aus den Augen lassend, seine zwei Kollegen. Wieder im Starkregen laufen wir unter einem viel zu kleinen Tuch heim. Carambolas, spanisch für Sternfrüchte, liegen im Garten verstreut. Zeit zu packen, morgen fahren wir in die Berge.
4.1., Puerto Viejo

Bis wir endlich in die Gänge kommen, das dauert. Erst kurz vor Mittag steigen wir in den Bus nach Cahuita, einem Dorf ein paar Kilometer weiter westlich. Angrenzend daran schon wieder ein Nationalpark mit einem weiteren pittoresken Küstenwanderweg. Schön für uns, halbspannend für den Leser. Gendern ist mir übrigens zu blöd, sorry. Ja, ich meine trotzdem immer auch Frauen, wenn ich von Menschen schreibe, keine Sorge.
Immer rund um Sitzbänke und Picknickplätze treiben sich entzückende Waschbären herum, die wegen ihrer schwarzen Augenstreifen von den Einheimischen Zorros genannt werden. Neben mittlerweile schon nicht mehr soo spannenden Affen, einem Ameisenbären und einem Faultier, die übrigens nur alle zwei Wochen vom Baum klettern, um aufs Klo zu gehen, fetzen noch viele Eidechsen durch den Sand und Ena erspäht einen katatonischen Leguan im Gebüsch.
Im Nationalpark ist nicht alles eitel Wonne. Hunderte von stetig unterspülten und letztendlich ins Meer gestürzten Bäumen lassen keinen Zweifel an starker Küstenerosion. Das Korallenriff weiter draußen, eines der wenigen noch intakten Costa Ricas, ist so stark beschädigt, dass es nur mehr mit einem Guide beschnorchelt werden darf, was uns dann doch zu blöd ist.
Die letzten paar Kilometer des Weges sitzt uns schon der Parksheriff im Nacken. Die Flut kommt scheinbar recht schnell und überschwemmt Teile des Pfades, weswegen die Tore des Nationalparks schon früh schließen. Mir rinnt der Saft aus dem Hut und ich fühle mich wie der letzte Marathonläufer, der vom Schlusswagen bedrängt wird, während ich, hinter mir Trapper John mit seiner Riesenmachete, den Pfad entlang torkle. Es ist wahnsinnig schwül und das Gehen im tiefen
Boden schlaucht sowieso. Zurück im Dorf sofort rein ins nächste Geschäft und mir gleich einmal ein eiskaltes Bier verabreichen, Salud, besser so.

Freitag, 4. Januar 2019

3.1., Puerto Viejo

Ena hat die Schlafkrankheit, das bringt Zeit für die Reparatur meiner einzigen langen Hose mittels Leukoplast und Recherche, was man hier so unternehmen kann.
Puerto Viejo selbst ist ein recht touristischer Ort am nordöstlichen Ende Costa Ricas. Die Shops an der Hauptstraße verkaufen Rasta-Plunder, neben Lokalen mit der üblichen karibischen Küche, das ist oft nicht mehr als Reis mit Bohnen und ein Stück Fleisch dazu, machen mir hier Sushilokale mit All you can eat, Hendlbrater und Pizzerias den Mund wässrig. Gegen den Durst helfen die üblichen Reggaebars am Strand mit Smoothis und Cocktails. So viele Leute in dem kleinen Kaff!
Sogar gestern bei schlechtem Wetter haben einheimische Familien dem Regen getrotzt und am Strand lautstark Picknicks gemacht. Touris in langer Schlange vor einer der zwei Banken, die Quartiere fast ausgebucht. Im Hinterland nur mehr kleine Gassen mit Sodas, so heißen in Costa Rica die lokalen Fressbuden, oder Wohnhäusern. Beim  kleinen Krankenhaus wird´s schon sehr ruhig und der Fußballplatz steht quasi schon mitten in der Wildnis.
Am Ortseingang gibt´s einen Strand mit schwarzem, magnetischem Sand, weil vulkanischen Ursprungs, in der Dünung davor steckt ein irgendwann gestrandetes oder entsorgtes Schiff, auf dem jetzt Büsche und Bäumchen wachsen. Mehr zum Zentrum hin lehnt noch eine scheinbar erst kürzlich auf Grund gelaufene Segelyacht im seichten Wasser. Ein Mast ist geknickt, die Tagelage hängt noch. Der Besitzer muß fix und fertig sein, zuschauen zu müssen, wie die ohne Unterlass heranrollenden Wellen seinem Boot langsam aber sicher den Rest geben.
Die Küstenstraße durch den Ort war gestern verstaut, obwohl die Straße ein paar Kilometer östlich für immer endet. Dort geht sie über in einen Nationalpark und dort radeln wir nach Reis und Bohnen zum Frühstück heute hin. Enas Gefährt hat vorne einen Papierkorb hängen und an die Rücktritt-Bremse müssen wir uns erst wieder gewöhnen, so etwas hatte ich das letzte mal vor vierzig Jahren.
Gleich außerhalb von Puerto Viejo steht schon ein Rudel Westler am Straßenrand und fotografiert in den Wald hinein, da hängt das erste Faultier. Ein paar Minuten später wieder zwei im Baum. Eines davon für seine Verhältnisse fast schon hyperaktiv, krallt sich Ast um Ast und frisst sich
mit gutem Appetit Blätter rein. Nicht viel später toben ein paar Brüllaffen lautstark im Geäst. Würde ich alleine durch den Wald wandern und keine Ahnung haben, von wem dieses durchdringende Brüllen stammt, die Angst wäre groß. Noch zwei weitere Vertreter der insgesamt vier in Costa Rica beheimateten Affenarten lassen sich blicken, nämlich zwei Weißkopfkapuzineräffchen und eine größere Gruppe von Klammeraffen, die waghalsig die Straße queren, indem sie hoch über uns von überhängendem Baum zu Baum springen. Eine Mama mit Baby als letzte, extravorsichtig zunächst die erforderliche Hüpfdistanz und den besten Landeast abschätzend. Erwähnte Sichtungen spielen sich alle innerhalb einer Stunde entlang der Bundesstraße ab, dagegen kann so mancher Provinzzoo einpacken.
 Links von uns das Meer mit Mangroven, Palmen und schönen Stränden, rechts oft Sumpf oder ungezähmter Urwald. Nach dreizehn Kilometern ist in Manzanillo tatsächlich Ende Gelände. Wer sich die Warterei an der Grenze ersparen möchte, könnte hier durch den Nationalpark latschen und weiter illegal bis nach Panama, es wäre nicht mehr weit.
Wir lehnen unsere Fahrräder gegen eine Hängebrücke und gehen zu Fuß weiter, wobei wir nicht die einzigen sind. Hier lässt sich´s schön spazieren und schwimmen gehen. Eine Einheimische deutet uns, sie hätte ein Viech im Unterholz entdeckt und echt wahr, züngelt da ein Ameisenbär angestrengt in einer alten Kokosnuss herum und lässt sich nicht weiter von uns aus der Ruhe bringen. Wir gehen sogar so nahe hin, daß wir ihn berühren könnten, ist ihm vollkommen wurscht. Über das
Geländer einer ansonsten kaputten Brücke hangeln wir uns dann zu einem kleinen Vorsprung der Küstenlinie, wo die Gischt der Brandung hochspritzt, aber als der Schlamm zu tief  für unsere Turnböcke wird, drehen wir nach ein paar Kilometern um. Eine kalte Pipa, das ist eine Kokosnuss, und später ein Shake in einer Rastafaribude mit den immer gleichen Marley-Songs im Hintergrund am Weg zurück. Die kalte Dusche daheim ist ein Segen und das Abendessen ist der Hammer.
In einem Soda bestelle ich mir hoffnungsfroh den exotischsten Posten, eine Modongosuppe. Ich werde nicht enttäuscht. Zum einen schmeckt sie einfach köstlich, zum anderen finden sich in ihr die unglaublichsten Dinge. Neben essbaren Anteilen, Maniok, Mais, Streifen vom Magen, Fleisch- und Fettbrocken, auch undefinierbare Glibberteile und große Arterien-Markknochen-Kupplungen neben anderen Knochenteilen. Ein Stück in der Form eines Daumens stellt sich als Teigwurst heraus. Es
hätte mich nicht gewundert, hätte es sich tatsächlich um einen Daumen gehandelt.
      

Mittwoch, 2. Januar 2019

2.1., Isla Colon, Puerto Viejo (Costa Rica)

Ein entbehrlicher Tag, ich sag´s gleich. Nach einem grauslichen, geleeartigen Frühstücksei warten wir mal ein Stündchen, bis uns endlich ein überladenes Boot rüber aufs Festland fährt. Dort wird die Gruppe an zwei Vans übergeben, die sich irgendwann gnadenhalber mit uns zur Grenze bequemen. Wie geht´s weiter? Das darf  jeder für sich selbst herausfinden. Die Fahrer setzen sich hurtig ab. Zuerst anstellen, um sich von Panama abzumelden, das geht noch zügig. Dann über eine lange
Brücke latschen, an deren Ende schon die nächste Schlange für die Einreise nach Costa Rica beginnt. Dort stehen wir zwei Stunden. Bei Sonne wär´s wohl sehr heiß, bei Regen würden wir wohl sehr nass. Kein Schatten, keine Absperrungen, keine Sitzgelegenheiten, keine Klos, nix. So an die zweihundert Leute warten schon, da macht sogar der Grenzpolizist Fotos. Ein,- zweimal in der Stunde darf ein Fahrzeug die lächerliche Desinfektionseinrichtung benützen und dann endlich einreisen. Aus ein paar Düsen innerhalb eines uralten Plastikvorhanges werden die Busse oder Chiquita-Trucks dann mit homöopatischen Dosen von Zaubersaft benetzt, ehe sie die Fahrt
fortsetzen dürfen. Nach Erhalt des heiligen Stempels, die Bullen haben es sehr gemütlich in ihren zwei klimatisierten Abfertigungsschaltern, warten wir wieder planlos auf den schon bezahlten Anschlusstransport nach Puerto Viejo.
 Nur einer spanisch sprechenden Furie hat es die Reisegruppe zu verdanken, daß sich nach
geraumer Zeit wieder etwas tut. Sie macht mit verrauchter Gianna Nannini-Stimme jeden lautstark zur Sau, der ihr unterkommt. Zuerst den eigentlich für uns verantwortlichen Tour-Schädel, dann den neuen Busfahrer und zu guter Letzt sogar noch einen anderen Touri, der es gewagt hat, kurz vor der neuerlichen Abfahrt noch schnell in einen Supermarkt zu hüpfen.
Kilometerlange Bananenmonokulturen, auch steile Hänge sind flächendeckend mit Affenknackern bepflanzt.Die bald erntereifen Stauden wurden alle in blaue Plastiksäcke eingepackt, vielleicht wegen der Vögel. Zwischendurch überdachte Produktionsflächen, wo das Obst für die Verschiffung fertig gemacht wird.
Irgendwann kommen wir an, nach sechs Stunden für rund hundert Kilometer Wegstrecke. Unser Zimmer können wir uns auch aufzeichnen. Der Rezeptionist meint, er überbucht eigentlich immer, weil gelegentlich nicht alle Gäste erscheinen. Er hätte uns eh eine Nachricht geschickt. Unsere zwei Buchungsbestätigungen sind ihm  völlig egal. Costa Rica, eine tropische Servicewüste.
Wir empfehlen uns, nachdem ich noch in Aussicht stelle, sein xxx Hostel bei Gelegenheit in die
Luft zu jagen. Unter Volllast auf Quartiersuche im Regen, schön. So ist das Wetter hier nämlich Augenzeugenberichten nach schon seit Tagen, und die Vorhersage ist auch nicht prickelnd. Wenigstens findet sich im Hinterland noch ein ruhiges, neues, sauberes Zimmer mit Obstbäumen und bunten Vögeln im Innenhof.
Ein Mangokarottensmoothie in der Strandbar, erste Erkundungsstreifzüge.

Dienstag, 1. Januar 2019

1.1., Isla Colon

Die Ruhe nach dem Sturm. Der Dreck der letzten Nacht wurde notdürftig von den Straßen geschaufelt und in Haufen an Häuserecken zwischen- beziehungsweise endgelagert.
Bocas Town schläft sich aus, unser Stammwirt bleibt auch geschlossen. Yuka, Eier und guten Kaffee gibt´s auch anderswo, halb so wild. Wir bereiten uns ein wenig auf die morgige Fahrt nach Costa Rica vor, buchen das erste Quartier, packen, dann lustwandeln wir in die letzten befriedeten Ecken der Siedlung.
Im Gourmet-Supermarkt, your kosher choice, steht Sauerkraut in Dosen im Regal, vor dem Last Resort stehen die heute unterbeschäftigten Drogendealer und wollen ihre Ladenhüter loswerden.
Viele Insulaner feiern noch immer oder schon wieder, wummernde Bässe aus Holzhütten, Zusammenrottungen in Gärten und an Straßenecken. Sogar beim Flughafen schauen wir vorbei, immerhin landet hier die staatliche Fluglinie Panama Air und irgendwann in ferner Zukunft brauchen wir von wo auch immer weg einen Flug nach Kolumbien. Nichts Böses ahnend stolpern wir in ein Ghetto der bemannten Luftfahrt. Die Häusln sind bis unter die Klobrille zugeschissen, das Behindi-WC besitzt nicht einmal eine Tür. Informationsschalter, eine Vertretung der Fluglinie-Fehlanzeige. Eine Lemure kritzelt wahrscheinlich frei erfundene Flugzeiten auf eine Gepäcksschlaufe.
Abends zum letzten mal die bewährte Lokalrunde mit Hans und Panama ist (fast) Geschichte.
31.12., Isla Colon, Isla Bastimentos

Ein Taxiboot setzt uns über nach Bastimentos, in der geläufigeren Kurzform auch Basti Island genannt. Wer möchte, kann sich jetzt selbst einen Witz mit Bezug auf unseren derzeitigen Kanzler dazu ausdenken.
Das System der Boote funktioniert wie das von Sammeltaxis. Sobald sich genügend Leute eingefunden haben, wird abgelegt. Schwärme von eleganten Fregattvögeln und Pelikanen treiben unbeeindruckt inmitten des regen Bootsverkehrs. Auf Basti angekommen, fragen wir uns
durch zum Dreamcatcher-Hostel, einer auf einen Hang mit Blick auf die Bucht gebauten Oase der Ruhe. Zu leiser Musik nach Art des Buena Vista Social Club chillen ein Serbe, der schon seit zwölf Jahren unterwegs ist, und Betty, Bekanntschaft aus Bouquete und Grund unseres Besuches.
Wir schlürfen eiskalten Wassermelonensmoothie, im Garten flattert ein Kolibri. Später wandern wir zum Wizard-Strand. Auf diesem Pfad kam es in letzter Zeit immer wieder zu Überfällen,
weswegen die Polizei Besucher persönlich dazu anhält, ab fünf Uhr nachmittags wieder den Weg nach Hause anzutreten.
In unseren Hängematten beobachten wir, wie die hohen Wellen weiß schäumend hereinrollen und das Schnattern der Damen übertönt die Brandung nur mit Mühe. Beim Heimgehen gesellt sich ein Einheimischer zu uns und möchte auch nach mehrmaliger Aufforderung nicht überholen. Er hegt aber keine unlauteren Absichten, vielleicht ist er Teil einer Bürgerwehr oder so.
Wieder zurück im Dorf möchte mir ein Typ Feuerwerkskörper andrehen und meint auf meinen Einwand hin, ich würde einen ruhigen Jahreswechsel bevorzugen, Then go back to the Jungle.
Zurück auf Colon bleibt noch Zeit, ein paar Partien Billard zu spielen, ehe der Neujahrszirkus startet. Die zentralen Straßen und der Hauptplatz sind für den Verkehr gesperrt, was nicht jeder Autofahrer zur Kenntnis nimmt. Tausende Menschen schreien mit, als der Countdown eingeläutet wird, dann bricht ein Inferno über Bocas Town herein. Sechs oder acht Meter lange Reihen miteinander verbundener Knallkörper, so wie überdimensionale Ladycracker, wer sich noch erinnern
kann, werden gezündet. Keine Absperrungen, keine Sicherheitsvorkehrungen,nix, ohrenbetäubender Lärm. Dicker Rauch in den Straßen. Tausende Raketen schießen hoch auf der Jagd nach einer einzigen friedlich in den Nachthimmel aufsteigenden Feuerlaterne. Drohnen stehen in der Luft. Böller detonieren ringsum. So stark und laut, daß man die Druckwelle spürt, zum Fürchten. Eine bemühte Band am Hauptplatz geht mit einer gewissen Restwürde im Wahnsinn unter. Einer
schüttelt noch wie in Trance seine Rasseln, die anderen haben es schon aufgegeben. Zeug rieselt auf uns herab, Irrläufer und Funkenflug auf Holzdächer. Alarmanlagen von Autos mischen sich mit Geschrei und Explosionen, mittendrin die Polizei mit Blaulicht. Rumflaschen am Boden, Tanzende, Besoffene. Irgendwann stelle ich mein Bier ab und halte mir die Ohren zu, deutlicher Indikator einer Ausnahmesituation. Unvermindert hält der Wirbel über dreißig Minuten lang an, feliz ano, prospero ano nuevo, dann beruhigt sich die Lage. Am Weg heim fragt mich ein Bub nach meiner leeren Bierdose, die möchte er noch mit seinen Knallern sprengen, bitte sehr. Prosit!