Montag, 28. Januar 2019

28.1., Medellin

Morgens holt Ena und mich ein älterer Herr mit einem nagelneuen Auto vom Hostel ab und führt uns die nächsten Stunden exklusiv in der Gegend herum, um uns anhand von Häusern und anderen Gebäuden einen Eindruck der blutigen Herrschaft des Drogenkönigs Escobar über die Stadt zu vermitteln, ehe dieser 1993 von einer Polizeieinheit auf der Flucht gekillt wurde.
Nicht, daß wir diese Vip-Tour absichtlich gebucht hätten, aber unser Fahrer wurde uns von der Rezeptionistin empfohlen und nimmt für seine Dienste auch nicht mehr als die Anbieter, die große Gruppen in Kleinbussen durch die Stadt karren.
Wir cruisen sehr zum Mißfallen der anderen Verkehrsteilnehmer in Schrittgeschwindigkeit an einem Einkaufszentrum vorbei, über das Escobar anfangs seine Drogengelder waschen konnte, bleiben vor
einem Luxushotel stehen, das ihm als Büro diente und vor dem ein verfeindetes Kartell eine Bombe hochgehen ließ, als sich die Lage für Don Pablo schon zuspitzte. Nach der Tötung eines Präsidentschaftskandidaten und der Kriegserklärung an die Regierung wurde Medellin von ihm über Jahre hindurch mit Anschlägen aller Art terrorisiert, ehe sich Escobar nach zuvoriger Verhandlung mit der Obrigkeit in ein von ihm selbst für diesen Zweck gebautes Luxusgefängnis, La Catedral,
einsperren ließ. Bewacht wurde er von seinen Leibwächtern, ein Scherz. Nach elf Monaten von vereinbarten sechs Jahren hatte er schon genug und setzte sich wieder ab.
Die Polizeistation, vor der eine Bombe gezündet wurde, ist noch immer in Betrieb, ebenso der Sportplatz, den er dort bauen ließ, wo er aufgewachsen war. Seine Villa mit Hubschrauberlandeplatz wird soeben abgerissen und im Haus, wo er letztendlich getötet wurde, befindet sich heute ein Immobilienmakler.
Vor Escobars Grab auf einer weitläufigen Wiese über der Stadt liegen frische Blumen, an seiner Beerdigung damals nahmen über zwanzigtausend Menschen teil. Manche sahen in ihm einen modernen Robin Hood, aber die meisten waren erleichtert und glücklich, als er das Zeitliche segnete.
Mitunter mutet die Geschichte Escobars so unglaublich an, daß man sich wirklich nur mehr wundern kann.
Dem Vernehmen nach wurde kürzlich eine Serie über den Narco-König gedreht, aber über Qualität und Wahrheitsgehalt müssen die entscheiden, die über ein für die Sendungsübertragung notweniges Rundfunkempfangsgerät verfügen.
Während wir abends durch die Straßen schlendern, vergeht selten mehr als eine Minute, bis wir wieder angeschnorrt werden. Zusätzlich zu den zu erwartenden Sandlern und Lemuren der Nacht hauen uns noch Geflüchtete aus Venezuela an. Mehr als eine Million von ihnen sind mittlerweile in Kolumbien angekommen, meistens illegal über die tausendsechshundert Kilometer lange grüne Grenze.

Keine Kommentare: