Mittwoch, 16. Januar 2019

15.1., von Santa Teresa nach Playa Naranjo

Unser Quartier, das Casa Zen, meint es gut mit seinen Gästen. Wertvolle Ratschläge zieren kleine Täfelchen und die Wände. Breathe! Relax! Call your mom!
Am Traumstrand unten, wir spannen noch für zwei Stunden die Hängematten auf, ehe wir weiterziehen, knattert ein Daniel Düsentrieb mit seinem Leichtbau-Cabriohubschrauber Marke Eigenbau in geringer Höhe über uns hinweg, ein paar Meter weiter verprügelt ein Kung Fu-Psycho die Luft. Zuerst drischt er mit Handkantenschlägen und Fußtritten ins Nichts, dann sticht er mit einem Stück Holz auf imaginäre Feinde ein. Zum Schluß schlägt der Hammer noch ein paar Purzelbäume, das sieht sehr lustig aus.
Hier dürfte generell sehr viel geraucht werden. Mal Pais allerdings, ein als Hochburg der Hippiekultur gehyptes Kaff ein paar Kilometer weiter, enttäuscht. Außer einem Erledigten am Fischereihafen lässt sich niemand aus der Zwischenwelt blicken.
Wir haben die Südspitze Nicoyas beinahe erreicht. Vor uns liegt nur mehr das älteste und für den Verkehr freilich gesperrte Naturschutzgebiet des Landes, ein Reservat für unzählige Schildkröten, die hier Jahr für Jahr ihre Eier verbuddeln. Trotzdem bekommen die Einheimischen noch immer einen Teil der Gelege ab, um die Wilderei auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Abgesehen vom traditionellen Nutzen als Lebensmittel wird den roh geschlürften Eiern auch noch potenzfördernde Wirkung nachgesagt, da freut sich die Hausfrau doppelt.
Wir queren die Halbinsel entlang der Grenze zum Nationalpark und überwinden während der nächsten zehn Kilometer schreckliche Pisten. Ena muss gelegentlich absteigen, wenn ich mich mit abgespreizten Füssen als zusätzlich stabilisierenden Seitenauslegern in Zeitlupe steile, zerfurchte Hänge hinunterzittere, während die Einheimischen grinsend an mir vorbeifetzen.
Noch schöner und einsamer sind die Strände und Buchten entlang der Ostküste, die wir ab jetzt hochfahren, das Attribut dazu kann nicht geringer ausfallen als uneingeschränkt traumhaft. Unterwegs ebenfalls sehenswert ist die größte Würgefeige Costa Ricas mit einer Höhe von vierzig Metern. Vorbei an Montezuma, wegen ansässiger Hippies und Rastafaris auch Montefuma genannt, mit den letzten Tropfen Sprit zur ersten verfügbaren Tankstelle seit Anritt der Reise, die
sind äußerst selten in dieser Ecke der Welt.
Es folgt eine schier endlose Baustelle, wo auf gut fünfzehn Kilometern eine Trasse für eine vierspurige Straße angelegt wird. In ganz Costa Rica gibt es bis auf den Panamerica Highway nichts in dieser Größenordnung. Was wir heute an Dreck und Staub fressen, wir bräuchten kein Abendessen mehr. Die Autos, Baufahrzeuge, Bagger und Lkw´s nebeln uns stundenlang ein, dazwischen warten wir in brütender Hitze in gesperrten Gegenverkehrsbereichen.
In Playa Naranjo, einer kleinen Siedlung, in der die Fähren von Puntarenas anlegen, stoppen wir für heute. Die Isla San Lucas fünf Kilometer weiter draußen trägt den Beinamen  Die Insel der unsagbaren Schrecken. Sie diente schon den spanischen Konquistadores als Gefängnisinsel und bis 1992 war sie politischen Gefangenen des Staates vorbehalten. Etwas südlicher liegt die Isla Gigante aka Isla Muerte mit Begräbnisstätten der Chara, einem hier ansässigen indigenen Volk.
Es wird schon finster, als wir uns mit dem äußerst symphatischen Wirten des kleinen Hotels zusammensetzen, in dem wir heute übernachten. Er unterhält uns die nächsten Stunden mit spannenden Geschichten. Seit zwei Monaten erst lebt er in Costa Rica, er ist als Letzter seiner gesamten Familie aus Venezuela  hierher geflüchtet. Sein Land sei ein Failed State. Neben seinem Brotberuf als Fischer hat er nebenbei eine kleine Pension betrieben, zuletzt hat er für ein
Zimmer einen einzigen Dollar pro Nacht verlangt, um an Devisen für den Schwarzmarkt zu kommen. Zu kaufen gibt es so gut wie nichts mehr. Das monatliche Mindesteinkommen reicht für sieben Eier, die Inflation lag letztes Jahr bei unvorstellbaren einskommadrei Millionen Prozent. Im Restaurant bezahlt man mittlerweile schon bei der Bestellung, nachher könnte die Rechnung teurer ausfallen.
Für heuer wird eine Teuerungsrate von sechs Millionen Prozent erwartet, das muss man sich einmal vorstellen. Total surreal in einem Land mit den reichsten Erdölvorkommen der Welt.
Angelo selbst merkt anhand der Sorglosigkeit der Ticos, wie paranoid er in einem Klima von allgegenwärtiger Kriminalität schon geworden ist. Er kann nicht mehr schlafen, schreckt bei jedem Geräusch auf und möchte sein Hotel hier so schnell wie möglich in eine Festung verwandeln. Alle hatten sie in Venezuela Waffen, er, sein Sohn und die Frau. Trotzdem wurden Angelo und seine Familie vor vier Jahren in ihrem Haus von drei Männern überfallen und gefesselt, der Hund
zuvor vergiftet. Einer von ihnen meinte immer wieder, er werde ihn leider noch umbringen müssen,
bevor er gehe. Angelo weiß, wer die Räuber waren und hat trotzdem nichts gegen sie unternommen. Die Polizei und das Militär sind korrupt und selbst kriminell.
Bald kommt noch seine Schwägerin mit ihren drei Kindern nach und er hat keine Ahnung, wie alle durchgefüttert werden können.
Neben hauptsächlich schrecklichen Geschichten aus seiner Heimat weiß der Wirt aber auch von schönen Dingen zu berichten wie zum Beispiel über seine Leidenschaft, dem Speerfischen. Und wie großartig Venezuela eigentlich sei, das Land hätte von Wüsten über Berge, gigantischen Wasserfällen und Wäldern alles nur erdenklich Schöne.
Als Berufsfischer mit eigenem Fangboot und einer Crew von acht Männern war er immer zwei Wochen auf Fang, mit zwei Kilometer langen Leinen und insgesamt tausend Haken auf der Suche nach großen, hässlichen Mahi Mahi oder Thunfischen. Erbeuteter Kaviar wurde an der Sonne getrocknet und selbst gegessen und der restliche Fang nach Trinidad verkauft, wo er sich gleich mit Reis und sonstigen Lebensmitteln für daheim eindecken konnte.
Jetzt sitzt Angelo in Costa Rica und wartet auf ein Wunder, damit er wieder heim kann, die arme Sau.

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