27.3., von Side nach Ihlara
Eigentlich wollte ich die Südküste noch die sechshundert Kilometer bis zur syrischen Grenze abfahren, aber die Türkei ist groß und mir wird die Zeit knapp. Schon früh am Morgen biege ich ins Landesinnere gen Kappadokien ab. Und schlagartig wird alles besser und schöner. Kein Verkehr mehr, nur mehr kleine Dörfer in den schroffen, spärlich bewaldeten Bergen. Erst scheinen die schneebedeckten Gipfel vor mir noch in weiter Ferne, aber schon bald habe ich selbst die Schneegrenze erreicht.
Eine Auslaufzone für Lastwagen, sollten deren Bremsen nicht mehr funktionieren, endet nach einer lächerlich kurzen, mit Schotter aufgeschütteten Piste frontal in einer Felswand. Eine bauliche Aufforderung zum sozialverträglichen Selbstmord.
Der Skoda hat derweilen Aussetzer, nimmt das Gas nicht mehr an. Vielleicht ist ein Filter verstopft oder weiß der Geier. Der Sprit ist auch fast aus, nach dem Tanken wird´s besser. Und vorne schert irgend etwas lautstark, bei den zwei Polizeikontrollen heute schauen die Bullen schon. Ein Deutschtürke an der Tankstelle erzählt mir, dass man ihn ohne den daheim vergessenen Führerschein hat weiter fahren lassen, kein Problem. Angst hat er nur, dass er in Konya wegen des Ramadan vor Sonnenuntergang nichts zu essen bekommen wird. Konya war einst das Zentrum der Derwische, heute ist es die islamische Fundihochburg der Türkei.
Dann geht auch noch die Motorkontrollleuchte an. Jetzt nicht teppat werden, so fern der Heimat! Ich würde ja nicht sonderlich an dem Schrotthaufen hängen, aber er wurde bei der Einreise in den Pass eingetragen. Dieser Umstand macht es erforderlich, den Boliden unter allen Umständen und in welchem Zustand auch immer wieder zurück über die Grenze zu bekommen, andernfalls man mit einer nachträglichen, horrenden Verzollung zu rechnen hat. Die Einfuhr von gebrauchten Fahrzeugen in die Türkei ist prinzipiell nicht erlaubt und schon zwei Männer haben unabhängig von einander den Wert meiner Krücke zehnmal so hoch angesetzt als die sechs Hunderter, die ich vor drei Jahren für die Beule bezahlt habe.
Zentralanatolien ist ein vorwiegend weites, staubiges, flaches, hässliches, leeres Land. Außer Agrarfirmenkomplexen und Wohnwaben gibt´s nicht viel zu sehen. Manche Kleinstädte tragen noch die Namen der alten Karawansereien, die hier entlang der legendären Seidenstraße ihren Standort hatten, aber das hilft ihnen auch nicht viel.
Am Nachmittag erreiche ich das wunderbare Kappadokien, die Landschaft halb Märchenwelt, halb Grand Canyon, flankiert von zwei schneebedeckten Bergen. Starwars wurde hier gedreht, logisch. Bei der ersten nach Emmentaler Art durchlöcherten Felsformation bleibe ich stehen, begrüßt mich schon Achmet, ein etwas schmieriger Zeitgenosse. Er deckt hier alle Möglichkeiten der Erwerbstätigkeit ab, arbeitet als Händler, Keiler und jetzt für mich als Guide dieser ersten Attraktion. In die hohen Felsen sind auf mehreren Etagen vom Herdfeuer geschwärzte Wohnräume mit Kaminloch in der Decke, Getreidespeicher, Ställe, und zwei Kirchen geschlagen, fantastisch. Die Heiligenbilder wurden leider schon von Idioten zerstört, die Gesichter von Jesus und seinen zwölf Freunden sind ausgekratzt. Maria ist am ärgsten in Mitleidenschaft gezogen, statt ihrem Bildnis klafft nur mehr ein veritables Loch in der Wand. Säulen, ein Altar und ein Klo oder ein Taufbecken, da ist sich Achmet nicht ganz sicher. Taubenschläge und eine Weinpresse noch, Geheimgänge und Fluchtstiegen führen weit hoch. Achmet hat hier als Kind mit seinen Eltern gelebt und erinnert sich noch an den letzten großen Felssturz vor zwanzig Jahren.
Ein deutsches Pärchen, das ich dort kennenlerne, ist schon seit August mit einem VW-Bus unterwegs und der Typ zaubert allen Ernstes ein Diagnosegerät aus seiner Werkzeugkiste, um mir meine Fehler auszulesen. Beim Tankentlüftungssystem ist der Durchsatz fehlerhaft und bei der Bank 1 im Katalysatorsystem ist die Wirkung zu gering, aha. Vielleicht kaufe ich dem Skoda als erste Maßnahme einen Duftbaum. Noch ein Tee in der Sonne und Abenteuergeschichten, dann beziehe ich die einzige Pension im Dorf Ihlara nahe des Einstieges in die gleichnamige Schlucht. In diesem Saukaff gibt´s nix zum Beißen bis nach Sonnenuntergang, Mutfak geschlossen! Gerade heute, ich hatte nur Frühstück. Nicht einmal einen Tee im Teehaus gibt´s. Seid ihr komplett gebenedeit, ihr Komiker?
Wie die Leute hier schon leben. Entweder in Löchern im Felsen oder in byzantinischen Ruinen. Gräber mit einstmals großen Bögen haben sie mit Steinen zugeschlichtet und kleine Türen eingebaut, hier schauts aus wie im Mittelalter. Kettenhunde, Hühner, Kühe, Strohballen liegen auf Kopfsteinpflaster. Halbwegs neue Häuser mittendrin, eine wilde Mischung. Leibhaftige zentralanatolische Bauernschädeln. Um halb Acht sperrt endlich der Wirt auf. In der Mitte steht ein warmer Holzofen und im TV spielt es eine sehr arge Variante einer Castingshow. Nach der Signation der Melonenshow üben sich ausschließlich Männer im Rezitieren des Korans vor einer kritischen Jury. Bullshit-TV vom Feinsten. Ich bin ja kein Experte, aber der Muezzin, der hier geschätzt alle zwei Stunden lautstark mit sich überschlagender Stimme loslegt, hätte definitiv keine Chance auf einen der vorderen Plätze gehabt.