Freitag, 29. Dezember 2023

 28.12., Ciudad del Carmen, Campeche

Ciudad del Carmen hat nicht viel zu bieten, die gestern demolierte Brücke ist schon eine der beliebtesten Sehenswürdigkeiten. Dass die Strände sehr schön sein sollen, werden wir nie überprüfen können. Es stürmt und regnet und die Vorhersage prophezeit Ähnliches für die nächsten Tage. Campeche, die mir schon bekannte und rund zweihundert Kilometer entfernte Kolonialstadt macht unter diesen Umständen noch am ehesten Sinn. Also wieder alles zusammenpacken und rein ins Auto. Der fünfte Gang bleibt übrigens nicht mehr in Position, außer man hält den Schaltknüppel mit Nachdruck und auf Dauer. Henry, Mann vom Fach, fernattestiert aus der Heimat Getriebeschaden und empfiehlt, die Kiste fortan obertourig im Vierten zu malträtieren und darüber hinaus das Beste zu hoffen. Das bedeutet Lärmpegel an der Schmerzgrenze, Sattelschlepper, die genervt an uns vorbei pressen und heiße Fußsohlen, während wir der Karibikküste nach Osten folgen. Um die neunhundert Kilometer haben wir noch vor uns, bis wir das totgerockte Häusl kommentarlos retournieren werden.

Über eine weitere Brücke geht´s weiter auf die Isla Aguada, wo wir am Strand den Pelikanen beim Jagen zusehen, mitten auf der Fahrbahn liegt später das frisch und beinahe vollständig abgenagte Skelett eines kleinen Hundes. Die kleinen Truthahngeier Mexikos leisten ganze Arbeit. Ölplattformen am Horizont, Tortillasuppe, Fischer, die mit Paddeln auf die Wasseroberfläche schlagen, um Fische in ihre Netze zu treiben. Frauen am Straßenrand, die die Fliegen von ihren ungekühlten Shrimps wegwacheln. Der Rest des Tages ist nicht der Rede wert. 


 27.12., Villahermosa, Ciudad del Carmen

Der Plan, einfach so lange zu cruisen, bis es uns irgendwo gefällt, geht nicht auf. Ein großer Industriehafen mit einer Raffinerie inklusive großer Gasabfackelanlage in Paraiso, das wir nach einer Kanne Reiswasser hinter uns lassen, keine Unterkünfte, Strandzugang oder sonstig Sehenswertes in Frontera. Die Gegend dazwischen ist allerdings absolut traumhaft. Geflutete Feuchtgebiete und Sümpfe, sattgrüne, weitläufige Weiden mit vereinzelten Bäumen, unter denen glückliches Vieh liegt. Dazu noch Seen, Lagunen, Mangrovenlandschaften, Savannen und Wälder. Zwei der größten Flüsse Mexikos laufen hier zusammen, viele hundert Meter breit überraschenderweise makellos sauber. 

Fünfzehn Kilometer vor der nächsten Stadt, Ciudad del Carmen, geht plötzlich gar nichts mehr. Ein Schiff der Marine ist gegen einen Pfeiler der mit vier Kilometern längsten Brücke Mexikos gefahren, eine abwechselnde Blockabfertigung in beiden Fahrtrichtungen ist die Folge. Allein bis wir diesen Grund für den monströsen Stau herausfinden, dauert es schon zwei Stunden. Zu wenig Sprit im Tank für die Klimaanlage, Einbruch der Dunkelheit, Ungewissheit, Moskitos. Umkehren ist wegen fehlender Quartiere keine Option. Allianzen mit Leidensgenossen werden geschmiedet und irgendwann gelingt es uns Wartenden mittles Blockierung der gesamten Straße endlich, die verdammten Asozialen, die einfach auf der Gegenspur nach vorne rasen, auszubremsen. Bei Eintreffen des nächsten Konvois muss diese Blockade aber wieder aufgelöst werden, ein aufreibendes und zermürbendes Unterfangen. Nach fünf Stunden passieren wir endlich die Unfallstelle, checken irgendwo ein und essen noch schnell Langos, dann ist auch dieser lange Tag vorbei.


Mittwoch, 27. Dezember 2023

 26.12., Palenque, Villahermosa

Bis wir endlich in die Gänge kommen! Acht Uhr früh wäre die gebotene Zeit für den Besuch der grandiosen Maya- Ruinen sieben Kilometer außerhalb der Stadt gewesen, nicht Elf. Am Haupteingang überschlagen sich schon die Führer und es staut sich. In weiße Tücher gehüllte Indigene verkaufen Weihrauch und narrische Schwammerl. Statt morgendlich-mystischem Urwaldnebel liegt jetzt ein multilingualer Klangteppich über der Anlage. Verkäufer haben ihre Ware zwischen den Bauten ausgebreitet und  imitieren Tier- und Vogelstimmen für die Busladungen an Besuchern. Tourguides erläutern lautstark, statt Brüllaffen schreien Mütter nach ihren Kindern oder Ehemännern. Eine Influencerin setzt sich aufgetakelt und im Ballkleid in Szene, ein anderer posiert stylisch mit Hut, nobler Weste und Spiegelbrillen.

In dieser regenreichsten Region Mexikos, es schifft wirklich jeden Tag, sind noch immer an die fünfundneunzig Prozent der Stadt vom Regenwald überwuchert. Nur ein paar Paläste, Pyramiden und Tempel wurden bislang freigelegt, sie thronen imposant auf einer Lichtung umgeben von dichtem Urwald. Der Rest schlummert zugedeckt unter Botanik weiter vor sich hin. Mit acht Stockwerken das höchste Gebäude der Region, wozu auch die vergleichsweise moderne Stadt Palenque zählt, steht hier. Alles  wurde ohne Metallwerkzeuge und noch vor Erfindung des Rads gebaut und die grauen Steinbauten waren einst blutrot bemalt. Im Gänsemarsch schieben wir uns im Inneren eines Gebäudes an einem Sarkophag vorbei, während kondensierte Ausdünstung der Besucher von der spitz zusammenlaufenden Decke tropft. Die meisten der sehr steilen Stufen sind abermals für die Öffentlichkeit gesperrt und das Innere der Bauten bleibt uns ebenfalls verborgen. Zwar nicht mehr die mit Juwelen und Totenmasken bedeckten und mit Zinnober eingefärbten Skelette, die wurden schon nach Mexiko City gebracht, aber Wandmalereien, Fresken und unterirdische Bäder.

Am Weg in die Bundeshauptstadt Villahermosa biegen wir später kurzentschlossen von der Bundesstraße ab und folgen einem malerisch hügeligen Weg über grüne Wiesen bis zu einem abgeschiedenen Wasserfall, dem Agua Azul. Anfangs sind wir die einzigen Gäste und staunen über den großen Aufwand, der hier vor langer Zeit betrieben wurde. Zwei große, bis auf Laub und Unrat leere Pools, schon wieder verworfene, ausgewaschene, durch Bäumchen aufgebrochene Gehwege entlang verwaister Sitzgruppen. In Beton gegossene, unerfüllte Hoffnung auf ausgebliebene Besucherscharen. Abgemagerte Hunde folgen uns zum Wasserfall, der idyllisch ist, aber wirklich nicht spektakulär. Dafür flattern bunte Schmetterlinge herum und ein Brüllaffe reißt sich entspannt ein paar Blätter ab und am Weg zurück zur Bundesstraße hocken Geier und ein kleiner Raubvogel am Wegesrand. 

Villahermosa ist ganz nett. Mehr als ein Viertel der in Tabasco Ansässigen lebt in der Stadt mit 400.000 Bewohnern. Im örtlichen Museum findet sich die Inschriftentafel, aufgrund derer die üblichen Schlauen und Wissenden Unheilvolles für den 21. Dezember 2012 heraufbeschworen haben. Eine bemühte Grünanlage entlang eines breiten Flusses, der durch die Stadt fließt, wurde neu angelegt. Über ihn führt eine Brücke mit einem recht exzentrischen Turm, den wir für achtzig Cent Eintritt hochsteigen. Oben lässt uns dann ein Bursche durch sein Teleskop schauen und wir sehen die Ringe und die vier Monde des Jupiter. 


Dienstag, 26. Dezember 2023

 25.12., Bacalar, Palenque

Bohnenbrei, Kochbananen und labbrige Nachos zum Frühstück, dann auf in neue Gefilde beziehungsweise Bundesstaaten. Außer einer mehrere hundert Kilometer langen Schneise durch den Urwald bis nach Chiapas und Tabasco gibt es im Süden Yukatans entlang der Grenze zu Guatemala nicht viel. Die bringen wir hinter uns, lassen uns notgedrungen von halsbrecherischen, überlangen LKW- Zügen an den Fahrbahnrand abdrängen und fressen Kilometer. Ein kurzer Boxenstopp nur, im Zuge dessen ein betrunkener Bauernlümmel Cecilie vor die Füße kotzt, trotzdem wird´s schon wieder finster, als wir in Palenque unsere Rucksäcke aus dem Kofferraum wuchten. 

Eigentlich hätte es von hier über die Berge runter an die Pazifikküste gehen sollen, aber Mord und Totschlag entlang der Strecke zwingen uns zu einer Planänderung. Ein Viertel der ansässigen Bevölkerung besteht aus Indigenen, die oftmals herabgewürdigt und entrechtet sind. Im sogenannten Gürtel des Elends rund um San Christobal brodelt es zur Zeit wieder besonders. Zapatistenrebellen und banalere Verbrecher überfallen und killen Reisende, Tourveranstalter und Überlandbusse fahren deswegen elendslange Umwege und wir werden überhaupt großräumig nach Norden an die Karibikküste ausweichen. 

Viel passiert heute nicht mehr. Weihnachtsblingbling am Hauptplatz, Tacos, natürlich, Reiswasser, Alarm im Darm. Reine Routine. 


Sonntag, 24. Dezember 2023

 24.12., Bacalar

Durch seichtes, türkisfarbenes Wasser tümpeln wir mit Schwimmwesten an, die Wasserpolizei achtet penibel auf die Sicherheit der Gringos. Monotones Tuckern durch grandiose Wasserlandschaft. Die Xenoten am Rand der Lagune sind nur wegen des dunklen Wassers an ihrer Oberfläche erkennbar. Bis zu neunzig Meter tiefe, kreisrunde Löcher, wie ausgestochen. Bewölkt isses schon wieder, aber wenn die Sonne einmal durchkommt, bekommt man eine Vorstellung von den gepriesenen sieben Farben der Laguna Bacalar.  

Heute vor rund zweitausend Jahren MEZ waren schon andere Traveller unterwegs, nämlich Josef und Maria. Kein anständiges Quartier war aufzutreiben, weil ja Weihnachten war. Josef platzte das Hemd und Maria kurz darauf die Fruchtblase. Man kam bei Klaus Santa, einem alten Bekannten  unter, in dessen Stall kurzerhand ein paar Rentiere und Osterhasen ausquartiert wurden. Mit der Sauberkeit der Notschlafstelle stand es nicht zum Besten. Josef zerdrückte noch ein paar Niko-Läuse, dann kam schon Maria gebenedeit hernieder und gebar gesalbt den kleinen Jesuito, während Josef sich noch das Hirn zermarterte, wie es dem heiligen Geist gelingen konnte, seine Gattin unerkannt zu begatten oder ob er nicht überhaupt einer lächerlichen Ausrede seiner untreuen Alten aufgesessen war. Eingedenk dieses historischen Ereignisses trinke ich heute nur Bloody Marys, während Pickups mit tanzenden Weihnachtsmännern hupend durch die Straßen ziehen und übergewichtige Elfen die Süßigkeiten, die sie sich nicht mehr rechtzeitig selbst einverleiben konnten, in die begeisterte Menge werfen. 


 23.12., Xcalak, Bacalar

Die Nacht war die Hölle. Alle paar Minuten aufgestanden und mit einem Zierpolster insgesamt mindestens fünfzig Gelsen gekillt, Ventilator und Klimaanlage an und unter dem Laken versteckt, heute trotzdem die Finger, die Handrücken und das Gesicht zerstochen. 

Xcalak ist von einem ausgedehnten Sumpf umgeben. Die rosafarbenen Flügel der ansonsten weißen Reiher, die auf abgestorbenen Bäumen hocken, sind vielleicht auf ähnliche Diät wie die der Flamingos zurückzuführen. Mariachimusik trällert aus dem Radio, wenn sich überhaupt ein Sender finden lässt. Eine ganz süße Ananas und ein Stück Bananenkuchen essen wir gleich am Straßenrand, sobald wir wieder in bewohntem Gebiet sind. Fast jedes Dorf schmückt eine für immer gestrandete Segelyacht. Ewig schade darum.

Nachmittags erreichen wir Bacalar, staatlich offiziell zum Pueblo Magico, zum magischen Ort ernannt. Die Kleinstadt liegt an einer großen, seichten Lagune mit türkisfarbenem Wasser, wahrscheinlich deswegen.

Leider setzt sich auch hier die nationale Unart fort, jeden Zugang zum Wasser und den gesamten Strand zu privatisieren. Nur drei öffentliche Stege bleiben, auf denen gedrängt die Badegäste sitzen, die keines der Freibäder oder Strandresorts besuchen möchten. Die Quartiersuche nimmt erneut viel Zeit und Nerven in Anspruch, bis wir endlich für zwei Nächte einchecken können, aber rechtzeitig zur glücklichen Stunde sitzen wir bei Mangomargaritas mit Mescal unter alten Käfer- Motorhauben, die als große Blütenblätter einer metallenen Blumenkonstruktion dienen. Die Belegschaft der "I scream"- Bar,langhaarige kleine Mexikaner mit Gesichtszügen wie die von Azteken, hatte uns mit einer lautstarken Vorführung ähnlich dem Haka der Maori ins lässige Etablissement gelockt, mit lautem Schreien im Chor, martialischen Gesten und auf die Tische springen. 

Zu sehen gibt es genug. Ein Tourettler lässt sich aus, betrunkene Landarbeiter torkeln vorbei, fliegende Händler, Kinder, die für ein paar Münzen aus Schilfblättern Blumen basteln. Auch Mennonitenfamilien flanieren durch die Gassen. 2010 gründete die Religionsgemeinschaft ähnlich der Amish hier eine landwirtschaftliche Kolonie, größtenteils ohne moderne Technologie. Recht cool schauen die Männer aus in ihren Hüten, Anzügen und den Hosenträgern über dem  Hemd. 

Weiter ziehen wir in ein Lokal mit angrenzendem Konzertsaal im Kleinformat, mit Schilfdach und uriger Band auf einer rot ausgeleuchteten Bühne, ausgeschlagen mit Plüsch, verhangen mit Tüchern mit Skeletten und Totenschädeln drauf. Typen mit fettigen Locken in Hawaiihemden, Sonnenbrillen auf, Tschick im Mundwinkel, Tarantino-Figuren mit Saxophon, psychedelisch wimmernde Gitarren, eine Lady im Kleid mit Violine, Musik aus einer anderen Welt. Ein alter Mexikaner mit Cowboyhut und Stiefeln swingt herum, wir stemmen 1,5 Liter-Glasflaschen mit Bier.


 22.12., Mahahual, Xcalak

Den Plan, uns die Küste entlang nach Süden vorzuarbeiten, verwerfen wir nach ein paar hundert Metern. Die Piste ist stellenweise geflutet vom täglichen Regen und voller Schlaglöcher, Schrittgeschwindigkeit ist schon zu schnell. Der schmale Strand außerhalb Mahahuals ist völlig mit Plastiktreibgut verdreckt. Auch die Ausweichroute ist anfangs tückisch. Inmitten einer sehr großen Lacke steigt das Wasser schon auf Einstiegshöhe und Ena bekommt große Augen, also zurücksetzen und davor so lange warten, bis uns eine vorbeikommende Frau eine gefahrlose Querung zusichert. Noch eine Kokosnuss für jeden, dann fetzen wir durch einen ewig langen grünen Korridor fünfzig Kilometer bis nach Xcalak, eigentlich eine sehr lange Sackgasse. Bis nach Belize wäre es von dort nur mehr ein Hupfer, aber Wasser und militärisches Sperrgebiet verhindern ein Weiterkommen.

Xcalak ist fürwahr ein staubiges Dorf am Ende der Welt. Die einzigen Kreaturen, die sich blicken lassen, sind agressive Hunde. Trotzdem würde ich nicht einmal sie in das einzig auffindbare Zimmer der Ortschaft sperren wollen, einem ranzigen Loch auf indischem Niveau. Als wir uns schon anschicken, diesem trostlosen Ort den Rücken zu kehren, erspäht Cecilie am Ausfahrtspfad ein handgemaltes Hotelschild in A5-Größe. Prächtige, neu ausgestattete Zimmer, davor eine Bar mit Lümmelsäcken! Eine wahr gewordene Fata Morgana. Essbares finden wir später im Hinterland. Auf einem Campingtisch im Vorraum eines Privathauses essen wir Fajitas unter Neonröhren. Nachts liege ich am schaukelnden Steg unten am Meer und schaue mir den Mond an, bevor ihn schwarze Wolken verdecken. Es wird Regen geben.


Freitag, 22. Dezember 2023

 21.12., Playa del Carmen, 

Mit halbstündiger Verspätung kündigt sich ein Typ von der Mopedverleihbude an, Tips are welcome! Überhaupt will hier jeder für alles ein Trinkgeld und zwanzig Prozent Maut beim Wirten gelten als angemessen. Meine Mopette retourniere ich nach neunzehnhundert gefahrenen Kilometern total verdreckt mit ausgefallenem Tacho und lautstarkem Lagerschaden, aber das ist nicht mein Problem. Dann die üblichen Banalitäten, Auschecken, Geld wechseln, ein Auto für zwei Wochen suchen. Letzteres wird aufreibend und teuer, höchste Hochsaison. Es wird ein abgefuckter kleiner Chevy mit tausend Beulen und Kratzern, was mir recht ist, und endlich brettern wir gen Süden, weg von hier. Zu dritt übrigens, Cecilie wird den Road Trip mit uns bestreiten. Ab jetzt hilfreiche Ratschläge in Stereo und Vorwarnzeit unter drei Minuten bis zur nächsten Pinkelpause. 

Nach dreihundert Kilometern und einer Vollbremsung wegen eines lebensmüden Hundes erreichen wir im äußersten Süden Mexikos Mahahual. Hier gibt es nicht mehr viel - außer einem Anleger für gigantische Kreuzfahrtschiffe. Die Hellsten unter der Sonne sind wir auch nicht. Das einst beschauliche Fischerdorf hat sich in kürzester Zeit entsprechend gewandelt. Zwischen windschiefen Bretterbuden wurden mehrstöckige Hotels hochgezogen und am Strand stehen eng an eng viele hundert Liegen. Ein akzeptables Quartier zu finden frisst die letzten Stunden des Tages, im Regen schlurfen wir herum und freuen uns später wie die Schneekönige über einen Teller Gemüse. Es gibt noch Luft nach oben.


 20.12., Cozumel

Zweimal habe ich gestern nachgefragt. Hundertfünfzig Pesos für den Schnorcheltrip? Wirklich hundertfünfzig Pesos pro Person? Jaja, hundertfünfzig Pesos, si claro! Wir also auf zeitig in der Früh und zwanzig Kilometer hergepresst, siebenhundertfünfzig Pesos pro por favor. Du dreckiger Maisfresser! Ich küsse deine Mutter, du Tacogesicht! 

Dann halt weiter Zum Punta de Sur, einem kleinen Nationalpark mit Staubstraßen entlang herrlichster Strände und stinkenden Sümpfen mit bräunlichrotem Brackwasser. Kostenpflichtig natürlich, auch der Rest Cozumels entspricht nicht den Vorstellungen einer karibischen Trauminsel. Wir erklimmen Aussichtstürme aus Holz und sehen Geier und Flamingos  und alle sind gut drauf bei einer Bootstour durch die Mangroven. Die hauptsächlich einheimischen Gäste fiebern mit und auch die Krokodile kommen ganz nahe, um den Ausführungen des Ausflugleiters zu lauschen. Tauchen sie dann wieder in die braune Suppe ab, sind sie nach einer Sekunde wie vom Erdboden verschluckt. Im Meer später dominiert das Seegras mit spärlicher Bevölkerung, mehr Quallen als vollwertige, sinnhafte  Lebewesen mit Gehirnen und Gesichtern. Aber die enge Wendeltreppe einen alten Leuchtturm hoch, die geschliffenen, dicken Gläser rund um die alte Lampe dort oben und Maya- Bauwerke direkt am Wasser entschädigen. 

Und damit ist das Potential Cozumels ausgeschöpft, schade. Gestern hat mir eine Kreatur meine eigentlich diebstahlsichere Colaflasche mit Reservebenzin vom Moped gefladert, heute sind wir in Zeit- und Treibstoffnöten. Eine Reaggaebar hilft mit einem Liter Sprit aus der Tequilaflasche zum Wucherpreis aus, sonst hätten wir das Schiff zurück zum Festland wohl nicht mehr geschafft. Nach einem feuerroten Sonnenuntergang checken wir wieder in der Partystadt ein und trinken noch ein Bier mit Cecilie, der im zweiten Stock ihres Hotels ein Waschbär entgegengekommen ist.


 18., 19. 12., Playa del Carmen, Cozumel

Auf dem Wochenmarkt wühlen Frauen mit Hingabe in großen Wannen nach Kleidung, die per Kilo zu bezahlen ist, während wir  an frisch frittierter Schweinehaut knabbern. Die vierzehnjährige Tochter der Französin verkündet, daß die am besten zu Bier schmecken würde. So wie Ena auch eine kleine Expertin für alle Lebenslagen. 

Meine Hoffnung, dem Trubel hier zu entfleuchen, ruht auf der Insel Cozumel. Bei Tagesanbruch beladen die Süße und ich die Mopette mit unserem Zeug und fahren zur großen Autofähre außerhalb der Stadt. Gerüchte, wonach wir mit unserer Leihgurke ohne Taferl abgewiesen werden könnten, bestätigen sich nicht. Zwischen zwei Sattelschleppern werden wir passgenau verladen. Es ist laut, staubig und es geht um jeden Zentimeter, man kommt am Weg zum Oberdeck fast nicht mehr zwischen den Autos durch. 

Zwei Stunden später passieren wir schon die gigantischen internationalen Kreuzfahrtschiffe, die ihre Passagiere auf Cozumel für Tagesausflüge ausspucken, darüber hinaus landen hauptsächlich Flugzeuge aus den Staaten direkt neben unserem neuen Quartier. Im Innenhof flattern die Kolibris herum und für Ena gibt´s frische Pancakes, aber eine erste Erkundungstour fällt ernüchternd aus. 

Die Gesamtheit der zum Festland zeigenden Inselseite ist vollständig verbaut. Resorts, Beach Clubs, Hotelanlagen haben sich die gesamte Küste zur Gänze eingenäht. Es gibt  quasi keinen einzigen freien Zugang mehr zum Meer. Unsere Vermieterin, die seit fünfundzwanzig Jahren auf der Insel lebt, schwimmt und schnorchelt, wenn ihr danach ist, direkt am Pier der Autofähre, dem letzten verbliebenen Fleckchen auf einer Länge von dreißig Kilometern. Dort tümpeln Insulaner und Touris, die keinen Eintritt ins Meer bezahlen möchten, in einer Schneise von vielleicht zehn Metern vor sich hin, Skandal! Die Obrigkeit ist sich nicht zu blöd, hier in einem Bretterverschlag einen Life Guard zu postieren, der über das Wohl der Badegäste wacht.

Die Anbiederung der Mexikaner an die Amerikaner treibt seltsame Blüten. Notrufnummer 911. Üppigste Weihnachtsbeleuchtung mit Rentieren und der Disneyfamilie sowieso, Chickas auf Rollschuhen im Hooters. Lokalitäten mit Namen wie " I dont´t give a dick" oder "Fucking Tacos" auf der Jagd nach dem Dollar. Auf der Insel in mexikanischen Pesos zu bezahlen ist unüblich. Mit einer miserablen Rate rechnet man vom Dollar zurück. Bei einem Sackerl Chips im Supermarkt um zehn Euro hört sich der Spaß dann auf.

Abends schauen wir uns beeindruckende Fregattvögel an, die sich für die Fangabfälle zweier Fischer aus ihren luftigen Höhen herabbequemt haben, spricht uns ein bärtiger Typ an. Er hätte Alk in seiner Thermoskanne und daheim noch Wein, ob wir mit ihm mitkommen möchten. Äh, nein, danke. Ena hingegen ist begeistert, Wein! Unterwegs raunt mir Rudi, so nennt er sich, zu, er werde mich schon nicht umbringen oder vergewaltigen. Dann saufen wir seine Reserven aus, schauen uns sein schönes Haus an, videotelefonieren dicht mit seiner konsternierten Familie, politisieren und philosophieren und wanken sehr viel später gemeinsam in eine lässige Bar. Rudi ist Pole und lebt abwechselnd in den Estados Unidos und auf Cozumel. 

Birria, eine Fleischsuppe mit Fleisch und noch gewürzt mit Chipotle schmeckt gut, aber warum man denn nicht wenigstens ein bisschen Gemüse reinschnibbeln könnte? Die Lady an der Bar verzieht das Gesicht. Beim Gedanken daran schaudert es sie. Rudi kann unterdes die Erddrehung nicht mehr wirklich ausgleichen. Wir parken ihn daheim und finden auch den Weg in unser Bett.


Dienstag, 19. Dezember 2023

 16., 17.12., Playa del Carmen

Mein tschechischer Nachbar erzählt mir, er würde irgendwo zwischen Prag und Wien gemeinsam mit einem Wolf in einem Häuschen im Wald leben. Für heute hätte er eine Adresse aufgetan, wo er für umgerechnet sechzig Euro einen weißen Tiger streicheln könne, na dann.

Eine aufgelöste Dänin macht mir später die Tür zur neuen Unterkunft auf. Ihre Wimperndusche ist  total verschmiert, entweder vom Heulen oder von der Hitze. Jedenfalls erzählt sie von vier schlaflosen Nächten und untertags würde der Smoke Shop gegenüber Bob Marley rauf und runter spielen. 

Get Steroids here! Viagra, Ritalin, Prozac und Benzos sowieso. Fat or bald? Free tequila shot! Ich fühle mich angesprochen, aber der Keiler winkt ab. Nicht fett oder glatzköpfig genug. 24/7 Husband day care bietet eine Saufhütte an, aber deswegen gleich heiraten? Grashüpfer könnte ich essen oder mir die Karten legen lassen und und und.

Nach einer Stunde Marsch nach Norden wird´s besser, bin ich draußen aus der sündigen Stadt und lasse die Spaßgesellschaft hinter mir. Ein angespülter Rochen gammelt am Strand vor sich hin, aber keine Bar ist auszumachen weit und breit.

Wenigstens habe ich schon eine Stammhütte in einer ruhigeren Ecke für mich entdeckt, wo abends die Fledermäuse durch die Bäume huschen und die Musi passt. Regelmäßig schauen Rapper mit ihren mobilen Verstärkern vorbei und improvisieren für ein paar Münzen Lobgesänge an die diversen Nationalitäten der gerade anwesenden Gäste. Auch die Community wächst. Eine französische Freundin Cecilies samt Tochter findet sich für ein paar Wochen ein.

Aber fehlt da nicht noch wer? Genau, die kleine Ena kommt heute an! Spät nachts gurke ich halb im Blindflug ewig zum Flughafen und sammle sie ein, die Süße. Der ganze Wirbel rundum ist ihr völlig wurscht, legt sich einfach hin und schläft.


Samstag, 16. Dezember 2023

 14., 15.12., Playa del Carmen

Es gibt nichts zu berichten, ich stecke in dieser Deppenecke fest. 

Ein überteuertes Zimmer mit Häusl am Gang, zermürbender Beschallungsbrei über der Schmerzgrenze bis zwei Uhr früh. It´s gonna stay at the WMCA! Gleich ums Eck befindet sich die berüchtigte 5th Avenue, Spaßepizentrum Mexikos. Keiler, Narzissten, Kaktustacos, schlechte Wechselkurse, Privatstrände. Und so viel Regen und Sturm in der vermeintlichen Trockenzeit.

Gerne hätte ich mir schon die vorgelagerte Insel Cozumel  angesehen, bevor morgen Ena eintrudelt, aber nicht bei dem Wetter. Noch zwei Nächte hat sie für uns in Playa del Carmen gebucht, zum Ankommen. Direkt an der 5th Avenue übrigens, hurra.


Donnerstag, 14. Dezember 2023

 13.12., Valladolid, Playa del Carmen

Ich weiß jetzt, wie sich Nashörner fühlen. Mein Gesicht ist obszön angeschwollen und die Nase macht sich im Sichtfeld breit. Wie dereinst Biko Botowamungo, österreichischer Hoffnungsträger im Boxen bei der Olympiade 1988 nach zwei Runden, sehe ich die Welt in Cinemascope. Das unterwegs auf Verdacht bestellte Essen ist abermals eine sehr traurige Angelegenheit. Warum die mexikanische Küche von der Unesco noch vor allen anderen Nationen mit dem immateriellen Kulturerbe der Menschheit bedacht wurde, bleibt ein Rätsel. Zwei malerische Lagunen noch in Cobá, dann Starkregen und Autobahn die Küste hoch nach Playa del Carmen. Bis auf eine einzige Zufahrt ist der gesamte Strandabschnitt für die Öffentlichkeit gesperrt. Monströse Resorts verbarrikadieren sich hinter Mauern und Stacheldraht. 

In Play del Carmen, Großstadt mit rund 250.000 Einwohnern, beziehe ich ein leider schon vorab gebuchtes Drecksloch. Hat sich einfach selbst vier Sterne verliehen trotz Einrichtung aus den Fünfziger Jahren und modrigem Geruch. Hier ist es so feucht, man könnte bequem Pilze züchten. Das einzige, in das hier die letzten Jahrzehnte investiert wurde, war ein  äußerst talentierter Fotograf, dem ich wieder voll auf den Leim gegangen bin. Warum bin ich überhaupt hier? Cecilie, Freundin aus Berlin, kommt heute an und in drei Tagen die Gefährtin. Unten am Meer spielt es sich volle ab. Partymeile mit allem Erdenklichem. Gratis Shot für große Titten, Viagra im Sonderangebot, Soup of the day: Mescal, tanzende Menschen in Fellkostümen. 


Mittwoch, 13. Dezember 2023

 12.12., Okkutzcab, Valladolid

Generell sind die Straßen zunächst in Ordnung, was aber die wenigen Schlaglöcher mit absoluter Sturzgarantie noch heimtückischer macht. Die und die inflationären Topes, wurstartige Erhöhungen, die angekündigt oder auch nicht quer über die Straße verlaufen und für die man mitunter auf Schrittgeschwindigkeit abbremsen muss, machen das Fahren anstrengend. Ansonsten befinde ich mich in mexikanischem Kernland, as good as it gets. Dann kollidiere ich mit einer Biene, was bei einer Überland- Reisegeschwindigkeit von 60km/h an sich schon weh tut, aber irgendwie schafft es das Viech auch noch, mich mitten auf den Nasenrücken zu stechen. Bis ich den Stachel draußen habe dauert es ein Weilchen. Die Hände prickeln vom Vibrieren des Lenkers und die Schmerzen sind bombastisch. Gut, dass ich gerade ganz alleine bin. 

Mit den Stunden werden die Lebensverhältnisse der Leute immer rustikaler. Die meisten wohnen in quadratischen Betonhäuschen in der Größe eines kleinen Frachtcontainers, wenige hausen auch in verwahrlosten Dschungelhütten mit davor lose aufgeschichteten Steinmauern, wie in Laos oder Indonesien. Statt Autos verkehren Tuk Tuks oder Lastenfahrräder. Auch das Pferd ist wieder ein gängiges Fortbewegungsmittel. In jedem Ort steht frei und zentral eine Kirche, oft inmitten einer Wiese. Auf einer mache ich mir einen Snack, wobei mein Laptop als Schneidbrett herhalten muss. Obst und Gemüse gibt es eigentlich reichlich, aber mehr als Fleisch in Tacos ist in den ländlichen Fressbuden nicht zu bekommen. 

 Zwischen zwei Dörfern zeigt mein Navi einen v-förmigen, ewig langen Umweg an, das kann so wohl nicht stimmen. Und tatsächlich finde ich den direkten Weg, eine einsame, steinige, verwachsene Schneise durch den Dschungel. Für die acht Kilometer brauche ich eine knappe Stunde und bin sehr glücklich, als ich wieder Asphalt unter den Rädern habe. Braves Moped, brave Reifen, obwohl ab jetzt ein ständiges Quietschen mein Begleiter ist.

Zeitgleich mit einer Heerschar an religiösen Pilgern erreiche ich Valladolid und abends gibt´s einen prächtigen Umzug mit gut fünfzig festlich geschmückten Reitern vorne weg. Es folgen Kreuz- und Fackelträger, Statuen auf Autos, Menschen mit Fahnen, viele Menschen. Ich bin begeistert und Gott hoffentlich auch.


Dienstag, 12. Dezember 2023

 11.12., Campeche, Oxkutzcab

Bedeckter Himmel, perfektes Reisewetter. Das Städtchen Oxkutzcab ist das Ziel der heutigen Tagesetappe am Weg zurück zur Ostküste. Nicht viel los im Landesinneren. Nur Stille, wenn ich anhalte. Einen Jausenstopp mit entsprechend gekennzeichnetem Scheibenkäseimitat auf Toastbrot Marke Bimbo Blanco lege ich in einem freundlichen Dorf ein. Alle freuen sich, dass ich da bin, sogar die Hunde. Zur Belohnung gibt´s ein Stückchen Marmeladetoast. Niedlich klingen die Ortschaften, Hopelchen, Becanchen, Komchen. Viele Häuser sind noch traditionell nach Maya-Art gebaut, oval, aus Lehm und mit Strohdach. Ein Park wurde rund um einen großen Sendemast angelegt, Paris für Arme.

Viel Dschungel musste schon Platz machen, er wurde gerodet für große Papaya- und Maisplantagen in tiefroter Erde. Sprit finde ich immer am letzten Drücker, einmal nach Hinweisen aus der Bevölkerung in einer Werkstatt. Die archäologische Stätte Kabá besuche ich nur, weil mir der Hintern schon so weh tut. Hier kann man noch ungestört steile Stiegen hochkraxeln und in der Wiese vor den Tempeln liegen. Mit Einbruch der Nacht erreiche ich Oxkutzcab. Wie überall sonst auch gibt es eine Art Christkindlmarkt. Hier können sich die Besucher sogar vor einem großen Poster mit verschneiter Winterlandschaft fotografieren lassen. Nicht allen geht´s so gut. Am großen Marktplatz bringt ein Mann gerade seine Motorsäge ins Pfandhaus.


Montag, 11. Dezember 2023

 10.12., Campeche

Er könne mir meine Colaflasche nicht mit Sprit auffüllen, erzählt mir der Tankwart allen Ernstes, sie entspräche nicht den gesetzlichen Vorschriften! Wir sind hier in Mexiko, Oida, quasi rechtsfreier Raum! Ich brauche meine taktische Reserve morgen unbedingt, wenn ich in die Berge fahre. Ich muss echt bitten und betteln, bis er sich herablässt, und Trinkgeld will er dann auch noch, der Benzinschnüffler.

Heute cruise ich noch der Küste entlang. Vor dem kleinen Fischerhafen drängen sich Pelikane und Kormorane auf einem halb versunkenen Boot, wahrscheinlich ist der Gestank an Bord unwiderstehlich. Ein paar Kilometer weiter wurde im achtzehnten Jahrhundert auf einer Anhöhe das Fuerte de San Miguel errichtet, eine prächtige Festung mit Zugbrücke über einen Wassergraben, wo jetzt züngelnde Leguane in der Sonne liegen. Ein gewundener und von hohen Mauern umgebener Zugang, zum Meer hin eine Batterie von Kanonen, um die Piraten zu befetzen.  

In den ehemaligen Magazinen beweist eine Ausstellung, dass Wahnsinn zeitlos ist. Abgesehen von ihren astronomischen Erkenntnissen, ihrer Architektur und ihrer Schrift hatten sich die Maya scheinbar komplett dem Irrsinn verschrieben. Neben ihrer kranken Obsession, Herzen herauszuschneiden, zu ertränken, zu köpfen etc. schliffen sie sich die Zähne und nähten sich Steine ins Gesicht. Mütter packten die Köpfe ihrer Kinder ab dem ersten Tag zwischen zwei Bretter und pressten ordentlich, um massive Eierköpfe zu formen, ein weiteres Schönheitsideal. Auch das Schielen wurde absichtlich herbeigeführt, indem man den Kindern mit Kügelchen aus Harz oder mit Perlen das Blickfeld einschränkte. Zwerge genossen hohes Ansehen und hatte man das Glück einen Buckel zu haben, war man überhaupt der King. 

Den wohlhabenden Verstorbenen wurden wunderschöne Totenmasken aus Jade aufgesetzt und Amulette umgehängt. Für die gefährliche Reise in die Unterwelt wurden Hunde und Proviant mit ihnen mit bestattet. Heute pflegen noch sechs bis acht Millionen direkte Nachkommen der Maya die selbe Sprache, deren Traditionen und Riten, aber hoffentlich nur im Rahmen des gesetzlich Möglichen.

Durch einen unbegreiflichen Zufall treffe ich abends den Belgier aus Valladolid in Campeche. Bei ein paar Bieren im Park erzählt er vom Leben am Meer, von seinen Frauen und seinen Reisen, von einem Überfall in Nicaragua, von Numismatik, dem religiösen Wahn seiner Schwester und vieles mehr.


Sonntag, 10. Dezember 2023

 9.12., Merida, Campeche

Eine schöne Billardhalle mit eigenem Vorraum für Mopeds hätte es zwei Gassen weiter gegeben, da wo es schon etwas verruchter zugeht. Leichte Damen in Hauseingängen, auf der Straße wird geschäftig vercheckt. Drei vollkommen ausgebrannte Autos hintereinander, die stehen hier wohl schon ein Weilchen. Ins gelobte Museum schaffe ich es nicht mehr, es ist Zeit zum Aufbruch. Das historische Prunkstück der Nation, der einzig erhaltene Federkopfschmuck Mexikos, befindet sich ohnehin in Wiens Weltmuseum. Sehr zum Unmut Mehigos freilich, aber laut einer Expertise österreichischer Spezialisten würde die Federkrone einen derart weiten Rücktransport einfach nicht unbeschadet überstehen, haha. Wahrscheinlich versäume ich also eher versteinerte Enchiladas aus der Bronzezeit oder einen von Montezuma getragenen Sombrero, ich werde es nie erfahren.

Weit gedehnte Pilgergruppen auf Fahrrädern mit Polizeieskorte auf der Bundesstraße, überdimensionale Kruzifixe oder Heiligenstatuen haben die Radler auf ihre Rücken gebunden. Vorboten des wichtigsten Feiertages Mexikos. In drei Tagen wird der Tag der Jungfrau von Guadelupe gefeiert. Besagte Lady soll einst einem Indio erschienen sein, der übliche Scheiß. Wir wissen, was Peyote anrichten kann. Ob die Böller vor dem Frühstückswirten in Merida ebenfalls ihr zu Ehren gezündet wurden, weiß ich nicht, aber die Tuscher waren ohrenbetäubend.

Dreimal beginnt es während der Fahrt zu regnen. Immer nur kurz, aber lange genug um zu merken, dass Regen ohne ordentlichen Helm richtig weh tun kann im Gesicht. Nach ein paar Minuten ist man bereits aufgetrocknet, es hat schon wieder über dreißig Grad. Heute brauche ich erstmals meinen externen Zusatztank in Form einer Zweiliter-Colaflasche, sonst wäre ich zwischen Dornensträuchern und Agaven ausgerollt.

Über Campeches Malecon, der kilometerlangen Uferpromenade der Stadt, reite ich ein wie anno dazumal die Freibeuter, die hier regelmäßig randaliert haben. Völlig wertlos übrigens, weil direkt neben einer vierspurigen Straße verlaufend. Überhaupt ist es außerhalb der Stadtmauern zum Meer hin eher hässlich, im Gegensatz zum historischen Kern Campeches. Sieben Bastionen bewachen noch das UNESCO- Welterbe. Gassen mit Kopfsteinpflaster entlang in abblätternden Pastellfarben gehaltener Kolonialbauten, in die mittlerweile Shops und Boutiquen eingezogen sind. Gehsteigkanten, die bis zu einem Meter hoch sind. Ein Themenpark mit beleuchteten Kirchen und Bullen in Golfwagerln oder lächerlichen Elektro- Gocarts, inmitten dessen auch ich in einer altehrwürdigen Bude mit dicken Wänden und handgehackten Balken an der Decke residiere. Außerhalb der Mauern finde ich einen geschäftigen Markt, wo ich mir fingergroße Bananen kaufe. Die esse ich dann am Plaza Principal unter Johannisbrotbäumen und schaue.


Samstag, 9. Dezember 2023

 8.12., Merida, Sisal

Ein Bulle unterbricht meinen Tagesausflug schon knapp außerhalb der Stadt, nachdem er mir zuvor schon ein Weilchen auf seinem Motorrad gefolgt ist. Warum ich keine Nummerntafeln hätte? Gute Frage, weiß ich eigentlich auch nicht. Eine spätere Nachfrage bei der Mietbude wird ergeben, daß die gerade ihre Flotte umstellen? und sie künftige Strafen übernehmen werden, aha. Den netten und integren Bullen hier kann ich heute noch mit der infamen Behauptung wegbluffen, in Cancun würden alle Mopeds ohne Taferl herumgurken.

Eine Stunde später erreiche ich Sisal, Kaff meiner Träume. Einst eingerichtet als Hafen nach Spanien zum Export gleichnamiger Faser, ist es heute ein paradiesisches Dorf mit weißem Korallenstrand und sonst nur dem Notwendigsten. Eine Tankstelle, ein Laden mit Bier, Hängematten unter schattigen Verschlägen. Den vage anberaumten nachmittäglichen Museumsbesuch in Merida streiche ich ersatzlos und knacke mir das erste Dos equis auf.


Freitag, 8. Dezember 2023

 7.12., Merida

Ausgewählte Erkenntnisse der heutigen Stadtführung: Merida ist die Hauptstadt des Bundesstaates Yukatan und hat rund neunhunderttausend Einwohner. Die Gebäude der Maya ließen im sechzehnten Jahrhundert die spanischen Eroberer kurzerhand abreißen und verwendeten das frei gewordene Material zur Errichtung der Kirchen, an denen wir heute vorbei gehen. In den Mauern der Iglesia de Jesus zum Beispiel sind noch zwei Steine mit typischen Maya-Reliefs klar auszumachen, was sehr seltsam aussieht. Überall sehr präsent ist La Catrina, eine Skelett-Dame mit schickem Hut, die den Tod symbolisiert. Des weiteren sieht sich das in der Nähe produzierte Nationalgesöff der US and A, Bud light, zur Zeit wegen einer Kooperation mit einer transsexuellen Influencerin mit Verkaufsrückgängen von bis zu dreißig Prozent konfrontiert. Politiker im Windschatten Donald Trumps oder Intellektuelle wie zum Beispiel Kid Rock zerschießen oder kübeln öffentlich ihre jetzt schwulen Bierreserven, der Kulturkampf tobt.  

Abends gebe ich mir im Parque Santa Lucia die wöchentlich stattfindende Leistungsschau mit Tanz und Folklore. Auch Gedichte trägt ein Barde in Weiß den gut tausend Besuchern minutenlang vor, natürlich in Spanisch gehalten. Bruchstückhaft erkenne ich Themen wie Xenotes Sagradas, also heilige Wasserlöcher, Amor und  el Sol. Drei Gitarreros geben anschließend volkstümlich Anzügliches zum Besten. Einmal, zweimal, dreimal, Segnorita, neun Monate später ist der Bauch schon sehr dick! Oida, viva el machismo. Pärchen tanzen noch etwas steif mit Tabletts voll mit Getränken auf ihren Köpfen und nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung übernehmen ein paar übergewichtige Breakdancer im Batman- und Ringeroutfit die Bühne und drehen sich auf ihren Köpfen und Handflächen zu modernerer Tanzmusik. 


Donnerstag, 7. Dezember 2023

 6.12., Progreso, Merido

Pünktlich um 11.00 finde ich mich mit den anderen Influencern am Playa Chochino ein, staune über die häßlichen Rohbauten rundum und lese noch, man dürfe den Tierchen keine Schokolade füttern, als zwei uniformierte Beamte der  Policia Ecologica die streng riechenden Hängebauchschweine endlich aus ihrem Verschlag lassen. 

Trotz mehrmaliger Ermunterung meinerseits bringt es keines der  Schweine zustande, irgendetwas Aufregendes zu tun. Auch ins Meer baden gehen und dabei mit mir posen möchte kein Schwein. Die Saubande spaziert nur grunzend durch die Gegend, frisst dabei ausgestreutes Trockenfutter und lässt sich streicheln. Bei näherem Hinsehen muss ich außerdem erkennen, dass die anderen Influencer eigentlich nur einheimische Kinder mit ihren Eltern sind, und spätere Recherchen ergeben, dass sich die momentan gehypten Celebrity-Strandschweine tatsächlich auf den Bahamas aufhalten. 

Ich selbst spiele schon seit geraumer Zeit mit dem Gedanken, mich als humanoider Petfluencer zu versuchen, verfüge ich doch über viele interessante tierische Eigenschaften und ein paar gute Tricks. Details dazu folgen, sobald ich in meine neue Identität geschlüpft bin. Vorerst trage auch ich etwas zum Fortschritt Progresos bei, indem ich fort schreite, sprich dieses Kaff hinter mir lasse. 

Bis nach Merida sind´s keine dreißig Kilometer und dank der durchlaufend nummerierten Straßen finde ich mein schon gestern gebuchtes Quartier auf Anhieb. Das Moped bekommt ein Plätzchen im Foyer neben der Rezeption, super. Fladeranten und Bullen chancenlos. Nebenan ist eine Communidad musulmana ansässig, hoffentlich ruft frühmorgens niemand lautstark zum Gebet. 

Die Stadt ist zwar schon sehr abgewetzt und es fehlt ihr das Liebliche wie in Valladolid, aber sie hat ein lässiges Flair. Zwei Blocks weiter haben sich gemütliche Fressbuden vor einer Kirche breit gemacht, da genehmige ich mir ein paar Tacos. Ein Typ mit Hackebeil schneidet alle Arten von Fleisch klein zusammen, schwabbeliges Schwartenfleisch, Innereien mit eingebauten Röhren etc.,  dazwischen kassiert er und gibt mit seinen total verschweindelten Fetthänden Wechselgeld heraus. Dann schaue ich mir die Mäuse und die Schuhputzer im Park an und die kaputtesten VW- Käfer der Welt, die in großer Zahl auf den Straßen herumfahren. Auf der Fassade eines knapp fünfhundert Jahre alten Hauses sind Conquistatores abgebildet,  wie sie etwas unsympathisch auf den Schädeln ihrer besiegten Feinde herumlatschen. 


Mittwoch, 6. Dezember 2023

 5.12., von Tizimin nach Progreso

Wohin ich denn unterwegs sei mit meinem Moped, fragt mich ein Bursche an der Tankstelle, wo ich schwarzen Kaffee aus dem 0,4 l Becher schlürfe und mir zwei Eier dazu schäle. Progreso, so so, zwei Minuten später hält er mir eine handgeschriebene Liste hin. Nicht meinem Navi solle ich nachfahren, das wäre eine langweilige Route, sondern lieber die Carretera El Tajo nehmen über Kikil, Panaba und Yalsihon bis nach Dzilam de Bravo und von dort immer der Küste entlang über Santa Clara nach Progreso. Jeder könne mir da unterwegs weiterhelfen, sollte ich einmal nachfragen müssen, buen viaje. 

Na gut, denke ich mir, wenn er sich schon so bemüht hat. Tatsächlich, jeder kennt den Weg. Aber niemand spricht Englisch, um ihn mir auch erklären zu können. Die Mexikaner haben außerdem die zweifelhafte Gabe, mit nur einer Geste in zwei Richtungen zeigen zu können. Zuerst deutet man mit Schwung hierhin, beschreibt dann einen Halbkreis nach oben und endet damit, abschließend in die entgegengesetzte Richtung, also dahin zu deuten und auch zu schauen. Alle bemühen sich redlich, ein Alter eskortiert mich sogar bis zu einer Schlüsselstelle, und der Aufwand lohnt sich. Hier sind sie also, die sonnengegerbten Männer mit den großen Hüten und den fehlenden Zähnen, die Cowboys mit den Macheten am Gürtel und den Schürzen über ihren Hosen. Schnurstracks und einsam verläuft die Straße zwischen den kleinen Ortschaften. Alle paar Kilometer zweigen Zufahrten zu Ranches ab. Blaue Vögel fliegen herum, Leguane flüchten ins Dickicht.  Die Vegetation ist so dicht und lehnt sich dermaßen über den Straßenrand, dass nur ein sehr schmaler Korridor bleibt. Ein paar perfekt gereifte Avocados habe ich als Proviant dabei und einen Liter eiskaltes Kokoswasser kaufe ich mir beim bunten Greißler, aus frisch geernteten Nüssen in eine Flasche zusammengeleert. Dazu noch selbstgemachte süße Teigtaschen der Betreiberin, herrlich. Idyllisch ist es hier und später an der Küste. Verschlafene Dörfer, schaukelnde Fischerboote, Pelikane, die auf vermorschten Stegen hocken.

Leider ändert sich das. Die Straße wird breiter und ein Resort folgt dem anderen. Nachmittags erreiche ich Progreso. Worin der namensgebende Fortschritt liegen soll, erschließt sich mir nicht. Eine nichtssagende, eigentlich recht abgefuckte Stadt mit Strand halt, zu dem die Einwohner der südlich gelegenen Großstadt Merida bevorzugt strömen. Auf der Suche nach einem Quartier etwas außerhalb folge ich einer kurzen Sandpiste runter zum Strand, wo ich ein paar Kitesurfern zusehe. Tauchen plötzlich zwei junge Bullen auf einem Motorrad auf. Der eine: Bla bla bla bla bla? Ich: No entiendo Espaniol. Der andere: Bla bla bla blablablabla? Ich: No entiendo Espanol. Alles an ihnen schreit: Wir wollen diesem Gringo ein paar Scheinchen rausleiern, wir sind hier ganz alleine mit ihm, aber wir wissen nicht so recht, wie wir es anstellen sollen. Die Fahrzeugpapiere falten sie langsam auseinander und dann wieder zusammen und drehen meinen Ausweis, sicherheitshalber eine schon seit Jahren abgelaufene LKW- Fahrerkarte, sollten sie ihn nicht wieder rausrücken wollen, sinnlos hin und her. Hier dürfe man nicht fahren, setzt der eine zögerlich an, erzählt mir allen Ernstes etwas von Verletzungsgefahr und Schildkröteneiern. Ok, sage ich, und warte, was kommt. Nur oben auf der Straße dürfe man fahren. Ok, sage ich. Dann kratzen sich diese Fetzenschädel verlegen am Kinn und schauen blöd. Ok, sage ich noch einmal, setze mich dann aufs Moped und fahre langsam weg und die Deppen schlurfen wieder zu ihrem Motorrad zurück. Glück gehabt, aber Zimmer habe ich noch immer keines. Eigentlich will ich hier gar nicht bleiben, aber ich bin erledigt vom Fahren. In einem stinkenden, schmuddeligen, überteuerten Zimmer des Hotels Paradise checke ich nach längerer Herumfragerei ein, wenigstens funktioniert die Klimaanlage. Abends schaue ich mir noch den faden Malecon und den längsten Pier der Welt mit mehr als acht Kilometern Länge an. Das deswegen, damit draußen die großen Kreuzfahrtschiffe anlegen und die Influencer dieser Welt bequem zum Pig Beach pilgern können. Doch mehr dazu morgen.


Dienstag, 5. Dezember 2023

 4.12., Valladolid, Tizimin, Rio Lagartos

Woutje der Belgier geht schon zum dritten mal aufs Häusl, seit ich bei meinem Löskaffee sitze. Sein Bus nach Merida geht gleich und er hat eine schwache Blase. Irgendwo in Belgien arbeitet er den Rest des Jahres als Kassier an einer Supermarktkasse und trinkt während seiner Schicht deutlich weniger als er gerne würde, weil er für zwölf Euro Stundenlohn oft fünf, sechs Stunden ohne Pause durchhackeln muss und nicht nicht einmal pinkeln gehen darf. Als ich ihm von Firmen erzähle, deren Arbeiter Windeln tragen müssen, schaut er mich mit großen Augen an, aber so groß ist der Unterschied dann gar nicht mehr. 

Auch ich setze mich mittags ab, obwohl das Hostal Gayser eine spottbillige Oase der netten Menschen und Gemütlichkeit in einer sehr lauschigen Stadt ist. Sehr karibisch ist das Feeling, das mich unterwegs zur nördlichen Küste beschleicht. Sattgrüne, dichte Vegetation, dann wieder ärmliche Stelzenhütten in hügeliger, fast unbewaldeter Gegend mit Weiden und vereinzelten Palmen. Schwarzfleckig  verschimmelte, aber noch immer monumentale Kathedralen der Kolonialzeit säumen meinen Weg, räudige Hunde stehen sinnlos auf der Fahrbahn herum und packen es nicht. Vor einer Ampel jongliert einer mit Macheten, vor einer anderen spielt ein ziemlich trauriger Clown die Melodica, während er auf einem Einrad balanciert. Jesus died for bikers too, steht auf dem T- Shirt eines Passanten. Ein Coral, erbaut mittels gewagter Holzkonstruktionen und blickdicht gemacht mit Palmwedeln, steht in einem Kaff neben der Straße. Vielleicht dauerprovisorisch errichtet, vielleicht auch nur für ein Rodeo in naher Zukunft. Näheres lässt sich nicht herausfinden, schade. Zwischendurch erstehe ich ein Sackerl mit Chicharrones, die nichts anderes sind als frittierte Fetzen Schweinehaut. Ein Coatl, ein entzückender kleiner Nasenbär, scharwenzelt im Niemandsland aus dem Dickicht auf die Straße und macht sofort wieder kehrt, als er meiner ansichtig wird. Gut so, den hätte ich wohl nicht mehr derbremst. 

Schnell checke ich ein in der heruntergekommenen Villa Mercedes in Tizimin, am Ende des Weges noch weiter nördlich in Rio Lagartos gibt´s dem Vernehmen nach Bootstouren durch ausgedehnte Mangrovenlandschaft. Lange brauche ich nicht nach Anbietern im verschlafenen, weil gänzlich abgeschieden Fischerdorf zu suchen. Die letzten fünfzig Kilometer kam mir keine andere Siedlung mehr unter. Entlang des Malecon sitzen Männer und warten auf Suchende wie mich. Mit einem einheimischen Pärchen und mir fetzt kurz darauf ein netter Dicker zuerst dem grünen Labyrinth entgegen, dann gleiten wir beinahe lautlos durch enge Wasserwege. Ein Reiher hockt unberührt und mit einem Fisch im Schnabel im Geäst, andere Vögel suchen das Weite. Kormorane und Fregattvögel sind mir noch geläufig. Unser Mann fischt einen prähistorischen Pfeilschwanzkrebs aus dem Wasser, der sechs Augen hat, zwei davon auf seiner Unterseite. Seine vielen Haxen, mit denen er panisch herumfuchtelt, greifen sich irgendwie ekelhaft an. Froh kann er sein, das wir ihm sein blaues Blut nicht abzapfen. Man kann damit Keime in Impfstoffen nachweisen und ein Liter davon wird um viele tausend Euro gehandelt. Dann triftet gemächlich ein Krokodil vorbei, wesentlich größer als ich und nicht sehr scheu. Auf der Seite des Bootes legt es an und wartet wohl auf ein Leckerli. Ich könnte ihm den Kopf kraulen und es könnte von mir abbeißen, wenn es denn wollte. So ein schönes Coccodrillo im natürlichen Habitat zu sehen ist eine starke Sache.

Die streng riechende Saline Las Coloradas ist heute nicht wirklich pink, aber die Flamingos vor dem Feuerrot der untergehenden Sonne machen witzige Moves mit ihren dürren Haxen, um kleine Viecher aufzuwirbeln, während sie mit ihren Schnäbeln das Wasser filtern. Bailando!, ruft unser Käptn routiniert entzückt. Mister Pink kann bis zu eineinhalb Meter groß werden, wenn er fleißig filtert. Das Einreiben mit gesundem, wahrscheinlich mit wohltuendem Flamingo Aa gesättigtem Gatsch sparen wir uns, denn was viele nicht wissen- Nach dem Sonnenuntergang folgt Dunkelheit. Fünfzig  Kilometer fahre ich mit Sonnenbrillen auf und Fernlicht an zurück nach Tizimin. Die Brillen deswegen, weil sie hier noch in Scharen fliegen, die Insekten. Übergänge zu in Bau befindlichen Straßenabschnitten sind mitunter sehr direkt. Unerkannte Bodenwellen heben mich nicht nur einmal aus dem Sitz. Der zum Glück sehr spärliche Gegenverkehr gibt nichts auf die Möglichkeit des Abblendens. Viel sehe ich also nicht, und wenn sich zu Beginn eines Waldstückes das Blätterdach der Bäume über mir schließt, dann wird die Finsternis noch finsterer und die Geräuschkulisse noch durchdringender. Irgendwann geht warum auch immer meine Warnblinkanlage an. Keine Ahnung, wo der Knopf dafür ist, aber anhalten werde ich deswegen sicher nicht. Gestern hat mir eine Deutsche, angestellt bei einer Organisation, die hiesige  NGO´s betreut, von 110.000 Verschwundenen in Mexiko erzählt. Froh bin ich, als ich mir daheim das Gesicht freirubbeln und ein Cerveza Superior aufknacken kann.


Montag, 4. Dezember 2023

 3.12., Valladolid

Jeden Tag schüttet es wie aus Schaffeln trotz vermeintlicher Trockenzeit, ich werde mir wohl einen Regenschirm zulegen müssen. Zwischen den Schauern fahre ich zu den Cenoten X´Kekén und Samulá, zwei düsteren unterirdischen Pools mit Fledermäusen an der Decke und gewaltigen Tropfsteinformationen, die bis weit unter die Wasseroberfläche reichen. Die Durchbrüche in der Decke beschränken sich jeweils auf ein paar Quadratmeter und nur von dort dringt etwas Licht in die Höhlen. Entsprechend frisch ist auch das Wasser, was sehr in der Ordnung ist. 

Dann cruise ich noch ein bißchen herum , vorbei an einem Gefängnis wie aus dem Bilderbuch mit weiß getünchten Mauern, Türmen und reichlich Stacheldraht, daneben werden von den Knastis gehäkelte Hängematten verkauft. Ein Friedhof neben der Bundesstraße ist so farbenfroh bemalt wie bei uns ein Kindergarten, auch die Gräber selbst. Eine Auswahl an anderen Verkehrsteilnehmern: Ein zerfetzter Hund am Fahrbahnrand, ein Pensi am Rad mit einem Gewehr umgeschnallt, die Guardia Nacional wie immer martialisch in extrabreiten Humvees. 

Abends nippe ich an meinen ersten Mescals, rauchigen Agavenschnäpsen ähnlich dem Tequila. Dazu werden Orangenspalten mit Chiliflocken und Sal de Gusano gereicht, mit getrockneten Raupen vermischtes Salz. Eine Band spielt auch noch auf in der Mezcaleria Don Trejo, unter dem müden Applaus einiger weniger Gäste bemüht sie sich redlich um Stimmung.


Sonntag, 3. Dezember 2023

 2.12., Valladolid

Auf um Drei, Mysterium Jetlag. Außerdem ruft Muttern an, Mysterium Zeitzone. À propos Zeitzone: Gestern habe ich auf meinem Weg nach Westen eine Stunde verloren. Kurz vor Sieben mache ich mich auf zur angeblich spektakulärsten Maya- Stätte Mehigos, nach Chichén Itzá. Nicht dass ich gesteigertes Interesse an dieser Anlage hätte, aber wenn mich die Geschicke schon hierher verschlagen, fühle ich mich irgendwie verpflichtet.

Oh wie schön es ist, frühmorgens hier herumzucruisen, ohne Gepäck und mit reichlich Tiger im Tank. Valladolid ist ein ausnehmend entzückendes Kolonialstädtchen mit großzügigen Plätzen vor altehrwürdigen Kathedralen und die Orientierung fällt leicht aufgrund der rasterförmigen Anordnung der Straßen. Auch über Land macht die Gegend Laune. Kleine Dörfer, viel Grün, wenig Verkehr. 

Seit 2007 zählt C.I. zu den neuen sieben Weltwundern. Zu bestaunen gibt es zum Beispiel eine dreißig Meter hohe Pyramide, ein Observatorium, Tempel etc., allerdings nur von außen. Seit es jemanden vor einigen Jahren tödlich von einer der Ruinen gezaubert hat, ist´s vorbei mit dem Herumklettern auf den extrem hohen, schmalen und steilen Stufen, alle Bauwerke sind jetzt eingezäunt. Somit bleiben den Besuchern auch die inneren Räumlichkeiten verborgen, was eigentlich ein schlechter Witz ist. In einer Cenote, einer gefluteten Höhle mit eingestürzter Decke, wurden unzählige menschliche Knochen gefunden, sie galt als Tor zur Unterwelt. Reliefs zeigen Adler, die Männern die Brust aufreißen und deren Herzen fressen. Es gibt Opfersteine, eine Plattform, wo einst die Schädel geopferter Feinde ausgestellt wurden, und auch der große Ballspielplatz macht deutlich, wie verstrahlt die Mayas waren. Reliefs zufolge wurden Spieler der unterlegenen Mannschaft kurzerhand geköpft, Nachwuchsteams waren wohl schwer zu finden. Das Spiel selbst bleibt bis heute ein Rätsel. Der Platz ist begrenzt durch zwei gegenüberliegende, viele Meter hohe Mauern, in welche in luftiger Höhe jeweils ein Steinring eingefasst ist. Durch diesen Ring mussten die Spieler ein Balli schupfen, allerdings ohne die Hände zu gebrauchen. Jedenfalls klatschen die Besucher noch heute, was aber mehr am fantastischen Echo liegt. Noch ärger als die Mayas waren nur mehr die Azteken drauf. Zur Einweihung ihres wichtigsten Tempels wurden zwanzigtausend menschliche Herzen geopfert. 

Jedenfalls, eine ganz gefällige Anlage. Aber kein Vergleich zu Ankor Vat in Kambodscha, das in seiner unfassbaren Geilheit niemals erreicht werden kann. Pünktlich zur Öffnung der Tore war ich schon hier, gemeinsam mit einer Heerschar an fliegenden Händlern, jetzt, keine drei Stunden später, fluten schon die Horden das Areal und ich ziehe von dannen. 

Mitten in Valladolid gibt es ebenfalls eine Cenote mit klingendem Namen Zaci, ein großartiges, noch halb überdachtes Wasserloch mit fünfundvierzig Metern Durchmesser und einer Tiefe von bis zu hundert Metern. Von der Decke hängen Farne und Wurzeln und Stalagtiten. An drei Stellen plätschern winzige Wasserfälle herab. Das Schwimmen hier unten, dreißig Meter unter Straßenniveau, ist nur mit Schwimmwesten gestattet, soll sein. Das Wasser ist herrlich erfrischend, heute hat´s schon wieder mehr als dreißig Grad. Fische knabbern an mir, ein paar größere schwarze Fische mit Barteln sind auch dabei und ab und zu sind sie mit zu viel Eifer bei der Sache. Ein österreichisches Pärchen treffe ich, die hatten den Job, in einem Haus am Meer ein paar Monate auf einen Hund aufzupassen. Zu zweit! Jetzt reisen sie durchs Land und geben das verdiente Geld aus. Wo darf ich mich anmelden?

Abends schlendere ich mit dem Kanadier durch die herausgeputzte Stadt, es weihnachtet schon sehr. Gesoffen wird auch viel, frühmorgens wecken mich grausige Speibgeräusche.


Samstag, 2. Dezember 2023

 1.12., Cancun, Valladolid

Sergey, mein Mann mit dem Moped, schreibt mir, er findet meine Pension nicht. Verlasse ich also meine gefängnisgleich gesicherte Unterkunft, um ihn auf der Straße in Empfang zu nehmen. Während ich so herumstehe und warte, schlendert ein ganz passabel gekleideter Typ mit Spiegelbrille zum verwahrlosten Haus gegenüber und sondert am Zaun Plopp- und Klicklaute ab. Er wirkt nervös und trollt sich wieder nach kurzer Zeit. Kurz darauf biegen zwei Polizeiautos um die Ecke, ohne Blaulicht und ohne Sirene. Noch im Fahren gehen die Türen auf, Ninjabullen hüpfen raus, einer rüttelt am Zaun, andere klettern schon drüber und stürmen lautlos das Gelände. Eine Grindlady in Leggings wird noch auf der Straße verhaftet und gleich ausgesackelt. Wow, bist du. Ein älterer Beamter in normaler Uniform stellt sich derweilen ganz entspannt neben mich, überblickt die ganze Aktion und bedeutet mir, ich solle Meter machen. Si claro!, ich wollte eh noch Wasser für die Fahrt kaufen. 

Viel später bin ich startklar. Das Moped ist kleiner als erwartet und ich habe wie üblich zu viel Zeug dabei. Allerdings punktet Das Zweirad mit einem fancy USB- Stecker fürs Handy, womit ich genügend Saft für das Offline-Navi haben werde. Mit dem Moped kam noch eine Merkliste: Alle Polizisten sind prinzipiell korrupt und trachten danach, die "Gringo Tax" einzukassieren. Grundlos sind für gewöhnlich 200 bis 400 Pesos (11 bis 22 Juros) abzudrücken, bei augenscheinlichem Reichtum auch mehr. Auch dem Tankstellenpersonal sei nicht zu trauen, die üblichen Schmähs. 

Mit welcher Ecke soll ich anfangen, wo soll ich hin? Mexiko ist gigantisch groß, sogar die Halbinsel Yucatan hat die dreifache Fläche Österreichs. In südlicher Reichweite locken darüber hinaus Guatemala und Belize, sollte jemandem fad werden. Diese Dimensionen machen mich schon jetzt ganz wucki, eine Kolonialisierung des gesamten Staates wird sehr schwer werden. Die nördlich und östlich gelegenen Inseln hebe ich mir bis zur Ankunft der Gefährtin Mitte Dezember auf und starte o-beinig gen Westen, den Rucksack zwischen den Haxen. 

Schon bald muß ich auf den Highway 180 auffahren und das erste Schild, das mir unterkommt, kündigt die nächste Tankstelle in fünfundachtzig Kilometern an. Das wird sich nicht ausgehen. Mein Tank fasst keine dreieinhalb Liter und Sergey hat sie mir nicht voll aufgetankt übergeben, der linke Agent. Fahre ich halt dazwischen wo ab, denke ich mir. Während der nächsten fünfzig Kilometer keine einzige Abfahrt, keine Ortschaften, nur Dschungel und bisweilen Nieselregen, dann erblicken meine tränenden Augen eine Mautstation. Zuerst behellige ich die Kassiererin, no tengo gasolina, es finito complettamente!, dann einen von ihr zu Hilfe gerufenen Mautsheriff. Der ruft schließlich jemanden an und nach zwanzig Minuten kommt schon ein Pickup mit Zehnliterkanistern vorbei, was auch der Mindestabgabemenge entspricht. Es folgt eine Pritschelei mittels abgeschnittenem Flaschenhals, eine alte Colaflasche füllt mir der Typ auch noch voll, der Rest ist seine Maut in Naturalien. Warum es auf dieser Autobahn keine Tankstellen gibt? Müssen erst gebaut werden, aha. Auch das eingangs erwähnte Schild ist nur Vorbote einer besseren Zukunft, abermals restlos ausgezuzelt erreiche ich nachmittags Valladolid. Für mindestens drei Tage wird das Hostal Gayser meine Homebase für Tagesausflüge aller Art sein, eine Spitzenhütte mit kleinen Zimmerchens und großem Kühlschrank, den ich sogleich mit Bieren bestücke. Die Restkälte des Gefrierfaches überdauert den mehrstündigen Stromausfall locker, währenddessen ich mich im gemütlichen Innenhof mit einem Kanadier unterhalte. Zehn Jahre war er in einer Sekte, hat dort eine Klagenfurterin kennengelernt und geehelicht, viele Geschichten. Noch eine Runde durch mein Grätzl, mehr dazu morgen.


Freitag, 1. Dezember 2023

 30.11., Cancun

Robert hat ein paar Eier aus seinem Fundus freigegeben und scharfe Saucen in allen Farben gibt´s zuhauf dazu. Ich solle ausschließlich mit Kokosöl kochen, hier und in Zukunft, alles andere sei tödlich. Obendrein spendiert er mir eine Banane und das grindige Marmeladeglas wurde erneuert. Der Advent naht, die ersten milden Gaben werden verteilt. Wie ein Nachkriegsbergbauernkind freue ich mich und frühstücke feudalst, dann checke ich aus. 

Eine neue Bude mit Klima und Bad für kleines Geld hat sich aufgetan, die Gegend ist allerdings nicht die beste. Am Weg latsche ich am ausgebrannten Hotel Acapulco vorbei, aus dessen schwarzen Fensterlöchern jetzt ziemlich erledigte Figuren schauen. Das Erdgeschoss ist komplett zugemüllt, irgendein Freak kehrt inmitten von Schutt und Abfall den Boden mit einem Besen. Hier könnte man einen Zombiefilm drehen, beängstigend. Und sonst hauptsächlich Werkstätten, Lagerhallen, ärmliche Behausungen mit Sperrmüll davor als improvisiertem Zaunersatz. Damen des horizontalen Gewerbes, gemeinsam auf einer Holzbank sitzend.

Morgen werde ich Cancun verlassen, wenn alles gut geht. Vormittags sollte mir der dazu notwendige Roller geliefert werden, alles ist recht kompliziert. Die Kaution muss in Cash hinterlegt werden, die Filialen der HSBC, der einzigen Bank, die meine Karte akzeptiert, sind rar. Im Foyer hängen Schnappschüsse von Bankräubern bei ihrer Arbeit. Später gebe ich der Touristenmeile noch eine Chance und fahre mit dem Bus zum Playa Ballenas. Schwierig genug, den öffentlichen Zugang zu den Stränden zu finden. Die Mauern der Hotelanlagen sind an die fünf Meter hoch, sollte King Kong kommen, und die Stromaggregate dahinter sind selbst so groß wie Häuser. Hier ist der Strand breiter und das Meer ist wild und traumhaft. Zurück in der Stadt erstehe ich ein Sackerl Rambutans und dann noch eine dicke Suppe an der Straße, die man sich noch mit allerhand Zeug pimpen könnte, dann attackiert mich grundlos eine rote Ameise. Sitzt plötzlich auf meinem kleinen Finger, lässt sich nicht wegblasen, sticht mich oder beißt mich oder pinkelt mich an, der Schmerz ist jedenfalls enorm. Trottelviech! Den Preis für das seltsamste T-Shirt des Jahres holt sich übrigens ein mexikanischer Pensi, sein Leiberl trägt den Shriftzug: Win, lose or tie, I am a duck until I die.  


Donnerstag, 30. November 2023

 29.11., Cancun

Viel bekommt man auch fernab der eigentlichen Touristenmeile nicht für sein Geld. In dieser Stadt mit ihren achthunderttausend Einwohnern reichen sechzehn Euro für eine Nacht im Betonhäuschen mit drei mal drei Metern, ausgestattet mit einem Fliesenboden und einem Standventilator. Keine Vorhänge, Kästchen oder Bilder zieren mein Domizil, nur weiße Wände und ein Bett. Die gemeinschaftlichen Sanitärräume mit verwahrlosten Plastikarmaturen und antriebsschwacher Kaltwasserdusche befinden sich im Haupthaus. Kaffee, Toastbrot und Marmelade sind im Übernachtungspreis enthalten, genauer gesagt der eingetrocknete Bodensatz eines Einlitergebindes, den schon länger niemand mehr essen wollte. Warum der Kaffee entkoffeiniert sein muss, kann ich nicht sagen, vielleicht wieder etwas Religiöses. Ein Asiate, ein alter Türke und eine vollgepeckte Lady sind ebenfalls hier wohnhaft. 

Später führt mich mein Vermieter Robert zur vorteilhaftesten Wechselstube. Sein Geld verdient er eigentlich mit dem Export von Limetten, die ihm fünfzig Erntehelfer auf hundertfünfzig Hektar Land für Kundschaft in Texas und Dubai von den Bäumen holen. Sephardischer Jude sei er, es gäbe unterschiedliche Thoras oder zumindest abweichende Auslegungen der heiligen Schrift, wenn ich ihn richtig verstanden habe. Der übliche Bullshit. Cancun sei im Übrigen recht sicher, die Bullen zwar korrupt, aber dienstbeflissen. Und sollte sich jemand fragen- natürlich kann Robert Englisch. Mein Sprachschatz beläuft sich noch immer auf Si, no, buenos dias, cerveza und pendejo, aber ich arbeite daran. 

Im schrottreifen Bus der Linie 1 pendelt dann ein gewaltiges Kruzifix an der Windschutzscheibe, der genagelte Erlöser nimmt einen Großteil des Sichtfeldes ein. Laut und heiß isses, der Fahrer schindet sein Vehikel und die Fenster und Türen stehen aufgrund karibischer Hitze offen. Links das Meer, rechts die angeblich mit Krokodilen verseuchte Lagune. An irgendeinem Strand hüpfe ich raus, am Parkplatz davor verkaufen zwei Männer Essen buchstäblich aus dem Kofferraum. Ich erstehe Tacos con todos mit Guacamole übers Fleisch und scharfer Sauce, geil. Ansonsten ist kein Gemüse in den Gefäßen auszumachen. Am Meer ist es dann schrecklich. Fünfzehnstöckige Hotels mit erhöhten Poollandschaften, die sich den Großteil des Strandes einverleibt haben. Am verbleibenden schmalen Streifen mit pudrig weißem Sand liegen größtenteils amerikanische Urlauber mit zu enger Badebekleidung und Baseballkappen. Das einzig coole hier sind nur die mächtigen Pelikane, die scheinbar mühelos in den stürmischen Böen schweben um ab und an wie Blitze ins Meer zu stechen, sobald sie Fressbares entdeckt haben.

Später latsche ich heim, es ist schwül und ich bin erledigt. Die Anonymen Alkoholiker haben eine Niederlassung bei mir ums Eck und durch die Scheiben des Fitnesscenters hindurch sehe ich Menschen auf der Stelle laufen. Das Etablissement nennt sich Mutant und dem ist nichts hinzuzufügen. 


 28.11., Wien, Frankfurt, Cancun

Unterwegs nach Mexiko, die ersten Wochen alleine.  Beim Umsteigen in Frankfurt marschiere ich an gemütlich schlafenden Reisenden vorbei, der Flughafen hat in mehreren Nischen Feldbetten zur freien Entnahme gestapelt. Dass ich das noch erleben darf. Anstatt wie sonst üblich die Möbel für übernächtigte Passagiere so unbequem wie nur irgendwie möglich zu gestalten,  geht man hier erstaunlich unkompliziert auf die Nöte der Schlaflosen ein.

Zwei Stunden Verspätung hat der Anschlussflug. Irgendein Trumm am Bordhäusl musste noch getauscht werden, vielleicht die Klopapierrolle. Viele Stunden später schlage ich in Cancun am nordöstlichen Zipfel der Halbinsel Yucatan auf. Um den Einreisestempel anstellen (willkürlich von der Grenzschützerin drei Monate von möglichen sechs Monaten zugestandener Aufenthalt), Geld wechseln (zwanzig Juros, skandalöser Kurs), den Bus in die Stadt finden. Nach Ciudad de Cancun staue ich mich, nicht in die Zona Hotelera, einem schmalen Landstrich vor der eigentlichen Küstenlinie, wo sich ein Hotel an das nächste reiht.

Pickups mit dreckigen Hacklern oder Soldaten auf der Ladefläche kriechen neben dem Bus der Stadt entgegen. Stoßzeit trotz vorgerückter Stunde. Rund um den Hauptbahnhof herrscht noch reges Treiben, wummert Musik aus Autos und Geschäften, essen Menschen an kleinen Straßenstandln. Über die Teller wird ein Sackerl gestülpt, darauf kommt dann die Mahlzeit. Etwas abgefuckt wirkt die Ecke, aber noch voll im Rahmen. Männer ohne Shirts, Frauen in kurzen Röcken. Runde mexikanische Gesichter. Gen Norden folge ich meinem Offline- Navi der Hauptstraße entlang zur schon vorab gebuchten Unterkunft, bis die Gegend ruhiger wird. Der letzte Kilometer ist dann schon recht abgelegen und finster. Unter einer Brücke wurden rund hundert Portraits von Menschen affichiert, die vom Urheber als korrupte Schläger und Diebe diffamiert werden, scheinbar Politiker. Dann finde ich die Dreckshütte nicht, das Bed and Breakfast Lendermann, dem ich schon zwei Nächte bezahlt habe. Niemand mehr unterwegs, den ich fragen könnte. Hunde bellen mich an, springen an Zäunen hoch oder schleichen mit Sicherheitsabstand um mich herum. Schließlich schlendert ein Pärchen mit Kinderwagen durch die Szenerie, schön. Der Mann kann sogar Englisch und gemeinsam eruieren wir aufgrund der geposteten Bilder den tatsächlichen Standort der Unterkunft, die Position auf der Karte war fälschlicherweise einen Häuserblock weiter angegeben. Ich danke meinem Retter, einen anderen Gast klopfe ich aus seinem ebenerdigen Zimmer.  Warum er denn kein Schild anbringen könne, frage ich den Betreiber später. Geht nicht, er führe eine Habitacion privado, scheinbar eine Untergrundbude. Ob ich ein kaltes Bier haben könne? Cerveza fria? No no, er sei Jude und trinke nicht. Sogleich setzt er sich demonstrativ sein Häubchen auf, das ihm wie immer viel zu klein ist. Auch wurscht. Mit einem halben Liter Wasser mit Eis in Händen schließe ich endlich die Tür meines schmucklosen Kobels am Flachdach seines verwinkelten Hauses. Mitten in der Nacht rüttelt noch eine spanisch sprechende Lady mit Rucksack an meiner Sperrholztüre. Es occupado, schleich dich.


Freitag, 7. April 2023

7.4., von Plovdiv nach Temeswar

Einen hab ich noch, ereignislos war nicht. Als inoffizieller Kulturattaché der Alpenrepublik, denke ich mir, muss ich der Hauptstadt Bulgariens eigentlich auch noch einen Höflichkeitsbesuch abstatten. Nach längerer Sucherei stelle ich mich dort nahe des Zentrums in die Kurzparkzone und schicke auf Geheiß eines befragten Ratgebers artig mein Kennzeichen an eine Gebührennummer, auf dass mir pro stündlicher SMS ein Obolus verrechnet und über die Telefonrechnung  abgebucht wird. 

Kirchen, Ausgrabungen, kommunistische Prachtbauten dann bei der geführten Tour, das Übliche. Nur die Männer der Nationalgarde vor dem Präsidentenpalast bei ihrer Rauchpause sind cool, jeder trägt mittig auf seinem Hut eine große Vogelfeder. Amerikanischer Staatsbesuch, großes Tamtam. 

Jedenfalls, komme ich nach drei Stunden von der eh ziemlich faden Führung zurück, erblicken meine schreckgeweiteten Augen schon von Weitem die leuchtendgelbe Parkkralle am Vorderreifen meines Boliden. Ein Passant wählt mir freundlicherweise die auf dem Begleitschreiben an der Fahrertür vermerkte Telefonnummer und eine halbe Stunde später kommen schon ein kleiner Blader und ein langer Dünner und meinen, ohne eine bulgarische Simkarte wären meine Nachrichten wertlos gewesen. Hinterwäldlerische Ostblocktrotteln! Dick und Doof zeigen einerseits Anteilnahme, Sofia bad for Tourists, lassen aber andererseits auch nicht mit sich handeln. Vierunddreißig Leva muss ich abdrücken, gut, dass das nur siebzehn Euro sind. 

Aber Zeit und Nerven hat der Stunt gekostet. Bis zum schon im Voraus gebuchten Zimmer in Temeswar sind´s noch mehr als acht Stunden und es wird knapp. Bei Minusgraden fahre ich durch eine wunderbare Eiszapfen- und Schneelandschaft hoch in die Berge und wieder runter. Bei einer Polizeikontrolle schaltet ein Typ im aufgemotzten Bmw zurück, weicht links über die doppelte Sperrlinie in den Gegenverkehr aus und hüllt die Bullen in schwarzen Rauch. Bei uns wäre jetzt Verfolgungsjagd angesagt, dann den Verbrecher herbirnen wie einen Zeiselbären und Deckelabnahme auf länger. Hier nur phlegmatisches Schulterzucken. 

Bulgarien und Rumänien schenken sich nichts. Der Lkw- Stau hinein in den Schengenraum beträgt exakt wie der vor drei Wochen in die andere Richtung zehn Kilometer. Heute gestaltet sich das Vorbeipressen aber leichter, es gibt wenigstens meistens zwei Spuren.

Später nehme ich einen Autostopper mit. Er ist auch eher der Naturbursche mit recht strenger Aura, vielleicht Bauer oder Bauhackler. Mehr als siebzig Kilometer fahren wir hauptsächlich schweigend bis zu seinem Kaff, hoffentlich ist das nicht sein üblicher Anfahrtsweg. Bei jeder Kirche bekreuzigt er sich dreimal und für mich hat er dann auch noch schöne, wenn auch unverständliche Worte.

Finster ist es mittlerweile. Wer reitet so spät durch Wind und Nacht? Es ist Stefsechef und es ist schon nach Acht.

Kühe und Menschen am Wegesrand, aber entgegen kursierender Horrorstories keine Wegelagerer mit Steinen in Händen, die einem bei Nichtbezahlung einer etwaig eingeforderten Wegemaut die Scheiben einschießen möchten. Auch die Berge Rumäniens sind bei Nacht und Nieselregen kein Bemmerl. Pfützen, in denen das Wasser steht, Straßenschäden mit Chance auf Achsbruch, bremst man nicht wie die Ortskundigen auf Schrittgeschwindigkeit ab. Zwei Sattelschleppern folge ich bis nach Temeswar, die fahren genau mein Tempo. 

Gegen Mittag werde ich in Ungarn sein und verabschiede mich abermals mit dem österlichen Segensspruch, urbi et orban.

Donnerstag, 6. April 2023

 5.4., von Istanbul nach Plovdiv

Wie in einer noblen Gummizelle fühlt man sich im gepolsterten Lift des Hotels. Ich lasse meinen Kübel vorfahren und verlasse das Etablissement. Vorbei an Gümüspala nach Bulgaristan, wie man hier zum Nachbarn sagt, cruise ich, und sehe schon ein Korneuburger Kennzeichen. Die Grenzformalitäten dauern zwanzig Minuten. Keine Verkehrsstrafen oder ausstehenden Mautzahlungen werden eingefordert, ich werde mit Vornamen angesprochen. Do not allow the spread of african swine fewer, habe ich auch nicht vor. 

Gleich weiter nach Plovdiv. Hätte man mir im türkischen Luxusschuppen auf Anfrage noch die Kopfpölster gewechselt, zur Auswahl standen Gänsefeder, antibakteriell oder orthopädisch, muss ich schon froh sein, hier in einem besseren Fuchsbau unterzukommen. Aber es gibt Bier vom Fass im netten Pub und nach einer bemühten Pizza stört kein Muezzin meinen Schlaf.

Güle Güle, habe die Ehre. Viel mehr als zu fahren ist für die letzten Tage nicht geplant. Ich hoffe auf eine ereignislose Rückkehr und verabschiede mich an dieser Stelle. Möge der Saft mit euch sein.


4.4., Istanbul
Auf unserem Weg zum Taksimplatz kommen uns immer wieder auf Brachland stehende, herzige Katzenhäuschen unter, oft mehrgeschossige und mit Schlaf- und Futterplätzen für die Streuner der Umgebung eingerichtete Miniaturbehausungen. Im modernen Teil der Stadt staunen wir dann über inflationär viele Nasenoperierte mit Pflastern auf ihren behübschten Zinken und geschwollenen Gesichtern. Halblustige Eisheinis verarschen asiatische Touristen, indem sie ihnen mit ihren Metallstangen immer und immer wieder nur die leeren Stanitzel überreichen. Die schwedische Botschaft ist infolge der Entwicklungen der letzten Monate, Stichwort Kurden und türkisches Veto zum Natobeitritt, komplett verrammelt. Mehr als unangebracht finde ich, dass die geschlachteten Kälber in den Fleischereien Rosen im Hintern stecken haben.
Nachts führe ich die Süße im Regen zum Flughafen, sie fliegt weiter nach Dubai. Klingt nach Routine, geht aber an die Substanz. Das Navi kennt nicht alle Gassen, die Türken fahren noch behinderter als sonst und den Fußgängern ist auch alles wurscht. Ansonsten heute nichts von Belang. 

Dienstag, 4. April 2023

 3.4., Istanbul

Ganze Honigwaben und einschlägige Berieselung dazu beim Frühstück. Careless whisper von Wham und Another day in paradise von Phil Collins. Macht sich wirklich jemand die Mühe, für die Parallelgesellschaft hier den passenden Soundtrack zu gestalten? 

Istanbul, ehemalige Hauptstadt des Römischen, des Byzantinischen und des Osmanischen Reiches. Alte Steine überall, die Altstadt ist teilweise Unesco-Weltkulturerbe. Istanbul, fünfzig Kilometer Ausdehnung von Norden nach Süden und rund hundert Kilometer von Osten nach Westen. Istanbul, Verkehrshölle mit der zweitgrößten Verkehrsdichte der Welt. Wenn wir in die Verlegenheit kommen, breitere Straßen überqueren zu müssen, laufen wir um unser Leben. 

Vor fünfundzwanzig Jahren, unterwegs mit dem Schweden und dem Engländer mit zwei Trucks für die deutsche Sportbude, drehte ich  notgedrungen eine halbe Stunde lang meine Runden in einem Kreisverkehr, bis uns endlich türkische Kollegen aus der Spirale des Todes befreiten. Navis gab´s noch keine, wir wussten nicht wohin und sobald wir uns irgendwo hinstellen wollten, kamen sofort Bullen angelaufen und forderten uns auf, uns umgehend zu schleichen. 

Istanbul, graue Stadt. Kaum Grünflächen und kein einziger großer Stadtpark. Keine Bäume, nicht einmal Büsche. Jedem Bürger steht weniger als ein Quadratmeter Parkfläche zur Verfügung und in dieser Statistik sind die Grünstreifen zwischen den Richtungsfahrbahnen auf den Autobahnen schon mit eingerechnet. 

In der Nähe des Hafens sitzen wir heute, trinken türkischen Kaffee und schauen nur so, wie es sich hier abspielt. Menschen schlagen Waren aller Art in großen Kartons um, verpacken, verladen, auf Tuk Tuks, Wägelchen, auf Mopeds, schleppen das Zeug schwitzend zu Fuß. Nach und von Afrika und Asien, Speditionen, Lagerhäuser, Sattelschlepper.

Ein Fischweckerl unter einer der Brücken, nur gucken, nix kaufen im großen Bazar unter bemaltem Deckengewölbe mit Trinkbrunnen aus Marmor, zwanzig Kilometer durch die Stadt schlendern, vorbei an den großen Moscheen, Hammams, Aquädukten und Bereitschaftspolizei nahe dem Taksimplatz. Ein bisschen Geld aus der Spendenkassa ist noch da für verschleierte Frauen in Schwarz, die Essen für ihre Kinder aus Müllsäcken aussortieren.


Montag, 3. April 2023

 2.4., von Beypazari nach Istanbul

Frühmorgens stehen in den Straßen und Gassen Beypazaris Hütchen, wo gestern noch die Autos parkten, alles ist wie leer gefegt. Nicht, dass die mir schon wieder mein Auto abgeschleppt haben wegen eines Bauernmarktes oder einer Karottenparade, ich verfalle in Schnappatmung. Nein, nur meines und ein einziges anderes Gefährt stehen noch da, ich liebe die Türken. 

Durch ein wunderschönes Tal, dessen felsige, kahle Hänge in unterschiedlichen Farbschichten von grün über weiß bis hin zu rötlich leuchten, brettere ich und über Passstraßen, die mit Abstand kaputtesten der bisherigen Reise. Unerwartet eigentlich, Europa ist nicht mehr weit. Die Hunde liegen rudelweise im Regen zusammengerollt. Gegen Mittag erreiche ich Istanbul, vormals Konstantinopel, vormals Byzanz. Mit rund sechzehn Millionen Einwohnern eine der größten Metropolen der Welt. Die Stadt liegt auf beiden Seiten des Bosporus, verbindet Europa mit Asien. Es gäbe drei Brücken, das Feribot oder den brandneuen Tüneli, der unter der Meerenge verläuft. Durch letzteren fahre ich, ohne dafür zu bezahlen. Irgendwo müsste man sich vorab registrieren, Mauthäuschen gibt´s keine, also prelle ich die Zeche von drei Euro und hoffe auf spätere Nichtbelangbarkeit in der Heimat.  Absolut geschmeidig die Röhre, sicher eine technische Meisterleistung. 

Architektonisch ist die Palette breit. Altehrwürdige Moscheen stehen im Schatten extravaganter Wolkenkratzer. Entlang der Meerenge haben alte Festungen die Zeit überdauert. Am Wasser draußen parken Schiffe aller Art und Größe. Vor einigen Jahren sah ich im Rahmen eines Bootsausfluges mit der Holden sogar ein gigantisches U-Boot in Fahrt an der Wasseroberfläche. 

Apropos, wegen der bin ich ja eigentlich da Die kleine Jet Set-Maus macht hier für drei Tage Zwischenstopp am Weg nach Dubai, wo sie mit ihren liebreizenden, dauerbeschwipsten Freundinnen ein paar Tage Prosecco süffeln wird. 

Wenig los am Flughafen Atatürk, sehr wenig los. Ein Typ in einem Portierhäuschen wachelt mich weg, ich möge mich über die Häuser hauen. Sonst gibt´s noch zwei Ninja-Bullen, die auf unbeteiligt machen. Den einen behellige ich, er kann ein paar Brocken Englisch, und Folgendes ist die Quintessenz: Dieser Flughafen ist schon seit ein paar Jährchen dicht. Ich muss zum Istanbul Airport, fünfundvierzig Kilometer in Richtung Norden. Hart für die Nerven ist das Reisen mitunter. Keine Ahnung, kein Internetz, zwei Reiseführer mit, der eine elf Jahre alt und der andere dreizehn. Keine Fremdsprachenkenntnisse. Wenn der eine Scheriff mich nicht notdürftig aufgeklärt hätte, wäre ich wieder einmal angestanden. Gut, dass ich genügend Zeit für derartige Eventualitäten eingerechnet habe, alles geht sich aus. 

Eine Stunde wiedervereint kriechen wir durch den abendlichen Stau zur Fünfsternehütte, wo die Schnäppchenjägerin ein den Umständen entsprechend billiges Zimmer für uns aufgetan hat, sie möchte es schön haben. Ein Maybach fährt gerade weg, ein Angestellter parkt meinen Skoda ein. Ich lulle mich an, der Arme fährt indigniert mit meiner vollvermüllten Kiste von dannen. Lohnsklaven scharwenzeln um uns herum, bling bling.

Ein zielloser Spaziergang durch unser Viertel. Ein doppeltes Aquädukt, in einer Straße nur Fleischereien. Auf einer Brücke schauen wir den vielen Fischern zu. Weil es stark regnet, verziehen wir uns in ein Wirtshaus, der Kellner stellt uns zum Aufwärmen ein glühendes Kohlebecken hin.


Sonntag, 2. April 2023

 1.4., Beypazari

Suppe zum Frühstück geht immer, dann drehe ich meine Runde. Ein Polizist spricht mich an und zischt wieder ab, als er merkt, dass ich ihn nicht verstehe, im Museum Beypazaris gibt es viel Raum für Interpretation. Nichts ist auf Englisch angeschrieben, was allerdings bei einem Eintrittspreis von zehn Cent so in der Ordnung ist. Ich lerne, dass es zumindest theoretisch einen anatolischen Panter gibt, aber waren Ali Efendi Baba, Mürsel Baba und Ivez Baba miteinander verwandt und was haben sie geleistet? Seit wann ist es in der Türkei gesetzlich verpflichtend, einen Schnurrbart zu tragen? Wann begann das Zeitalter der Karotte? 

Einem alten Tischler kaufe ich zwei Werkstücke ab und lasse mich durch seine urige Werkstatt führen, schaue mir eine große Karawanserei aus dem siebzehnten Jahrhundert, in der einst Mensch und Kamel auf ihrem Weg entlang der Seidenstraße unterkamen, an. 

Am Markt trinke ich frisch gepressten Karottensaft, was sonst, und weil heute Samstag und die Stadt voll mit Tagesbesuchern aus Ankara ist, gibt es auch schon untertags etwas zwischen die Kiemen. Im Fastfoodladen schneidet der Gerät schweißfrei und wie immer viel Ayran dazu. 

Hoch oben am Berg befindet sich der alte, teilweise extrem heruntergekommene Teil der Stadt, wo die alten osmanischen Häuser noch nicht renoviert sind. Hier gehen die Frauen hinein, wenn ich komme, und hier spielen die vielen Kinder in den Gassen. 

In einer Billardhütte spiele ich ein paar Runden mit mir selbst, während eine Partie ums Eck Okey, ähnlich dem Rommé, spielt. So laut knallen die Männer dabei ihre Spielsteine auf den Tisch, das es klingt, als ob im Haus Stemmarbeiten durchgeführt werden. 


Samstag, 1. April 2023

 31.3., von Mustafapasa nach Beypazari 

Des Nächtens marschiert wieder lautstark der Mann mit der großen Trommel durch die Straßen. Er weckt dabei nicht nur mich, sondern vorwiegend die Fastenden, damit sie sich noch vor Sonnenaufgang stärken können. Boioioioioing. 

Ich mache mich auf gen Istanbul, die Gefährtin wird übermorgen ankommen. Im Radio ist so gut wie keine nichttürkische Musik zu empfangen, und wenn, dann werden die denkbar ausgelutschtesten Schnulzen gespielt. Heute isses zach. Die Landschaft ist nichtssagend, Ankara mit seinen sechs Millionen Einwohnern ist heftig, obwohl ich die Stadt ohne erkennbaren Anfang und ohne Ende schon am frühen Nachmittag durchfahre. 

Das einzige, das mir von Ankara in Erinnerung bleibt, ist ein Verkehrszeichen, das Straßenhund und Straßenkatze einmütig nebeneinander zeigt. Besonders die großen Streuner, von anatolischen Hirtenhunden abstammend, sind immer freundlich und zutraulich, die Türken behandeln sie gut. Einmal bekam ich vor den Toren einer Grünanlage schon zu lesen, dass die Strawanzer staatliches Eigentum sind und Tierquälerei streng bestraft wird. 

Nach vierhundert Kilometern reicht´s für heute, ich rolle aus in Beypazari. An einer Straßenkreuzung des osmanischen Relikts sticht ein bizarres Denkmal ins Auge, gigantische Karotten im Bündel. Hier wird der Karotte endlich die angemessene Anerkennung zuteil, wahrlich ein Topgemüse. Schneemänner könnten nicht riechen ohne sie und im Burgenland werden sogar Schwangerschaftstests mit ihr durchgeführt. Beißt jemand ab, nachdem der Patientin besagte Knolle zugeführt wurde, ist medizinisch evident, dass der Storch da war. 

Jedenfalls, in der Umgebung wird mehr als die Hälfte des türkischen Jahreskonsums angebaut. Jeder zweite Laden verkauft sie, in jedem zweiten Gericht ist sie. Aber erst nach Sonnenuntergang, eh klar. Bis dahin gebe ich mir die alten, dunklen Holzhäuser in den engen Gassen und schaue den Handwerkern bei ihrer Arbeit zu. Ein ereignisloser Tag.


Donnerstag, 30. März 2023

 30.3., Mustafapasa

Zwanzig Stunden lang hat es durchgehend ganz ordentlich geschneit, Winterwonderland. Und kalt isses! Dass die Wetterfuzzis immer recht haben müssen. Einen Traktor sehe ich beim Räumen, aber schon am Vormittag sind dank Tonnen an Salz wieder alle Straßen frei. In der steilen Einfahrt nach Göreme stehen noch verlassene Autos mitten auf der Fahrbahn, denen war die Abfahrt gestern scheinbar zu heftig. 

Heute gebe ich mir gemeinsam mit hunderten anderen Besuchern das Freiluftmuseum knapp außerhalb des Dorfes und es spielt sich ab. Multilinguale Guides, asiatische und indische Reisegruppen, Pferde, Kamele und Quads. Die Landschaft schon gewohnt psychedelisch. Bis zu vierzig Meter hohe Felsen in Form von Säulen, Kegeln, Pyramiden oder Pilzen, einst entstanden, als der viertausend Meter hohe Vulkan Erciyes Dagi ausbrach, geformt durch Erosion, Zauberei und andere paranormale Einflüsse. 

Hinzu kommt, dass an jeder zweiten Ecke Felsenkirchen der frühen Christen  in das Tuffgestein getrieben wurden. Jesus Christ Superstar mit seiner Partie in allen schon hinlänglich bekannten Lebenslagen, immer und immer wieder. Stinkefad und nur unfreiwillig aufgelockert durch misslungene Wandmalereien. Ein Pferd, dessen Kopf kleiner als sein Hals ist, ein Apostel mit Stielaugen. Auf einem Fresko hängt Jesus nackt am Kreuz ab, allerdings ohne Pimmel. So weit ich weiß, wurde einst im Zuge eines Konzils von christlichen Entscheidungsträgern beschlossen, dass Jesus zeitlebens niemals abstuhlen musste, aber dass er keinen Schlong haben darf, wäre mir neu. 

Auch eine Kirche des bösen Blickes gibt es, ein bis heute in der Türkei weit verbreiteter Aberglaube. Jedenfalls, es reicht wieder mit dem Herumkriechen in Höhlen, Fluchtburgen und Katakomben, ich komme mir schon vor wie Fred Feuerstein. Für einen schönen Wechsel der Perspektive würde sich zum Beispiel ein Heißluftballon anbieten, ich buche eine Tour für morgen. Zurück in Mustafapasa winkt der Wirt ab, seine Schwester ist eine der Ballonpilotinnen und diese Woche wird niemand fliegen. So kommt´s dann leider auch, ewig schade. Zum Trost ein Abendessen mit der Familie, ich konnte es nicht verhindern.


Mittwoch, 29. März 2023

 29.3., von Ilhara nach Mustafapasa

Schneesturm bei null Grad, Wahnsinn. Sehr freue ich mich, nicht mit dem Moped unterwegs zu sein, feste Schuhe wären auch noch schön. Schade auch um die vielen blühenden Kirschbäume, um die minus sieben Grad die nächsten drei Nächte werden sie wohl nicht so leicht wegstecken.

Gleich zwei absolut faszinierende Underground Cities schaue ich mir heute an, eigentlich unterirdische Fluchtburgen, in die sich die Bevölkerung rettete, wenn mal wieder marodierende Horden oder Heere einfielen. An der Oberfläche wurden zuvor noch falsche Brunnen angelegt, die die Angreifer frohgemut vergiften konnten, in den Verstecken konnte man dank ausgeklügelter Versorgungsstrategie, wenn es denn sein musste, monatelang ausharren. 

Viele Häuser hatten ihren eigenen getarnten Zustiegsstollen in die weitläufige Unterwelt. Es gab Luftschächte, die in Derinkuyu fünfundachtzig Meter tief reichten, Zisternen und Kommunikationsröhren. Im oberen Geschoss befanden sich die Ställe der Tiere, im untersten die Kirche und die provisorische Leichenaufbewahrungshalle. Dazwischen gab es große Gemeinschaftsküchen, die nur nachts befeuert wurden, damit der Rauch das Versteck nicht verriet, Vorrats- und Schlaflager. Labyrinthartig angelegt das Ganze, mit Verbindungsstollen, die so niedrig sind, dass manche der Besucher auf Knien durchrutschen müssen. Nicht, dass die Menschen früher so klein gewesen wären, aber so konnten Eindringlinge leichter abgemurkst werden. Als letzte Barriere dienten bis zu zwei Tonnen schwere Mahlsteine, die von innen vor das Ende der Gänge gerollt wurden und von außen nicht entfernt werden konnten. Ich staune über Fallen aller Art. Tiefe Löcher im Boden, manche Röhren werden immer enger und enden im Nichts, ein Albtraum. Über spezielle Leitungen konnte brennendes Öl vergossen werden. 

Klaustrophobisch, bedrückend, beeindruckend. An die zweihundert dieser unterirdischen Anlagen gibt es in Kappadokien, manche fassen bis zu dreißigtausend Menschen.

Vor Göreme dann die mit Abstand absurdeste Landschaft, die mir jemals untergekommen ist. Hunderte psychedelische Spitzkegel mit Fenstern, Türen und Zinnen, so genannte Feenkamine, eine ganze Burg in einem ausgehöhlten Felsen. Der Schnee kommt waagrecht daher, man kann gar nichts mehr sehen, gegen Ende haut´s mich im Gatsch auf die Gosche. Trotzdem superlässig hier. Das Dorf Göreme selbst ist eine abstoßende Ausgeburt des Fremdenverkehrs, so schlimm, wie man es sich nur vorstellen kann. Busse voll mit Asiaten, die sich Vorführungen von abgehalfterten Derwischen ansehen möchten, überteuerte, schmuddelige Unterkünfte. Ich flüchte fünfzehn Kilometer und komme zufällig als einziger Gast im ältesten Hotel Kappadokiens, dem Monastery Hotel in Mustafapasa, unter, betrieben seit 1968 und damals noch ohne Zufahrtstraße. Ich darf mir das urigste Zimmer aussuchen, die Wände aus grobem Stein und die Decke aus gehackten Baumstämmen. Und eine Heizung gibt es auch, hurra! Nicht, dass ich ihr zutraue, dieses alte, ausgefrorene Gemäuer raumgreifend gemütlich zu machen, aber auf alle Fälle besser als nix. Der nette Enkel des Pioniers, Ergan, gibt zwei Tee aus, stellt mich seiner Familie vor, verdonnert schließlich seine Tochter, sich mit mir zu unterhalten. Sie studiert zwar auf der örtlichen Uni Fremdenverkehr, aber hätten wir beide unsere Übersetzungsprogramme nicht, wäre die ganze Angelegenheit noch mühsamer, als sie ohnehin schon ist. Immerhin weiß ich jetzt, was Selena Gomez so treibt, bis jetzt dachte ich, sie wäre Tennisspielerin.


Dienstag, 28. März 2023

 28.3., Ihlara 

Saukalt war die Nacht ohne Heizung, aber für Mitte der Woche sind gar Nachttemperaturen von minus acht Grad vorhergesagt. Spätestens dann heißt´s ein geheiztes Zimmerchen suchen, so viel Tee kann ich gar nicht trinken. Gut übrigens, dass ich einen Wasserkocher mit habe, der macht mich zumindest in dieser Hinsicht unabhängig von den Zwängen des Ramadan. Man stelle sich vor, dass fortan jeder in Wien verweilende Türke am Gründonnerstag Spinat essen muss, wäre ja sehr gesund und erhielte diese schöne christliche Tradition. 

Früh morgens steige ich hinab in die Schlucht von Ilhara, viel grüner und breiter als die in Saklikent. Obschon die Steilwände senkrecht abfallen, verläuft auf beiden Seiten des Flusses ein Pfad und Platz für Vegetation und herabgestürzte Felsen bleibt auch noch. Die Steilwände sind abermals durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Klettert man in eine dieser von außen oft schon zugewachsenen Öffnungen, findet man nicht selten drei Etagen Wohnräume, Verbindungsstollen, Nischen und Feuerstellen. Und uralte Felsenkirchen ohne Ende mit entsprechender Einrichtung und Ausschmückung auf jedem Kilometer. Auch in leere Gräber kann man stolpern, alles ist stockfinster und bisweilen etwas unheimlich. Über Behelfsbrücken in Form von Baumstämmen mit Handlauf wechsle ich je nach Attraktionsangebot das Ufer. Eine einsame Moschee findet sich ebenfalls, "Please shoe do not enter", die geschichtlichen Hintergründe hierzu möge sich jede(r) Interessierte selbst googeln. 

Wandere ich so vor mich hin, umfängt mich plötzlich eine allumfassende Müdigkeit. Eine Hochleistungsmaschine mit Kolbenreiber quasi, ohne die notwendige Schmierung in Form von wohlschmeckenden Kalorien. Ich verlasse kurzerhand die Schlucht und schleppe mich Serpentinen hoch, die zur Bundesstraße führen, bis ich erkennen muss, dass der Übersichtsplan beim Fluss unten nicht den richtigen Maßstab hatte. Stunden sinnloser Hatscherei in Ödland würden mich erwarten, bliebe nicht schon nach kurzer Zeit ein etwas verwahrloster Typ mit noch verwahrlosterem Vehikel stehen. Bis zur Pension führt er mich, plaudert munter auf mich ein und hindert mich dann vehement daran, nach meinem Geld zu greifen. Ich liebe ihn. Ich würde ihn sogar adoptieren, würde er nicht so streng riechen. 

Mit Haube, Pullis und Jacke lege ich mich ins Bett und warte auf den Sonnenuntergang. Draußen regnet und stürmt es inzwischen. Irgendwann mache ich eine Zwanzigkilometer-Spritztour, nur um mich für ein paar Minuten aufzuwärmen. Abends bringt der Wirt endlich den eingeforderten Radiator, dann stellt er mir einen Teller hin, den ich nur schwerlich hinunter bekomme. Fleisch ist keines zu erkennen, aber das Essen hammelt, böckelt hardcore. Dazu wieder das Koranwettrezitieren am wichtigsten Kanal TRT 1 zur Hauptsendezeit. In Afghanistan ja, aber die Türkei hätte ich doch etwas säkularer eingeschätzt. 


Montag, 27. März 2023

 27.3., von Side nach Ihlara

Eigentlich wollte ich die Südküste noch die sechshundert Kilometer bis zur syrischen Grenze abfahren, aber die Türkei ist groß und mir wird die Zeit knapp. Schon früh am Morgen biege ich ins Landesinnere gen Kappadokien ab. Und schlagartig wird alles besser und schöner. Kein Verkehr mehr, nur mehr kleine Dörfer in den schroffen, spärlich bewaldeten Bergen. Erst scheinen die schneebedeckten Gipfel vor mir noch in weiter Ferne, aber schon bald habe ich selbst die Schneegrenze erreicht. 

Eine Auslaufzone für Lastwagen, sollten deren Bremsen nicht mehr funktionieren, endet nach einer lächerlich kurzen, mit Schotter aufgeschütteten Piste frontal in einer Felswand. Eine bauliche Aufforderung zum sozialverträglichen Selbstmord.

Der Skoda hat derweilen Aussetzer, nimmt das Gas nicht mehr an. Vielleicht ist ein Filter verstopft oder weiß der Geier. Der Sprit ist auch fast aus, nach dem Tanken wird´s besser. Und vorne schert irgend etwas lautstark, bei den zwei Polizeikontrollen heute schauen die Bullen schon. Ein Deutschtürke an der Tankstelle erzählt mir, dass man ihn ohne den daheim vergessenen Führerschein hat weiter fahren lassen, kein Problem. Angst hat er nur, dass er in Konya wegen des Ramadan vor Sonnenuntergang nichts zu essen bekommen wird. Konya war einst das Zentrum der Derwische, heute ist es die islamische Fundihochburg der Türkei.

Dann geht auch noch die Motorkontrollleuchte an. Jetzt nicht teppat werden, so fern der Heimat! Ich würde ja nicht sonderlich an dem Schrotthaufen hängen, aber er wurde bei der Einreise in den Pass eingetragen. Dieser Umstand macht es erforderlich, den Boliden unter allen Umständen und in welchem Zustand auch immer wieder zurück über die Grenze zu bekommen, andernfalls man mit einer nachträglichen, horrenden Verzollung zu rechnen hat. Die Einfuhr von gebrauchten Fahrzeugen in die Türkei ist prinzipiell nicht erlaubt und schon zwei Männer haben unabhängig von einander den Wert meiner Krücke zehnmal so hoch angesetzt als die sechs Hunderter, die ich vor drei Jahren für die Beule bezahlt habe. 

Zentralanatolien ist ein vorwiegend weites, staubiges, flaches, hässliches, leeres Land. Außer Agrarfirmenkomplexen und Wohnwaben gibt´s nicht viel zu sehen. Manche Kleinstädte tragen noch die Namen der alten Karawansereien, die hier entlang der legendären Seidenstraße ihren Standort hatten, aber das hilft ihnen auch nicht viel. 

Am Nachmittag erreiche ich das wunderbare Kappadokien, die Landschaft halb Märchenwelt, halb  Grand Canyon, flankiert von zwei schneebedeckten Bergen. Starwars wurde hier gedreht, logisch. Bei der ersten nach Emmentaler Art durchlöcherten Felsformation bleibe ich stehen, begrüßt mich schon  Achmet, ein etwas schmieriger Zeitgenosse. Er deckt hier alle Möglichkeiten der Erwerbstätigkeit ab, arbeitet als Händler, Keiler und jetzt für mich als Guide dieser ersten Attraktion. In die hohen Felsen sind auf mehreren Etagen vom Herdfeuer geschwärzte Wohnräume mit Kaminloch in der Decke, Getreidespeicher, Ställe, und zwei Kirchen geschlagen, fantastisch. Die Heiligenbilder wurden leider schon von Idioten zerstört, die Gesichter von Jesus und seinen zwölf Freunden sind ausgekratzt. Maria ist am ärgsten in Mitleidenschaft gezogen, statt ihrem Bildnis klafft nur mehr ein veritables Loch in der Wand. Säulen, ein Altar und ein Klo oder ein Taufbecken, da ist sich Achmet nicht ganz sicher. Taubenschläge und eine Weinpresse noch, Geheimgänge und Fluchtstiegen führen weit hoch. Achmet hat hier als Kind mit seinen Eltern gelebt und erinnert sich noch  an den letzten großen Felssturz vor zwanzig Jahren. 

Ein deutsches Pärchen, das ich dort kennenlerne, ist schon seit August mit einem VW-Bus unterwegs und der Typ zaubert allen Ernstes ein Diagnosegerät aus seiner Werkzeugkiste, um mir meine Fehler auszulesen. Beim Tankentlüftungssystem ist der Durchsatz fehlerhaft und bei der Bank 1 im Katalysatorsystem ist die Wirkung zu gering, aha. Vielleicht kaufe ich dem Skoda als erste Maßnahme einen Duftbaum. Noch ein Tee in der Sonne und Abenteuergeschichten, dann beziehe ich die einzige Pension im Dorf Ihlara nahe des Einstieges in die gleichnamige Schlucht. In diesem Saukaff gibt´s nix zum Beißen bis nach Sonnenuntergang, Mutfak geschlossen! Gerade heute, ich hatte nur Frühstück. Nicht einmal einen Tee im Teehaus gibt´s. Seid ihr komplett gebenedeit, ihr Komiker? 

Wie die Leute hier schon leben. Entweder in Löchern im Felsen oder in byzantinischen Ruinen. Gräber mit einstmals großen Bögen haben sie mit Steinen zugeschlichtet und kleine Türen eingebaut, hier schauts aus wie im Mittelalter. Kettenhunde, Hühner, Kühe, Strohballen liegen auf Kopfsteinpflaster. Halbwegs neue Häuser mittendrin, eine wilde Mischung. Leibhaftige zentralanatolische Bauernschädeln. Um halb Acht sperrt endlich der Wirt auf. In der Mitte steht ein warmer Holzofen und im TV spielt es eine sehr arge Variante einer Castingshow. Nach der Signation der Melonenshow üben sich ausschließlich Männer im Rezitieren des Korans vor einer kritischen Jury. Bullshit-TV vom Feinsten. Ich bin ja kein Experte, aber der Muezzin, der hier geschätzt alle zwei Stunden lautstark mit sich überschlagender Stimme loslegt, hätte definitiv keine Chance auf einen der vorderen Plätze gehabt. 


 26.3., von Fethiye nach Side

Auf den ersten Blick so, als ob noch Schnee liegen würde, erstreckt sich ein Tal voll mit Glashäusern rund um Kilik und Jesilköy vor mir, so weit das Auge reicht. Eigentlich bestehen nur mehr die ältesten Gewächshäuser aus Blech und Glas, ansonsten regiert die Plane. Mittendrin steht verloren eine kolossale, aber gänzlich unbeachtete, vermutlich Jahrtausende alte Ruine, ein Wunder, dass sie nicht schon abgerissen wurde. Lastwägen mit lächerlich hohen Aufbauten eiern herum. Keine Tunnels oder Unterführungen hindern sie daran und sonst dürfte sich auch niemand daran stoßen. Es wird nicht das letzte derartige Tal für heute bleiben, die Gewächshäuser müssen insgesamt in die Tausende gehen.

Wasser gibt es scheinbar keines. Menschen stehen mit Kanistern bei den öffentlichen Wasserleitungen an. Die Brücken, die ich den Tag über quere, führen über ausgetrocknete, schneeweiße Flusslandschaften, in denen jetzt Müll entsorgt wird. 

Die Küstenstraßen heute sind allerdings zum Niederknien, Kurve um Kurve. Steil abfallende, einsame Traumbuchten neben beziehungsweise unter der Fahrbahn. Am Strand von Patara türmt sich später eine gigantische Sanddüne auf, so groß, man könnte wohl eine ganze Stadt mit ihr bauen. Aber ab dann wird´s übel. Von einem Wirten werde ich gelinkt, in der Hauptstadt Antalya schneidet mich eine Vollverschleierte mit Tunnelblick und in Side ist´s dann gar nicht mehr dufte, sondern so richtig gschissn. Scheinbar schämt sich sogar der Türke für diese Ecke, Side war an der Straße niemals angeschrieben. Schon jetzt bummvoll mit deutschen und englischen Gästen, ist alles entsprechend ausgeschildert und ausgerichtet, besonders die  Schirmreihen am Strand. Beim l.idl. kaufe ich mir ein Bier, der Laden hat beinhart das gesamte Logo des Diskonters gefladert und wahllos die zwei Punkte im Namen platziert, ob ich in Lira oder Euro zahlen möchte. Damit setze ich mich in den Sand und schaue aufs Meer, das ist immer schön.